Der Königinnenstreit (Nibelungenlied): Unterschied zwischen den Versionen

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Brünhild von Isenstein wird als beinah unmenschlich anmutende Frau eingeführt, welche hauptsächlich durch ihre enorme physische Stärke, aber auch durch ihre beindruckende Schönheit, charakterisiert wird: „ir gelîche enheine man wesse ninder mê, / diu was unmâzen schœne. vil michel was ir kraft.“ (Str. 324<ref> Dieser Artikel zitiert das Nibelungenlied in Strophenform nach der Textausgabe hg. von Ursula Schulze, die von Siegfried Grosse ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert wurde, vgl. hierzu [Nibelungenlied 2004]. </ref>). Die Kombination der Eigenschaften Kraft und Schönheit zeichnet Brünhild zu einem einzigartigen Frauenbild aus. Damit steht sie im Kontrast zu ihrer Rivalin [[Kriemhild (Nibelungenlied)|Kriemhild]], welche ausschließlich durch ihre überragende Schönheit definiert wird und einer männlichen Autoritätsperson bedarf, um agieren zu können. Brünhild hingegen wird als Alleinherrscherin über ihr Königreich in Island eingeführt und repräsentiert Unabhängigkeit, Autonomie und Selbstbewusstsein. Ihr kämpferisches und politisches Auftreten bricht mit dem vorherrschenden Stereotyp der Frau, was ihre Bezeichnung als Teufelsweib zur Folge hat („die ist des tîvels wîp.“ (Str. 436)). Brünhild schreckt nicht vor Gewalt zurück, um ihren Willen durchzusetzen. Sie widerspricht den höfischen Konventionen der Minne, als sie ihren Ehegatten eigens wählt: Da sie unbestrittenermaßen die stärkste Frau weit und breit ist, möchte sie sich ausschließlich mit jemandem Ebenbürtigen vermählen. Das Kriterium der Brautwerbung muss im Kampf bestanden werden: Besiegt der Werbende Brünhild, darf er sie zur Frau nehmen. Verliert er jedoch, droht ihm der Tod.  
Brünhild von Isenstein wird als beinah unmenschlich anmutende Frau eingeführt, welche hauptsächlich durch ihre enorme physische Stärke, aber auch durch ihre beindruckende Schönheit, charakterisiert wird: „ir gelîche enheine man wesse ninder mê, / diu was unmâzen schœne. vil michel was ir kraft.“ (Str. 324<ref> Dieser Artikel zitiert das Nibelungenlied in Strophenform nach der Textausgabe hg. von Ursula Schulze, die von Siegfried Grosse ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert wurde, vgl. hierzu [Nibelungenlied 2004]. </ref>). Die Kombination der Eigenschaften Kraft und Schönheit zeichnet Brünhild zu einem einzigartigen Frauenbild aus. Damit steht sie im Kontrast zu ihrer Rivalin [[Kriemhild (Nibelungenlied)|Kriemhild]], welche ausschließlich durch ihre überragende Schönheit definiert wird und einer männlichen Autoritätsperson bedarf, um agieren zu können. Brünhild hingegen wird als Alleinherrscherin über ihr Königreich in Island eingeführt und repräsentiert Unabhängigkeit, Autonomie und Selbstbewusstsein. Ihr kämpferisches und politisches Auftreten bricht mit dem vorherrschenden Stereotyp der Frau, was ihre Bezeichnung als Teufelsweib zur Folge hat („die ist des tîvels wîp.“ (Str. 436)). Brünhild schreckt nicht vor Gewalt zurück, um ihren Willen durchzusetzen. Sie widerspricht den höfischen Konventionen der Minne, als sie ihren Ehegatten eigens wählt: Da sie unbestrittenermaßen die stärkste Frau weit und breit ist, möchte sie sich ausschließlich mit jemandem Ebenbürtigen vermählen. Das Kriterium der Brautwerbung muss im Kampf bestanden werden: Besiegt der Werbende Brünhild, darf er sie zur Frau nehmen. Verliert er jedoch, droht ihm der Tod.  


Brünhilds Aktionsbereich beschränkt sich ausschließlich auf den Hof: Eingeführt in ihrem eigenen Hof auf Isenstein, verbringt sie ihr Leben nach der Heirat auf dem Hof der Burgunden in Worms. Während Brünhild den Konventionen einer Frau im höfischen Kontext in Isenstein widerspricht, indem sie dort als alleinstehende Alleinherrscherin regiert und als gewaltbereite Kriegerin auftritt, entspricht sie diesen Konventionen als Gattin von König [[Gunther (Nibelungenlied)|Gunther]] auf seinem Hof in Worms: Dort gibt sie ihre politische und soziale Autonomie auf und besitzt nur beschränkt Macht. Zudem ist sie wehrlos den Intrigen ihres Gatten und Siegfrieds ausgesetzt.
Brünhilds Aktionsbereich beschränkt sich ausschließlich auf den Hof: Eingeführt in ihrem eigenen Hof auf Isenstein, verbringt sie ihr Leben nach der Heirat auf dem Hof der Burgunden in Worms. Während Brünhild den Konventionen einer Frau im höfischen Kontext in Isenstein widerspricht, indem sie dort als alleinstehende Alleinherrscherin regiert und als gewaltbereite Kriegerin auftritt, entspricht sie diesen Konventionen als Gattin von König [[Gunther (Nibelungenlied)|Gunther]] auf seinem Hof in Worms: Dort gibt sie ihre politische und soziale Autonomie auf und besitzt nur beschränkt Macht. Zudem ist sie wehrlos in dem Netz aus Lügen gefangen, welches ihr Gatte und [[Siegfried (Nibelungenlied)|Siegfried]] spinnen. Dieses Lügennetz beinhaltet die sogenannte Dienstmannslüge und Brünhilds Vergewaltigung durch [[Siegfried (Nibelungenlied)|Siegfried]], mit welchen vor Brünhild die Überlegenheit von [[Gunther (Nibelungenlied)|Gunther]] vor [[Siegfried (Nibelungenlied)|Siegfried]] und dessen Kraft bewiesen werden soll.  


Als es zum Königinnenstreit zwischen Brünhild und Kriemhild kommt, wird ersichtlich, dass sich Brünhild nach ihrer Heirat nicht mehr durch ihre eigene physische sowie mentale Stärke und Autonomie definiert, sondern durch die hierarchische Stellung ihres Mannes. Durch diese bestimmt sie ihren eigenen Selbstwert, wie es den damaligen sozioökonomischen Normen entspricht.  
Als es zum Königinnenstreit zwischen Brünhild und Kriemhild kommt, wird ersichtlich, dass sich Brünhild nach ihrer Heirat nicht mehr durch ihre eigene physische sowie mentale Stärke und Autonomie definiert, sondern durch die hierarchische Stellung ihres Mannes. Durch diese bestimmt sie ihren eigenen Selbstwert, wie es den damaligen sozioökonomischen Normen entspricht.  

Version vom 28. August 2020, 10:33 Uhr