Die Ständegesellschaft der Tiere in "Reinhart Fuchs": Unterschied zwischen den Versionen
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Der Artikel verbindet eine Analyse der Herrschaftshierarchie der Tiere vom "kleinen" bis zum "größten" Tier mit der Interpretation der einhergehenden Parallelen zur Standesgesellschaft des Mittelalters mit Fokus auf verborgene sozialkritische Haltungen des Autors zu Macht und Ordnung. | Der Artikel verbindet eine Analyse der Herrschaftshierarchie der Tiere vom "kleinen" bis zum "größten" Tier mit der Interpretation der einhergehenden Parallelen zur Standesgesellschaft des Mittelalters mit Fokus auf verborgene sozialkritische Haltungen des Autors zu Ideal, Macht und Ordnung. | ||
Eine weiterführenden Diskussion ergründet | Eine weiterführenden Diskussion ergründet dann, wie die Differenz zwischen idealisierter Ordnung und demaskierter Wahrheit eine "Sprengung der Herrschaftshierarchie" bedingen kann. | ||
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Lange vor der Zeit von freier Marktwirtschaft und dem Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" war die soziale Ordnung des Alltags noch äußerst streng gegliedert. Von Gott gegeben - so könnte man sagen - fügten sich die Menschen in einen ihnen angeborenen Stand ein, der spezifische Rechte, Pflichten, Privilegien und gesellschaftliche Funktionen vorsah. So betete man unterwürfig, verteidigte das Vaterland oder - wie die meisten es taten - arbeitete mit dem Ziel seinen Teil zum gemeinsamen Leben beizutragen. Dass diese von Gott/Natur gegebene Ordnung allenfalls eine idealisierte Ordnung, keinesfalls aber eine Abbildung der Wirklichkeit ist, sollte noch früh genug klar werden. Gerade im (Spätmittelalter) erwiesen sich die einst so unüberwindbaren Grenzen des theoretischen Konstrukts - ganz zum Leidwesen der Konstrukteure - immer mehr als überwindbar. Kunst und Literatur nahmen diese "soziale Mobilität" auf und es ist nicht verwunderlich, dass auch sozialkritische Tendenzen mit diesem neunen "Schwung" aufkochten. Die Konstrukteure regierten mit Mahnungen zur (selbstverständlichen) Normativität. Viel interessanter sind aber diejenigen Autoren, die die reale Situation erkannten und mit kluger Manier den sozialen Umschwung ihrer Zeit in Veröffentlichungen manifestierten. | Lange vor der Zeit von freier Marktwirtschaft und dem Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" war die soziale Ordnung des Alltags noch äußerst streng gegliedert. Von Gott gegeben - so könnte man sagen - fügten sich die Menschen in einen ihnen angeborenen Stand ein, der spezifische Rechte, Pflichten, Privilegien und gesellschaftliche Funktionen vorsah. So betete man unterwürfig, verteidigte das Vaterland oder - wie die meisten es taten - arbeitete mit dem Ziel seinen Teil zum gemeinsamen Leben beizutragen. Dass diese von Gott/Natur gegebene Ordnung allenfalls eine idealisierte Ordnung, keinesfalls aber eine Abbildung der Wirklichkeit ist, sollte noch früh genug klar werden. Gerade im (Spätmittelalter) erwiesen sich die einst so unüberwindbaren Grenzen des theoretischen Konstrukts - ganz zum Leidwesen der Konstrukteure - immer mehr als überwindbar. Kunst und Literatur nahmen diese "soziale Mobilität" auf und es ist nicht verwunderlich, dass auch sozialkritische Tendenzen mit diesem neunen "Schwung" aufkochten. Die Konstrukteure regierten mit Mahnungen zur (selbstverständlichen) Normativität. Viel interessanter sind aber diejenigen Autoren, die die reale Situation erkannten und mit kluger Manier den sozialen Umschwung ihrer Zeit in Veröffentlichungen manifestierten. | ||
Einer der Werke, die um die Zeit des (Spätmittelalters) erschien, war der "Reinhart Fuchs" des "Heinrich von Glichezare", welcher der (Versuchs-)Gegenstand dieses Artikels sein soll. Interessant wäre es zu sehen, wie hier die soziale Situation des | Einer der Werke, die um die Zeit des (Spätmittelalters) erschien, war der "Reinhart Fuchs" des "Heinrich von Glichezare", welcher der (Versuchs-)Gegenstand dieses Artikels sein soll. Interessant wäre es zu sehen, wie hier die soziale Situation des Mittelalters mit den Mitteln des Autors dargestellt wird. So ergibt sich die Leitfrage dieses Unternehmens: | ||
''Wie wird die Gesellschaft der Tiere in "Rheinhart Fuchs" dargestellt und welche Parallelen zieht diese zur Ständegesellschaft des Mittelalters?'' | ''Wie wird die Gesellschaft der Tiere in "Rheinhart Fuchs" dargestellt und welche Parallelen zieht diese zur Ständegesellschaft des Mittelalters?'' | ||
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(Denn im Climax der Erzählung gelingt es der Hauptfigur Grenzen zu überwinden und mit gewissen Mitteln zum Kollabs der Herrscherhierarchie beizutragen. | (Denn im Climax der Erzählung gelingt es der Hauptfigur Grenzen zu überwinden und mit gewissen Mitteln zum Kollabs der Herrscherhierarchie beizutragen. | ||
Wo in den Ständen ist Reinhart zu verorten? | Wo in den Ständen ist Reinhart zu verorten? Nur der Adel von der Kritik oder dem Hinweis auf Gefahr betroffen? Welchen Stand spricht Heinrich direkt an? Wer ist das Publikum des Werks? Klerus und Buman nur wenig genannt...weshalb? Kritik nur an feudaler Gesellschaft? Alle von Namen sind Adel? | ||
Version vom 25. Mai 2020, 23:29 Uhr
Wegweiser
Der Artikel verbindet eine Analyse der Herrschaftshierarchie der Tiere vom "kleinen" bis zum "größten" Tier mit der Interpretation der einhergehenden Parallelen zur Standesgesellschaft des Mittelalters mit Fokus auf verborgene sozialkritische Haltungen des Autors zu Ideal, Macht und Ordnung. Eine weiterführenden Diskussion ergründet dann, wie die Differenz zwischen idealisierter Ordnung und demaskierter Wahrheit eine "Sprengung der Herrschaftshierarchie" bedingen kann.
Einführung in das Theorem
Lange vor der Zeit von freier Marktwirtschaft und dem Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" war die soziale Ordnung des Alltags noch äußerst streng gegliedert. Von Gott gegeben - so könnte man sagen - fügten sich die Menschen in einen ihnen angeborenen Stand ein, der spezifische Rechte, Pflichten, Privilegien und gesellschaftliche Funktionen vorsah. So betete man unterwürfig, verteidigte das Vaterland oder - wie die meisten es taten - arbeitete mit dem Ziel seinen Teil zum gemeinsamen Leben beizutragen. Dass diese von Gott/Natur gegebene Ordnung allenfalls eine idealisierte Ordnung, keinesfalls aber eine Abbildung der Wirklichkeit ist, sollte noch früh genug klar werden. Gerade im (Spätmittelalter) erwiesen sich die einst so unüberwindbaren Grenzen des theoretischen Konstrukts - ganz zum Leidwesen der Konstrukteure - immer mehr als überwindbar. Kunst und Literatur nahmen diese "soziale Mobilität" auf und es ist nicht verwunderlich, dass auch sozialkritische Tendenzen mit diesem neunen "Schwung" aufkochten. Die Konstrukteure regierten mit Mahnungen zur (selbstverständlichen) Normativität. Viel interessanter sind aber diejenigen Autoren, die die reale Situation erkannten und mit kluger Manier den sozialen Umschwung ihrer Zeit in Veröffentlichungen manifestierten.
Einer der Werke, die um die Zeit des (Spätmittelalters) erschien, war der "Reinhart Fuchs" des "Heinrich von Glichezare", welcher der (Versuchs-)Gegenstand dieses Artikels sein soll. Interessant wäre es zu sehen, wie hier die soziale Situation des Mittelalters mit den Mitteln des Autors dargestellt wird. So ergibt sich die Leitfrage dieses Unternehmens: Wie wird die Gesellschaft der Tiere in "Rheinhart Fuchs" dargestellt und welche Parallelen zieht diese zur Ständegesellschaft des Mittelalters?
Der vorliegende Artikel soll die versteckte Disposition des "Spielmanns" gegenüber der sozialen Hierarchie seiner Zeit ans Licht bringen. Ziel ist es am Ende ein (kritisches) Bild der Ständegesellschaft des (Spätmittelalters) zu erhalten.
(Denn im Climax der Erzählung gelingt es der Hauptfigur Grenzen zu überwinden und mit gewissen Mitteln zum Kollabs der Herrscherhierarchie beizutragen. Wo in den Ständen ist Reinhart zu verorten? Nur der Adel von der Kritik oder dem Hinweis auf Gefahr betroffen? Welchen Stand spricht Heinrich direkt an? Wer ist das Publikum des Werks? Klerus und Buman nur wenig genannt...weshalb? Kritik nur an feudaler Gesellschaft? Alle von Namen sind Adel?
Sicherung der Grundsatzannahme: Übersetzung exemplarischer Textbelege
Eine notwendige Prämisse für jede folgende These ist die Grundsatzannahme, dass die Tiere im "Rheinhart Fuchs" sich in ihrer Gestalt, ihren Charakteristika und in ihrem Status unter den Tieren unterscheiden. Zunächst sei also durch einige Textstellen belegt, dass die Tiere im "Reinhart Fuchs" keineswegs/nicht von der gleichen Art oder vom gleichen Stand sind. (Durch welche Charakteristika sich die Tiere unterscheiden, was das Spezifikum der Macht eines Tieres über das andere ist und in welcher Beziehung die Tiere miteinander stehen, soll noch deutlich werden.)
Es gibt solche, die groß sind.
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung daz was der helfant vnde der wisen, Das waren der Elefant und der Wisent, di dovchten Reinharten risen, welche Reinhart wie Riesen vorkamen, die hinde vnde der hirz Randolt, die Hinde und der Hirsch Randolt, die waren Ysengrine holt, welche Isengrin zugetan waren, Brvn der bere vnde daz wilde swin Brun der Bär und das Wildschwein wolden mit Ysengrine sin. wollten Isengrin zur Seite stehen. zv nennen alle mich niht bestat, Ich befleißige mich nicht alle zu nennen, swelich tier grozen lip hat, aber jedes große Tier, daz was mit Ysengrine da; war mit Isengrin da;
Es gibt solche, die klein sind.
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung der hase vnde daz kvneclin Der Hase und das Kaninchen vnd ander manic tierlin, und verschiedene andere kleine Tiere, des ich niht nennen wil, die ich nicht alle nennen will, der qvam dar vzer moze vil. kamen in unzählbaren Massen herbei.
Es gibt solche, die schön sind.
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung da was manic tier lvssam Es waren viele stattliche Tiere vnser beider kunne. unserer Verwandschaft da.
Es gibt solche, die furchterregend und stark sind.
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung mit Isengrine qvamen die svne sin, Mit Isengrin kamen dann sogleich seine Söhne manic tier vreisam und viele gefährliche Tiere; mit Ysengrine qvamen dar san;
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung ein lewe, der was Vervil genant, ein Löwe, namens Frevel, gewaltic vber daz lant. mit Verfügungsgewalt über das ganze Land, (...) si leisten alle sin gebot, sie leisten alle seinem Befehl gehorsam, er was ir herre ane got. er war nach Gott/mit Gottes Segen/bei Gott ihr Herrscher.
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung des enwolden si niht volgen, dem wollten sie nicht Folge leisten, des wart sin mvt erbolgen. dadurch wurde sein Gemüt erzürnt, vor zorne er vf die burc spranc, er sprang vor Zorn auf die Festung, mit kranken tieren er do ranc, da kämpfte er mit schwachen Tieren, in dvchte, daz iz im tete not. denn er dachte, dass er dazu verpflichtet sei/dass es notwendig ist.
Und es gibt solche, die schwach und ängstlich sind.
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung Der hase gesach des kvniges zorn, Der Hase sah den Zorn des Königs, do want er zage sin verlorn. da ahnte er, der Feigling, sein Verderben. daz ist noch der hasen sit. Das ist noch immer des Hasens Art.
Beobachtung: Die Tiere in "Reinhart Fuchs" unterscheiden sich offensichtlich durch ihre Spezies und deren biologisch-evolutionäre Eigenschaften. Die Tiere unterscheiden sich nicht nur und leben in einer pluralistischen Gemeinschaft, sondern sind an eine hierarchische Ordnung gebunden. Diese Ordnung nimmt die dargelegten Differenzen zwischen den Tieren auf und kategorisiert sie in Gattungen oder Gemeinschaften, welche auf unterschiedlicher Höhe in der hierarchischen Leiter zu verorten sind. Eine einfache hierarchische Ordnung ist erkennbar: Die großen und starken ganz oben, die schwächeren darunter. Was ist nun das Spezifikum, durch das ein Tier hierarchisch höher oder tiefer gestellt ist?