Wolfram von Eschenbach und die Liebe: Unterschied zwischen den Versionen

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Dieser Artikel befasst sich mit der besonderen Beziehung [[Wolfram_von_Eschenbach_(Biographie)|Wolfram von Eschenbach]] zum weiblichen Geschlecht. Hierbei ist auffällig, dass er sich selbst an vielen Stellen als Gegenstück eines tapferen Ritters charaktisiert und seine amourösen Erfahrungen von negativer Natur sind.
Dieser Artikel befasst sich mit der besonderen Beziehung [[Wolfram_von_Eschenbach_(Biographie)|Wolfram von Eschenbach]] zum weiblichen Geschlecht. Allerdings beschränkt sich dieser Artikel darauf, literarische Werke des Autors auf dessen Vorstellung von Liebe zu analysieren und hat keinen autobiographischen Anspruch. Besonders der Bruch mit der traditionellen Konzeption der Liebe, sowie die Darstellung der weiblichen Figuren im Parzival sollen hier genauer betrachtet werden. Dabei lässt sich bereits auf den ersten Blick feststellen, dass sich Eschenbach selbst nicht als tapferen Ritter charaktisiert und seine amourösen Erfahrungen von negativer Natur sind.
==  Einblick in die persönlichen Erfahrungen des Autors<ref>Allgemein ist zu beachten, dass der reale Autor eines literarischen Werkes nicht gleichzeitig auch der  Erzählinstanz entspricht. Dennoch kann die persönliche Vorstellung des Erzählers als ''ich bin Wolfram von Eschenbach, unt kann ein teil mit sange( 114, 12-13)'' und die damit verbundene Verschmelzung zu einer Personalunion, als charakteristisches Merkmal für Wolframs Erzählkonzept betrachtet werden, um sich von den französischen Vorlagen zu distanzieren und die orale Erzählsituation zu verstärken. Vgl.: Bauschke, Ricarda: Chrétien und Woolfram. Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und Narrationskunst, S. 119-120, in: Ridder, Klaus: Wolframstudien XIII, Berlin 2014.</ref> ==
==  Einblick in die persönlichen Erfahrungen des Autors <ref>Allgemein ist zu beachten, dass der reale Autor eines literarischen Werkes nicht gleichzeitig auch der  Erzählinstanz entspricht. Dennoch kann die persönliche Vorstellung des Erzählers als ''ich bin Wolfram von Eschenbach, unt kann ein teil mit sange( 114, 12-13)'' und die damit verbundene Verschmelzung zu einer Personalunion, als charakteristisches Merkmal für Wolframs Erzählkonzept betrachtet werden, um sich von den französischen Vorlagen zu distanzieren und die orale Erzählsituation zu verstärken. Vgl.: Bauschke, Ricarda: Chrétien und Woolfram. Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und Narrationskunst, S. 119-120, in: Ridder, Klaus: Wolframstudien XIII, Berlin 2014.</ref> ==  


Wolfram von Eschenbachs Grundhaltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber scheint durch die Enttäuschung vorbelastet zu sein, die er durch eine bestimmte Frau in der Vergangenheit erfahren hat. Er spricht davon, dass sein  ''zorn […] immer niuwe gein ir, sît ich se an wanke sach ( 114,10-11).'' Der Grund für seinen anhaltenden Hass ist die Untreue seiner Geliebten, der er offensichtlich ihre Verfehlung  bis zum heutigen Tag  nicht verzeihen kann. Dies illustriert er anschaulich durch ein Zangengleichnis, indem er seinen Hass auf diese Frau nicht los lässt, sondern fest umklammert ('' unt bin ein habendiu zange mînen zorn gein einem wîbe 114, 14-15''). Jene unverarbeiteten Emotionen verhindern laut Wolfram  allerdings auch jegliche neue Liebesbeziehungen, da er deswegen auch '' hân ich der andern hâz ''( 114, 19). An dieser Stelle diagnostiziert Wolfram einen allgemeinen ''hâz'' der Frauen ihm gegenüber, da sie mit der ehemaligen Geliebten eine Allianz eingehen. Diese kollektive Abneigung gegen ihn beschreibt er als typische Charaktereigenschaft des weiblichen Geschlechts. Nichtsdestotrotz reflektiert er selbstkritisch, dass er sich ebenfalls unrecht verhalten hat, indem er sich ''versprochen hân und an mir selben missetân''( 114, 23-24). Dadurch verletzt er nämlich das Konzept der Minnedichtung bezüglich ihrer idealisierten Darstellung von Frauen, was dem Berufsethos eines Minnesängers widerspricht.   
Wolfram von Eschenbachs Grundhaltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber scheint durch die Enttäuschung vorbelastet zu sein, die er durch eine bestimmte Frau in der Vergangenheit erfahren hat. Er spricht davon, dass sein  ''zorn […] immer niuwe gein ir, sît ich se an wanke sach ( 114,10-11).<ref>Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: [Parzival].</ref>'' Der Grund für seinen anhaltenden Hass ist die Untreue seiner Geliebten, der er offensichtlich ihre Verfehlung  bis zum heutigen Tag  nicht verzeihen kann.<ref> Das Motiv des Hasses erscheint auch später erneut, bezüglich des ''ungedienten haz'', den Jeschute ertragen muss. Im Vergleich zu Eschenbachs Hass ist dieser jedoch ungerechtfertigt, da die Dame keine Schuld am Überfall Parzivals trug.</ref> Dies illustriert er anschaulich durch ein Zangengleichnis, indem er seinen Hass auf diese Frau nicht los lässt, sondern fest umklammert ('' unt bin ein habendiu zange mînen zorn gein einem wîbe 114, 14-15''). Das Motiv der Zange wird im sechsten Buch erneut aufgegriffen, bezüglich  [[Inhaltsangabe "Parzival" (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Parzivals]] Wirkung auf Frauen (311, 19-22):
Desweitern versucht er sich über die willkürliche Antipathie der Frauenwelt ihm gegenüber zu erheben, indem er unterstreicht dass, ''ine hân des niht vergezzen, ine künne wol gemezzen beide ir baerde unt ir site'' (114, 29 – 115,1). Trotz seiner negativen Erfahrungen mit einer Frau, betrachtet er sich selbst also noch als objektiv genug, um die weiblichen Figuren dieses Romans gerecht beurteilen zu können.  Diese Selbsteinschätzung ist für den Leser bzw. Zuhörer von Bedeutung, da Wolfram als auktorialer und ebenso heterodiegetischer Erzähler fungiert und somit nur seine Perspektive übermittelt wird.<ref>Die zahlreichen positiven Darstellungen von Frauen im Parzivalroman unterstützen die Behauptung des Autors. Als Beispiel kann hier die Charakterisierung von Herzeloyde angeführt werden:  ''Rîcheit bî jugent phlac daz wîp, und freuden mêre dan ze vil: si was gar ob dem wunsches zil'' 102, 28-30.</ref>
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== Zwiegespräch mit ''Frou minne'' ==
! Mittelhochdeutsch !! Übersetzung
Zu Beginn des sechsten Buches illustriert Wolfram von Eschenbach in einer langen Episode (282, 24- 302,5) die immense Macht der Liebe über die Minneritter. Die sogenannte Blutstropfenszene veranschaulicht Parzivals partielles Unvermögen sich aktiv mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen, da er sich in einer Minnetrance  befindet. Jene durchaus als lebensgefährlich zu betrachtende Situation, nimmt Wolfram zum Anlass um einen kritischen Minneexkurs einzuschieben. Dabei adressiert er Frou minne persönlich und beschuldigt sie ihre Macht über die Liebenden ungerecht auszuüben mit den Worten: ''wie stêt iu daz, frou minne, daz ir manlîche sinne und herzehaften hôhen muot alsus enschumpfieren tuot?''<ref>An dieser Stelle unterstellt Peter Knecht möglicherweise Wolfram von Eschenbach ein zu hohes Maß an Angriffslustigkeit, indem er ''wie stêt iu daz'' mit ''Schämt ihr euch nicht'' übersetzt (291,5).</ref>Denn die Menschen unterstehen der Frou minne und agieren quasi unter ihrem Bann und nach ihrem Willen, sodass die personifizierte Liebe für das Fehlverhalten der Liebenden verantwortlich gemacht wird. Dabei beschränkt sich ihre Interventionen nicht alleine auf das weiblich Geschlecht ( ''ir zucket manegem wîbe ir prîs'' 291, 21), sondern auch die Männer unterstehen ihrem „Befehl“ ( ''und daz manec hêrre an sînem man von iwerr kraft hât missetân'' 291,23-24). Die Motivation für diesen emotionalen Ausbruch scheint erneut die persönliche Enttäuschung mit jener oben erwähnten Frau zu sein, denn als Entschuldigung für seine Beschuldigungen führt er an, dass ''het ir mir geholfen baz, mîn lop waer gein iu niht sô laz'' (292, 7-8). Konsequenterweise distanziert sich der Erzähler von Frou minne und bevorzugt keine Liebe zu empfangen, als weitere Enttäuschungen zu erleben. Dieser Exkurs reduziert die personifizierte Liebe auf rein negative Aspekte und wird ihr somit nicht gerecht.  Als einzig positive Komponente nennt Wolfram die Personifikation der Zärtlichkeit – im mittelhochdeutschen Text ''frou liebe'' genannt – welche ''Frou minne'' untersteht.       
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| an dem kinne und an den wangen:  || Seine Farbe am Kinn und auf den Wangen 
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| sîn varwe zeiner zangen || hätte man recht gut als Zange brauchen können
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| waer guot: si möhte staete habn, || was die gepackt hielt,
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| diu den zwîfel wol hin dan kan schabn. || konnte nicht mehr abtrünnig werden und verwandelte sich so in eitel Treue.
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Darauffolgt eine Klage über Frauen, die sich nicht entscheiden, wem sie ihre Liebe schenken. Jene Damen beschreibt Wolfram als ''wenkent und ir vriuntschaft überdenkent'' (311, 23-24). Es ist möglich, dass Wolfram sich hier auf seine persönlichen Erfahrungen bezieht, da er das Zangengleichnis wiederaufgreift, welches repräsentativ für den Hass auf seine ehemalige Geliebte steht. 
Jene unverarbeiteten Emotionen verhindern laut Wolfram  allerdings auch jegliche neue Liebesbeziehungen, da er deswegen auch '' hân ich der andern hâz ''( 114, 19). An dieser Stelle diagnostiziert Wolfram einen allgemeinen ''hâz'' der Frauen ihm gegenüber, da sie mit der ehemaligen Geliebten eine Allianz eingehen. Diese kollektive Abneigung gegen ihn beschreibt er als typische Charaktereigenschaft des weiblichen Geschlechts. Nichtsdestotrotz reflektiert er selbstkritisch, dass er sich ebenfalls unrecht verhalten hat, indem er sich ''versprochen hân und an mir selben missetân''( 114, 23-24). Dadurch verletzt er nämlich das Konzept der Minnedichtung bezüglich ihrer idealisierten Darstellung von Frauen, was dem Berufsethos eines [http://de.wikipedia.org/wiki/Minnesang Minnesängers] widerspricht.   
Desweitern versucht er sich über die willkürliche Antipathie der Frauenwelt ihm gegenüber zu erheben, indem er unterstreicht dass, ''ine hân des niht vergezzen, ine künne wol gemezzen beide ir baerde unt ir site'' (114, 29 – 115,1). Trotz seiner negativen Erfahrungen mit einer Frau, betrachtet er sich selbst also noch als objektiv genug, um die weiblichen Figuren dieses Romans gerecht beurteilen zu können.  Diese Selbsteinschätzung ist für den Leser bzw. Zuhörer von Bedeutung, da Wolfram als auktorialer und ebenso [http://de.wikipedia.org/wiki/Erzähltheorie heterodiegetischer Erzähler] fungiert und somit nur seine Perspektive übermittelt wird.<ref>Die zahlreichen positiven Darstellungen von Frauen im Parzivalroman unterstützen die Behauptung des Autors. Als Beispiel kann hier die Charakterisierung von Herzeloyde angeführt werden:  ''Rîcheit bî jugent phlac daz wîp, und freuden mêre dan ze vil: si was gar ob dem wunsches zil'' 102, 28-30.</ref>
== Topos der Treue anhand von zwei Beispielen ==
Im Verlauf der ersten sechs Bücher illustriert Wolfram von Eschenbach – an ausgewählten [[Das _Bild_der_Frau_im_Parzival_(Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival)|Frauenfiguren]] – das  Idealbild einer tugendhaften Frau.  Auffällig dabei erscheint die Tatsache, dass jene weiblichen Vorbilder besonders aufgrund ihrer Treue vom Autor gelobt werden. Im Folgenden soll dies nun an zwei Beispielen gezeigt werden.<ref> Eine detaillierte Liste dieser literarischen Figuren findet sich in: Boestfleisch, Kurt: Studien zum Minnegedanken bei Wolfram von Eschenbach, Königsberg 1930, S. 6-9.</ref>
Als Paradebeispiel dient zunächst Herzeloyde, die ihrem verstorbenen Ehemann Gahmuret auch nach dem Tode treu verbunden ist. Ihre Aufopferung für Gahmuret und ihren Sohn Parzival manifestiert sich geradezu in ihrem ''getriulîcher tôt'' (128, 23), nachdem Parzival aufgebrochen ist um Ritter zu werden. Das selbstlose Handeln [[Gahmuret_und_Herzeloyde_(Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival)|Herzeloydes]] motivierte Wolfram dazu sie als Prototyp einer treuen Frau zu stilisieren (128, 27-30):
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! Mittelhochdeutsch !! Übersetzung
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| ôwê daz wir nu niht enhân  || Weh uns, daß wir heutzutage nichts Verwandtes mit ihr haben,
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| ir sippe unz an den eilften spân || selbst wenn wir Verwandschaft zählen wollten bis ins elfte Glied
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Die Cousine von Parzival [[Sigune_(Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival)|Sigune]] kann als Personifikation von Treue betrachtet werden, wobei sie die These der Treue als Leitmotiv unterstreicht, da sie ein wiederkehrendes Element darstellt. Bei allen vier Begegnungen mit Sigune befindet sich diese in tiefer Trauer um ihren verstorbenen Minneritter Schianatulander, dem sie treu bleibt obwohl sie nicht verheiratet sind. Denn Sigûne ''gerte ergetzens niht, als wîp die man bî wanke siht'' (253, 15-16), folglich repräsentiert sie die ewige Treue, die in einem gemeinsamen Sarg  mit ihrem Geliebten mündet.
Basierend auf seinen negativen Liebeserfahrungen, idealisiert Wolfram von Eschenbach diejenigen Frauen, die ein besonders hohes Maß an Treue für ihren Partner empfinden. Da Wolfram kontinuierlich auf diese Charaktereigenschaft eines Menschen hinweist, kann die Treue als ein Leitmotiv seiner Figurenkonzeption betrachtet werden.
== Zwiegespräch mit ''frou minne'' ==
Zu Beginn des sechsten Buches illustriert Wolfram von Eschenbach in einer langen Episode (282, 24- 302,5)[[Ansprachen_an_Frau_minne_(Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival)|Episode]] die immense Macht der Liebe über die Minneritter. Die sogenannte [[Die_Blutstropfenszene_(Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival)|Blutstropfenszene]] veranschaulicht Parzivals partielles Unvermögen sich aktiv mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen, da er sich in einer Minnetrance  befindet. Jene durchaus als lebensgefährlich zu betrachtende Situation, nimmt Wolfram zum Anlass um einen kritischen Minneexkurs einzuschieben. Dabei adressiert er ''frou minne'' persönlich und beschuldigt sie ihre Macht über die Liebenden ungerecht auszuüben mit den Worten: ''wie stêt iu daz, frou minne, daz ir manlîche sinne und herzehaften hôhen muot alsus enschumpfieren tuot?''<ref>An dieser Stelle unterstellt Peter Knecht möglicherweise Wolfram von Eschenbach ein zu hohes Maß an Angriffslustigkeit, indem er ''wie stêt iu daz'' mit ''Schämt ihr euch nicht'' übersetzt (291,5).</ref>Denn die Menschen unterstehen der ''frou minne'' und agieren quasi unter ihrem Bann und nach ihrem Willen, sodass die personifizierte Liebe für das Fehlverhalten der Liebenden verantwortlich gemacht wird. Dabei beschränkt sich ihre Interventionen nicht alleine auf das weiblich Geschlecht ( ''ir zucket manegem wîbe ir prîs'' 291, 21), sondern besonders die Männer unterstehen ihrem „Befehl“ ( ''und daz manec hêrre an sînem man von iwerr kraft hât missetân'' 291,23-24). Die Motivation für diesen emotionalen Ausbruch scheint erneut die persönliche Enttäuschung mit jener oben erwähnten Frau zu sein, denn als Entschuldigung für seine Beschuldigungen führt er an, dass ''het ir mir geholfen baz, mîn lop waer gein iu niht sô laz'' (292, 7-8). Konsequenterweise distanziert sich der Erzähler von ''frou minne'' und bevorzugt keine Liebe zu empfangen, als weitere Enttäuschungen zu erleben. Dieser Exkurs reduziert die personifizierte Liebe auf rein negative Aspekte und wird ihr somit nicht gerecht.  Als einzig positive Komponente nennt Wolfram die Personifikation der Zärtlichkeit – im mittelhochdeutschen Text ''frou liebe'' genannt – welche ''frou minne'' untersteht.       


== Exkurs: Darstellung der Liebe in Eschenbachs Tagelieder ==
== Exkurs: Darstellung der Liebe in Eschenbachs Tagelieder ==
Die mittelhochdeutschen Tagelieder sind eine Untergruppe der höfischen Minnelyrik und thematisieren primär die heimliche Liebesnacht eines Liebespaares und den darauffolgenden Abschied am Morgen. Interessanterweise liegt hier der Fokus auf der körperlichen Liebe und nicht auf der sogenannten Hohen Minne, die das Werben um eine Frau illustriert. Insgesamt sind fünf Tagelieder von Wolfram überliefert, von denen besonders das Tagelied der helnden minne ir klage einen interessanten Aspekt des Minneverständnisses von Wolfram wiederspiegelt.<ref>Die kontrovers diskutierte Reihenfolge der Tagelieder soll hier nicht thematisiert werden. Ferner ist die Differenz von Autor und Erzähler bekannt, dennoch erscheint es sinnvoll jenes Tageslied zu analysieren, da Eschenbach mit einer gattungstypischen Konvention bricht. Vgl.: Boll, Katharina:Alsô redete eine vrowe schoene. Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts, Würzburg 2007, S. 481 ff.</ref>Wie bereits erwähnt illustriert das Tagelied normalerweise, die uneheliche Verbindung zweier Liebenden und den Schmerz des Abschieds am nächsten Tag, welcher jedoch erforderlich ist, um ihr Verhältnis geheim zu halten. Wolfram von Eschenbach bricht im fünften Tagelied <ref> Die Textgrundlage der helnden minne ir klage wurde aus: Mohr, Wolfgang: Wolfram von Eschenbach Titurel. Lieder. Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung, Göppingen 1978, S. 88-89, entnommen.</ref>einerseits mit der traditionellen lyrischen Figurenkonstellation (Ritter-Dame-Wächter), indem er den Wächter verstummen lässt (swic, da von niht gerne sinc! V, 9-10) und auch das Leid der Frau nicht zum Ausdruck gebracht wird. Andererseits wirkt das Tagelied wie eine Kritik an der Gattung selbst, da der lyrische Erzähler die eigene Ehefrau präferiert:
Die mittelhochdeutschen [http://de.wikipedia.org/wiki/Wolframs Tagelieder] sind eine Untergruppe der höfischen Minnelyrik und thematisieren primär die heimliche Liebesnacht eines Liebespaares und den darauffolgenden Abschied am Morgen. Interessanterweise liegt hier der Fokus auf der körperlichen Liebe und nicht auf der sogenannten [http://de.wikipedia.org/wiki/Hohe Minne ], die das Werben um eine Frau illustriert. Insgesamt sind acht Tagelieder von Wolfram überliefert, von denen besonders das Tagelied der ''helnden minne ir klage'' einen interessanten Aspekt des Minneverständnisses von Wolfram wiederspiegelt.<ref>Die kontrovers diskutierte Reihenfolge der Tagelieder soll hier nicht thematisiert werden. Ferner ist die Differenz von Autor und Erzähler bekannt, dennoch erscheint es sinnvoll jenes Tageslied zu analysieren, da Eschenbach mit einer gattungstypischen Konvention bricht. Vgl.: Boll, Katharina:Alsô redete eine vrowe schoene. Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts, Würzburg 2007, S. 481 ff.</ref>Wie bereits erwähnt illustriert das Tagelied normalerweise, die uneheliche Verbindung zweier Liebenden und den Schmerz des Abschieds am nächsten Tag, welcher jedoch erforderlich ist, um ihr Verhältnis geheim zu halten. Wolfram von Eschenbach bricht im fünften Tagelied <ref> Die Textgrundlage der helnden minne ir klage wurde aus: Mohr, Wolfgang: Wolfram von Eschenbach Titurel. Lieder. Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung, Göppingen 1978, S. 88-89, entnommen.</ref>einerseits mit der traditionellen lyrischen Figurenkonstellation (Ritter-Dame-Wächter), indem er den Wächter verstummen lässt (swic, da von niht gerne sinc! V, 9-10) und auch das Leid der Frau nicht zum Ausdruck gebracht wird. Andererseits wirkt das Tagelied wie eine Kritik an der Gattung selbst, da der lyrische Erzähler die eigene Ehefrau präferiert:


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Dadurch wird das Konzept der helden minne – also der geheimen Liebschaft – kritisch hinterfragt. Jenen Liebesabenteuer wird die legitimierte Beziehung zweier Verheirateter gegenübergestellt, die nicht nur ungefährlicher ist (''der darf niht durch den morgen dannen streben'' V,14  und man darf in ''niht uz leiten uf sin leben'' V, 17-18), sondern auch den Abschiedsschmerz wegnimmt.<ref> Vgl.: Boll, Katharina: Alsô redete ein frowe schoene, S. 482 ff.</ref> Auf diese Weise hinterfragt Eschenbach das Minnekonzept der Tagelieder auf einer Metaebene, indem er – ebenfalls  durch ein Tagelied – ein Gegenkonstrukt beschreibt. Die Ehe wird dabei als legitimer Ort von Leidenschaften glorifiziert.




== Fazit ==
== Fazit ==
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! Mittelhochdeutsch !! Übersetzung
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| wan swer durch wîp hât arbeit,  || Wenn einer sich plagt für die Frauen, so 
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| daz gît im freude, etswenne ouch leit || kriegt er dafür die Freuden der Liebe -
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| an dem orte fürbaz wigt: || es ist aber auch schon vorgekommen, dass am Ende das Unglück schwerer wog auf dieser Schaukelwaage:
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| sus dicke minne ir lônes pfligt || So sieht oft der Lohn der Liebe aus
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Jener Auszug (334, 27-30) spiegelt die vorherrschende Enttäuschung Wolframs bezüglich seiner Erfahrungen im Minnedienst deutlich wieder. Die höfische Gesellschaft des Mittelalters basiert auf einem strengen Konzept des Minnedienstes, welches Eschenbach bereits früh illustriert (115, 15-18):
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! Mittelhochdeutsch !! Übersetzung
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| ob ich guotes wîbes minne ger,  || Wenn ich mich um die Liebe einer rechten Frau bemühe,
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| mag ich mit schild und ouch mit sper || so muss ich mir den Lohn der Liebe 
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| verdienen niht ir minne solt, || mit Schild und Speer verdienen;
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| al dar nâch sî sie mir holt. || ob ich das kann oder nicht, danach soll sie ihre Gunst bemessen.
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Dennoch kritisiert er - offen im Zwiegespräch mit ''frou minne'' und indirekt im fünften Tagelied - das Minnekonzept. Um diesen Ausbruch aus der Konvention eines Minnesängers zu kompensieren, konzipert er die meisten weiblichen Figuren im Parzival als Paradebeispiel tugendhafter Frauen. Aufgrund dieser Idealisierung, wird der Gegensatz zu seiner ehemaligen Geliebten noch stärker betont. 


= Anmerkungen =
<References />


== Literaturverzeichnis ==


 
<HarvardReferences />
 
*[Bauschke 2014] Bauschke,Ricarda: Chrétien und Woolfram. Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und Narrationskunst, S. 119-120, in: Ridder, Klaus: Wolframstudien XIII, Berlin 2014.
 
*[Boestfleisch 1930] Boestfleisch, Kurt: Studien zum Minnegedanken bei Wolfram von Eschenbach, Königsberg 1930.
 
*[Boll 2007] Boll, Katharina:Alsô redete eine vrowe schoene. Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts, Würzburg 2007.
 
*[Mohr 1978] Mohr, Wolfgang: Wolfram von Eschenbach Titurel. Lieder. Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung, Göppingen 1978.
 
== Textausgabe ==  
== Textausgabe ==  
[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
== Literaturverzeichnis ==
<HarvardReferences />


== Fußnoten ==
[[Kategorie: Autor]]
[[Kategorie: Beziehungen]]
[[Kategorie: Erzähler]]
[[Kategorie: Liebe]]
[[Kategorie: Wolfram von Eschenbach]]
[[Kategorie: Motiv]]
[[Kategorie: Artikel]]

Aktuelle Version vom 25. Februar 2016, 14:14 Uhr


Dieser Artikel befasst sich mit der besonderen Beziehung Wolfram von Eschenbach zum weiblichen Geschlecht. Allerdings beschränkt sich dieser Artikel darauf, literarische Werke des Autors auf dessen Vorstellung von Liebe zu analysieren und hat keinen autobiographischen Anspruch. Besonders der Bruch mit der traditionellen Konzeption der Liebe, sowie die Darstellung der weiblichen Figuren im Parzival sollen hier genauer betrachtet werden. Dabei lässt sich bereits auf den ersten Blick feststellen, dass sich Eschenbach selbst nicht als tapferen Ritter charaktisiert und seine amourösen Erfahrungen von negativer Natur sind.

Einblick in die persönlichen Erfahrungen des Autors [1]

Wolfram von Eschenbachs Grundhaltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber scheint durch die Enttäuschung vorbelastet zu sein, die er durch eine bestimmte Frau in der Vergangenheit erfahren hat. Er spricht davon, dass sein zorn […] immer niuwe gein ir, sît ich se an wanke sach ( 114,10-11).[2] Der Grund für seinen anhaltenden Hass ist die Untreue seiner Geliebten, der er offensichtlich ihre Verfehlung bis zum heutigen Tag nicht verzeihen kann.[3] Dies illustriert er anschaulich durch ein Zangengleichnis, indem er seinen Hass auf diese Frau nicht los lässt, sondern fest umklammert ( unt bin ein habendiu zange mînen zorn gein einem wîbe 114, 14-15). Das Motiv der Zange wird im sechsten Buch erneut aufgegriffen, bezüglich Parzivals Wirkung auf Frauen (311, 19-22):

Mittelhochdeutsch Übersetzung
an dem kinne und an den wangen: Seine Farbe am Kinn und auf den Wangen
sîn varwe zeiner zangen hätte man recht gut als Zange brauchen können
waer guot: si möhte staete habn, was die gepackt hielt,
diu den zwîfel wol hin dan kan schabn. konnte nicht mehr abtrünnig werden und verwandelte sich so in eitel Treue.

Darauffolgt eine Klage über Frauen, die sich nicht entscheiden, wem sie ihre Liebe schenken. Jene Damen beschreibt Wolfram als wenkent und ir vriuntschaft überdenkent (311, 23-24). Es ist möglich, dass Wolfram sich hier auf seine persönlichen Erfahrungen bezieht, da er das Zangengleichnis wiederaufgreift, welches repräsentativ für den Hass auf seine ehemalige Geliebte steht. Jene unverarbeiteten Emotionen verhindern laut Wolfram allerdings auch jegliche neue Liebesbeziehungen, da er deswegen auch hân ich der andern hâz ( 114, 19). An dieser Stelle diagnostiziert Wolfram einen allgemeinen hâz der Frauen ihm gegenüber, da sie mit der ehemaligen Geliebten eine Allianz eingehen. Diese kollektive Abneigung gegen ihn beschreibt er als typische Charaktereigenschaft des weiblichen Geschlechts. Nichtsdestotrotz reflektiert er selbstkritisch, dass er sich ebenfalls unrecht verhalten hat, indem er sich versprochen hân und an mir selben missetân( 114, 23-24). Dadurch verletzt er nämlich das Konzept der Minnedichtung bezüglich ihrer idealisierten Darstellung von Frauen, was dem Berufsethos eines Minnesängers widerspricht. Desweitern versucht er sich über die willkürliche Antipathie der Frauenwelt ihm gegenüber zu erheben, indem er unterstreicht dass, ine hân des niht vergezzen, ine künne wol gemezzen beide ir baerde unt ir site (114, 29 – 115,1). Trotz seiner negativen Erfahrungen mit einer Frau, betrachtet er sich selbst also noch als objektiv genug, um die weiblichen Figuren dieses Romans gerecht beurteilen zu können. Diese Selbsteinschätzung ist für den Leser bzw. Zuhörer von Bedeutung, da Wolfram als auktorialer und ebenso heterodiegetischer Erzähler fungiert und somit nur seine Perspektive übermittelt wird.[4]

Topos der Treue anhand von zwei Beispielen

Im Verlauf der ersten sechs Bücher illustriert Wolfram von Eschenbach – an ausgewählten Frauenfiguren – das Idealbild einer tugendhaften Frau. Auffällig dabei erscheint die Tatsache, dass jene weiblichen Vorbilder besonders aufgrund ihrer Treue vom Autor gelobt werden. Im Folgenden soll dies nun an zwei Beispielen gezeigt werden.[5] Als Paradebeispiel dient zunächst Herzeloyde, die ihrem verstorbenen Ehemann Gahmuret auch nach dem Tode treu verbunden ist. Ihre Aufopferung für Gahmuret und ihren Sohn Parzival manifestiert sich geradezu in ihrem getriulîcher tôt (128, 23), nachdem Parzival aufgebrochen ist um Ritter zu werden. Das selbstlose Handeln Herzeloydes motivierte Wolfram dazu sie als Prototyp einer treuen Frau zu stilisieren (128, 27-30):

Mittelhochdeutsch Übersetzung
ôwê daz wir nu niht enhân Weh uns, daß wir heutzutage nichts Verwandtes mit ihr haben,
ir sippe unz an den eilften spân selbst wenn wir Verwandschaft zählen wollten bis ins elfte Glied

Die Cousine von Parzival Sigune kann als Personifikation von Treue betrachtet werden, wobei sie die These der Treue als Leitmotiv unterstreicht, da sie ein wiederkehrendes Element darstellt. Bei allen vier Begegnungen mit Sigune befindet sich diese in tiefer Trauer um ihren verstorbenen Minneritter Schianatulander, dem sie treu bleibt obwohl sie nicht verheiratet sind. Denn Sigûne gerte ergetzens niht, als wîp die man bî wanke siht (253, 15-16), folglich repräsentiert sie die ewige Treue, die in einem gemeinsamen Sarg mit ihrem Geliebten mündet. Basierend auf seinen negativen Liebeserfahrungen, idealisiert Wolfram von Eschenbach diejenigen Frauen, die ein besonders hohes Maß an Treue für ihren Partner empfinden. Da Wolfram kontinuierlich auf diese Charaktereigenschaft eines Menschen hinweist, kann die Treue als ein Leitmotiv seiner Figurenkonzeption betrachtet werden.

Zwiegespräch mit frou minne

Zu Beginn des sechsten Buches illustriert Wolfram von Eschenbach in einer langen Episode (282, 24- 302,5)Episode die immense Macht der Liebe über die Minneritter. Die sogenannte Blutstropfenszene veranschaulicht Parzivals partielles Unvermögen sich aktiv mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen, da er sich in einer Minnetrance befindet. Jene durchaus als lebensgefährlich zu betrachtende Situation, nimmt Wolfram zum Anlass um einen kritischen Minneexkurs einzuschieben. Dabei adressiert er frou minne persönlich und beschuldigt sie ihre Macht über die Liebenden ungerecht auszuüben mit den Worten: wie stêt iu daz, frou minne, daz ir manlîche sinne und herzehaften hôhen muot alsus enschumpfieren tuot?[6]Denn die Menschen unterstehen der frou minne und agieren quasi unter ihrem Bann und nach ihrem Willen, sodass die personifizierte Liebe für das Fehlverhalten der Liebenden verantwortlich gemacht wird. Dabei beschränkt sich ihre Interventionen nicht alleine auf das weiblich Geschlecht ( ir zucket manegem wîbe ir prîs 291, 21), sondern besonders die Männer unterstehen ihrem „Befehl“ ( und daz manec hêrre an sînem man von iwerr kraft hât missetân 291,23-24). Die Motivation für diesen emotionalen Ausbruch scheint erneut die persönliche Enttäuschung mit jener oben erwähnten Frau zu sein, denn als Entschuldigung für seine Beschuldigungen führt er an, dass het ir mir geholfen baz, mîn lop waer gein iu niht sô laz (292, 7-8). Konsequenterweise distanziert sich der Erzähler von frou minne und bevorzugt keine Liebe zu empfangen, als weitere Enttäuschungen zu erleben. Dieser Exkurs reduziert die personifizierte Liebe auf rein negative Aspekte und wird ihr somit nicht gerecht. Als einzig positive Komponente nennt Wolfram die Personifikation der Zärtlichkeit – im mittelhochdeutschen Text frou liebe genannt – welche frou minne untersteht.

Exkurs: Darstellung der Liebe in Eschenbachs Tagelieder

Die mittelhochdeutschen Tagelieder sind eine Untergruppe der höfischen Minnelyrik und thematisieren primär die heimliche Liebesnacht eines Liebespaares und den darauffolgenden Abschied am Morgen. Interessanterweise liegt hier der Fokus auf der körperlichen Liebe und nicht auf der sogenannten Minne , die das Werben um eine Frau illustriert. Insgesamt sind acht Tagelieder von Wolfram überliefert, von denen besonders das Tagelied der helnden minne ir klage einen interessanten Aspekt des Minneverständnisses von Wolfram wiederspiegelt.[7]Wie bereits erwähnt illustriert das Tagelied normalerweise, die uneheliche Verbindung zweier Liebenden und den Schmerz des Abschieds am nächsten Tag, welcher jedoch erforderlich ist, um ihr Verhältnis geheim zu halten. Wolfram von Eschenbach bricht im fünften Tagelied [8]einerseits mit der traditionellen lyrischen Figurenkonstellation (Ritter-Dame-Wächter), indem er den Wächter verstummen lässt (swic, da von niht gerne sinc! V, 9-10) und auch das Leid der Frau nicht zum Ausdruck gebracht wird. Andererseits wirkt das Tagelied wie eine Kritik an der Gattung selbst, da der lyrische Erzähler die eigene Ehefrau präferiert:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
daz er bi lieben wibe lac dass er bei seiner Liebsten ruht,
ein offeniu süeziu wirtes wip Die offne, holde eigne Frau
kann solhe minne geben. wird solche Liebe geben.

Dadurch wird das Konzept der helden minne – also der geheimen Liebschaft – kritisch hinterfragt. Jenen Liebesabenteuer wird die legitimierte Beziehung zweier Verheirateter gegenübergestellt, die nicht nur ungefährlicher ist (der darf niht durch den morgen dannen streben V,14 und man darf in niht uz leiten uf sin leben V, 17-18), sondern auch den Abschiedsschmerz wegnimmt.[9] Auf diese Weise hinterfragt Eschenbach das Minnekonzept der Tagelieder auf einer Metaebene, indem er – ebenfalls durch ein Tagelied – ein Gegenkonstrukt beschreibt. Die Ehe wird dabei als legitimer Ort von Leidenschaften glorifiziert.


Fazit

Mittelhochdeutsch Übersetzung
wan swer durch wîp hât arbeit, Wenn einer sich plagt für die Frauen, so
daz gît im freude, etswenne ouch leit kriegt er dafür die Freuden der Liebe -
an dem orte fürbaz wigt: es ist aber auch schon vorgekommen, dass am Ende das Unglück schwerer wog auf dieser Schaukelwaage:
sus dicke minne ir lônes pfligt So sieht oft der Lohn der Liebe aus

Jener Auszug (334, 27-30) spiegelt die vorherrschende Enttäuschung Wolframs bezüglich seiner Erfahrungen im Minnedienst deutlich wieder. Die höfische Gesellschaft des Mittelalters basiert auf einem strengen Konzept des Minnedienstes, welches Eschenbach bereits früh illustriert (115, 15-18):

Mittelhochdeutsch Übersetzung
ob ich guotes wîbes minne ger, Wenn ich mich um die Liebe einer rechten Frau bemühe,
mag ich mit schild und ouch mit sper so muss ich mir den Lohn der Liebe
verdienen niht ir minne solt, mit Schild und Speer verdienen;
al dar nâch sî sie mir holt. ob ich das kann oder nicht, danach soll sie ihre Gunst bemessen.

Dennoch kritisiert er - offen im Zwiegespräch mit frou minne und indirekt im fünften Tagelied - das Minnekonzept. Um diesen Ausbruch aus der Konvention eines Minnesängers zu kompensieren, konzipert er die meisten weiblichen Figuren im Parzival als Paradebeispiel tugendhafter Frauen. Aufgrund dieser Idealisierung, wird der Gegensatz zu seiner ehemaligen Geliebten noch stärker betont.

Anmerkungen

  1. Allgemein ist zu beachten, dass der reale Autor eines literarischen Werkes nicht gleichzeitig auch der Erzählinstanz entspricht. Dennoch kann die persönliche Vorstellung des Erzählers als ich bin Wolfram von Eschenbach, unt kann ein teil mit sange( 114, 12-13) und die damit verbundene Verschmelzung zu einer Personalunion, als charakteristisches Merkmal für Wolframs Erzählkonzept betrachtet werden, um sich von den französischen Vorlagen zu distanzieren und die orale Erzählsituation zu verstärken. Vgl.: Bauschke, Ricarda: Chrétien und Woolfram. Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und Narrationskunst, S. 119-120, in: Ridder, Klaus: Wolframstudien XIII, Berlin 2014.
  2. Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: [Parzival].
  3. Das Motiv des Hasses erscheint auch später erneut, bezüglich des ungedienten haz, den Jeschute ertragen muss. Im Vergleich zu Eschenbachs Hass ist dieser jedoch ungerechtfertigt, da die Dame keine Schuld am Überfall Parzivals trug.
  4. Die zahlreichen positiven Darstellungen von Frauen im Parzivalroman unterstützen die Behauptung des Autors. Als Beispiel kann hier die Charakterisierung von Herzeloyde angeführt werden: Rîcheit bî jugent phlac daz wîp, und freuden mêre dan ze vil: si was gar ob dem wunsches zil 102, 28-30.
  5. Eine detaillierte Liste dieser literarischen Figuren findet sich in: Boestfleisch, Kurt: Studien zum Minnegedanken bei Wolfram von Eschenbach, Königsberg 1930, S. 6-9.
  6. An dieser Stelle unterstellt Peter Knecht möglicherweise Wolfram von Eschenbach ein zu hohes Maß an Angriffslustigkeit, indem er wie stêt iu daz mit Schämt ihr euch nicht übersetzt (291,5).
  7. Die kontrovers diskutierte Reihenfolge der Tagelieder soll hier nicht thematisiert werden. Ferner ist die Differenz von Autor und Erzähler bekannt, dennoch erscheint es sinnvoll jenes Tageslied zu analysieren, da Eschenbach mit einer gattungstypischen Konvention bricht. Vgl.: Boll, Katharina:Alsô redete eine vrowe schoene. Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts, Würzburg 2007, S. 481 ff.
  8. Die Textgrundlage der helnden minne ir klage wurde aus: Mohr, Wolfgang: Wolfram von Eschenbach Titurel. Lieder. Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung, Göppingen 1978, S. 88-89, entnommen.
  9. Vgl.: Boll, Katharina: Alsô redete ein frowe schoene, S. 482 ff.

Literaturverzeichnis

<HarvardReferences />

  • [Bauschke 2014] Bauschke,Ricarda: Chrétien und Woolfram. Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und Narrationskunst, S. 119-120, in: Ridder, Klaus: Wolframstudien XIII, Berlin 2014.
  • [Boestfleisch 1930] Boestfleisch, Kurt: Studien zum Minnegedanken bei Wolfram von Eschenbach, Königsberg 1930.
  • [Boll 2007] Boll, Katharina:Alsô redete eine vrowe schoene. Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts, Würzburg 2007.
  • [Mohr 1978] Mohr, Wolfgang: Wolfram von Eschenbach Titurel. Lieder. Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung, Göppingen 1978.

Textausgabe

[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.