Sigune (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen
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[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36). | *[*Braunagel 1999] Braunagel, Robert: Wolframs Sigune: Eine vergleichende Betrachtung der Sigune-Figur und ihrer Ausarbeitung im "Parzival" und "Titurel" des Wolfram von Eschenbach. Göppingen 1999. | ||
*[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36). | |||
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Version vom 14. Juli 2012, 11:17 Uhr
Als Tochter Schoysianes und Kyots ist Sigune eine Cousine Parzivals und ebenfalls Mitglied der Gralssippe. Im Handlungsverlauf von Wolfram von Eschenbachs Parzival kommt es zu insgesamt vier Begegnungen zwischen Sigune und dem Protagonisten. Diese sind prägend für Parzivals persönliche Entwicklung und stellen Wendepunkte in seinem Leben dar. Eine der Besonderheiten der Figur Sigunes ist, dass Wolfram von Eschenbach im Nachhinein den Titurel verfasste, in welchem ihre Vorgeschichte, vor allem aber die Liebesbeziehung zu Schianatulander dargestellt wird.
Die vier Sigune-Szenen
Sigune am Felsenhang (Pz. 138,9 – 142,2)
Nach dem tragischen Tod ihres Geliebten Schianatulanders hat sich Sigune in den Wald zurückgezogen, um ein Dasein in Trauer um den Verstorbenen zu fristen. Auf der Suche nach dem Arthushof wird Parzival auf schreckliche Klagerufe aufmerksam, denen er sogleich nachfolgt. Kurze Zeit später trifft er auf Sigune, die wehklagend ihren toten Geliebten im Schoß hält. Die Trauer um den Ritter Schianatulander scheint sie zu überwältigen. Ihre Verzweiflung spiegelt ihre tiefe Liebe wieder. Der Tod nahm ihr nicht nur den Geliebten, sondern auch all ihre Hoffnung auf persönliches Glück. Da er in ihrem Dienst sein Leben ließ, klagt sie sich schließlich selbst an.
ich hete kranke sinne, | Schwachsinnig war ich, |
daz ich im niht minne gap: | daß ich ihm nicht Liebe geben wollte! |
des hât der sorgen urhap | So hat denn der erste Grund allen Leids |
mir freude verschrôten: | auch mein Glück zerhauen. |
nu minne i´n alsô tôten. | Jetzt bin ich die Geliebte dieses Toten. |
Diese Selbstvorwürfe Sigunes steigern sich zu Selbsthass, der zerstörerische Züge annimmt:
dâ brach frou Sigûne | Da riß die edle Sigûne |
ir langen zöpfe brûne | ihre langen Zöpfe, die braunen, |
vor jâmer ûzer swarten. | vor Jammer aus der Kopfhaut |
Auffällig ist bereits in dieser ersten Szene Sigunes besondere Art der minne und triuwe. Ihre Liebe überdauert den Tod und auf diese Weise wird sie zur „Geliebten des Toten“ (Pz. Übersetzung: 141, 23-24) und sagt wie selbstverständlich: „Nu minne i´n alsô tôten." [3] Als Parzival verkündet, den Tod Schîânatulanders rächen zu wollen, weist sie ihm die falsche Richtung, weil sie um sein Leben fürchtet und nicht noch einen Toten beklagen möchte, der für sie das Leben ließ. Gleichzeitig verneint sie hiermit auch jede Art von Tröstung und verhindert dadurch die Linderung ihres Leids, sodass sie sich weiterhin völlig dem Schmerz und der Kasteiung hingeben kann. Des Weiteren tritt Sigune als eine Art Wegweiserin in Parzivals Leben und ermöglicht ihm den „ersten Schritt zur Selbsterkenntnis“ [4] . Parzival erfährt von ihr nicht nur seinen Namen und seine Herkunft, sondern auch dass Sigune seine Cousine ist und er Erbe dreier Königreiche.
Sigune auf der Linde (Pz. 249,11 – 255,30)
Als Parzival das zweite Mal Sigune begegnet, erkennt er sie nicht wieder, da sie durch das große Leid, welches sie als von Gott gesandt ansieht (Pz. 252, 20-22), ihre Schönheit verlor. Es wird ein weiteres Mal deutlich, wie sehr sie sich der Klage um Schianatulander hingibt, wodurch wiederum ihre ewige Treue als eine der wichtigen Charaktereigenschaften hervortritt. Diese ewige Treue ist auch Grund dafür, dass sie das Angebot Parzivals, den Leichnam zu begraben, ausschlägt. Sie vermag es noch nicht, sich von ihrem Geliebten zu trennen. Bezeichnend ist allerdings, dass sie trotz ihres großen Leids zu enormer Nächstenliebe in der Lage ist. Sie bringt ihr tiefes Mitleid gegenüber dem schwer kranken Anfortas zum Ausdruck und sagt, dass das einzige was ihr noch Freude bereiten könnte, die Erlösung des Gralkönigs von seinem Leid wäre. Als sie dann allerdings erfährt, dass Parzival es versäumte, Anfortas die erlösende Frage zu stellen, wirft sie ihm Feigheit vor und verflucht ihn als ehrlosen Mann. Die bisher als vom Leid überwältigte, seelisch erschütterte junge Frau zeigt hier, zu welcher Boshaftigkeit und Stärke sie in der Lage ist.
Sigune als Klausnerin (Pz. 435,1 – 442,26)
Bei der dritten Begegnung erscheint Sigune als Klausnerin. Die Jahre in Trauer und das asketische Dasein nahmen ihre all ihre Schönheit, sodass Parzival sie anfangs erneut nicht wiedererkennt. Sie hat Schianatulander in der Klause begraben und verbringt die Tage betend über den Sarg gebeugt, sie verharrt somit in ihrer Trauer und völliger Hingabe zu Gott. Durch das Begräbnis scheint sich Sigune mit dem Tod ihres Geliebten zu arrangieren und sucht nun Trost im Gebet. Doch ob sie sich durch die Zuwendung zu Gott die Heilung ihrer Trauer erhofft, ist fraglich, da sie sich gleichzeitig völlig aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen hat und jedem irdischen Glück entsagt. Mit dieser "'Entweltlichung' Sigunes" [Braunagel 1999: 27] geht auch der Verlust ihrer Schönheit einher, welcher ihren durch die Trauer und das Leid verursachten inneren Verfall widerspiegelt.
ir dicker munt heiz rôt gevar | Ihre vollen Lippen,heiß und von roter Farbe, |
was dô erblichen unde bleich, | waren erblichen und bleich seit damals, |
sît werltlîch freude ir gar gesweich. | als das Glück der Menschenwelt sie verriet. |
ez erleit nie magt sô hôhen pîn: | Nie hat ein Mädchen so hohen Schmerz leiden müssen. |
durch klage si muoz al eine sîn. | Der Klage hingegeben lebt sie in Einsamkeit |
Auch nach Jahren hält sie fest an der Liebe zu Schianatulander und bleibt ihm über den Tod hinaus treu. Sie scheint Schuldgefühle ihm gegenüber zu empfinden, da sie ihm zu Lebzeiten ihre Liebe nicht gewährte, wobei er wiederum um der Liebe Willen für sie starb. (Pz. 436, 1-3). Als Zeichen ihrer Treue trägt sie noch immer den Verlobungsring, der für sie auch vor Gott die Ehe zu Schianatulander besiegelt. Sigune stellt ihre ewige Treue allerdings nicht nur als freie Entscheidung dar, sondern der Ring fesselt sie an die Trauer, die dadurch passive Züge erhält.
daz ist ob mîner triwe ein slôz, | Er ist eine Fessel meiner Treue |
vonme herzen mîner ougen vlôz. | und macht, daß mein Herz sich ausgießt mit den Augen. |
Schließlich vergibt Sigune ihrem Cousin, den sie bei ihrer letzten Begegnung verfluchte, und wünscht ihm Gottes helfende Hand auf seinem weiteren Weg. Sie rät ihm, Cundrie nachzureiten, unterstützt Parzival auf diese Weise also bei seiner Suche und beeinflusst somit wieder als Beraterin Parzivals folgende Handlung.
Sigunes Tod
Auf dem Weg nach Munsalvaesche fragt Parzival, der erst kürzlich zum Gralsritter berufen worden ist, die ihn beglietenden Gralsritter nach der Klausnerin Sigune. Die temnpleise sagen, sie wohne noch immer dort in dieser Klause. Sie bewundern Sigune darüber hinaus für ihre Treue und loben sie als "rehter güete ein arke (eine Arche rechter Güte)" [7]. Durch diesen Ausspruch wird deutlich, dass Sigune auf ihr gesamtes Umfeld einen prägenden Eindruck macht und sich als besonders charakterstarke Person auszeichnet. Als Parzival und seine Begleiter daraufhin die Klause aufsuchen, finden sie Sigune tot auf, in kniender Haltung vor dem Sarg ihres Geliebten. „Sigune ist ihrem Geliebten nachgestorben“ [8] und findet somit der "sêle ruowe" [9] . Parzival lässt das Grab Schianatulanders aufbrechen und Sigune neben seinen Leichnam legen. So sind die Liebenden im Tode wiedervereint.
Analyse
Es ist auffällig, dass Sigunes Auftreten immer "wichtige Stationen der inneren und äußeren Handlung markiert". [Bumke 2004: 212] Der ersten Szene geht der Tod von Parzivals Mutter voraus, das zweite Treffen findet kurz nach Parzivals Frageversäumnis auf Munsalvaesche statt, der dritten Begegnung folgt die Einkehr bei Trevrizent und bei der vierten Sigune-Szene ist Parzival schließlich Gralkönig. Folglich stehen alle Szenen, in der Sigune auf Parzival trifft, in unmittelbarer Nähe von bedeutenden inneren und äußeren Veränderungen hinsichtlich Parzivals Leben. Sigune erhellt dabei an diesen "neuralgischen Punkten im Handlungsablauf" [Braunagel 1999: S. 6] stets das Geschehen, indem sie ihrem Cousin entscheidende Hinweise und Informationen bezüglich seiner Identität gibt. Dies entspricht der im Parzival prominenten Technik, das bereits Erzählte nachträglich zu beleuchten. [Bumke 2004: 212]
Anmerkungen
<HarvardReferences />
- [*Braunagel 1999] Braunagel, Robert: Wolframs Sigune: Eine vergleichende Betrachtung der Sigune-Figur und ihrer Ausarbeitung im "Parzival" und "Titurel" des Wolfram von Eschenbach. Göppingen 1999.
- [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).
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