Der Gregorius-Prolog (nach Rainer Zäck): Unterschied zwischen den Versionen

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Was bezweckt Hartmann also mit seinem Prolog? Lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Erzähler- oder gar Autorfigur ziehen?
Was bezweckt Hartmann also mit seinem Prolog? Lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Erzähler- oder gar Autorfigur ziehen?


Eine eindeutige Antwort wird es wohl nicht geben. Es liegt nahe, anzunehmen, dass der Erzähler sein theologisches Programm als solches nur benutzte, um etwa die richtige Erwartungshaltung beim Publikum für den darauffolgenden Stoff zu evozieren. Insgesamt wirkt die Erzählerfigur - wie fingiert oder "autornah" auch immer - auf den Rezipienten als Advokat und Propagandist eines theoretischen Systems. Demgegenüber deutet eine weniger kritische Lesart des Prologs darauf hin, diesen bloß als eine Art Erfahrungsbericht des Autors zu sehen: Der Autor-Erzähler hat aus seinen Fehlern gelernt ("nû weiz ich daz wol vür wâr"<ref>Gregorius, V. 6.</ref>). Als Vermittlerfigur ("Durch daz wære ich gerne bereit / ze sprechenne die wârheit"<ref>Gregorius, V.35f.</ref>) bietet er so dem Rezipienten Hilfe zur Selbsthilfe an, ruft zur Umkehr vom "wec der helle"<ref>Gregorius, V. 59.</ref> auf - und erleichtert im Prozess des Niederschreibens der Geschichte zugleich die eigene Sündenlast.
Eine eindeutige Antwort wird es wohl nicht geben. Es liegt nahe, anzunehmen, dass der Erzähler sein theologisches Programm als solches nur benutzte, um etwa die richtige Erwartungshaltung beim Publikum für den darauffolgenden Stoff zu evozieren. Insgesamt wirkt die Erzählerfigur - wie fingiert oder "autornah" auch immer - auf den Rezipienten als Advokat und Propagandist eines theoretischen Systems. Demgegenüber deutet eine weniger kritische Lesart des Prologs darauf hin, diesen bloß als eine Art Erfahrungsbericht des Autors zu sehen: Der Autor-Erzähler hat aus seinen Fehlern gelernt ("nû weiz ich daz wol vür wâr"<ref>Gregorius, V. 6.</ref>). Als Vermittlerfigur ("Durch daz wære ich gerne bereit / ze sprechenne die wârheit"<ref>Gregorius, V.35f.</ref>) bietet er so dem Rezipienten Hilfe zur Selbsthilfe an, ruft zur Umkehr vom "wec der helle"<ref>Gregorius, V. 59.</ref> auf - und erleichtert im Prozess des Niederschreibens der Geschichte zugleich die eigene Sündenlast, als aktive Bußtat.

Version vom 23. November 2014, 19:23 Uhr

Zusammenfassung

Im Rahmen seiner Studie zu Deutungsmodellen des 'guten Sünders' bei Hartmann von Aue und Arnold von Lübeck analysiert Rainer Zäck die rhetorische Struktur und das theologische Programm des Gregorius-Prologs. Zäck gelangt dabei zu dem Ergebnis, ...


Sachinformationen zum Prolog

Argumentation

Laut Hartmann von Aue existieren drei verschiedengewichtige Arten der Sünde. Der Autor differenziert zwischen dem „leichtfertigen Vertrauen auf [sein] das jugendliche[s] Alter“[1], welches damit einhergeht, dass die Buße bis zum letztmöglichen Termin aufgeschoben werden. Das kann bei einem „plötzlichen Tod“[2] verheerend sein, denn die „êhafte nôt“[3] kann dem Leben ganz schnell ein Ende bereiten und man bezahlt das „êwige leben“[4] für den „êwigen tôt“[5]. Die Unbußfertigkeit ist als eine Warnung vor der praesumptio, einer vermessenen Gnadenerwartung, zu verstehen[6] und gilt als die schwerste aller Sünden, da die Folgen irreversibel sind. Hierbei ist wiederum zu „unterscheiden zwischen dem bewußten vermessenen Rechnen auf die göttliche Gnade und dem gedankenlosen Weitersündigen.“[7] Denn die Zuversicht eines langen Lebens[8] hindert die Absicht, Buße zu tun daran, Wirklichkeit zu werden. Weniger stark gewichtig ist dagegen die Sünde des „zwîvel“, die damit einhergeht, dass man an der Vergebung der starken „schulde“[9] zweifelt und somit an der göttlichen Gnade verzweifelt[10]. Wenn der Sündiger den „zwîvel lâze“[11], ist nach wie vor noch nicht gewährleistet, dass seine Sünden vergeben werden, denn wenn er „sich […] bedenket houbethafter missetât“[12] und annimmt, dass diese zu gravierend sind, als dass Gott sie vergeben könnte, befindet er sich abermals auf dünnem Eis, denn „verzwîfelt er an gote […] sô hât der zwîvel im benomen, den wuocher der riuwe.“[13]. Die am leichtesten entschuldbare Sünde entspricht derjenigen, nach einer „missetat“ keine Reue zu empfinden, diese kann ganz einfach dadurch ausgemerzt werden, indem man „von herzen riuwet und si niht wider niuwet.“[14]. In diesem Fall führt die „erbarmekeit“[15] Gottes zur Vergebung der Sünden.

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  1. Rainer Zäck: Der guote Sündaere und der Peccator Precepuus, Göppingen 1989, S. 46
  2. Ebd.
  3. Hartmann von Aue: Gregorius, Stuttgart 2011, V.19
  4. Ebd., V. 32
  5. Ebd., V. 86
  6. Vgl. Zäck, Göppingen 1989, S. 47
  7. Ebd., S. 48
  8. Ebd., S. 49
  9. Aue, Stuttgart 2011, V. 52
  10. Vgl. Zäck, Göppingen 1989, S. 47
  11. Aue, Stuttgart 2011, V. 64
  12. Ebd., V. 66 f
  13. Ebd., V. 70 bzw. 74 f
  14. Ebd., V. 49 f
  15. Ebd., V. 111


Kritik

Fazit

Was bezweckt Hartmann also mit seinem Prolog? Lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Erzähler- oder gar Autorfigur ziehen?

Eine eindeutige Antwort wird es wohl nicht geben. Es liegt nahe, anzunehmen, dass der Erzähler sein theologisches Programm als solches nur benutzte, um etwa die richtige Erwartungshaltung beim Publikum für den darauffolgenden Stoff zu evozieren. Insgesamt wirkt die Erzählerfigur - wie fingiert oder "autornah" auch immer - auf den Rezipienten als Advokat und Propagandist eines theoretischen Systems. Demgegenüber deutet eine weniger kritische Lesart des Prologs darauf hin, diesen bloß als eine Art Erfahrungsbericht des Autors zu sehen: Der Autor-Erzähler hat aus seinen Fehlern gelernt ("nû weiz ich daz wol vür wâr"[1]). Als Vermittlerfigur ("Durch daz wære ich gerne bereit / ze sprechenne die wârheit"[2]) bietet er so dem Rezipienten Hilfe zur Selbsthilfe an, ruft zur Umkehr vom "wec der helle"[3] auf - und erleichtert im Prozess des Niederschreibens der Geschichte zugleich die eigene Sündenlast, als aktive Bußtat.

  1. Gregorius, V. 6.
  2. Gregorius, V.35f.
  3. Gregorius, V. 59.