Wolfram von Eschenbach und die Liebe: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 6. Juli 2015, 11:24 Uhr
Dieser Artikel befasst sich mit der besonderen Beziehung Wolfram von Eschenbach zum weiblichen Geschlecht. Hierbei ist auffällig, dass er sich selbst an vielen Stellen als Gegenstück eines tapferen Ritters charaktisiert und seine amourösen Erfahrungen von negativer Natur sind.
Einblick in die persönlichen Erfahrungen des Autors[1]
Wolfram von Eschenbachs Grundhaltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber scheint durch die Enttäuschung vorbelastet zu sein, die er durch eine bestimmte Frau in der Vergangenheit erfahren hat. Er spricht davon, dass sein zorn […] immer niuwe gein ir, sît ich se an wanke sach ( 114,10-11). Der Grund für seinen anhaltenden Hass ist die Untreue seiner Geliebten, der er offensichtlich ihre Verfehlung bis zum heutigen Tag nicht verzeihen kann. Dies illustriert er anschaulich durch ein Zangengleichnis, indem er seinen Hass auf diese Frau nicht los lässt, sondern fest umklammert ( unt bin ein habendiu zange mînen zorn gein einem wîbe 114, 14-15). Jene unverarbeiteten Emotionen verhindern laut Wolfram allerdings auch jegliche neue Liebesbeziehungen, da er deswegen auch hân ich der andern hâz ( 114, 19). An dieser Stelle diagnostiziert Wolfram einen allgemeinen hâz der Frauen ihm gegenüber, da sie mit der ehemaligen Geliebten eine Allianz eingehen. Diese kollektive Abneigung gegen ihn beschreibt er als typische Charaktereigenschaft des weiblichen Geschlechts. Nichtsdestotrotz reflektiert er selbstkritisch, dass er sich ebenfalls unrecht verhalten hat, indem er sich versprochen hân und an mir selben missetân( 114, 23-24). Dadurch verletzt er nämlich das Konzept der Minnedichtung bezüglich ihrer idealisierten Darstellung von Frauen, was dem Berufsethos eines Minnesängers widerspricht. Desweitern versucht er sich über die willkürliche Antipathie der Frauenwelt ihm gegenüber zu erheben, indem er unterstreicht dass, ine hân des niht vergezzen, ine künne wol gemezzen beide ir baerde unt ir site (114, 29 – 115,1). Trotz seiner negativen Erfahrungen mit einer Frau, betrachtet er sich selbst also noch als objektiv genug, um die weiblichen Figuren dieses Romans gerecht beurteilen zu können. Diese Selbsteinschätzung ist für den Leser bzw. Zuhörer von Bedeutung, da Wolfram als auktorialer und ebenso heterodiegetischer Erzähler fungiert und somit nur seine Perspektive übermittelt wird.[2]
Zwiegespräch mit Frou minne
Zu Beginn des sechsten Buches illustriert Wolfram von Eschenbach in einer langen Episode (282, 24- 302,5) die immense Macht der Liebe über die Minneritter. Die sogenannte Blutstropfenszene veranschaulicht Parzivals partielles Unvermögen sich aktiv mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen, da er sich in einer Minnetrance befindet. Jene durchaus als lebensgefährlich zu betrachtende Situation, nimmt Wolfram zum Anlass um einen kritischen Minneexkurs einzuschieben. Dabei adressiert er Frou minne persönlich und beschuldigt sie ihre Macht über die Liebenden ungerecht auszuüben mit den Worten: wie stêt iu daz, frou minne, daz ir manlîche sinne und herzehaften hôhen muot alsus enschumpfieren tuot?[3]Denn die Menschen unterstehen der Frou minne und agieren quasi unter ihrem Bann und nach ihrem Willen, sodass die personifizierte Liebe für das Fehlverhalten der Liebenden verantwortlich gemacht wird. Dabei beschränkt sich ihre Interventionen nicht alleine auf das weiblich Geschlecht ( ir zucket manegem wîbe ir prîs 291, 21), sondern auch die Männer unterstehen ihrem „Befehl“ ( und daz manec hêrre an sînem man von iwerr kraft hât missetân 291,23-24). Die Motivation für diesen emotionalen Ausbruch scheint erneut die persönliche Enttäuschung mit jener oben erwähnten Frau zu sein, denn als Entschuldigung für seine Beschuldigungen führt er an, dass het ir mir geholfen baz, mîn lop waer gein iu niht sô laz (292, 7-8). Konsequenterweise distanziert sich der Erzähler von Frou minne und bevorzugt keine Liebe zu empfangen, als weitere Enttäuschungen zu erleben. Dieser Exkurs reduziert die personifizierte Liebe auf rein negative Aspekte und wird ihr somit nicht gerecht. Als einzig positive Komponente nennt Wolfram die Personifikation der Zärtlichkeit – im mittelhochdeutschen Text frou liebe genannt – welche Frou minne untersteht.
Fazit
Textausgabe
[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
Fußnoten
- ↑ Allgemein ist zu beachten, dass der reale Autor eines literarischen Werkes nicht gleichzeitig auch der Erzählinstanz entspricht. Dennoch kann die persönliche Vorstellung des Erzählers als ich bin Wolfram von Eschenbach, unt kann ein teil mit sange( 114, 12-13) und die damit verbundene Verschmelzung zu einer Personalunion, als charakteristisches Merkmal für Wolframs Erzählkonzept betrachtet werden, um sich von den französischen Vorlagen zu distanzieren und die orale Erzählsituation zu verstärken. Vgl.: Bauschke, Ricarda: Chrétien und Woolfram. Erzählerische Selbstfindung zwischen Stoffbewältigung und Narrationskunst, S. 119-120, in: Ridder, Klaus: Wolframstudien XIII, Berlin 2014.
- ↑ Die zahlreichen positiven Darstellungen von Frauen im Parzivalroman unterstützen die Behauptung des Autors. Als Beispiel kann hier die Charakterisierung von Herzeloyde angeführt werden: Rîcheit bî jugent phlac daz wîp, und freuden mêre dan ze vil: si was gar ob dem wunsches zil 102, 28-30.
- ↑ An dieser Stelle unterstellt Peter Knecht möglicherweise Wolfram von Eschenbach ein zu hohes Maß an Angriffslustigkeit, indem er wie stêt iu daz mit Schämt ihr euch nicht übersetzt (291,5).