Adoleszenz in der Ritterwelt: Unterschied zwischen den Versionen

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Kindlich bittend bringt ''Parzival'' sein Anliegen vor, die Rüstung [http://mediaewiki.org/wiki/Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ithers] zu bekommen [vgl. Füetrers 1964]. Auf das Drängen [http://mediaewiki.org/wiki/Keie_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Keies] hin, gibt [http://mediaewiki.org/wiki/K%C3%B6nig_Artus_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Artus] schließlich nach und verspricht ''Parzival'' die Rüstung des Roten Ritters. Der nun folgende Kampf zeichnet sich dadurch aus, dass ''Ither'' als Ritter dargestellt wird, ''"den zu besiegen sich niemand zutraut"'' [Füetrers: 106], wodurch ''Parzivals'' herausragender Mut, der in dieser Szene auch als Unverstand oder Übermut interpretiert werden kann, deutlich wird. Die Kampfbegierde ''Parzivals'' erinnert dabei an seinen Vater [http://mediaewiki.org/wiki/Gahmuret_als_Ritter_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Gahmuret] ''"dô was im von dem künege gâch"'' (150,29), in dessen Fußstapfen sich ''Parzival'' unwissend bewegt. Im darauffolgenden Kampf reiten die beiden Kontrahenten mit Zorn gegeneinander ''"der helt [=''Ither''] was zornes draete"'' (155,1); ''"Parzival der knappe guot / stuont al zornic ûf dem plân"'' (155,4 f.). Obwohl ihre innere Einstellung sich also gleicht, unterscheiden sie sich erheblich in bezug auf die Art des Kämpfens: während [http://Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ither] mit ritterlichen Waffen kämpft, greift ''Parzival'' mit seinem ''gabylôt'' an und tötet den roten Ritter so in unritterlicher und unehrenhafter Weise (vgl. 155,9 f.). Der Kampf ist insofern von besonderer Bedeutung, da ''Parzival'' mit [http://Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ither] einen Verwandten getötet hat, was die Schwere seines ohnehin schon unehrenhaften Verhaltens noch erhöht. In seiner ''tumpheit'' dreht der Held auf Abwegen den toten [http://Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ither] wie eine Puppe hin und her [vgl. Siefken 1972] und lässt ihn, nachdem er die Rüstung in Besitz genommen hat, unbestattet und entehrt liegen ''"Ithêrn von Gaheviez / er jaemerlîche ligen liez"'' (159,5). Anschließend erhält er von dem Knappen ''Iwanet'' eine Unterweisung, in der er ''Parzival'' zeigt, wie eine Rüstung anzulegen ist und die Funktionsweise des Schwertes, des Schildes sowie des Speers erklärt (vgl. 156,18 - 158,12). So wird der junge ''knappe cluoc'' (156,8) zu einer Art Lehrer für ''Parzival'', wodurch er ihm erheblich auf seinem Weg ins Rittertum hilft. Doch trotz des Besitzes der Rüstung und den Lehren des Knappen hat ''Parzival'' lediglich formal die Voraussetzung für eine ritterliche Existenz erreicht [vgl. Busse 1979]. Die Entwicklung vom unerfahrenen Knaben zum ehrenweten Ritter hat noch nicht stattgefunden. ''Parzival'' befindet sich weiterhin in der ''pueritia'' und hat den Schritt zur ''adolescentia'' noch nicht geschafft. Dieses wird im Text an zahlreichen Stellen deutlich: ''Parzival'' hält gemäß den Lehren des ''Karnahkarnanz'' die Rüstung für das Alleinstellungsmerkmal eines Ritters und ist zwar bereit, sein ''gabylôt'' durch ritterliche Waffen zu ersetzen, nicht jedoch seine Torenkleidung abzulegen ''"swaz mir gap mîn muoter, / des sol vil wênic von mir komen, / ez gê ze schaden oder ze vromen."'' (156,30). Die Rüstung, die er fortan über seiner Torenkleidung trägt, verdeckt also lediglich ''Parzivals'' unreife Art sowie seine ''tumpheit'' und stellt somit eine Parallele zu seiner innerlichen (kognitiven) Rückständigkeit dar, welche durch sein gut entwickeltes Äußeres verdeckt wird.  
Kindlich bittend bringt ''Parzival'' sein Anliegen vor, die Rüstung [http://mediaewiki.org/wiki/Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ithers] zu bekommen [vgl. Füetrers 1964]. Auf das Drängen [http://mediaewiki.org/wiki/Keie_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Keies] hin, gibt [http://mediaewiki.org/wiki/K%C3%B6nig_Artus_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Artus] schließlich nach und verspricht ''Parzival'' die Rüstung des Roten Ritters. Der nun folgende Kampf zeichnet sich dadurch aus, dass ''Ither'' als Ritter dargestellt wird, ''"den zu besiegen sich niemand zutraut"'' [Füetrers: 106], wodurch ''Parzivals'' herausragender Mut, der in dieser Szene auch als Unverstand oder Übermut interpretiert werden kann, deutlich wird. Die Kampfbegierde ''Parzivals'' erinnert dabei an seinen Vater [http://mediaewiki.org/wiki/Gahmuret_als_Ritter_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Gahmuret] ''"dô was im von dem künege gâch"'' (150,29), in dessen Fußstapfen sich ''Parzival'' unwissend bewegt. Im darauffolgenden Kampf reiten die beiden Kontrahenten mit Zorn gegeneinander ''"der helt [=''Ither''] was zornes draete"'' (155,1); ''"Parzival der knappe guot / stuont al zornic ûf dem plân"'' (155,4 f.). Obwohl ihre innere Einstellung sich also gleicht, unterscheiden sie sich erheblich in bezug auf die Art des Kämpfens: während [http://Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ither] mit ritterlichen Waffen kämpft, greift ''Parzival'' mit seinem ''gabylôt'' an und tötet den roten Ritter so in unritterlicher und unehrenhafter Weise (vgl. 155,9 f.). Der Kampf ist insofern von besonderer Bedeutung, da ''Parzival'' mit [http://Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ither] einen Verwandten getötet hat, was die Schwere seines ohnehin schon unehrenhaften Verhaltens noch erhöht. In seiner ''tumpheit'' dreht der Held auf Abwegen den toten [http://Ither_%28Wolfram_von_Eschenbach,_Parzival%29 Ither] wie eine Puppe hin und her [vgl. Siefken 1972] und lässt ihn, nachdem er die Rüstung in Besitz genommen hat, unbestattet und entehrt liegen ''"Ithêrn von Gaheviez / er jaemerlîche ligen liez"'' (159,5). Anschließend erhält er von dem Knappen ''Iwanet'' eine Unterweisung, in der er ''Parzival'' zeigt, wie eine Rüstung anzulegen ist und die Funktionsweise des Schwertes, des Schildes sowie des Speers erklärt (vgl. 156,18 - 158,12). So wird der junge ''knappe cluoc'' (156,8) zu einer Art Lehrer für ''Parzival'', wodurch er ihm erheblich auf seinem Weg ins Rittertum hilft. Doch trotz des Besitzes der Rüstung und den Lehren des Knappen hat ''Parzival'' lediglich formal die Voraussetzung für eine ritterliche Existenz erreicht [vgl. Busse 1979]. Die Entwicklung vom unerfahrenen Knaben zum ehrenweten Ritter hat noch nicht stattgefunden. ''Parzival'' befindet sich weiterhin in der ''pueritia'' und hat den Schritt zur ''adolescentia'' noch nicht geschafft. Dieses wird im Text an zahlreichen Stellen deutlich: ''Parzival'' hält gemäß den Lehren des ''Karnahkarnanz'' die Rüstung für das Alleinstellungsmerkmal eines Ritters und ist zwar bereit, sein ''gabylôt'' durch ritterliche Waffen zu ersetzen, nicht jedoch seine Torenkleidung abzulegen ''"swaz mir gap mîn muoter, / des sol vil wênic von mir komen, / ez gê ze schaden oder ze vromen."'' (156,30). Die Rüstung, die er fortan über seiner Torenkleidung trägt, verdeckt also lediglich ''Parzivals'' unreife Art sowie seine ''tumpheit'' und stellt somit eine Parallele zu seiner innerlichen (kognitiven) Rückständigkeit dar, welche durch sein gut entwickeltes Äußeres verdeckt wird.  
== Die zweite Etappe: Die Lehren des Gurnemanz<ref>Eine ausführlichere Analyse der Gurnemanzschen Lehren finden Sie unter: [http://mediaewiki.org/wiki/Die_theoretische_und_praktische_Ausbildung_Parzivals_durch_Gurnemanz Die theoretische und praktische Ausbildung Parzivals durch Gurnemanz]. </ref> ==
== Die zweite Etappe: Die Lehren des Gurnemanz<ref>Eine ausführlichere Analyse der Gurnemanzschen Lehren finden Sie unter: [http://mediaewiki.org/wiki/Die_theoretische_und_praktische_Ausbildung_Parzivals_durch_Gurnemanz Die theoretische und praktische Ausbildung Parzivals durch Gurnemanz]. </ref> ==
Nach dem Kampf mit ''Ither'' bricht ''Parzival'' vom Artushof auf und gelangt zur Burg des Ritters [http://mediaewiki.org/wiki/Gurnemanz Gurnemanz von Graharz]. Dieser empfängt den vermeintlichen Ritter mit der prächtigen Rüstung freundlich und nimmt ihn in seine Burg auf. Die Ankunftszene zeigt abermals ''Parzivals'' Unreife sowie seinen Irrglauben lediglich durch das Tragen einer Rüstung ein vollwertiger Ritter zu sein. Zum einen glaubt ''Parzival'' als er auf die Burg zureitet, dass sie wachsen würde, da er zunächst nur ''"eins turnes gupfen unt des dach"'' (161,4) sieht, mit abnehmender Distanz aber immer weitere Türme aus der Erde zu wachsen scheinen (vgl. 161,25 ff.). Zum anderen zeigt sich seine ''tumpheit'' in Bezug zur Ritterschaft, als er sich weigert von seinem Pferd zu steigen, da er glaubt, dass Rittersein sei fest mit dem Reiten verbunden (vgl. 163,21 ff.) [vgl. Russ 2000]. Trotz dieser Fehltritte und der Torenkleidung, welche nach dem Ablegen seiner Rüstung für Aufsehen sorgt (vgl. 164,8 ff.), werden ''Parzival'' aufgrund seiner makellosen äußeren Erscheinung alle Annehmlichkeiten zuteil. Im Unterschied zu den Rittern am Artushof erkennt ''Gurnemanz'' die Diskrepanz zwischen der äußeren Schönheit ''Parzivals'' ''"ir tragt geschickede unde schîn, / ir mugt wol volkes hêrre sîn"'' (170,21 f.) auf der einen Seite und seinem kindlich naiven Verhalten ''"ir redet als ein kindelîn."'' (170,10) auf der anderen Seite als ein Zeichen von Bedürftigkeit belehrt zu werden ''"ich bin wol innen worden / daz ir râtes dürftic sît"'' (171,14). ''Gurnemanz'' wird neuer Lehrer ''Parzivals'' und fängt damit an, ihm während eines gemeinsamen Messgangs<ref>Dies ist der erste Messgang, an dem Parzival teilnimmt.</ref> die Liturgie des Christentums näher zu bringen. Nach der Messe erfolgt eine gemeinsame Mahlzeit, auf welche die eigentliche Lehre folgt. Die Lehre des ''Gurnemanz'' ''"setzt sich aus einer theoretischen (vgl. 170,17-173,6) und einer praktischen (vgl. 173,12-174,6) Unterweisung zusammen"'' [Russ: 63]. Die theoretische Unterweisung thematisiert die Tugend- und Herrscherlehre, eine Ritterlehre sowie eine Minnelehre.
Nach dem Kampf mit ''Ither'' bricht ''Parzival'' vom Artushof auf und gelangt zur Burg des Ritters [http://mediaewiki.org/wiki/Gurnemanz Gurnemanz von Graharz]. Dieser empfängt den vermeintlichen Ritter mit der prächtigen Rüstung freundlich und nimmt ihn in seine Burg auf. Die Ankunftszene zeigt abermals ''Parzivals'' Unreife sowie seinen Irrglauben lediglich durch das Tragen einer Rüstung ein vollwertiger Ritter zu sein. Zum einen glaubt ''Parzival'' als er auf die Burg zureitet, dass sie wachsen würde, da er zunächst nur ''"eins turnes gupfen unt des dach"'' (161,4) sieht, mit abnehmender Distanz aber immer weitere Türme aus der Erde zu wachsen scheinen (vgl. 161,25 ff.). Zum anderen zeigt sich seine ''tumpheit'' in Bezug zur Ritterschaft, als er sich weigert von seinem Pferd zu steigen, da er glaubt, dass Rittersein sei fest mit dem Reiten verbunden (vgl. 163,21 ff.) [vgl. Russ 2000]. Trotz dieser Fehltritte und der Torenkleidung, welche nach dem Ablegen seiner Rüstung für Aufsehen sorgt (vgl. 164,8 ff.), werden ''Parzival'' aufgrund seiner makellosen äußeren Erscheinung alle Annehmlichkeiten zuteil. Im Unterschied zu den Rittern am Artushof erkennt ''Gurnemanz'' die Diskrepanz zwischen der äußeren Schönheit ''Parzivals'' ''"ir tragt geschickede unde schîn, / ir mugt wol volkes hêrre sîn"'' (170,21 f.) auf der einen Seite und seinem kindlich naiven Verhalten ''"ir redet als ein kindelîn."'' (170,10) auf der anderen Seite als ein Zeichen von Bedürftigkeit belehrt zu werden ''"ich bin wol innen worden / daz ir râtes dürftic sît"'' (171,14). ''Gurnemanz'' wird neuer Lehrer ''Parzivals'' und fängt damit an, ihm während eines gemeinsamen Messgangs<ref>Dies ist der erste Messgang, an dem Parzival teilnimmt.</ref> die Liturgie des Christentums näher zu bringen. Nach der Messe erfolgt eine gemeinsame Mahlzeit, auf welche die eigentliche Lehre folgt. Die Lehre des ''Gurnemanz'' ''"setzt sich aus einer theoretischen (vgl. 170,17-173,6) und einer praktischen (vgl. 173,12-174,6) Unterweisung zusammen"'' [Russ: 63]. Die theoretische Unterweisung thematisiert die Tugend- und Herrscherlehre, eine Ritterlehre sowie eine Minnelehre. Die praktische Ausbildung zielt darauf ab, die ritterlichen Fertigkeiten ''Parzivals'' zu verbessern ''"noch sult ir lernen mêre / kunst an ritterlîchen siten."'' (173,12).


== Textausgabe ==
== Textausgabe ==
Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Version vom 12. Juni 2015, 14:14 Uhr

Dieser Artikel behandelt die Entwicklung Parzivals im gleichnamigen Roman von Wolfram von Eschenbach und geht dabei speziell auf den Übergang von der pueritia zur adolescentia ein. Die Einteilung der Lebensabschnitte orientiert sich im Folgenden an der Sechs-Weltzeitalter-Lehre, nach welcher zwischen sechs Etappen auf dem heilsgeschichtlichen Entwicklungsweg des Menschen unterschieden wird. Anhand von ausgewählten Sinnabschnitten und konkreten Textstellen[1] analysiert der vorliegende Artikel den inkrementellen Prozess der Reifung, welcher sich auf Parzivals Abenteuerreisen vollzieht und durch den Eintritt in die Ritterwelt manifestiert.

Der Auszug aus Soltane - Das Ende Parzivals Kindheit?

Mit dem Aufbruch aus Soltane endet Parzivals Kindheit (infantia) zweifelsfrei im Sinne eines behüteten Aufwachsens im Einflussbereich seiner Mutter Herzeloyde. Der Text gibt allerdings keine Hinweise auf das tatsächliche Alter Parzivals zur Zeit des Aufbruchs. Es liegt jedoch nahe, dass er sich zu diesem Zeitpunkt bereits an der Schwelle zur adolescentia befindet und damit den Großteil der pueritia ebenfalls in Soltane verbracht hat. Dieser Annahme liegt die Tatsache zugrunde, dass der junge Held bei seinem ersten Gralsbesuch noch bartlos ist "unt daz vor jugende niemen dran / kôs gein einer halben gran" (244,9 f.), was ein Charakteristikum der pueritia ist, zuvor aber bereits die Ehe mit Condwiramurs vollzogen (203,1 ff.) und Kinder gezeugt hat, was der Leser allerdings erst im 16. Buch (820 f.) erfährt und ein eindeutiges Charakteristikum der adolescentia darstellt. Im Weiteren soll es nicht um solche Detailfragen gehen, jedoch ist es an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass Parzival sich zu Beginn seiner Abenteuerreise physisch schon im fortgeschrittenen Stadium der pueritia befindet, während er kognitiv gerade erst die Schwelle zwischen infantia und pueritia überschritten hat.

Die erste Etappe: Artushof und Ither-Kampf

Die Begegnung mit Sigune

Mit dem unbedingten Wunsch, Ritter zu werden, begibt sich Parzival auf die Suche nach dem Artushof, um sich dort ausbilden zu lassen. Auf dem Weg dorthin trifft er zunächst auf seine Cousine Sigune, der Parzival auf die Frage nach seinem Namen den vertrauten Kosenamen "bon fîz, scher fîz, bêâ fîz" (140,6) nennt, woraufhin sie ihn erkennt. Im Anschluss erfährt unser Held zum ersten Mal seinen richtigen Namen "deiswâr du heizest Parzivâl" (140,16) und wird über seine Herkunft "dîn vater was ein Anschevîn [...] du bist ouch künec ze Norgâls" (140,25 ff.) sowie sein Verwandschaftsverhältnis zu Sigune aufgeklärt. Damit bekommt der Ritter in spe einen ersten Einblick in seine Abstammung und macht einen wichtigen Schritt in Richtung Identitätsbildung. Als Parzival Sigune auf ihre Trauer anspricht, klagt sie ihm vom Tod ihres Geliebten, der in Ausübung seiner Ritterschaft gefallen ist. Um Parzival vor diesem Schicksal zu bewahren, weist sie ihm einen falschen Weg, in der Hoffnung, dass er den Artushof nicht findet.

Parzival am Artushof

Müde und erschöpft gelangt Parzival zu einem Fischer, der ihn gegen das hohe Entgelt eines Ringes bei ihm übernachten lässt und ihn am nächsten Tag nach Nantes vor den Artushof führt (143,1 ff.). Vor den Toren Artus hält der Fischer inne und verweigert Parzivals Bitte mit ihm zum Hof zu reiten. Durch diese törichte Bitte offenbart der junge Held seine tumpheit. Der Fischer klärt den Unwissenden, der fernab von höfischem Leben aufwuchs, über die besonders edle Gesellschaft des Artushofes auf "diu mässenîe ist sölher art, / genaeht ir immer vilân, / daz waer vil sêre missetân" (144,14 ff.). Diese Szene markiert den Beginn von Parzivals höfischer Erziehung, welche ein wichtiger Bestandteil für dessen Erwachsenwerden ist. Nur durch die Kenntnis und den souveränen Umgang mit den Regeln der adeligen Gesellschaft kann Parzival in die Welt der Ritter eintreten. Gleichzeitig verdeutlicht diese Szene Parzivals allgemeine Unsicherheit. Er ist fernab von solchen gesellschaftlichen Problemen in einer behüteten bäuerlichen Umgebung aufgewachsen und ist es schlichtweg nicht gewohnt, auf sich selbst gestellt zu sein [vgl. Russ 2000]. Die Lehren seiner Mutter, auf welche er sich bisher berufen konnte, bieten ihm auf dem Artushof keine Hilfe, weswegen er nicht nur physisch, sondern auch im Sinne von ratlos aleine (144,17) zum Hof reiten muss. Noch bevor er diesen erreicht, trifft Parzival auf den Ritter Ither, welcher ihn überaus freundlich und höflich begrüßt. Parzival ist sofort von Ithers imposanter roter Rüstung fasziniert und geht gerne auf dessen Bitte ein, Ginover seine Entschuldigung vorzubringen. Auf dem Hof angekommen tritt erneut Parzivals tumpheit zutage, da er Artus nicht für einen Individualnamen, sondern einen Gattungsbegriff von Rittern hält "ich sihe hie mangen Artûs" (147,22) [vgl. Russ 2000]. Mit Hilfe des Knappen Iwanet gelangt Parzival schließlich zu Artus. Da dieser die edle Art Parzivals erkennt und sich nicht von seinem Torengewand täuschen lässt "Du bist wol sô gehiure / rîche an koste stiure" (149,19f.), erklärt er sich dazu bereit, seinen Wunsch zu erfüllen und ihn zum Ritter zu machen. Die Ausbildung, welche aus dem unbeholfenen Draufgänger einen erwachsenen Mann machen wird, kann beginnen.

Der Kampf mit Ither

Kindlich bittend bringt Parzival sein Anliegen vor, die Rüstung Ithers zu bekommen [vgl. Füetrers 1964]. Auf das Drängen Keies hin, gibt Artus schließlich nach und verspricht Parzival die Rüstung des Roten Ritters. Der nun folgende Kampf zeichnet sich dadurch aus, dass Ither als Ritter dargestellt wird, "den zu besiegen sich niemand zutraut" [Füetrers: 106], wodurch Parzivals herausragender Mut, der in dieser Szene auch als Unverstand oder Übermut interpretiert werden kann, deutlich wird. Die Kampfbegierde Parzivals erinnert dabei an seinen Vater Gahmuret "dô was im von dem künege gâch" (150,29), in dessen Fußstapfen sich Parzival unwissend bewegt. Im darauffolgenden Kampf reiten die beiden Kontrahenten mit Zorn gegeneinander "der helt [=Ither] was zornes draete" (155,1); "Parzival der knappe guot / stuont al zornic ûf dem plân" (155,4 f.). Obwohl ihre innere Einstellung sich also gleicht, unterscheiden sie sich erheblich in bezug auf die Art des Kämpfens: während Ither mit ritterlichen Waffen kämpft, greift Parzival mit seinem gabylôt an und tötet den roten Ritter so in unritterlicher und unehrenhafter Weise (vgl. 155,9 f.). Der Kampf ist insofern von besonderer Bedeutung, da Parzival mit Ither einen Verwandten getötet hat, was die Schwere seines ohnehin schon unehrenhaften Verhaltens noch erhöht. In seiner tumpheit dreht der Held auf Abwegen den toten Ither wie eine Puppe hin und her [vgl. Siefken 1972] und lässt ihn, nachdem er die Rüstung in Besitz genommen hat, unbestattet und entehrt liegen "Ithêrn von Gaheviez / er jaemerlîche ligen liez" (159,5). Anschließend erhält er von dem Knappen Iwanet eine Unterweisung, in der er Parzival zeigt, wie eine Rüstung anzulegen ist und die Funktionsweise des Schwertes, des Schildes sowie des Speers erklärt (vgl. 156,18 - 158,12). So wird der junge knappe cluoc (156,8) zu einer Art Lehrer für Parzival, wodurch er ihm erheblich auf seinem Weg ins Rittertum hilft. Doch trotz des Besitzes der Rüstung und den Lehren des Knappen hat Parzival lediglich formal die Voraussetzung für eine ritterliche Existenz erreicht [vgl. Busse 1979]. Die Entwicklung vom unerfahrenen Knaben zum ehrenweten Ritter hat noch nicht stattgefunden. Parzival befindet sich weiterhin in der pueritia und hat den Schritt zur adolescentia noch nicht geschafft. Dieses wird im Text an zahlreichen Stellen deutlich: Parzival hält gemäß den Lehren des Karnahkarnanz die Rüstung für das Alleinstellungsmerkmal eines Ritters und ist zwar bereit, sein gabylôt durch ritterliche Waffen zu ersetzen, nicht jedoch seine Torenkleidung abzulegen "swaz mir gap mîn muoter, / des sol vil wênic von mir komen, / ez gê ze schaden oder ze vromen." (156,30). Die Rüstung, die er fortan über seiner Torenkleidung trägt, verdeckt also lediglich Parzivals unreife Art sowie seine tumpheit und stellt somit eine Parallele zu seiner innerlichen (kognitiven) Rückständigkeit dar, welche durch sein gut entwickeltes Äußeres verdeckt wird.

Die zweite Etappe: Die Lehren des Gurnemanz[2]

Nach dem Kampf mit Ither bricht Parzival vom Artushof auf und gelangt zur Burg des Ritters Gurnemanz von Graharz. Dieser empfängt den vermeintlichen Ritter mit der prächtigen Rüstung freundlich und nimmt ihn in seine Burg auf. Die Ankunftszene zeigt abermals Parzivals Unreife sowie seinen Irrglauben lediglich durch das Tragen einer Rüstung ein vollwertiger Ritter zu sein. Zum einen glaubt Parzival als er auf die Burg zureitet, dass sie wachsen würde, da er zunächst nur "eins turnes gupfen unt des dach" (161,4) sieht, mit abnehmender Distanz aber immer weitere Türme aus der Erde zu wachsen scheinen (vgl. 161,25 ff.). Zum anderen zeigt sich seine tumpheit in Bezug zur Ritterschaft, als er sich weigert von seinem Pferd zu steigen, da er glaubt, dass Rittersein sei fest mit dem Reiten verbunden (vgl. 163,21 ff.) [vgl. Russ 2000]. Trotz dieser Fehltritte und der Torenkleidung, welche nach dem Ablegen seiner Rüstung für Aufsehen sorgt (vgl. 164,8 ff.), werden Parzival aufgrund seiner makellosen äußeren Erscheinung alle Annehmlichkeiten zuteil. Im Unterschied zu den Rittern am Artushof erkennt Gurnemanz die Diskrepanz zwischen der äußeren Schönheit Parzivals "ir tragt geschickede unde schîn, / ir mugt wol volkes hêrre sîn" (170,21 f.) auf der einen Seite und seinem kindlich naiven Verhalten "ir redet als ein kindelîn." (170,10) auf der anderen Seite als ein Zeichen von Bedürftigkeit belehrt zu werden "ich bin wol innen worden / daz ir râtes dürftic sît" (171,14). Gurnemanz wird neuer Lehrer Parzivals und fängt damit an, ihm während eines gemeinsamen Messgangs[3] die Liturgie des Christentums näher zu bringen. Nach der Messe erfolgt eine gemeinsame Mahlzeit, auf welche die eigentliche Lehre folgt. Die Lehre des Gurnemanz "setzt sich aus einer theoretischen (vgl. 170,17-173,6) und einer praktischen (vgl. 173,12-174,6) Unterweisung zusammen" [Russ: 63]. Die theoretische Unterweisung thematisiert die Tugend- und Herrscherlehre, eine Ritterlehre sowie eine Minnelehre. Die praktische Ausbildung zielt darauf ab, die ritterlichen Fertigkeiten Parzivals zu verbessern "noch sult ir lernen mêre / kunst an ritterlîchen siten." (173,12).

Textausgabe

Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die genannte Textausgabe.
  2. Eine ausführlichere Analyse der Gurnemanzschen Lehren finden Sie unter: Die theoretische und praktische Ausbildung Parzivals durch Gurnemanz.
  3. Dies ist der erste Messgang, an dem Parzival teilnimmt.