Die Ständegesellschaft der Tiere in "Reinhart Fuchs": Unterschied zwischen den Versionen

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Die Interpretation lenkt hierbei den Fokus auf verborgene kritische Aussagen des Autors zu Ideal, Gesellschaft, Macht und Ordnung und schließt mit einem Ausblick auf das Motiv, welches der Autor verfolgt haben könnte, als er solche Aussagen getroffen hat.
Die Interpretation lenkt hierbei den Fokus auf verborgene kritische Aussagen des Autors zu Ideal, Gesellschaft, Macht und Ordnung und schließt mit einem Ausblick auf das Motiv, welches der Autor verfolgt haben könnte, als er solche Aussagen getroffen hat.


==Einführung mit Hypothese==
==1. Einführung mit Hypothese==
Weshalb sollte man überhaupt eine Analyse unternehmen?  
Weshalb sollte man überhaupt eine Analyse unternehmen?  



Version vom 6. Juli 2020, 11:58 Uhr

Wegweiser

Der Artikel verbindet eine Analyse der Herrschafts-Hierarchie der Tiere in "Reinhart Fuchs" vom "kleinen" bis zum "größten" Tier mit einer Interpretation der einhergehenden Parallelen zur Standesgesellschaft des Mittelalters. Die Interpretation lenkt hierbei den Fokus auf verborgene kritische Aussagen des Autors zu Ideal, Gesellschaft, Macht und Ordnung und schließt mit einem Ausblick auf das Motiv, welches der Autor verfolgt haben könnte, als er solche Aussagen getroffen hat.

1. Einführung mit Hypothese

Weshalb sollte man überhaupt eine Analyse unternehmen?

Der Autor weißt implizit darauf hin, dass man sich die Tiere näher anschauen sollte. Sie sind neben ihrer Tiergestalt nur zu geringem Teil wirklich "Tier". Den Grund der Analyse bildet der Umstand, dass sich der Autor dazu entschloss, den Tieren in Reinhart Fuchs unübersehbare menschliche Eigenschaften zuzusprechen. Somit ist es uns möglich, diese als Abbilder/Karikaturen von Menschen zu sehen und ultimativ Parallelen zwischen ihrem Zusammenleben und dem Zusammenleben der Menschen zur Lebenszeit des Autors zu ziehen. Die Idee des Autors, die hier im Hintergrund steht, wird heute auch "Anthropomorphismus" genannt. Kompatscher-Gufler beschreibt diese treffend als eine Praxis, bei der man Tieren (bis zu einem gewissen Grad) menschliche Eigenschaften zuspreche, um Analogien zu deren Welt und ihrem Erleben zu erhalten (vgl. Kompatscher-Gufler 2017, 36). Da der Autor den Tieren in dieser Manier menschliche Eigenschaften zusprach und das vermutlich nicht ohne Grund, werden sich unter deren metaphorischem Gewand der Tiergestalt noch viel mehr Inhalte verstecken.

Lange vor der Zeit von freier Marktwirtschaft und der Idee "selbstgemachter Chancen" war die soziale Ordnung des Alltags noch äußerst streng gegliedert. Von Gott gegeben - so könnte man sagen - fügten sich die Menschen in einen ihnen angeborenen Stand ein, der spezifische Rechte, Pflichten, Privilegien und gesellschaftliche Funktionen vorsah. So betete man unterwürfig, verteidigte das Vaterland oder - wie die meisten es taten - arbeitete mit dem Ziel seinen Teil zum gemeinsamen Leben beizutragen. Im Verlauf in die frühe Neuzeit erwiesen sich die einst so unüberwindbaren Grenzen des theoretischen Konstrukts - ganz zum Leidwesen der Konstrukteure - als überwindbar. Diese "sozialen Mobilität" ist nur eine der Faktoren in der die idealisierte Ordnung der Oberschicht von der Wahrheit abwich. Tatsache war: Die alltägliche Realität unterschied sich in vielerlei Hinsicht (christliche Tugend, Stände, Machtausübung) von der theoretisch idealisierten Ordnung. Die Konstrukteure regierten mit Mahnungen zur (selbstverständlichen) Normativität und Propaganda der ritterlichen bzw. geistlichen Tugenden. Viel interessanter sind aber diejenigen Autoren, denen das "idealisierte" an der Ordnung bewusst war, die Gefahr in der Differenz zur realen Situation erfassten und mit kluger Manier die tatsächlichen Verhältnisse ihrer Zeit in Veröffentlichungen manifestierten. Vielleicht sogar, um das überwiegend feudale Publikum über die Realität im Gewand der Satire aufzuklären.

Einer war "Heinrich von Glichezare" der Autor des Tierepos "Reinhart Fuchs", welcher der (Versuchs-)Gegenstand dieses Artikels sein soll. Im Hintergrund der oben aufgeführten Annahmen lässt sich folgende Hypothese aufstellen:

Der "Spielmann" lässt nicht ohne Grund Parallelen zur Ständegesellschaft des Mittelalters erahnen. Er will das vorwiegend adelige Publikum "erheitern" sich mit der gesellschaftlichen Situation auseinanderzusetzen! Genauer: Er will auf Mängel und mögliche Gefahren der realen Ordnung hinweisen.

2. Die Analyse

Die Analyse soll methodisch die Gesellschaft der Tiere von den groben hin zu den besonderen Strukturen durchleuchten. Um die grundlegendsten Strukturen der Ordnung zu analysieren, ist es naheliegend nach notwendigen Bedingungen - d.h. Existenzbedingungen - für grundlegende hierarchische Strukturen zu suchen. Eine simple hierarchische Ordnung verlangt mindestens zwei notwendige Grundsatzannahmen. Die Figuren in der Ordnung müssen sich (1) im allgemeinen wie im besonderen voneinander unterscheiden und (2) ein Kriterium dieser Unterscheidung (das Spezifikum) muss den Grund dafür darstellen, dass die Figur eine bestimmte hierarchische Position einnimmt.

2.1 Sicherung der Grundsatzannahmen: Übersetzung exemplarischer Textbelege

Zunächst sei also durch einige Textstellen belegt, dass die Tiere im "Reinhart Fuchs" (1) keineswegs von der gleichen Art sind und (2) bei einigen eine spezifische Eigenschaft besonderes ausgeprägt ist, welche ihnen eine hohe Position in der Hierarchie zusichert.

(1) Die Tiere unterscheiden sich grundlegend voneinander.

Es gibt solche, die groß sind.

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
daz was der helfant vnde der wisen, Das waren der Elefant und der Wisent,
di dovchten Reinharten risen, welche Reinhart wie Riesen vorkamen,
die hinde vnde der hirz Randolt, die Hinde und der Hirsch Randolt,
die waren Ysengrine holt, welche Isengrin zugetan waren,
Brvn der bere vnde daz wilde swin Brun der Bär und das Wildschwein
wolden mit Ysengrine sin. wollten Isengrin zur Seite stehen.
zv nennen alle mich niht bestat, Ich befleißige mich nicht alle zu nennen,
swelich tier grozen lip hat, aber jedes große Tier,
daz was mit Ysengrine da; war mit Isengrin da;
(vgl. RF, V. 1103-1111)

Es gibt solche, die klein sind.

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
der hase vnde daz kvneclin Der Hase und das Kaninchen
vnd ander manic tierlin, und verschiedene andere kleine Tiere,
des ich niht nennen wil, die ich nicht alle nennen will,
der qvam dar vzer moze vil. kamen in unzählbaren Massen herbei.
(vgl. RF, V. 1113-1120)

Es gibt solche, die schön sind.

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
da was manic tier lvssam Es waren viele stattliche Tiere
vnser beider kunne. unserer Verwandschaft da.
(vgl. RF, V. 1220-1221)

Es gibt solche, die furchterregend und stark sind.

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
mit Isengrine qvamen die svne sin, Mit Isengrin kamen dann sogleich seine Söhne
manic tier vreisam und viele gefährliche Tiere;
mit Ysengrine qvamen dar san;
(vgl. RF, V. 1188-1190)

Es gibt solche die Klug oder Weise sind.

(2) Es gibt ein Spezifikum, welches einerseits ein weiteres Unterscheidungskriterium bildet und andererseits die Position in der Hierarchie rechtfertigt.

Ist das Spezifikum von hohem Grad, besteigt man eine hohe Position.

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
ein lewe, der was Vervil genant, ein Löwe, namens Frevel,
gewaltic vber daz lant. mit Verfügungsgewalt über das ganze Land,
(...)
si leisten alle sin gebot, sie leisten alle seinem Befehl gehorsam,
er was ir herre ane got. er war nach Gott/mit Gottes Segen/bei Gott ihr Herrscher.
(vgl. RF, V. 1241-1242; 1245-1246)
Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
des enwolden si niht volgen, dem wollten sie nicht Folge leisten,
des wart sin mvt erbolgen. dadurch wurde sein Gemüt erzürnt,
vor zorne er vf die burc spranc, er sprang vor Zorn auf die Festung,
mit kranken tieren er do ranc, da kämpfte er mit schwachen Tieren,
in dvchte, daz iz im tete not. denn er dachte, dass er dazu verpflichtet sei/dass es notwendig ist.
(vgl. RF, V. 1255-1259)

Ist das Spezifikum von niedrigem Grade, bleibt man auf einer niedrigeren Position.

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Der hase gesach des kvniges zorn, Der Hase sah den Zorn des Königs,
do want er zage sin verlorn. da ahnte er, der Feigling, sein Verderben.
daz ist noch der hasen sit. Das ist noch immer des Hasens Art.
(vgl. RF, V. 1481-1483)

Die angeführten Textbelege lassen sich folgendermaßen in die Gesamthandlung einordnen: Textbelege (1) und (2) sind Ausschnitte aus dem Anfang der Gerichttags-Episode. Reinhart gewinnt schnell wieder die Überhand über das Geschehen und die Tiere um sich. Nach einer ganzen schmachvollen Episode, in der Ysengrin auf verschiedenste Weisen von Reinhart gedemütigt und entmannt wurde, konnte sich selbiger wieder mit seiner Familie vereinigen und ist zur Fehde entschlossen. Einem Verwandten des Fuchses, dem Luchs, ist es zu verdanken, dass doch ein rechtlicher Weg einschlagen wurde. Er bewirkt einen Gerichtstag, an dem Reinhart sich verantworten soll. Den Anfang dieses Gerichtages macht eine Aufzählung der Teilnehmer, welche zum Teil in (1) und (2) wiederzufinden ist. Unglücklicherweise ist jene Tagung nicht von langer Dauer und führt zu einer plötzlichen Flucht des Angeklagten mit anschließender Verfolgungsjagd bis in einen Dachsbau. Damit nicht genug, lässt sich der Verfolgte nochmals zu einer Untat an der Frau des Klägers herab. Textbelege (3) und (4) schließen direkt daran an. Denn der bestürzte Ysengrin kam nur allzu spät mit seinem in (4) beschriebenen Gefolge hinterher, um eine Chance zu haben, den Missbrauch an seiner Gattin zu verhindern. Mit diesem Unglück konfrontiert, bricht er ihn große Klagen aus. Er nennt unter anderem die glückliche Heirat des Paares (3), währenddessen der Täter schon längst geflohen ist. Damit endet die Episode des Gerichtstags.

Textbelege (5) und (6) sind Ausschnitte aus einer Zwischenepisode, welche direkt auf die Gerichtags-Episode folgt und den Ursprung der handlungskonstitutiven Krankheit, an der der König leidet, erklären soll. Der in (5) beschriebene König hat einen Landesfrieden beschlossen. Doch als er auf ein Ameisenvolk stößt, fordert er die unweigerliche Gefolgschaft der Ameisen. Nach der Weigerung der Ameisen den Befehlen des Königs folge zu leisten (6), überspringt dieser ein Ultimatum und erklärt dem kleinen Volk kurzerhand den Krieg. Der Ameisenherr kommt zu spät zum Geschehen hinzu und erfährt von seinem aufgebrachten Volk, ihre vortrefflichen Burgen seien von dem Tyrann zerstört worden. Mit Rache in Absicht kriecht der Ameisenherr in einer ruhigen Minute in das Ohr des Königs, um dem Kriegstreiber schreckliche Kopfschmerzen zu bescheren. Der "Vrevel", von Kopfschmerzen heimgesucht, deutet dies als ein Urteil Gottes aufgrund der Versäumnis des Gerrichtags und ruft prompt einen Hoftag ein. Dieser Hoftag bildet eine erneute Gerichtssituation, in der nun aber der König auf dem Richterstuhl sitzt. Ysengrin trägt, in Abwesenheit von Rheinhart, dem Plenum seine Klagen vor, in deren Anbetracht die Wut des Königs erneut entfacht wird (7). Nach dreimaliger Vorladung erscheint dann doch Reinhart, dessen Anwesenheit eine Kette von Ereignissen bedingt, die ultimativ zum Kollaps des Herrschaftskonstrukts und damit zum Klimax der Erzählung führt.

2.2 Die Ordnung im Allgemeinen

Aus den Grundannahmen lässt sich schließen, dass sich die Tiere in "Reinhart Fuchs" durch unterscheiden durch ihre Spezies und deren biologisch-evolutionäre Eigenschaften. Ferner unterscheiden sich die Tiere nicht nur und leben in einer offenen pluralistischen Gemeinschaft, sondern sind an eine hierarchische Ordnung gebunden. Diese Ordnung verlangt eben diese dargelegten Differenzen und sortiert selbige nach einem Kriterium in eine Rangfolge. Die Tiere unterscheiden sich durch ihre Größe und ihre äußere Gestalt, welche ihnen entsprechende Kräfte geben, sodass das große und füllige Tier kräftiger ist als das kleine und schmächtige. Diejenigen Tiere, die nun durch ihre Gestalt an größerer Kraft verfügen, stehen über denen, die durch ihre Gestalt weniger oder keine Kraft zur Verfügung haben. Die Stellung wird dann durch das "Betätigen der Kraft", d.h. die Gewaltausübung, gesichert und aufrechterhalten, somit ist auch die Gewaltbereitschaft ein wichtiger Faktor für die hierarchische Stellung (Man denke der Bär könnte den Löwen besiegen, aber ist gewaltbereit). Die Stellung in der Hierachie wird offentsichtlich durch die Macht eines Indiviuums über das Andere gerechtfertigt, wobei hier das Kriterium der Macht physische Kraft und Gewalt ist.

2.3 Die Ordnung im Besonderen

Dementstsprechend ist auch derjenige, der die oberste Stellung in der Hirarschie einnimmt, der Stärkste und Gewaltbereiteste, der Löwenkönig. Er nimmt eine Singuläre Postion ein und steht - in der vorherrschenden Ordnung - mit keiner anderen Figur auf einer Höhe. Er nimmt somit als oberste Instanz der Macht die Spitze einer Pyramide ein. Er ist die Figur, bei der es am einfachsten gelingt sie in eine Position einzuornen, weil es keine andere Figur gibt die über vergleichbare Verfügungsmacht verfügt als sie (oder doch?). Will man die Figuren in Reinhart Fuchs ihrer Zugehörigkeit nach in Gruppen verorten, so bietet es sich beim König an seine Vasallen, d.h. fast alle der aufgeführten Tier, und seinen Hofstaat zu ihm zu gruppieren. Das Administrat fügt sich aus allerlei weiteren furchterregenden und kräftigen Tieren zusammen. Die sich gegenseitig stützen und füreinandern bürgen. Sie, die Mitglieder dieser Gruppe, sind Sympathisanten und haben ein Gefühl der Zugehörigkeit. Sie bilden ein Hofapparat aus unterschiedlichen Organen.


Notizen: Eine weiterführende Diskussion ergründet dann, wo die kritische Aussage des Autors die größte Deutlichkeit erhält, denn die idealisierte Ordnung kann, einmal demaskiertet, auch zum Kollabs geführt werden. Es gibt also untschiedliche Tiere, von denen jeder eine Rangposition einnehmen, in ein Struktur/Ordung einordnen. Die Tiere verhalten sich entsprechend der von der Ordnung zugewiesenen Position, außer eines. Das sollte eigentlich durch seine Kraft weiter unten stehen, bedient sich aber einem anderen MErkmal der Macht zu seinem Vorteil. Diese Ordnung nimmt die dargelegten Differenzen zwischen den Tieren auf und kategorisiert sie in Gattungen oder Gemeinschaften, welche auf unterschiedlicher Höhe in der hierarchischen Leiter zu verorten sind.Die Ordnung die hier analysiert wurde gleicht also stark der typsischen Ordnung des Tierreiches. Demenstsprechend ist auch der Stärkste und Gewaltbereiteteste der, der die oberste Stellung in der Hirarschie einnimmt, der Löwenkönig. Titel und Namensgebung lassen hier schon auf eine adelige GEsellschaft schließen. Die vorherrschende Art der Macht, die physische Gewalt/Kraft, wird deutlich von einer anderen Form der Macht, die Intelligenz, bezwungen. Die Hirarchischen Kriterium Gewalt wird von der Intelligenz als Machtanspruch abgelöst, sodass Inhaber der Intelligenz in ihrer Machtstellung über den Inhabern von physischer Gewalt stehen. Kriterium der Macht wird in Frage gestellt und somit auch die bisherige Ordung. Dies führt ultimativ zur Sprengung der geläufigen Ordung und reinstantiierung einer neuen Orndung unter einem neuen Kriterium der Macht, und zwar das der Intelligenz.