Walther von der Vogelweide Leich: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 10. Mai 2013, 18:26 Uhr
Einführung
Religiöse und sogenannte weltliche Literatur waren im Mittelalter nicht zu trennen, denn die Kirche hatte zur Zeit des Mittelalters sehr viel Macht und Einfluss. Des Weiteren hatte auch jegliche Art der Bildung ihre Voraussetzung in geistlicher Bildung, in sogenannten Kloster- oder Domschulen. Die Bildungssprache des Mittelalters war das Lateinische. Das Kirchenjahr mit seinen Festkreisen regelte das Leben der einzelnen Menschen in allen Bevölkerungsschichten.
„Das charakteristische Ineinandergreifen geistlicher und weltlicher Literatur (…) in der deutschen Dichtung stellt sich bei Walther“[1] wie folgt dar: Walther hat geistliche Themen im Rahmen seiner Sangspruchdichtung aufgegriffen, jedoch nicht als eigenständiges Lehrgebiet, sondern immer punktuell in seinen verschiedenen Tönen. „In seiner Schelte gegen den Papst und Pfaffen wie in seinen Kreuzzugsstrophen betrat er geistlich- politisches Grenzgebiet. Gottes Huld gehörte zusammen mit gesellschaftlichen Ansehen (êre) und Besitz (guot) zu den Grundwerten einer höfischen Lebensführung, die in Einklang zu bringen waren.“[2]
Leich als Gattung
Beim Leich handelt es sich um eine Sonderform religiöser Lyrik, die sich besonders durch ihre musikalische Artistik und formal hochkomplexe Struktur auszeichnet. Der Leich eines Künstlers galt somit als besonderer Nachweis seiner dichterischen, kompositorischen und musikalischen Fertigkeiten. Besondere Merkmale für die Qualität eines Leichs sind die Responsion, das durch die Anordnung der Themen und Strophen erzeugte Spannungsverhältnis und zahlenkompositorische Kalkulationen in Bezug auf die Struktur. Responsion meint hier die textimmanente Bezugnahme auf vorhergegangenes. Es gibt zwei Arten der Responsion, die niedere und die höhere. Niedere Responsion meint die Wiederholung, entweder genau oder leicht abgewandelt, kleinster Elente; höhere Responsion meint die Wiederaufnahme ganzer Versikelgruppen (zusammenhängende Versgruppen, die später wieder aufgenommen werden). Da jedoch bei keinem erhaltenen Leich die Melodie oder Strophenform mit überliefert ist, muss die Forschung versuchen, die Strukur der Leichs zu rekonstruieren. Dazu dienen ihr grob vier unterschiedliche Herangehensweisen:
1.Herstellung möglichst großer Symmetrie (sehr wenig Rücksicht auf authentische Überlieferungen)
2.höhere und niedere Responsion als Einteilung
3.ein zahlensymmetrischer Ansatz
4.strukturelle Parallelen zu Sentenzen oder anderen Leichs
Überlieferung des Leichs von Walther von der Vogelweide
Walthers Leich ist ein Unikat für Walther selbst und für seine Zeit.Vor ihm haben nur Ulrich von Guttenburg (Minneleich MF 69,1) und Heinrich von Rugge (Kreuzleich MF 96,1) diese kunstvolle Form verwendet. Walthers Leich orientiert sich stark an der Bauform der lateinischen Sequenz. Somit muss Walther mit lateinischer Lyrik vertraut gewesen sein, denn der Aufbau des Leichs und die Darstellung von Maria gleicht der lateinischen Sequenz. Des Weiteren wird deutlich, dass sich Walther von der Vogelweide mit geistlicher Bildung, Dichtung und Musik befasst haben muss.
Sein Leich ist ohne Melodie überliefert, die heute vorliegende Handschrift mit der wichtigen großen Heidelberger Liederhandschrift C ist erst 100 Jahre nach Walthers Schaffenszeit entstanden, welches das Fehlen der Melodie erklären kann. Interessanter Weise eröffnet der Leich die Walther – Sammlung; obwohl es nach chronologischen Gesichtspunkten nicht passen würde. (Man datiert die Entstehung des Leichs auf das Jahr 1201, auf Grund der Aussagennähe zum Wiener Hofton). Jedoch war es in mittelalterlichen Handschriften üblich, mit einem geistlichen Text einzuleiten. Walthers Leich liegt uns nur in vier Handschriften vor.
Inhalt
Walther von der Vogelweide preist durch das Lyrische-Wir in seinem Leich die Dreifaltigkeit. Er geht auf Gott, Jesus, die Jungfrau Maria und die Kirche ein. Gott, Gottessohn und die Jungfrau Maria werden gebeten der Menschheit zu helfen, sich der Sünde reinzuwaschen. Gerade die Jungfrau Maria spielt im Leich eine zentrale Rolle. Sie tritt als Vermittlerin auf, sie wird angefleht, Gott für die Menschheit gnädig zu stimmen. Sie wird dafür gepriesen, dass sie Gottessohn gebar, deswegen sei ihr immer Dank, denn ohne ihn wäre die Menschheit nicht errettet worden. Gott solle seine Lehre herabsenden, den heiligen Geist, damit die Menschheit ein christliches Leben führen könne. Aber der Herabkunft des heiligen Geistes steht das Christentum, die Kirche, entgegen, welches sich im "Siechhaus" befindet. Die Kirche scheint "ihre Aufgabe, den durch Christus erworbenen Gnadenschatz an die Menschheit auszuteilen, zu vergessen“.[3] Walther von der Vogelweide kritisiert die Kirchenpolitik seiner Zeit. Der Leich endet mit einem Schlussgebet an die Jungfrau Maria und der Bitte um Gnade.
Form und Struktur des Leichs von Walther von der Vogelweide
Da die Melodie des Leichs von Walther von der Vogelweide nicht überliefert ist, ist es sehr schwer eine Struktur des Leichs auszumachen. Oft wird der Leich in einzelne Strophen untergliedert, die man als Sinnabschnitte verstehen kann. Die Struktur der neueren Forschung untergliedert den Leich in eine Einleitung, Hauptteil I, Mittelteil, Hauptteil II und einen Schluss.
Einleitung ( I ) Preis der Trinität ; Gott sende uns seine Lehre, weil uns der Fürst der Hölle verführt hat.
I. Hauptteil, 1. Hälfte ( II a1, II a2, II a3 ) Sündenbekenntnis, Gebet, Lob Gottes, Verachtung des Teufels, Lob Gottes, Lob der Jungfrau; I. Hauptteil, 2. Hälfte ( II b1, II b2, II b3, II b4, II b5) Preis der reinen Jungfrau Maria;
Mittelteil ( III 1, III 2, III 3) Preis der Jungfrau Maria, Preis des Gotteskindes, Bitte an Maria und ihr Kind um Hilfe;
II. Hauptteil, 1.Hälfte ( II*a1, II*a2, II*a3 ) Sünde und Reue; II. Hauptteil, 2. Hälfte ( II*b1, II*b2, II*b3 ) Klage um das kranke Christentum; Kirchenkritik;
Schlussteil ( IV ) Lobpreis der Jungfrau Maria und Schlussgebet.
Marienpreis im Leich
Das Bild der Jungfrau, die dennoch Mutter geworden ist, wurde durch die Jahrhunderte hochstilisiert. Das alte Testament erfüllt sich auch in ihr, die als leibliche Mutter des Erlösers eine besondere heilsgeschichtliche Rolle spielt. Denn nur durch die Geburt Jesu war sein Tod für uns möglich, ein Tod, der unseren Tod besiegt hat. Wichtig bei der Geburt Jesu war bzw. ist, das Maria jungfräulich war. Dies ist zwar ein Widerspruch in sich, aber nur so konnte man auslegen, dass diese Schwangerschaft gottgewollt und Jesus somit Gottes Sohn ist. Maria spielt in dem gesamten Leich eine zentrale Rolle. Sie bestimmt und umklammert den geistlichen Text. Sie wird genauso verehrt wie Gott. Sie soll ihn für die Menschheit gnädig stimmen, dass er der Menschheit helfe. Maria tritt somit als Mutter und Fürsprecherin der Menschheit auf. Die einzelnen Metaphern, die Walther von der Vogelweide für Maria verwendet, verweisen auf ihre Jungfräulichkeit, Erhabenheit und ihre Auswählung Gottes Sohn zu gebären.
Der blühende Stab Aarons verweist auf die Kraft Gottes, denn nur durch seine Kraft und seine Erwählung blühte der Stab und die Frucht konnte treiben. Der menschliche Verstand konnte sich dies nicht erklären, genauso wie bei Maria die unbefleckte Empfängnis. Hierzu passt das Bild der Pforte Ezechiels. Nur von Gott selbst darf die Pforte benutzt werden. Schon bald wurde dieses Bild in der lateinischen geistlichen Literatur als Präfiguration für Maria genannt, weil nur der Sohn Gottes, Gott selbst ohne menschliches Zutun aus ihr geboren wurde. Hierzu passt das Bild der Sonne, die durch das Glas scheint, ohne es zu beschädigen, ohne also die Jungfräulichkeit zu gefährden. Der brennende Dornenbusch wird aufgeführt, um die Macht Gottes zu beweisen, denn nur Gott kann die Gesetze der Natur ausschalten. Der Thron Salomos rühmt Maria als Herrscherin. Gedeons Fell ist eine der wichtigsten Präfigurationen der gottgewollten Mutterschaft Marias. "Zum Zeichen, daß Jahwe mit seinem Volk ist, hatte der neue, von Jahwe ausgesuchte Anführer Gedeon (Ri 6,36-40) gebeten, daß sein Fell, das er über Nacht auflegte, feucht werden möge, während der übrige Boden trocken bleiben solle. So geschah es, und Gedeon wusste nun nachweislich um seine Auserwählung, wobei ja der fruchtbare Tau im Alten Testament ein besonderes einprägsames Zeichen ist, ein Hinweis auf einen fruchtbaren, guten Tag, eine gute Zukunft, in die Jahwe geleitet. Auf eine solch wunderbare Weise ist Maria gemäß dem Text Mutter geworden. Gott hat ein Heilszeichen gesetzt."[4]
Wichtig ist auch die doppelte Rolle Marias im Leich. Sie wird auf der einen Seite gepriesen und ihre heilgeschichtliche Bedeutung wird deutlich herausgearbeitet. Auf der anderen Seite tritt sie auch als Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen auf, und wird gebeten im Namen der Menschen bei Gott fürzusprechen.
Kirchenkritik im Leich
Walther von der Vogelweide leitet seine Klage bzw. Kritik an das Christentum geschickt ein, indem das Lyrische-Wir um die Herabkunft des Heiligen Geistes bittet. Jedoch steht dieser Herabkunft die Kirche entgegen, denn das Christentum liegt im Siechhaus. Diese Klage über das Christentum führt Walther in politische Dimensionen. Rom ist Zielpunkt der Kritik, denn eigentlich kommt von Rom die christliche Lehre, was das Christentum laut Walther nun dringend nötig hat. Die Krankheit des Christentums kommt von der Simonie, also vom Ämterkauf. Statt die heilbringende Lehre zu vermitteln, ist Rom in weltliches Besitzstreben verstrickt. Walther spielt in seiner Kritik zwei Begriffe gegeneinander aus: Christentum und Christenheit sind auf dem Wege der Trennung oder haben sich schon getrennt, obgleich Gott sie als Einheit zusammengefügt hatte. Denn die Christenheit als Kirche ist "jetzt mit unchristlichen Dingen durchsetzt und Christentum als Lehre, Glaube, geistlicher Zustand der Kirche ist jetzt von Krankheit erfaßt, da die rechte Lehre aus Rom fehlt."[5] Allerdings sollten gerade Christentum und Christenheit übereinstimmen, genauso wie die Worte der Gläubigen mit deren Werken / Taten, denn nur dann führe man ein christliches Leben.
Die Klage und die Kritik im Leich reiht sich also in Walthers politische Lyrik ein. Jedoch ist sie besonders, da der Rahmen ein anderer ist. Walther bettet seine Kritik in den Rahmen der geistliche Lyrik ein und macht die Kritik dadurch noch schärfer.
"Triuwe" als übergeordnetes Thema im Leich
Dem Leich von Walther von der Vogelweide könnte man ein Thema überordnen und zwar das Thema der triuwe. "Wolfram von Eschenbach wertet die triuwe als die ausschlaggebende religiös-ethische Basistugend, die auf zwischenmenschliche Beziehung wie auch auf die Bindung zwischen Gott und den Menschen angewandt wird." Im Zentrum des Leichs steht die triuwe Marias, gegenüber Gott und seinen Geboten und gegenüber der Menschheit. Sie soll für die Menschheit um Gnade bei Gott bitten. Übergeordnet ist die triuwe Gottes gegenüber den Menschen; die triuwe Christi gegenüber Gott, den Menschen und seiner Mutter und die triuwe des Heiligen Geistes gegenüber den Menschen. ( Hier wird auf die Dreifaltigkeit verwiesen.) In Opposition dazu steht die untriuwe des Teufels, der wider Gott handelt und den Menschen verführt und somit den Menschen zur untriuwe gegenüber Gott verleitet. Der Mensch fängt an zu sündigen und ihm mangelt es an Reue. Des Weiteren wird auf die untriuwe Evas bzw. ihre Schuld gegenüber Gott eingegangen und die untriuwe der christlichen Kirche durch Simonie, fehlende Lehre und keine angemessenen Vertreter des Christentums. Die Kirche vernachlässigt ihre triuwe gegenüber Gott und den Gläubigen.
Das Wort triuwe kommt im Leich selber nicht direkt vor, jedoch spielt die triuwe bzw. die nicht erfüllte triuwe in allen wichtigen Bereichen des Leichs eine maßgebliche Rolle.
Literatur
Spechtler; V. Der Leich, Heiliges Land und Kreuzzug,"Alterslieder", S 192-207
Grafestätter, Andrea: Der Leich Walthers von der Vogelweide. Transkriptionen, Kommentare, Analysen, Münster 2004.