Begriff der "edelen herzen" (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen

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===Epischer Teil===
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Im epischen Teil wird das Attribut des ''edelen herzen'' nicht mehr nur dem Publikum zugesprochen. Es bietet den Rezipienten vielmehr die Möglichkeit, sich anhand vorbildlicher Protagonisten positiv zu identifizieren.[Mazzadi 2000: 67] Als ''edelez herz'' klassifiziert Gottfried folgende Figuren:
Im epischen Teil wird das Attribut des ''edelen herzen'' nicht mehr nur dem Publikum zugesprochen. Es bietet den Rezipienten vielmehr die Möglichkeit, sich anhand vorbildlicher Protagonisten positiv zu identifizieren.[Mazzadi 2000: 67] Als ''edelez herz'' klassifiziert Gottfried folgende Figuren:
# [[Riwalin]]
# [[Riwalin]]: Riwalin erhält die Bezeichnung des ''edelen herzen'' (vgl. Verse 460 bis 463) kurz vor der Abreise zu Markes Hof. Gottfried lobt damit seine Absicht, fremde Sitten kennen zu lernen und sich weiter zu bilden. Jedoch entsprich nicht das ganze Leben Riwalins diesem vorbildlichen Verhalten,<ref>Riwalin fordert unbegründet den Kampf mit Morganheruas - eine Tat, die kaum mit der bisherigen Bedeutung von "edelemherze" in Übereinstimmung gebracht werden kann</ref> sodass er nicht uneingeschränkt als ''edelez herze'' gelten kann. Riwalin hat demnach nur die notwendigen Anlagen, um zu einem ''edelen herzen'' werden zu können.[Speckenbach 1965: 55]
Riwalin erhält die Bezeichnung des ''edelen herzen''(vgl. Verse 460 bis 463) kurz vor der Abreise zu Markes Hof. Gottfried lobt damit seine Absicht, fremde Sitten kennen zu lernen und sich weiter zu bilden. Jedoch entsprich nicht das ganze Leben Riwalins diesem vorbildlichen Verhalten,<ref>Riwalin fordert unbegründet den Kampf mit Morgan heruas - eine Tat, die kaum mit der bisherigen Bedeutung von "edelem herze" in Übereinstimmung gebracht werden kann</ref> sodass Speckenbach zu dem Schluss kommt, Riwalin habe nur die notwendigen Anlagen, um zu einem ''edelen herzen'' werden zu können.[Speckenbach 1965: 55]
# [[Marke|Markes]] Gäste beim Maifest: In der Schilderung des Maifestes an Markes Hof verwendet der Erzähler mehrfach den Terminus der ''edelen herzen'': Zum einen bei der Beschreibung der Natur, die in ihrer Pracht und Harmonie die ''edelen herzen'' und ihre Sinne ergötzen kann, zum anderen in Verbindung mit Blanscheflur, deren Schönheit ebenfalls auf die ''edelen herzen'' des Festes abstrahlt. Mit den ''edelen herzen'' sind also die Gäste des Hofes gemeint, die durch die Natur und das "wunder" (V. 632) Blanscheflur Freude und Hochstimmung erfahren. In diesem Fall stimmt die Bedeutung nicht mit der des Prologes überein, da die ''edelen herzen'' hier nur Freude erfahren und kein Leid über sich ergehen lassen müssen.[Speckenbach 1965: 56]  -->mazzadi 68/ G2566/140 -->speckenbach 56 / G2586
# [[Marke|Markes]] Gäste beim Maifest
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# [[Kurvenal]]
# [[Kurvenal]]
# [[Rual li Foitenant|Rual]]
# [[Rual li Foitenant|Rual]]

Version vom 14. Dezember 2010, 13:45 Uhr

Die "edelen herzen" sind ein zentraler Begriff in Gottfrieds 'Tristan'. Dort wird die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs "edel"[1] erstmals auf das geistige Gebiet übertragen.[Vogt 1908: 10][2]

Herkunft

Die Forschung vertritt verschiedene Position, woher sich der Begriff der "edelen herzen" ableiten könnte. In der französischen Vorlage von Thomas von Britanje, die Gottfried für seinen 'Tristan' verwendet, taucht ein ähnlicher Begriff nicht auf.[Vogt 1908: 12]

Mystik

Nach dieser These, geprägt durch Friedrich Vogts Rektoratsrede, steht "edelez herze" synonym zu dem Begriff der "edelen sêle" (anima nobilis)[Spiewok 1973: 335], wie er später im 18. Jahrhundert in der mystischen Literatur zu finden ist.[Vogt 1908: 11] Bereits in der Bibelexegese des 11. Jahrhunderts wird "edele sêle" verwendet, um zum Beispiel die wahren Frauen von Salomo gegenüber den Kebsweibern zu unterscheiden.[Vogt 1908: 12] Die Kritik von Olive Sayce, diese These weise erhebliche zeitliche Differenzen auf,[Spiewok 1973: 335] lässt sich somit entkräftigen. Charakteristisch für innere Vorgänge und Empfindungen wird "edele sêle" jedoch tatsächlich erst in der Mystik des 18. Jahrhunderts.[Lüers 1926: 58]

Katharer

Gottfried Weber sieht in der Wendung des "edelen herzen" eine Analogie zu den "boni homines"[3], die, wie die "edelen herzen" Gottfrieds, eine "Auslese einiger Weniger" darstellten.[Weber 1948/50: 385] Der Begriff wird hier zur Untermauerung der These, Gottfried sei ein Ketzer, ausgelegt [Spiewok 1973: 335].

Weitere

Die Forschung sieht außerdem die Möglichkeit, der Begriff "edele herzen" sei an den lyrischen Begriff "gentil cor" der Troubadours angelehnt,[Spiewok 1973: 335] und auf eine aus der Antike übernommene Vorstellung von Geistes- und Tugendadel zurück geht.[Krohn 2008: 26] Jedoch wird von den beiden Wendungen nicht die exakt gleiche Bedeutung ausgedrückt.[Vogt 1908: 12] Eine Parallele zu den Amalrikanern sieht Weber, denn nach deren Überzeugung kann in der Liebe keine Sünde begangen werden.[Weber 1948/50: 383]

Vorkommen und Bedeutung

"An der Interpretation der edelen herzen hängt die Deutung des gesamten Werkes."[Krohn 2008: 25]

Prolog

Im Prolog taucht die Wendung der "edelen herzen" sehr häufig auf. Gottfried gibt dort auch selbst eine Definition, mit der er ein idealtypisches Publikum für sein Werk charakterisiert:

ine meine ir aller werlde niht
[...]
ir leben und mînez zweient sich.
ein ander werlt die meine ich,
diu samet in eime herzen treit
ir süeze sûr, ir liebez leit,
ir herzeliep, ir senede nôt,
ir liebez leben, ir leiden tôt,
ir lieben tôt, ir leidez leben. (V.50 bis 63)

In diesen und weiteren Versen des Prologs wird deutlich, dass sich Gottfried Rezipienten wünscht, die sich von der Allgemeinheit unterscheiden. Die Allgemeinheit definiert er als Personen, die nur positives Empfinden erfahren wollen und Leid ignorieren.[Krohn 2008: 25] Zu den edelen herzen gehören hingegen diejenigen Menschen, die bereit sind, Leid zu ertragen, um Freude zu erfahren. Gottfried will dieses Publikum erfreuen und ihnen die Erkenntnis bringen, dass Leid erforderlich ist, um die ideale Liebe zu erreichen.[Mazzadi 2000: 66f] Er selbst sieht sich als Teil der edelen herzen. Linderung des Leids könne jedoch durch "senediu maere" (V. 122) erreicht werden und als eine solche Geschichte sieht Gottfried 'Tristan'.[4] Noch deutlicher formuliert Gottfried die Bedeutung des Werkes für die edelen herzen ab Vers 233: "Deist aller edelen herzen brôt." Die Geschichte der edelen herzen Tristan und Isolde wird für die edelen herzen des Publikums zum Grundstein des Lebens.[Speckenbach 1965: 54f] Im Prolog werden demnach Menschengruppen definiert, die dem Liebesideal von Gottfried entsprechen.[Speckenbach 1965: 55] Neben dem Publikum gehören dazu Gottfried selbst, sowie seine Protagonisten Tristan und Isolde. Damit beabsichtigt Gottfried jedoch keine esoterische Abgrenzung zur Allgemeinheit, sondern eine Aufwertung seines Ideals.[Spiewok 1973: 337]

Epischer Teil

Im epischen Teil wird das Attribut des edelen herzen nicht mehr nur dem Publikum zugesprochen. Es bietet den Rezipienten vielmehr die Möglichkeit, sich anhand vorbildlicher Protagonisten positiv zu identifizieren.[Mazzadi 2000: 67] Als edelez herz klassifiziert Gottfried folgende Figuren:

  1. Riwalin: Riwalin erhält die Bezeichnung des edelen herzen (vgl. Verse 460 bis 463) kurz vor der Abreise zu Markes Hof. Gottfried lobt damit seine Absicht, fremde Sitten kennen zu lernen und sich weiter zu bilden. Jedoch entsprich nicht das ganze Leben Riwalins diesem vorbildlichen Verhalten,[5] sodass er nicht uneingeschränkt als edelez herze gelten kann. Riwalin hat demnach nur die notwendigen Anlagen, um zu einem edelen herzen werden zu können.[Speckenbach 1965: 55]
  2. Markes Gäste beim Maifest: In der Schilderung des Maifestes an Markes Hof verwendet der Erzähler mehrfach den Terminus der edelen herzen: Zum einen bei der Beschreibung der Natur, die in ihrer Pracht und Harmonie die edelen herzen und ihre Sinne ergötzen kann, zum anderen in Verbindung mit Blanscheflur, deren Schönheit ebenfalls auf die edelen herzen des Festes abstrahlt. Mit den edelen herzen sind also die Gäste des Hofes gemeint, die durch die Natur und das "wunder" (V. 632) Blanscheflur Freude und Hochstimmung erfahren. In diesem Fall stimmt die Bedeutung nicht mit der des Prologes überein, da die edelen herzen hier nur Freude erfahren und kein Leid über sich ergehen lassen müssen.[Speckenbach 1965: 56] -->mazzadi 68/ G2566/140 -->speckenbach 56 / G2586
  3. Kurvenal
  4. Rual

Gottfried gibt außerdem weitere Erläuterungen zum Begriff der "edelen herzen".

Überbewertung?

--> Spiewok 339 / G2596/20

Anmerkungen

  1. Ursprünglich wurde "edel" nur im ständischen Sinne zur Bezeichnung des Geburtsadels gebraucht (nhd. adlig)[Weber 1962: 67]. Es handelt sich dabei um eine "respektvolle Standesbezeichnung", die mit Verhalten und Gesinnung der Personen nichts zu tun hat.[Vogt 1908: 8f]
  2. Weber verweist jedoch auf das 'Annolied', in dem bereits der Begriff "edile gemut" vorkommt und "edel" somit nicht-ständisch verwendet wird.[Weber 1962: 68]
  3. Die "boni homines" gehören zu den Katharern und zeichnen sich durch "Verzicht auf gemeinen Genuß"[Weber 1948/50: 384] aus.
  4. Vgl. auch Vers 170ff., wo die erwünschte Wirkung des Werkes beschrieben wird.
  5. Riwalin fordert unbegründet den Kampf mit Morganheruas - eine Tat, die kaum mit der bisherigen Bedeutung von "edelemherze" in Übereinstimmung gebracht werden kann

Literatur

<harvardreferences />

  • [*Krohn 2008] Krohn, Rüdiger: Gottfried von Straßburg. Tristan. Band 3. Kommentar. Stuttgart 2008.
  • [*Lüers 1926] Lüers, Grete: Die Sprache der deutschen Mystik des Mittelalters im Werke der Mechthild von Magdeburg. München 1926.
  • [*Mazzadi 2000] Mazzadi, Patrizia: Autorreflexionen zur Rezeption: Prolog und Exkurse in Gottfrieds Tristan. Trieste 2000.
  • [*Speckenbach 1965] Speckenbach, Klaus: Studien zum Begriff 'edelez herze' im Tristan Gottfrieds von Straßburg. München 1965.
  • [*Spiewok 1973] Spiewok, Wolfgang: Zum Begriff "edelez herze" bei Gottfried von Straßburg. In: Gottfried von Straßburg. Hrsg. von Alois Wolf. Darmstadt 1973.
  • [*Vogt 1908] Vogt, Friedrich: Der Bedeutungswandel des Wortes edel. Rede beim Antritt des Rektorats. Marburg 1908.
  • [*Weber 1948/50] Weber, Gottfried: Gottfrieds Tristan in der Krise des Weltbildes um 1200. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Wiesbaden 1948/50.
  • [*Weber 1962] Weber, Gottfried und Hoffmann, Werner: Gottfried von Straßburg. Stuttgart 19624.