Unheilige und Antilegenden: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Judas ===
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==== Judas im mhd. ''Passional'' ====
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Die Figur des Judas steht oftmals für den Bösen 'par excellence'.<ref>Brittnacher, Hans Richard: Judas, der Archetyp des Verräters, in: Dörte Linke/ Florian Priese-muth/ Rosas Schinagl (Hgg.), Sprachen des Unsagbaren, Wiesbaden 2017, S. 181. Ebenso Stotz, Peter: Bilder des Bösewichts: Judas Ischariot in lateinischen Texten der Spätantike und des Mittelalters. Ebenso Peter Stotz (Hg.), Alte Sprache, neues Lied: Kleine Schriften zur christlichen Dichtung des lateinischen Mittelalters, Firenze 2012, S. 402</ref> Zumindest die negative Symbolisierung der Judasfigur wurde mittlerweile jedoch, trotz der anhaltenden Aktualität von Jolles, durch diverse Forschungsbeiträge relativiert und differenzierter betrachtet: Hans Richard Brittnacher und Jutta Emming lieferten in dieser Hinsicht bedeutende Beiträge.  Eming merkt sogar an, dass ein gewisser Versuch der ‚Rehabilitation‘ der Judasfigur bereits seit dem 18. Jahrhundert bestehe.  Zudem merkt sie an, dass die Judasvita im Passional bspw. über reine Konstruktionen von Beispiel – Gegenbeispiel und Gattungsumrisse von Antilegenden (Jolles) hinausgehe und die Figur sehr ambivalent dargestellt sei.  Vor Eming stellte Hans-Josef Klauck aber auch klar, dass ‚Rehabilitation‘ nicht mit einer Freisprechung von jeglicher Schuld verwechselt werden sollte.  Friedrich Ohly richtet die Schuld des Judas dabei an der Verzweiflung (''desperatio''), dem Abwenden von der Gnade Gottes, aus.<ref>  Brittnacher, Hans Richard: Judas, der Archetyp des Verräters, in: Dörte Linke/ Florian Priese-muth/ Rosas Schinagl (Hgg.), Sprachen des Unsagbaren, Wiesbaden 2017, S. 181-198. Ebenso und insbesondere bzgl. des Ödipusmotivs sehr aufschlussreich Eming, Jutta: Judas als Held. Formen des Erzählens in der mittelalterlichen Judaslegende, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie 120 (2001), S. 394 – 412. Zu nennen ist aber auch der etwas ältere Beitrag von Klauck, Hans- Josef: Judas ein Jünger des Herrn, Freiburg 1987.  Eming, Jutta: Judas als Held, S. 396.  Ebd., S. 403.  Klauck, Hans- Josef: Judas ein Jünger des Herrn, Freiburg 1987, S. 141f.  Ohly, Friedrich: Der Verfluchte und der Erwählte. Vom Leben mit der Schuld, Opladen 1976, S. 36-42.</ref>
==== Judas als Held nach Jutta Eming ====
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===Anmerkungen===
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Version vom 9. März 2021, 15:50 Uhr

Definition nach André Jolles

In der mittelalterlichen Hagiographie ist in erster Linie von Heiligen und ihren Tugenden die Rede. Diese Heiligen leben in imitatio christi. Doch auch Viten (vermeintlich) negativer Figuren sind in Legendaren (wie dem mittelhochdeutschen Passional) niedergeschrieben. Nach André Jolles steht dem Kanonisationsprozess und der tätigen Tugend von Heiligen ein Gegenbegriff entgegen. Der Tugend steht das Verbrechen gegenüber. Jedoch bedarf es mehr als eines einfachen Verbrechers. Die Tat muss sich zur sprachlichen Gebärde verdichten und das strafbare Unrecht im Täter vergegenständlichen.[1] So wie es Heilige und Legenden gibt, dürfte es auch Unheilige und Antilegenden geben.[2] Bei diesen Unheiligen wird die imitatio genau in ihr Gegenteil umgewandelt. Sie sind Figuren, denen man gerade nicht folgen sollte.[3] Gefängnisse und Zellen in welchen diese Figuren ihre Strafe verbringen musste, werden, so Jolles, nach ihnen benannt, wie es bei Heiligen und Kirchen geschieht. Gleichwohl gebe es aber keinen Prozess, welcher der Kanonisation entgegenstehen würde (keine Unheiligsprechung). Die Verkehrung zum Negativen vollziehe sich in der Sprache der Gemeinschaft.[4]

Erzählstrukturen von Antilegenden

Historizität und Fiktivität (nach F.P. Knapp)

In Anknüpfung an Franz-Josef Schmale und Hans-Werner Goetz stellt Fritz Peter Knapp zunächst fest, dass Heiligenviten für sich eine historische Faktizität beanspruchen (historia). Dieser Anspruch wurde, einerseits, sehr ernst genommen. Andererseits wurden auch fiktive Erzählungen geglaubt, Kirchen nach den vermeintlichen Heiligen benannt und Reliquien dieser begehrt.[5] Dabei fasste wohl schon Augustinus die Fiktivität solcher Texte schlichtweg als Fälschung auf.[6] Wieso verzichtet bspw. die legenda aurea dennoch nicht auf die Ausführung solch schlecht belegter Geschichten, wie der des Judas von Iscariot? Ein Grund ist wohl, dass man hinsichtlich der historischen Faktizität z.B. zwischen der Gregor-Vita und den Judas- oder Pilatus-Viten kaum unterscheiden kann.[7] Folglich ist es nicht möglich die Fälschung zu identifiziert und im Zweifelsfall solle lieber keine Lücke im biblischen Bericht entstehen.[8] Die Unsicherheit hinsichtlich der Faktizität wurde jedoch keineswegs unterschlagen: Zweifel wurden durchaus im Voraus geäußert; niemand wurde zur Lektüre gezwungen und die niedergeschriebenen Viten sollten auf keinen Fall als Widerspruch zum institutionellen Kanon verstanden werden.[9] Um die Frage der Historizität zu klären, greift Fritz Peter Knapp auf die Gattungsunterscheidung Engelberts von Admont zurück. Dieser unterscheidet fabula (Fabeln, Mythen, Sagen), historia/emplum (Erzählungen von Taten bestimmter, namentlich genannter Personen) und parabola (nicht faktische und im übertragenen Sinne zu verstehende Berichte, welche von irgendwelchen Personen ausgeführt werden konnten).[10] So waren und blieben "falsche Legenden" ein Skandalon. Die Theologen und Verfasser der Legendensammlungen blieben skeptisch (Bsp. Judas) oder sahen die Texte schlichtweg als non legendae (Bsp. vitae sancti Gregorii, vitae sancti Albani). Sie wurden, wie die lateinische Version der Alban-Legende, gar nicht als Legenden aufgefasst, sondern als Parabeln.[11]

Ent-Zeitlichung und Finalität (nach A. Hammer)

Der Tod eines Heiligen begründet immer zugleich einen neuen Anfang. Doch auch der Tod einer unheiligen Figur ist oftmals kein Abschluss ihrer Geschichte. Die von Anfang an narrativ angelegte Schuld und Verdammnis wird im Tod explizit. So steht Judas z.B. ein endloses Ende (Hammer) bevor, indem er zwischen Himmel und Erde gefangenen ist und keiner dieser Sphären wirklich angehören kann.[12] Ähnliches ergeht es Pilatus, dessen Körper keine Ruhe finden kann.[13] Zugleich sind solche negativen Figuren fester und notwendiger Bestandteil innerhalb der Providenz des göttlichen Heilsplanes und somit für die christliche Religion unerlässlich.[14]

Beispiele

Judas

Judas im mhd. Passional

Die Figur des Judas steht oftmals für den Bösen 'par excellence'.[15] Zumindest die negative Symbolisierung der Judasfigur wurde mittlerweile jedoch, trotz der anhaltenden Aktualität von Jolles, durch diverse Forschungsbeiträge relativiert und differenzierter betrachtet: Hans Richard Brittnacher und Jutta Emming lieferten in dieser Hinsicht bedeutende Beiträge. Eming merkt sogar an, dass ein gewisser Versuch der ‚Rehabilitation‘ der Judasfigur bereits seit dem 18. Jahrhundert bestehe. Zudem merkt sie an, dass die Judasvita im Passional bspw. über reine Konstruktionen von Beispiel – Gegenbeispiel und Gattungsumrisse von Antilegenden (Jolles) hinausgehe und die Figur sehr ambivalent dargestellt sei. Vor Eming stellte Hans-Josef Klauck aber auch klar, dass ‚Rehabilitation‘ nicht mit einer Freisprechung von jeglicher Schuld verwechselt werden sollte. Friedrich Ohly richtet die Schuld des Judas dabei an der Verzweiflung (desperatio), dem Abwenden von der Gnade Gottes, aus.[16]

Judas als Held nach Jutta Eming

Anmerkungen

  1. Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, Tübingen 1930, S. 52.
  2. Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, Tübingen 1930, S. 51f.
  3. Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, Tübingen 1930, S. 53.
  4. Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, Tübingen 1930, S. 54f.
  5. Knapp, Fritz Peter: Legenda aut non legenda. Erzählstrukturen und Legitimationsstrategien in „falschen“ Legenden des Mittelalters: Judas – Gregorius – Albanus, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 53 (2003), S. 133f.
  6. Knapp, Fritz Peter: Legenda aut non legenda. Erzählstrukturen und Legitimationsstrategien in „falschen“ Legenden des Mittelalters: Judas – Gregorius – Albanus, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 53 (2003), S. 134f.
  7. Knapp, Fritz Peter: Legenda aut non legenda. Erzählstrukturen und Legitimationsstrategien in „falschen“ Legenden des Mittelalters: Judas – Gregorius – Albanus, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 53 (2003), S. 135f.
  8. Knapp, Fritz Peter: Legenda aut non legenda. Erzählstrukturen und Legitimationsstrategien in „falschen“ Legenden des Mittelalters: Judas – Gregorius – Albanus, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 53 (2003), S. 136.
  9. Knapp, Fritz Peter: Legenda aut non legenda. Erzählstrukturen und Legitimationsstrategien in „falschen“ Legenden des Mittelalters: Judas – Gregorius – Albanus, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 53 (2003), S. 136.
  10. Knapp, Fritz Peter: Legenda aut non legenda. Erzählstrukturen und Legitimationsstrategien in „falschen“ Legenden des Mittelalters: Judas – Gregorius – Albanus, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 53 (2003), S. 151.
  11. Knapp, Fritz Peter: Legenda aut non legenda. Erzählstrukturen und Legitimationsstrategien in „falschen“ Legenden des Mittelalters: Judas – Gregorius – Albanus, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 53 (2003), S. 153.
  12. Hammer, Andreas: Ent-Zeitlichung und finales Erzählen in mittelalterlichen Legenden und Anti-legenden, in: Udo Friedrich/ Andreas Hammer/ Christiane Witthöft (Hgg.), Anfang und Ende: Formen narrativer Zeitmodellierung in der Vormoderne, Berlin 2014, S. 195f.
  13. Hammer, Andreas: Ent-Zeitlichung und finales Erzählen in mittelalterlichen Legenden und Anti-legenden, in: Udo Friedrich/ Andreas Hammer/ Christiane Witthöft (Hgg.), Anfang und Ende: Formen narrativer Zeitmodellierung in der Vormoderne, Berlin 2014, S. 195.
  14. Hammer, Andreas: Ent-Zeitlichung und finales Erzählen in mittelalterlichen Legenden und Anti-legenden, in: Udo Friedrich/ Andreas Hammer/ Christiane Witthöft (Hgg.), Anfang und Ende: Formen narrativer Zeitmodellierung in der Vormoderne, Berlin 2014, S. 191.
  15. Brittnacher, Hans Richard: Judas, der Archetyp des Verräters, in: Dörte Linke/ Florian Priese-muth/ Rosas Schinagl (Hgg.), Sprachen des Unsagbaren, Wiesbaden 2017, S. 181. Ebenso Stotz, Peter: Bilder des Bösewichts: Judas Ischariot in lateinischen Texten der Spätantike und des Mittelalters. Ebenso Peter Stotz (Hg.), Alte Sprache, neues Lied: Kleine Schriften zur christlichen Dichtung des lateinischen Mittelalters, Firenze 2012, S. 402
  16. Brittnacher, Hans Richard: Judas, der Archetyp des Verräters, in: Dörte Linke/ Florian Priese-muth/ Rosas Schinagl (Hgg.), Sprachen des Unsagbaren, Wiesbaden 2017, S. 181-198. Ebenso und insbesondere bzgl. des Ödipusmotivs sehr aufschlussreich Eming, Jutta: Judas als Held. Formen des Erzählens in der mittelalterlichen Judaslegende, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie 120 (2001), S. 394 – 412. Zu nennen ist aber auch der etwas ältere Beitrag von Klauck, Hans- Josef: Judas ein Jünger des Herrn, Freiburg 1987. Eming, Jutta: Judas als Held, S. 396. Ebd., S. 403. Klauck, Hans- Josef: Judas ein Jünger des Herrn, Freiburg 1987, S. 141f. Ohly, Friedrich: Der Verfluchte und der Erwählte. Vom Leben mit der Schuld, Opladen 1976, S. 36-42.