Fiktionalität der Frauenfiguren (Dante Alighieri, Vita Nova): Unterschied zwischen den Versionen

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|Poi per alquanta tempo, con ciò fosse cosa che io fosse in parte ne la quale mi ricordava del passato tempo, molto stava pensoso, e con dolorosi pensamenti, tanto che mi faceano parere de fore una vista di terribile sbigottimento. Onde io, accorgendomi del mio travagliare, levai li occhi per vedere se altri mi vedesse. Allora vidi una gentile donna giovane e bella molto, la quale da una finestra mi riguardava sì pietosamente, quanto a la vista, che tutta la pietè parea in lei accolta.|| ||  || ||Einige Zeit danach, als es sich ergab, daß ich mich an einer Stelle befand, wo ich mich der vergangenen Zeit erinnerte, war ich sehr betrübt und so tief in schmerzlichen Gedanken, daß sie mich nach außen hin als einen Anblick schrecklicher Bestürzung erscheinen ließen. Und als ich bemerkte, wie ich mich plagte, da hob ich die Augen, um zu sehen, ob mich jemand anderes gesehen hätte. Da erblickte ich eine edle Frau, jung und sehr schön, welche mich von einem Fenster aus augenscheinlich so voller Mitgefühl ansah, daß alles Mitleiden in ihre vereint schien.
|Poi per alquanta tempo, con ciò fosse cosa che io fosse in parte ne la quale mi ricordava del passato tempo, molto stava pensoso, e con dolorosi pensamenti, tanto che mi faceano parere de fore una vista di terribile sbigottimento. Onde io, accorgendomi del mio travagliare, levai li occhi per vedere se altri mi vedesse. Allora vidi una gentile donna giovane e bella molto, la quale da una finestra mi riguardava sì pietosamente, quanto a la vista, che tutta la pietè parea in lei accolta.|| ||  || ||Einige Zeit danach, als es sich ergab, daß ich mich an einer Stelle befand, wo ich mich der vergangenen Zeit erinnerte, war ich sehr betrübt und so tief in schmerzlichen Gedanken, daß sie mich nach außen hin als einen Anblick schrecklicher Bestürzung erscheinen ließen. Und als ich bemerkte, wie ich mich plagte, da hob ich die Augen, um zu sehen, ob mich jemand anderes gesehen hätte. Da erblickte ich eine edle Frau, jung und sehr schön, welche mich von einem Fenster aus augenscheinlich so voller Mitgefühl ansah, daß alles Mitleiden in ihr vereint schien.
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"Dante" dichtet einige Sonette für diese Dame, die er immer wieder als edel und schön bezeichnet, ja sogar als "Eingebung Amors".[VN:38]
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|Ricovrai la vista di quella donna in sì nuova condizione, che molte volte ne pensava sì come di persona che troppo mi piacesse; e pensava di lei così: "Questa è una donna gentile, bella, giovane es savia, e apparita forse per volontade d'Amore, acciò che la mia vita si riposi."|| ||  || ||Ich gewann aufs neue den Anblick dieser Frau in so veränderter Verfassung, daß ich oftmals an sie dachte wie an eine Person, die mir allzu sehr gefiel; und zwar dachte ich folgendermaßen über sie: "Dies ist eine edle Frau, schön, jung und klug, und sie ist vieleicht nach dem Willen Amors erschienen, auf daß mein Leben sich beruhige."
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Version vom 17. Juli 2013, 20:28 Uhr

vorläufige Fragestellungen Gibt es Belege für die Existenz der beschriebenen Frauen? In welchem Verhältnis stand Dante, laut Wissenschaft, zu diesen Frauen? Kann belegt werden, ob diese Frauen von Dantes Schreiben wussten?


Wichtige Begriffe

  • Referenz: Sobald von dem behandelten Text ein Bezug zu außersprachlichen, lokalen oder historischen Gegebenheiten hergestellt werden kann, oder sich dieser Text an andere Texte anlehnt, kann von einer Referenz gesprochen werden. Diese Bezüge kommen häufig in historischen Romanen mit historischen Tatsachenbehauptungen vor.
  • Fiktion: Als fiktional kann ein Text, dessen beschriebene Handlungen, Lokalitäten, Personen, etc. (teilweise) erdacht wurden, bezeichnet werden. Es besteht der Modus der Möglichkeit. So kann ein fiktionaler Text etwa eine erfundene Person, in ein Ereignis einbetten, welches sich tatsächlich ereignet hat. Also kann festgestellt werden, dass ein fiktionaler Text auf Tatsachen referiert. Im Gegensatz zur Fiktionalität ist bei der Fiktion das Verhältnis zwischen real und erfunden skalierbar. Hier kann man die Frage stellen, ob es der Fall sein könnte. Träume oder Zukunftsvisionen, erfundene Personen in einem historischen Kontext sind Beispiel für Fiktion.
  • Fiktionalität: Texte, welche dieser Sparte zugeordnet werden, weisen keine Referenz auf und erheben keinerlei Anspruch darauf wahr zu sein. Das Verhältnis zwischen real und erfunden ist hier nicht skalierbar. Außerdem ist die Frage, ob es der Fall sein könnte, erst gar nicht stellbar.


Die Figur der Beatrice

Neben der autobiographischen Deutungsweise des Werks "Vita nova" gibt es Forschungen, die die Schrift in die spirituell-religiöse Sparte einzuordnen versuchen. Vor allem die Figur der "Beatrice" dient oftmals als Anhaltspunkt dieser Behauptungen. Ist "Beatrice" mit einer realen Frau jener Zeit gleichzusetzen oder handelt es sich bei ihr um eine Spiritualisierung? Angeblich soll eine Beatrice Portinari existiert haben, die als Jugendliebe Dantes sein Schaffen maßgeblich beeinflusste. [1] Allerdings ist ihre Existenz stark umstritten. "Unter denjenigen [...], die in dem Gegenstand von Dantes Liebe ein wirkliches Mädchen vermuteten, meinten viele, der Name Beatrice (>Beglückerin<) sei nur ein Deckname, wie ihn die Dichter der Provence gern zu verwenden pflegten"[Rheinfelder 1973: 1], bemerkt Rheinfelder zu diesem Punkt. Evi Zemanek sieht den Realitätsgehalt der "Beatrice" äußerst problematisch: "Dante sieht Beatrice im Verlauf seiner Dichtung zuerst als schöne, unerreichbare Dame, dann als gottgesandte Christusfigur und zuletzt als liebende Frau, die ihm von der Jungfrau Maria geschickt wurde, um seine Seele (und seine Dichtung) zu retten." [Zemanek 2010: 85] "Beatrice" wird in vielen Forschungsarbeiten als allegorische Figur verstanden,zugleich aber auch als "reale, historische Person identifiziert, nämlich als die Florentinerin Beatrice Portinari, Tochter des Folco Portinari, der in denselben sozialen Kreisen verkehrte wie Dante." [Zemanek 2010: 85] Rheinfelder kann diesen Stand der Forschung bestätigen, indem er sich unter anderem auf einen Sohn Dantes bezieht. Außerdem zeigt er auf, dass Beatrice verheiratet war, "ein Umstand, der nicht auffällig ist,wenn man bedenkt, dass die ganze Troubadour-Lyrik an verheiratete Frauen ist" [Rheinfelder 1973: 2].Zemanek merkt außerdem an, dass Dante "Beatrice" als reale Frau verstanden wissen will. Aber welche Bedeutung hat diese Aussage noch, wenn sie ausschließlich auf der Ebene der Fiktion geäußert wird? Lösung für dieses Problem könnte, so Zemanek, sein, dass die allegorische Eigenschaft "Beatrices" ihren historischen Hintergrund nicht zwangsläufig in Frage stellen muss. Tatsächlich könnte die mittelalterliche Exegese sogar den Wirklichkeitsbezug der Figuren verlangen.[2]


"Divina Commedia" als Beleg für Autofiktion

Die "Divina Commedia" (dt. Göttliche Komödie) wird oft als Fortsetzung des Werks "Vita nova" gehandelt, welches als Grundlage für die "Divina Commedia" gilt. Auch in der Göttlichen Komödie tritt "Beatrice" auf, allerdings als in den Himmel entrückte Geliebte "Dantes". "Dante" fühlt sich berufen, sie dort wiederzusehen und berichtet, "wie e[r] einst auf dem Weg durch die Hölle einem dunklen Wald von Verfehlungen entkam, wie e[r] auf dem Gipfel des Fegefeuers letztlich versöhnliche Aufnahme durch Beatrice erfuhr, bevor e[r] schließlich im Paradies Gottes ansichtig wurde." [Schwarze 2011: 2]


Die Figur der zweiten Frau (?)

Relativ am Ende des Buches begegnet "Dante" einer zweiten Dame, die keinen Namen trägt, aber voll des Mitleids für ihn ist:

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Poi per alquanta tempo, con ciò fosse cosa che io fosse in parte ne la quale mi ricordava del passato tempo, molto stava pensoso, e con dolorosi pensamenti, tanto che mi faceano parere de fore una vista di terribile sbigottimento. Onde io, accorgendomi del mio travagliare, levai li occhi per vedere se altri mi vedesse. Allora vidi una gentile donna giovane e bella molto, la quale da una finestra mi riguardava sì pietosamente, quanto a la vista, che tutta la pietè parea in lei accolta. Einige Zeit danach, als es sich ergab, daß ich mich an einer Stelle befand, wo ich mich der vergangenen Zeit erinnerte, war ich sehr betrübt und so tief in schmerzlichen Gedanken, daß sie mich nach außen hin als einen Anblick schrecklicher Bestürzung erscheinen ließen. Und als ich bemerkte, wie ich mich plagte, da hob ich die Augen, um zu sehen, ob mich jemand anderes gesehen hätte. Da erblickte ich eine edle Frau, jung und sehr schön, welche mich von einem Fenster aus augenscheinlich so voller Mitgefühl ansah, daß alles Mitleiden in ihr vereint schien.

"Dante" dichtet einige Sonette für diese Dame, die er immer wieder als edel und schön bezeichnet, ja sogar als "Eingebung Amors".[VN:38]

Italienisch[VN:34] Deutsche Übersetzung[VN:35]
Ricovrai la vista di quella donna in sì nuova condizione, che molte volte ne pensava sì come di persona che troppo mi piacesse; e pensava di lei così: "Questa è una donna gentile, bella, giovane es savia, e apparita forse per volontade d'Amore, acciò che la mia vita si riposi." Ich gewann aufs neue den Anblick dieser Frau in so veränderter Verfassung, daß ich oftmals an sie dachte wie an eine Person, die mir allzu sehr gefiel; und zwar dachte ich folgendermaßen über sie: "Dies ist eine edle Frau, schön, jung und klug, und sie ist vieleicht nach dem Willen Amors erschienen, auf daß mein Leben sich beruhige."

Primärliteratur

<HarvardReferences /> [*VN] Alighieri, Dante: Vita Nova - Das Neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, München, 1988

Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur

<HarvardReferences /> [*Rheinfelder 1973] Rheinfelder, Hans: Dante Alighieri, in: Dante-Studien, Hg. Roddewig, Marcella, Köln/Wien: Böhlau Verlag, 1975, S. 274-305

<HarvardReferences /> [*Schwarze 2011] Schwarze, Michael: Dantes Poetik des Ich, in: Bartoli Kuchner, Simona (Hg.): Das Subjekt in Literatur und Kunst. Festschrift für Peter V. Zima, Tübingen 2011, S. 1-26 <HarvardReferences /> [*Zemanek 2010] Zemanek, Evi: Das Gesicht im Gedicht: Studien zum poetischen Porträt, Köln, Weimar, Wien 2010


Anmerkungen

  1. Vgl. Evi Zemanek S.85
  2. Vgl. Evi Zemanek S.86