Gregorius: Problematisierung der Legende (nach Haug): Unterschied zwischen den Versionen

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 49: Zeile 49:
[[Kategorie:Hartmann von Aue]]
[[Kategorie:Hartmann von Aue]]
[[Kategorie:Gregorius]]
[[Kategorie:Gregorius]]
[[Kategorie:Artikel]]

Aktuelle Version vom 25. Februar 2016, 14:15 Uhr

Zusammenfassung

Hartmann von Aue benutzte als Vorlage für seinen "Gregorius" die französische Legende "Vie du pape Grégoire". Haug stellt nun die Vorlage dem "Gregorius" gegenüber und vergleicht diese beiden Texte. Er stellt fest, dass die Texte zwar Inhaltlich gleich sind, sich aber in Ihrer Form maßgeblich voneinander unterscheiden. Denn Hartmann hat die Legende "Vie du pape Grégoire" auf eine Art und Weise erweitert, die die Auslegung des "Gregorius" als Legende in Frage stellt. Er plädiert dafür, Hartmanns "Gregorius" als eine Art Mischform zwischen Legende und âventiure-Roman auszulegen.


Der Legendenbegriff

Der Gattungsbegriff der Legende umfasst in der Regel eine kurze, erbauliche Erzählung von heiligen Personen, Dingen oder Ereignissen[1]. Heute wird der Legendenbegriff für die Bezeichnung einer unglaublichen Geschichte über eine in der Regel zu bewundernde Person genutzt. Die Bindung an die Erzählung von heiligen Personen, Dingen oder Ereignissen ist heute nicht mehr zwingend[2]. Diese Begriffsveränderung fand während der Reformation statt. Durch Luther wurde das Wort "Legende" negativ konnotiert und wurde im Laufe der Zeit immer wieder begrifflich erweitert[3]. Im Mittelalter hingegen, bzw. vor der Reformation, war die Legende klar auf einer Basis von Heiligenleben definiert. Das Wort "Legende" (lat. legenda) bedeutet soviel wie "Texte, die man (vor)lesen soll"[4]. Es handelt sich also um allgemeingültige Texte, die etwas vermitteln, was wichtig sein kann.

Kennzeichen eines mittelalterlichen Legendenprologs

Haug orientiert sich an der Legende des "Servantius" von Veldeke, um die klassische geistliche Prologtradition darzulegen. Er erwähnt dabei fünf Punkte, die traditionell vorkommen sollten:

  1. Invocatio (üblicher Anfang eines mittelalterlichen Dokuments oder Textes, wörtlich Anrufung)
  2. Bitte um Hilfe beim Dichten
  3. Anruf des Heiligen
  4. Demutsformel
  5. Mit dem dichterischen Werk wird eine Bußleistung verknüpft

In Hartmanns "Gregorius" findet sich nur der letzte, der fünf Punkte[5]. Haug beschreibt, dass Hartmann, eigentlich ein Dichter weltlicher Literatur, sich dem Publikum der geistlichen Literatur anpasst, indem er Topois verwendet, die dieser Gattung angehören. Haug nennt in diesem Zusammenhang das persönliche Sündenbekenntnis, die Ablehnung weltlicher Literatur und die Verwendung des geistlichen Werks als Bußleistung[6].

Die Struktur des Gregoriusprologs

Haug teilt den Prolog in vier thematische Abschnitte auf.
Der erste Abschnitt umfasst Vers 51-96. In diesem Abschnitt wird angekündigt, dass eine Geschichte erzählte werden möchte, die schreckvoll und schwer erträglich sei. Dieser Abschnitt mündet in dem Bild der zwei Wegen, von denen der eine, die breite, unbeschwerliche Straße, in die Verdammnis und der andere, die schmale, beschwerliche Straße, in die Seeligkeit führt.

Der zweite Abschnitt umfasst Vers 97-143. In diesem Abschnitt wird die Samariterparabel behandelt. Gemäß Haug macht die Darstellung dieser Parabel die Interpretation des Weggleichnises aus[7]. Es ist speziell zu erwähnen, dass Hartmann die Samariterparabel auf eine metaphorische Ebene bringt. Diese Abwandlung dient einerseits der Einbettung der Parabel in den Prolog, andererseits verändert sie die Deutung der Parabel in Harmanns Sinne.

Der dritte Abschnitt umfasst Vers 144-170. Das Gleichnis des zweiten Abschnitts dient als Grundlage für den dritten Abschnitt. In diesem Abschnitt beschreibt Hartmann, dass die Parabel an einem konkreten Beispiel veranschaulicht werden soll. Dieser Abschnitt schließt mit einer Mahnung an das Publikum, sich an der Geschichte ein Beispiel zu nehmen.

Schließlich umfasst der vierte Abschnitt Vers 171-176. Diese letzten sechs Verse dienen laut Haug als Kolophon, also als Haftungsmittel zwischen Prolog und Geschichte. [8] Haug sieht nun in der Auslegung des Prologs und der mehrfachen wiederholten Thesen eine dezidierte Verständnisanleitung für den Roman[9].

Verhältnis zwischen Prolog und Erzählung

Das Verhältnis zwischen Prolog und Erzählung ist schwer auf einen Nenner zu bringen. In der Forschung haben sich in diesem Feld etliche Standpunkte herauskristallisiert, die alle in eine andere Richtung deuten. Es scheint fast unmöglich zu sein, die Maximen der Prologsgleichnise mit der Erzählung in Einklang zu bringen.

Das Zwei-Wege-Gleichnis

Hartmann kommt den Erwartungen des Lesers, dass sich Gregorius an irgendeinem Punkt in der Geschichte für einen Weg entscheiden muss, nach. So wiederspiegelt sich zum Beispiel der Weg des Prologs im Weg, den Gregorius wählt wieder. Es handelt sich um einen schmalen, beschwerlichen Weg. Soweit sind Handlung und Gleichnis Deckungsgleich. Nun ist es aber so, dass Gregorius zwar den beschwerlichen Weg gewählt hat, das Gegenstück, der bequeme Weg, jedoch keine Erwähnung findet. Auch die Entscheidung Gregorius, Ritter zu werden, kann nicht als den falschen, bequemen Weg angesehen werden, da Gregorius immer nur Gutes tut und diese Entscheidung auch nicht als falsch zu interpretieren ist. Haug kommt deswegen zum Schluss, dass der Versuch, die Erzählung auf das Gleichnis der Zwei Wege zu reduzieren, der Geschichte in keiner Weise gerecht wird[10].

Das Samaritergleichnis

Das Samaritergleichnis wurde von Hartmann so abgeändert, dass es in seine Geschichte passt. Und trotzdem kann das Samaritergleichnis nicht einfach als Interpretationsfaden verwendet werden. Zwar ist aus diesem Gleichnis die Mahnung, niemals an der Gnade Gottes zu zweifeln ersichtlich. Allerdings muss hier die Frage nach der Schuld Gregorius gestellt werden. Denn in der üblichen Interpretation des Samaritergleichnises stellt Mann dar, der unter die Räuber fällt, weil er an Gott schuldig wurde, der Strafe verfiel und erlöst werden muß, Adam dar. Gregorius aber kann keine subjektive Schuld angelastet werden. Deswegen sieht Haug auch in der Auslegung des Gregorius auf der Basis des Samaritergleichnises eine Problematik[11].

Zwischenfazit

Weil es unmöglich ist, den Gregorius auf diese religiösen Gleichnise zu fixieren, sieht Haug in ihnen kein Rezept zum Verständnis des Werkes, sondern vermutet eine andere Funktion hinter den Gleichnisen. Zwar besitzen die beiden Gleichnise einen Exempelcharakter, Haug bemerkt aber, dass eine schlichte Exempelstruktur für Hartmanns Literatur zu kurz gegriffen sei und schließt daraus, dass der Widerspruch zwischen dem Prolog und der Erzählung beabsichtigt sei und spricht ihnen deswegen den Zweck zu, den Exempeltypus mit dem Romantypus zu konfrontieren[12].

Hartmanns Gregorius vs. Gasta Romanorums Gregorius

Die Geschichte des Gregorius ist als einfache Legende auf wenigen Seiten im "Gasta Romanorum" überliefert. Haug zeigt an diesem Vergleich die gattungsspezifischen Differenzen zwischen Roman (Hartmanns Gregorius) und Legende (Gasta Romanorums Gregorius). Haug erwähnt fünf gravierende Unterschiede zwischen den beiden Erzählungen[13].

  1. Im Gasta Romanorum wird die Sünde der Eltern Gregorius nach ihrer Beichte gelöscht. Dies geschieht in Hartmanns Erzählung nicht.
  2. Im Gegensatz zum Gasta Romanorum macht Gregorius keine Bußfahrt sondern eine âdventiure-Reise als Ritter.
  3. Im Gasta Romanorum tötet Gregorius den Feind seiner Mutter, in Hartmanns Erzählung nimmt er ihn gefangen und es kommt zu einer Versöhnung.
  4. Als Gregorius erfährt, wer seine Mutter ist, nimmt Gregorius im Gasta Romanorum die Schuld sofort auf sich und beschließt Buße zu tun. In Hartmanns Erzählung besteht noch einen Moment lang Unentschlossenheit.
  5. Im Gasta Romanorum baut Gregorius ein Kloster für seine Mutter, woraufhin beide nach der Erfüllung der irdischen Pflicht relativ bald sterben. In Hartmanns Gregorius wird kein Kloster gebaut und Gregorius bleibt noch eine Zeit lang Papst.

Die größte Differenz besteht in Punkt fünf. Ein entscheidender Unterschied zwischen Legende und Roman ist das Ende der Erzählung. Die Legende ist zufriedengestellt, sobald die Akteure ihr Seelenheil erlangt haben. Der Roman hingegen führt die Handlung nach dem Erreichen des Ziels noch weiter aus bzw. läßt die Möglichkeit einer Weiterführung der Geschichte offen. Die Maximen des Prologs werden der Erzählung Hartmanns nur bedingt gerecht, sie passen jedoch hervorragend zur Legende aus dem Gasta Romanorum[14].

Fazit im Bezug auf Hartmanns Gregorius

Die eigentümliche Verknüpfung des Zwei-Wege-Gleichnises und des Samaritergleichnises lassen eine Neuinterpretation des Samaritergleichnises zu. Diese Neuinterpretation bezieht sich auf den Menschen nach Adam, der durch das Menschsein schon immer schuldig war und deswegen zwei Möglichkeiten hat zu wählen. Er kann entweder seine Schuld bekennen und auf die Gnade Gottes vertrauen oder sich gegen dieses Bekenntnis auflehnen und an der Gnade Gottes verzweifeln. Hartmanns Geschichte fragt deswegen nicht nacht der spezifischen Schuld, sondern nach der Schulderfahrung eines Menschen nach Christi[15]. Durch diese Neudeutung wird in Hartmanns Gregorius eine Abweichung vom objektiven Universalprozeß, Paradieszustand-Sündenfall-Zeit des Gesetzes-Zeit der Gnade, ersichtlich. Es wird klar, dass die Interpretation des Gregorius über diesen Rahmen hinausgehen muss. Es geht also um den Widerspruch zwischen dem guten Willen eines Menschen und seiner prinzipiellen Sündhaftigkeit. Dieses Paradox kann nur mit dem rückhaltlosen Vertrauen auf die Gnade Gottes aufgelöst werden. Verzweiflung und Gottesvertrauen stellen somit die beiden Wege dar, die nach der Erlösungstat Christi gewählt werden können. Haug sieht in diesem Vorgehen Hartmanns, die einfache Sünde-Buße-Gnade Mechanik zu durchbrechen, eine Vorbereitung aufs Romangeschehen weg von der Legende. Diese These untermauert er, indem er die modellhafte Gleichheit zwischen dem âdventiure-Roman und dem Gregorius vorführt. Da der Gregorius nicht dem Sünd-Buße-Gnade Prinzip folgt, muss es einem anderen Prizip folgen. Und hier kommt der âdventiure-Roman ins Spiel. Zwar findet durch die religiöse Thematik eine umgestaltung statt, formal entspricht der Gregorius aber dem âdventiure-Roman mit der Abfolge Auszug, Befreieung eine belagerten Fürstin, Hochzeit, Krise und erneuter Aufbruch. Haug betont hier, dass durch die Formähnlichkeit mit dem âdventure-Roman auf keinen Fall die geistliche Interpretationsweise vernachlässigt werden dürfe. Deswegen stellt der Gregorius eine Art Mischform zwischen âdventiure-Roman und Legende dar[16].

Literaturverzeichnis

  1. Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft; Baßler, Moritz/Schulz, Armin; Band II; Berlin, 2007; S. 389
  2. Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft; Baßler, Moritz/Schulz, Armin; Band II; Berlin, 2007; S. 390
  3. Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft; Baßler, Moritz/Schulz, Armin; Band II; Berlin, 2007; S. 391
  4. Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft; Baßler, Moritz/Schulz, Armin; Band II; Berlin, 2007; S. 390
  5. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 135
  6. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 137
  7. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 138
  8. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 141/142
  9. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 142
  10. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 144/145
  11. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 145
  12. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 146
  13. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 146/147
  14. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 148
  15. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 149
  16. Literaturtheorie im deutschen Mittelalter; Haug, Walter ;Darmstadt, 2009; S. 150/151