Autobiografische Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst): Unterschied zwischen den Versionen

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| 39 || Do fuor ich turniren knehtes wis<br /> durch lernen und durch knehtes pris<br /> allenthalben reht driu jar<br /> da wart ich ritter, daz ist war<br /> ze Wiene ze einer hochzit<br /> daz ich da vor noch immer sit<br /> so schoene hochzit nie gesach;<br /> da was von dringen ungemach.<br /> <br />  || Ich fuhr turnieren nach der Art<br /> des Knappen, der noch lernt und dient<br /> für Lob, drei Jahe tat ich das;<br /> dann wurd' ich Ritter (das ist wahr)<br /> in Wien auf einer Hochzeit dort,<br /> ich hab davor und nachher nicht<br /> eine solche Hochzeit je geseh'n,<br /> so viele Leute drägnten sich.<br /> <br />  
| 39 || Do fuor ich turniren knehtes wis<br /> durch lernen und durch knehtes pris<br /> allenthalben reht driu jar<br /> da wart ich ritter, daz ist war<br /> ze Wiene ze einer hochzit<br /> daz ich da vor noch immer sit<br /> so schoene hochzit nie gesach;<br /> da was von dringen ungemach.<br /> <br />  || Ich fuhr turnieren nach der Art<br /> des Knappen, der noch lernt und dient<br /> für Lob, drei Jahre tat ich das;<br /> dann wurd' ich Ritter (das ist wahr)<br /> in Wien auf einer Hochzeit dort,<br /> ich hab davor und nachher nicht<br /> eine solche Hochzeit je geseh'n,<br /> so viele Leute drängten sich.<br /> <br />  
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| 40 || Der fürst Liupolt uz Oesterich<br /> gap da sin tohter minneclich<br /> von Sahsen einem fürsten wert,<br /> der het ir ze einer konen begert.<br /> diu hochzit wart so schoene da,<br /> daz (ich) sit niender anderswa<br /> so schoene hochzit hab gesehen;<br /> des muoz ich von der warheit jehen.<br /> <br />  || Fürst Leopold von Österreich<br /> gab seine liebe Tochter hier<br /> von Sachsen diesem edlen Fürst,<br /> der wollte sie zu seiner Frau.<br /> Die Hochzei war so herrlich schön,<br /> daß ich seitdem nie anderswo<br /> ein solches Fest je hab geseh'n;<br /> das sag ich euch, die Wahrheit ist's.<br /> <br />  
| 40 || Der fürst Liupolt uz Oesterich<br /> gap da sin tohter minneclich<br /> von Sahsen einem fürsten wert,<br /> der het ir ze einer konen begert.<br /> diu hochzit wart so schoene da,<br /> daz (ich) sit niender anderswa<br /> so schoene hochzit hab gesehen;<br /> des muoz ich von der warheit jehen.<br /> <br />  || Fürst Leopold von Österreich<br /> gab seine liebe Tochter hier<br /> von Sachsen diesem edlen Fürst,<br /> der wollte sie zu seiner Frau.<br /> Die Hochzeit war so herrlich schön,<br /> daß ich seitdem nie anderswo<br /> ein solches Fest je hab geseh'n;<br /> das sag ich euch, die Wahrheit ist's.<br /> <br />  
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Eines der beiden datierbaren Ereignisse des Frauendienstes ist die Hochzeit der Tochter Herzog Leopolds VI. mit Albrecht von Sachsen, die 1222 in Wien stattfand.[Dopsch 1999: 77] Ulrich verbindet dieses historische Ereignis mit seinem Eintritt in den Ritterstand, für den es aber keine historischen Anhaltspunkte gibt. So wird in der Forschung auch angezweifelt, ob der historische Ulrich tatsächlich 1222 in Wien zum Ritter geschlagen wurde.[Krenn 1999: 113]
Eines der beiden datierbaren Ereignisse des Frauendienstes ist die Hochzeit der Tochter Herzog Leopolds VI. mit Albrecht von Sachsen, die 1222 in Wien stattfand.[Dopsch 1999: 77] Ulrich verbindet dieses historische Ereignis mit seinem Eintritt in den Ritterstand, für den es aber keine historischen Anhaltspunkte gibt. So wird in der Forschung auch angezweifelt, ob der historische Ulrich tatsächlich 1222 in Wien zum Ritter geschlagen wurde.[Krenn 1999: 113]

Version vom 17. Juli 2013, 07:55 Uhr

Ulrich von Liechtenstein (ca. 1205/1208-26.01.1275), dessen Existenz historisch belegt ist, erzählt im Frauendienst aus der Ich-Perspektive von seinem Leben als Ritter und Minnesuchender.[1] Erstmals wird diese Einheit von Autor und Erzähler von der ersten von Ulrich verehrten und namenslos bleibenden Dame geäußert: "deswar ich pin des harte vro, daz her Ulrich ist ritter hie warden [...] ich meine den von Liehtenstein." (FD 44,5-8) [2] Zwar enthält der Frauendienst zahlreiche fiktionale Elemente, Einiges ist aber historisch belegt und dem tatsächlichen Leben Ulrichs von Liechtenstein entnommen.

Kurzer Forschungsüberblick

Von der Forschung wurde der Frauendienst bis etwa in die siebziger Jahre vor allem auf seinen historischen Wahrheitsgehalt hin untersucht, was bedeutet, dass reale von fiktiven Begebenheiten unterschieden werden sollten.[Chinca 2010: 306/307] Die aktuellere Forschung hingegen ist dazu übergegangen, eher die Gesamtaussage des Werks vor dem Hintergrund seines literarischen Wertes zu betrachten.[Chinca 2010: 308f.] Auch hierbei spielt aber der Einsatz von Fiktionalität und historischer Realität immer noch eine wichtige Rolle.[3] Nach den Definitionen von "Autobiografie" und "Autofiktion" wird das Leben des historischen Ulrichs nachgezeichnet, um einen Anhaltspunkt dafür zu bekommen, welche Elemente daraus zu welchem literarischen Zweck in den Frauendienst übernommen wurden.

Autobiografie und Autofiktion

Die Bezeichnung Autobiografie leitet sich von drei griechischstämmigen Wörtern ab. Auto bedeutet, dass ein menschliches Selbst spricht, das sein Leben (bios) niederschreibt (graphein).[Gasser 2012:16] Zentral ist dabei also, dass ein real existenter Mensch an einem Punkt seines Lebens zurückblickt und über seine eigene Vergangenheit schreibt. Der Autor muss folglich gezwungenermaßen identisch sein mit dem erzählenden und erlebenden Ich. Allerdings wird es auch bei größten Mühen niemals gelingen, vollständig objektiv und realitätsgetreu über die eigene Vergangenheit zu schreiben, da das menschliche Gedächtnis Eindrücke immer subjektiv verarbeitet, einzelne Details vergisst oder im Laufe der Zeit anders bewertet. Aus diesen Gründen stellt sich die Frage, ob es die Gattung der Autobiografie überhaupt als solche geben kann, oder ob nicht in jeder Autobiografie fiktionale Elemente zu finden sind.[Gasser 2012: 22] Andererseits ist anzunehmen, dass jeder individuelle Autor auch ganz individuelle Literatur verfasst, folglich steckt immer auch der Autor mehr oder weniger deutlich mit in seinem Werk, woraus sich im Umkehrschluss die Frage stellt, ob nicht "alles Schreiben autobiografisch" ist.[Gasser 2012:22] Aus dieser Definition ergibt sich, dass es weder rein autobiografische noch rein autofiktionale Werke geben kann. Vielmehr sind diese beiden Begriffe graduell. Bevor nun näher auf die autobiografischen Aspekte in Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst eingegangen wird, muss noch erwähnt werden, dass die hier angeführten Definitionen zwar wichtig sind, um Begrifflichkeiten zu haben, um über die im Frauendienst auftretenden Elemente zu sprechen. Allerdings sind Autobiografie und Autofiktion überaus moderne Gattungsbegriffe, was im Hinterkopf behalten werden sollte, wenn diese nun auf mittelalterliche Literatur angewendet werden.[Gasser 2012:16]

Historisch-biografische Elemente

Die historische Person Ulrich von Liechtenstein

Kindheit und Jugend

Ulrich von Liechtenstein wurde etwa zwischen 1205 und 1208 geboren.[4] Sein Vater Dietmar III. und seine Mutter Gertrud hatten noch vier weitere Kinder: Otto, Dietmar IV. von Offenburg, Hedwig und eine namentlich unbekannte Schwester.[Dopsch 1999: 100/101] Sein Bruder Dietmar wird auch im Frauendienst erwähnt, so zum Beispiel beim Turnier in Friesach, wo Ulrich den "bruoder min [...] Dietmar von Liehtenstein" (FD 181,3/5) trifft. Auch der Vater spielt eine Rolle. Sein Tod wird als Grund für die Heimreise des jungen Ulrichs nach Liechtenstein angeführt. (FD 35,5-36,4) Dietmar III. starb 1218,[Dopsch 1999: 100/101] was, vorausgesetzt, die historischen Daten sind richtig,[5] nicht ganz mit Ulrichs Version im Frauendienst übereinstimmt. Demnach war er vor dem Tod seines Vaters sowohl im Dienst der Dame und "wuohs in daz zwelfte jar" (FD 12,2) als auch anschließend noch im Dienst des Markgrafen Heinrich von Österreich, bei dem er vier Jahre verbrachte (FD 35,3-4). So gesehen müsste der literarische Ulrich mindestens sechzehn Jahre alt gewesen sein, laut den historischen Daten von Dopsch kann er bis zum Tod des Vaters aber maximal das Alter von dreizehn erreicht haben.

Familie und Geschlecht der von Liechtenstein

Der literarische Ulrich hat eine Ehefrau, die zwar im Verhältnis zu den verehrten Damen stark in den Hintergrund der Erzählung tritt, aber immerhin zweimal angeführt wird:

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
"von danne stal ich mich zehant
und reit mit freuden da ich vant
die herzenlieben chonen min:
diu chunde mir lieber niht gesin"

(FD 707, 5-8)
"Ich stahl mich von dem Hause fort
und ritt mit Freuden zu dem Ort,
wo ich die Allerliebste fand,
die Ehegattin, die ich lieb."


Datei:Ausschnitt Stammbaum.png
Ausschnitt Stammbaum

Auch bei der Gefangen- bzw. Geiselnahme des literarischen Ulrichs wird die Ehefrau als "chone min" (FD 1712, 7) erwähnt. Nur wenige Verse weiter kommt die Sprache auf "mine chinden" (FD 1714, 5), wobei ein Kind als "sun" (FD 1714, 7) bezeichnet wird, während Anzahl und Geschlecht der weiteren unbekannt bleiben. Die Ehefrau und die Kinder Ulrichs sind durch Urkunden historisch belegt. Mit seiner Frau Perchta von Weissenstein hatte Ulrich von Liechtenstein vier Kinder: die beiden Söhne Ulrich II. und Otto II. sowie zwei Töchter Diemut und Perchta, die wiederum alle verheiratet waren und von denen zumindest Otto II. auch selbst zahlreiche Kinder hatte.[Dopsch 1999:100/101]
Allein in Süddeutschland, Mähren und Österreich gab es im 13. Jahrhundert sieben Burgen mit dem Namen Liechtenstein, weshalb der steirische Ulrich von Liechtenstein hin und wieder mit den gleichnamigen österreichischen Adligen verwechselt wurde.[Dopsch 1999:57/58] So gehört der ebenfalls im Frauendienst erwähnte Heinrich von Liechtenstein (FD 1664/1668) nicht Ulrichs, sondern der österreichischen Familie an.[Dopsch 1999: 57] [6] Ulrichs von Liechtenstein Vorfahren stammen ursprünglich von den Edelfreien von Traisen und Feistritz ab. 1140 stellte Dietmar von Reidling, ein Vorfahre Ulrichs, bei Judenburg die Burg Liechtenstein fertig und verlegte den Familiensitz dorthin.[Dopsch 1999: 71] Etwa im Jahre 1250 baute Ulrich von Liechtenstein dann die Frauenburg, die in der Nähe von Judenburg lag.[Dopsch 1999: 72] Allgemein hatte der steirische Adel im 13. Jahrhundert eine mächtige Stellung inne.[Spechtler 2006.1: 268] Zudem befand sich die Region in einer kulturellen Blüte und so gab es einige steirische Adlige vor und nach Ulrich, die ebenfalls als Minnesänger tätig waren, auch wenn keiner von ihnen die Bekanntheit Ulrichs erlangte.[Dopsch 1999: 51-54]

Ulrich als Ministerialer

Ministeriale definierten sich ganz allgemein gesagt dadurch, dass sie in einem Dienstverhältnis zu ihrem Herren standen und folglich von diesem mehr oder weniger abhängig waren. Die gesellschaftliche Position und das Ansehen der Ministerialen war abhängig von ihren Ämtern und den damit verbundenen Aufgaben.[Herchert 2010: 34] Auch einige Freie, unter ihnen die Liechtensteiner,[Spechtler 2006.3: 303] traten in den Ministerialiendienst ein, um von materiellen Vorteilen, wie zum Beispiel Dienstlehen, zu profitieren.[Herchert 2010: 35] Im 13. Jahrhundert bildete sich in der Steiermark ein "Herrenstand" bestehend aus freien Adligen und unfreien Ministerialen, in dem sich soziale Unterschiede zwischen beiden Gruppen weitgehend aufhoben und dem auch die Liechtensteiner angehörten.[Spechtler 2006.3: 302] Bereits mit dem Georgenberger Vertrag von 1186 erhielten die steirischen Ministerialen gegenüber dem Landesherren Vorrechte, die sie zum einflussreichsten Ministerialenstand im deutsch-österreichischen Raum machten.[Spechtler 2006.3: 303] Ulrich von Liechtenstein diente zum Beispiel Herzog Friedrich II., der Herr über Österreich und auch über die Steiermark war.[Hübner 2008: 84] Über eine reine Diensttätigkeit hinaus hatte Ulrich damit sicherlich auch einen nicht zu unterschätzenden politischen Einfluss.

Berufliche Tätigkeiten Ulrichs

Urkunden sind äußerst wichtige Quellen für das Mittelalter. Im Fall Ulrichs von Liechtenstein helfen sie, herauszufinden, welche Tätigkeiten er wann ausübte und historisch zu beurteilen, welche Stellung er damit innerhalb des steirischen Adels einnahm. So wie die meisten mittelalterlichen Urkunden berichten auch die über Ulrich von Rechtsgeschäften, die er entweder bezeugt oder in denen er als Aussteller auftritt. Die erste Amtsbezeichnung Ulrichs lautet "Schiedsrichter" und stammt von 1232.[Spechtler 1999: 442] Etwa dreißig Jahre später, 1263, wird Ulrich noch einmal ganz ähnlich als "erster Schiedsmann" betitelt.[Spechtler 1999: 466] Schiedsmann und Schiedsrichter waren im mittelalterlichen Schiedsgerichtsverfahren von Bedeutung. Schiedsmänner hatten die Aufgabe, eine gütliche Einigung beider Parteien anzuleiten, während Schiedsrichter und ihre Beisitzer Entscheidungen fällen durften.[Schiedsgerichtsverfahren 1977-99] Ulrich war folglich bereits mit Mitte/Ende zwanzig (je nachdem von welchem Geburtsdatum man ausgeht) juristisch tätig. 1245 wird Ulrich in einer Urkunde dann als Ulricus de Lichtensteine dapifer Stirie (Ulrich von Liechtenstein, Truchseß der Steiermark) geführt.[Spechtler 1999: 446] Ein Truchseß war im Mittelalter am fürstlichen oder königlichen Hof tätig und hatte im 12. und 13. Jahrhundert auch politischen Einfluss.[Kreiker "Truchseß"] Dies spiegelt auch der Inhalt der Urkunde wider: Ulrich soll im Auftrag Herzog Friedrichs II. den Bischof von Gurk zu militärischer Unterstützung überreden.[Spechtler 1999: 446] Das zeigt deutlich Ulrichs politische Tätigkeit und darüberhinaus auch das Vertrauen, das der Herzog, mit dem er wohl in einer guten Verbindung stand, ihm entgegenbrachte. Laut den Urkunden setzt sich Ulrichs Karriere 1267 weiter fort. In Graz ernennt König Ottokar von Böhmen Ulrich zum steirischen Marschall und verfügt, dass illegal entfremdete Güter wieder zurück an den steirischen Marschall zu gehen haben.[Spechtler 1999: 468] Als Marschall hatte Ulrich ein Hofamt inne, das ihn für die Sicherheit und Gesundheit des Königs verantwortlich machte. Zudem hatte er Aufsicht über den königlichen Hof zu führen und sein Amt war auch mit rechtssprechenden Tätigkeiten verbunden.[Kreiker "Marschall"] Diese juristisch-politische Tätigkeit führte Ulrich wohl bis zu seinem Tod fort, wobei er laut Urkunden seit 1272 auch noch die Funktion eines Landrichters inne hatte.[Spechtler 1999: 476] Damit hatte er eine Position erreicht, die es ihm erlaubte, bei Gerichtsverhandlungen sogar den Landesherren vertreten zu dürfen.[Spechtler 2006.1: 268] Alles in allem verfolgte Ulrich von Liechtenstein eine politische Karriere und hatte gute Verbindungen zu den Mächtigen seiner Zeit. Der Frauendienst allerdings verschweigt diesen Aspekt aus Ulrichs Leben völlig. Zwar wird durch die Nennung und Charakterisierung zahlreicher, zum Teil hochrangiger, Adliger deutlich, dass Ulrich sich in der höheren Gesellschaft auskennt, aber die Sprache kommt nie auf seine berufliche Tätigkeit. Ulrich von Liechtenstein beschreibt und definiert sich selbst nur über seine Tätigkeit als treuer und ergebener Minnediener. Dabei hatte die historische Person außerhalb seines Dichterlebens noch viele weitere Facetten. Allein aus diesem Grund kann der Frauendienst unmöglich als Autobiografie im modernen Sinne betrachtet werden.

Historisches im Frauendienst

Die Hochzeit (Ulrichs Schwertleite)

Strophe Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
39 Do fuor ich turniren knehtes wis
durch lernen und durch knehtes pris
allenthalben reht driu jar
da wart ich ritter, daz ist war
ze Wiene ze einer hochzit
daz ich da vor noch immer sit
so schoene hochzit nie gesach;
da was von dringen ungemach.

Ich fuhr turnieren nach der Art
des Knappen, der noch lernt und dient
für Lob, drei Jahre tat ich das;
dann wurd' ich Ritter (das ist wahr)
in Wien auf einer Hochzeit dort,
ich hab davor und nachher nicht
eine solche Hochzeit je geseh'n,
so viele Leute drängten sich.

40 Der fürst Liupolt uz Oesterich
gap da sin tohter minneclich
von Sahsen einem fürsten wert,
der het ir ze einer konen begert.
diu hochzit wart so schoene da,
daz (ich) sit niender anderswa
so schoene hochzit hab gesehen;
des muoz ich von der warheit jehen.

Fürst Leopold von Österreich
gab seine liebe Tochter hier
von Sachsen diesem edlen Fürst,
der wollte sie zu seiner Frau.
Die Hochzeit war so herrlich schön,
daß ich seitdem nie anderswo
ein solches Fest je hab geseh'n;
das sag ich euch, die Wahrheit ist's.

Eines der beiden datierbaren Ereignisse des Frauendienstes ist die Hochzeit der Tochter Herzog Leopolds VI. mit Albrecht von Sachsen, die 1222 in Wien stattfand.[Dopsch 1999: 77] Ulrich verbindet dieses historische Ereignis mit seinem Eintritt in den Ritterstand, für den es aber keine historischen Anhaltspunkte gibt. So wird in der Forschung auch angezweifelt, ob der historische Ulrich tatsächlich 1222 in Wien zum Ritter geschlagen wurde.[Krenn 1999: 113]

Der Tod Herzog Friedrichs II.

Am 15. Juni 1246 starb der letzte Babenberger Herzog Friedrich II. in der Schlacht an der Leitha, in der die Österreicher gegen den ungarischen König kämpften.[Spechtler 2006.2:253] Zwar siegten die Österreicher doch der Verlust des Landesherren und die darauffolgende Herrschaft der Ungarn bzw. ab 1260 die Regierungszeit des böhmischen Königs Ottokar brachten politische Wirren für die Region mit sich.[Spechtler 2006.3: 301] Zudem verliert Ulrich von Liechtenstein damit seinen Dienstherren.[Hübner 2008: 84] Er spricht diese Ereignisse und die folgende schwere Zeit im Frauendienst an, allerdings nutzt er sie eher für eine allgemeine Zeitklage[Spechtler 2006.3: 301] und weniger um genaue historische Ereignisse oder Abläufe darzustellen:

Strophe Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
1677 Got müeze sin pflegen: er ist nu tot.
sich huop nach im vil groziu not
ze Stire und ouch ze Oesterrich.
da wart maniger arm, der e was rich.
für war ich iu daz sagen wil:
nach im geschach unbildes vil,
man roubt diu lant naht und tac,
da von vil dörfer wüeste lac.

Der Herr behüt' ihn, er ist tot.
Danach begann die große Not
zu Steier und in Österreich.
Die Reichen wurden bald sehr arm.
Ich sage euch die Wahrheit hier:
Nach ihm geschah viel Unheil noch,
man raubte im Lande Nacht und Tag
und viele Dörfer war'n zerstört.

Historische Persönlichkeiten

Die wesentlichen Protagonisten des Frauendienstes, allen voran die beiden verehrten Damen, aber auch einige Botenfiguren, bleiben anonym. Im Kontrast dazu steht die Nennung zahlreicher Namen von beispielsweise Turnierteilnehmern, die sogar oftmals durch Informationen zu ihrer Herkunft und einer Einschätzung ihrer ritterlichen Leistung ergänzt werden. Im gesamten Roman werden 176 Namen historischer Persönlichkeiten genannt und ein Großteil von ihnen konnte inzwischen tatsächlich identifiziert werden.[Krenn 1999:106][7] Um die Verwendung von historischen Persönlichkeiten im Roman genauer betrachten zu können, wird im Folgenden exemplarisch auf die "Anwesenheitsliste" des Friesacher Turniers (FD 188-198) eingegangen. Einen historischen Beleg für ein Turnier in Friesach gibt es nicht, ebensowenig eindeutige Anhaltspunkte für eine Vermittlung Leopolds von Österreich im Streit zwischen Heinrich IV. von Istrien und dem Herzog von Kärnten, was im Frauendienst als Anlass für das Turnier beschrieben wird.[8] (FD 177-79) Der Autor Ulrich von Liechtenstein fügt in die Vorrede zum Turnier 46 Namen ein. 22 dieser Personen sind allein durch das gemeinsame Auftreten mit Ulrich in mindestens einer der 94 Urkunden belegt.[Krenn 1999: 125f.] Das heißt einmal, dass diese Personen definitiv existiert haben, zum anderen aber auch, dass Ulrich sie persönlich kannte. Unter Einbezug anderer Urkunden können bis auf fünf genannte Personen alle Teilnehmer des Friesacher Turniers historisch belegt werden.[9] Lediglich Leutold von Peggau, der namenslose Domvogt von Regensburg, Gundaker von Starkenberg, Ulrich von Stainz und Otto von Schönkirchen können nicht zweifelsfrei als real existierende Personen betrachtet werden. Allerdings ist zu beachten, dass Ulrich diese "Namenslisten" für sein höfisches Publikum führte. Hier frei erfundene Namen vorzutragen würde vermutlich den Sinn der Namensnennungen verfehlen, denn die zeitgenössischen Rezipienten sollten die betreffenden Personen (er)kennen, um Ulrichs Erzählung plastischer auffassen zu können bzw. um seinen Ausführungen über Ritterlichkeit und Ansehen der Betroffenen folgen zu können. Wie anhand des Friesacher Turniers exemplarisch gezeigt wurde, werden im Frauendienst historische Personen in einen fiktionalen Kontext gesetzt. Ein Grund hierfür kann, wie bereits erwähnt, die Unterhaltung des zeitgenössischen Publikums sein. Darüberhinaus erwecken die zahlreichen belegbaren Personen zumindest (und ausschließlich) auf den ersten Blick den Eindruck eines gut recherchierten Werks, das einen Wahrheitsanspruch erhebt. Eventuell wollte der Autor Ulrich damit auch den "Wahrheitsgehalt" seiner Aussagen über die Minne und den Minnedienst unterstreichen. Dass hingegen die "Personen der engeren Minnediensthandlung anonym bleiben"[Spechtler 2006.3: 299] spricht für die Fiktionalität der eigentlichen Romanhandlung, "weil es sich eben um die epische Darstellung eines dem spätmittelalterlichen Publikum bekannten literarischen Musters handelt, das ja, für sich genommen, nichts mit der Darstellung historischer Wirklichkeit zu tun hat."[Spechtler 2006.3: 299]

Fazit

Wie in diesem Artikel dargelegt wurde, gibt es nachweisbare historische und biografische Fakten, die Eingang in den Frauendienst gefunden haben. Allerdings überwiegen gerade im Rahmen der eigentlichen Romanhandlung (beispielsweise Fahrten und alle Minnediensthandlungen) eindeutig die fiktionalen Elemente. Fest steht eigentlich nur, dass Ulrich von Liechtenstein als historische Person gelebt hat und dass ein Teil seiner Familiengeschichte sowie historische Weggefährten und einzelne Ereignisse (z. B. der Tod Herzog Friedrichs) im Frauendienst wiederzufinden sind. Die wesentlichen Aspekte seines Lebens, nämlich sein gesamtes politisches Wirken, sind nicht in seinen Roman eingeflossen. Alle nachweisbaren Bestandteile des Frauendienstes beziehen sich eher auf Randereignisse und tragen kaum etwas zum Fortschreiten der Handlung bei. Unter Miteinbezug des Artikels über fiktionale Elemente im Frauendienst kann somit eindeutig nachgewiesen werden, dass Ulrichs von Liechtenstein Werk mit Sicherheit nicht die Merkmale einer Autobiografie erfüllt, sondern ein fiktionaler Roman ist, in den reale Einzelereignisse und historische Personen eingebunden wurden.

Primärtext

  • Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987. (Mittelhochdeutscher Text)
  • Liechtenstein, Ulrich von: Frauendienst, übers. v. Franz Viktor Spechtler, Klagenfurt/Celovec 2000.

Textnachweise

  1. Inhaltsangabe des Frauendienstes
  2. Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987. Wann immer der mittelhochdeutsche Text zitiert wird, wird diese Ausgabe benutzt.
  3. Vgl. hierzu die Forschung von Franz Viktor Spechtler, die in Auszügen in der Forschungsliteratur angeführt wird.
  4. Davon geht zumindest Dopsch aus, Spechtler setzt einen größeren Zeitraum von etwa 1200 bis 1210 für die Geburt Ulrichs an.
  5. Ulrichs Geburtsjahr ist nicht eindeutig zu bestimmen, da es in keiner heute bekannten Urkunde belegt ist. Dopsch geht von einer Geburt zwischen 1205 und 1208 aus, Spechtler aber beispielsweise hat für das Geburtsjahr einen größeren Zeitrahmen von 1200-1210 bestimmt.
  6. Da Ulrichs Sohn Otto II. später mit Diemut von Liechtenstein-Nikolsburg in die österreichische Linie der Liechtensteiner einheiratete, erschwert dies zusätzlich das Auseinanderhalten beider Familien.
  7. Eine genaue Auflistung der genannten und der historisch identifizierten Namen ist zu finden bei Krenn 1999, S. 121-129.
  8. Es gab aber wohl tatsächlich einen Streit zwischen Heinrich von Istrien und dem Herzog von Kärnten.[Krenn 1999: 118]
  9. Dies wurde durch Abgleich der im Frauendienst angeführten Namen mit der Liste Krenns herausgefunden.

<HarvardReferences />

  • [*Chinca 2010]Chinca, Mark: Der Frauendienst zwischen Fiktivität und Fiktionalität. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Linden, Sandra/Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben-Zeit-Werk-Forschung, Berlin/New York 2010, S. 305-323.
  • [*Dopsch 1999]Dopsch, Heinz: Zwischen Dichtung und Politik. Herkunft und Umfeld Ulrichs von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 49-104.
  • [*Gasser 2012]Gasser, Peter: Autobiografie und Autofiktion. Einige begriffskritische Bemerkungen, in: Pellin,Elio/Weber, Ulrich: "...all diese fingierten, notierten, in meinem Kopf ungefähr wieder zusammengesetzten Ichs". Autobiographie und Autofiktion, Göttingen 2012.
  • [*Herchert 2010] Herchert, Gaby: Einführung in den Minnesang, Darmstadt 2010.
  • [*Hübner 2008]Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008.
  • [*Kreiker "Marschall"]Kreiker, S.: 'Marschall', in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, Sp. 324-325.
  • [*Kreiker "Truchseß"]Kreiker, S.: 'Truchseß', in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, Sp. 1069-1070.
  • [*Krenn 1999]Krenn, Gerald: Historische Figuren und/oder Helden der Dichtung? Untersuchungen zu den Personen im Roman "Frauendienst", in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 105-132.
  • [*Schiedsgerichtsverfahren 1977-99]o.A.:Schiedsgerichtsverfahren, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, Sp. 1332.
  • [*Spechtler 1999]Spechtler, Franz Viktor: Die Urkunden Regesten zu Ulrich von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 441-493.
  • [*Spechtler 2006.1]Spechtler, Franz Viktor: Ulrich von Liechtenstein. Urkunden und Zeugnisse zur Biographie des Autors des ersten Ich-Romans in deutscher Sprache, in: Auer-Müller, Michaela/Müller, Ulrich/Schmidt, Siegrid (Hgg.): Gesammelte Abhandlungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Göppingen 2006, S. 265-272.
  • [*Spechtler 2006.2]Spechtler, Franz Viktor: Probleme um Ulrich von Liechtenstein. Bemerkungen zu historischen Grundlagen, Untersuchungsaspekten und Deutungsversuchen, in: Auer-Müller, Michaela/Müller, Ulrich/Schmidt, Siegrid (Hgg.): Gesammelte Abhandlungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Göppingen 2006, S. 253-264.
  • [*Spechtler 2006.3]Spechtler, Franz Viktor: Ulrich von Liechtenstein. Literarische Themen und Formen um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der Steiermark, in: Auer-Müller, Michaela/Müller, Ulrich/Schmidt, Siegrid (Hgg.): Gesammelte Abhandlungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Göppingen 2006, S. 297-325.