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== Hagen als Heros ==
== Hagen als Heros ==
Hagen von Tronje ist im zweiten Teil der Nibelungensage gemeinsam mit seiner Gegenspielerin [[Kriemhild (Nibelungenlied)|Kriemhild]] die Hauptperson. [Backenköhler 1961: S.58] Die Figur macht hierbei eine Wende um 360 Grad, denn während der Hagen des ersten Teils sich als treuloser Verräter zeigt, ist der Hagen des zweiten Teils ein unbeugsamer Held von wahrer Seelengröße, aber auch gleichzeitig weiterhin ein "Inbild der Vasallität" [Zimmermann 2020: S. 77], daher ist seine Handlungsmotivation stets das Wohlergehen der Königsfamilie und das des Burgundenvolks. Er hält den Königen den Rücken frei mit dem Erledigen unliebsamer Aufgaben und gilt im zweiten Teil als Hauptträger staatsmännischen Handelns (Backenköhler S. 58). Kriemhild den Hort zu entziehen und ihn anschließend im Rhein zu versenken, geschieht allein auf Hagens Verantwortung, was den Königen die Möglichkeit gibt, die bröckelnde Familienehre zu wahren. Die Fortnahme des Horts ist nur das erste Glied einer Kette von Vorsichtsmaßnahmen (Rat gegen die Werbung Etzels, Weigerung den Schatz herauszugeben, Abraten von der Fahrt an den Etzelhof), die Hagen unternimmt, um die Burgunden vor ihrem Untergang zu wahren, mit denen er aber nicht durchdringen kann ( Backenköhler S.60). Bis dahin handelt Hagen weitestgehend als höfischer Vasall, der seinen Herren treu ergeben ist und akzeptiert, dass seine gut gemeinten Ratschläge nicht angenommen werden. Die Fahrt zu Etzels Hof bestreitet Hagen als Führer der Burgunden, was symbolisch für seine Rolle als Führer in den Untergang steht (Backenköhler S. 62). Sie kennzeichnet auch den Beginn der Entwicklung Hagens zu einer Heldengestalt in der Erzählung. Hagen hat zudem Kenntnis über den Etzelhof und kennt den Weg dorthin von Kindesbeinen an.  
Hagen von Tronje ist im zweiten Teil der Nibelungensage gemeinsam mit seiner Gegenspielerin [[Kriemhild (Nibelungenlied)|Kriemhild]] die Hauptperson. [Backenköhler 1961: S.58] Die Figur macht hierbei eine Wende um 360 Grad, denn während der Hagen des ersten Teils sich als treuloser Verräter zeigt, ist der Hagen des zweiten Teils ein unbeugsamer Held von wahrer Seelengröße, aber auch gleichzeitig weiterhin ein "Inbild der Vasallität" [Zimmermann 2020: S. 77], daher ist seine Handlungsmotivation stets das Wohlergehen der Königsfamilie und das des Burgundenvolks. Er hält den Königen den Rücken frei mit dem Erledigen unliebsamer Aufgaben und gilt im zweiten Teil als Hauptträger staatsmännischen Handelns. [Backenköhler 1961: S. 58] [[Kriemhild (Nibelungenlied)|Kriemhild]] den Hort zu entziehen und ihn anschließend im Rhein zu versenken, geschieht allein auf Hagens Verantwortung, was den Königen die Möglichkeit gibt, die bröckelnde Familienehre zu wahren. Die Fortnahme des Horts ist nur das erste Glied einer Kette von Vorsichtsmaßnahmen (Rat gegen die Werbung Etzels, Weigerung den Schatz herauszugeben, Abraten von der Fahrt an den Etzelhof), die Hagen unternimmt, um die Burgunden vor ihrem Untergang zu wahren, mit denen er aber nicht durchdringen kann. [Backenköhler 1961: S.60] Bis dahin handelt Hagen weitestgehend als höfischer Vasall, der seinen Herren treu ergeben ist und akzeptiert, dass seine gut gemeinten Ratschläge nicht angenommen werden. Die Fahrt zu Etzels Hof bestreitet Hagen als Führer der Burgunden, was symbolisch für seine Rolle als Führer in den Untergang steht. [Backenköhler 1961: S. 62] Sie kennzeichnet auch den Beginn der Entwicklung Hagens zu einer Heldengestalt in der Erzählung. Hagen hat zudem Kenntnis über den Etzelhof und kennt den Weg dorthin von Kindesbeinen an.  


=== Hagen auf der Überfahrt ===
=== Hagen auf der Überfahrt ===

Version vom 31. August 2020, 15:14 Uhr


Hagen von Tronje

Höfische vs. Heroische Sphäre

Um Hagen als Person zu verstehen, ist es wichtig, die Differenzierung zwischen der höfischen und heroischen Sphäre nachzuvollziehen. Der Hof zeichnet sich durch sein vorbildliches und edles Verhalten aus und ist das Zentrum zeremonieller Vielfalt, höfischer Feste, Turniere und der höfischen Sitten. Der Idealtypus der höfischen Gesellschaft findet sich in der edlen höfischen Dame oder dem edlen Ritter wieder. Weitere wichtige höfische Elemente sind beispielsweise die Brautwerbung und die dazugehörigen Hochzeiten oder höfische Empfänge mit der dazugehörigen Vorbildlichkeit an Benehmen, sowie je nach Anlass passender Kleidung. All dies findet einen ritualisierten Eingang in den höfischen Alltag. [Wenzel 1986: S.285ff.]. Demgegenüber stehen heroische Ideale und Elemente, die sich durch "êre, welche im Kampf mit einem Ritter erworben wird, einen Machtanspruch durch persönliche Leistung und Stärke und abenteuerhaften Episoden aus dem Leben einer Heldengestalt, wie das Erlegen eines Drachen durch Siegfried, auszeichnen". [Weddige 2001: S.230] [Classen 1998: S.673ff.]

Hagen als Vasall

Hagen von Tronje ist der erste Vasall, der im Lied erwähnt wird und in einem engen Treueverhältnis zu den drei Königen der Burgunden - Gernot, Gunther und Giselher - zur Königin Ute, sowie ferner ihrer Tochter Kriemhild (Str. 876 und 895) steht. Er wird wie die anderen Vasallen mit Attributen wie starc und vil küene, in scarpfen strîten unverzaget (Str. 8) beschrieben. Die Treue zu seinen Herren und Herrinnen ist für ihn die oberste Priorität und höchste Tugend seines Handelns. Sein Neffe Ortwin von Metz und sein Bruder Dankwart sind ebenfalls Bedienstete am Wormser Hof (Str. 9). Mit beispielsweise den Worten lieber vriunt Hagene (Str. 893) spricht ihn Gunther an, wodurch sein enges Verhältnis zum König und sein vorbildlicher Status am Hof erkennbar wird. Hagen dient Gunther als Ratgeber und erkennt direkt, dass Siegfried ein einflussreicher Mann von Welt ist (Str. 82). In dieser Strophe wird deutlich, dass er ein hohes Wissen auch vom Geschehen außerhalb des Hofes aufweisen kann. Er sieht in Siegfrieds nicht von Beginn an seinen Konkurrenten. Er erkennt in ihm einen Heros, was nur einem anderen Heros möglich ist. [Müller 1998: S.234f.] Durch seine ritterlichen Tugenden, wie Tapferkeit (der küene recke; Strophe 151), Schnelligkeit (snelle Hagene; Str. 1180), Mut (der degen küene unde balt; Str. 468) und Treue (wir suln in langer dienen, den wir alher gevolget hân; Strophe 699) zeichnet sich Hagen als edler höfischer Gefolgsmann aus. Hagen scheint mit seiner Position als Vasall am Hof zu verschmelzen und kaum eine Form von Individualisierung in Bezug auf seinen Charakter zuzulassen. Ihm fehlt eine menschliche Seite jenseits seiner Aufgaben als Vasall. Er nimmt sowohl heroische als auch höfische Züge an, jedoch fehlt ihm ein übergeordneter Blick auf die Dinge und die Personen, welche ihm und seinem König zu nahe kommen, womit er letztlich Freund nicht mehr von Feind zu unterscheiden mag. Im ersten Teil zeigt sich Hagen Siegfried gegenüber loyal, jedoch ändert sich dies durch den Königinnenstreit. Hagen gelobt Brünhild Rache zu nehmen für ihren Verlust der Jungräulichkeit. Diese scheint Hagen seit der 9. Aventiure für seinen König, nachdem die Kleider der Brünhild zerrissen sind, beschützen zu wollen - belîben ûf der fluot will ich bî den frouwen, behüeten ir gewant (Str. 531f.). Hier beginnt Hagens Treue gegenüber Brünhild als Frau seines Königs. Erst durch den Königinnenstreit sieht Hagen seinen Status und seine Macht am Hof bedroht. Hagen soll Bedrohungen und Unheil vom Hof fernhalten und gleichzeitig einen Machtzuwachs generieren. Die Machtfrage bringt Hagen erst im Zusammenhang mit dem Hort und Siegfried ins Spiel. Hier kann das Verlangen Hagens nach Macht einerseits auf die Gier nach dem Gold oder andererseits der Erweiterung der Macht des Reiches gesehen werden. [Müller 1998: S. 145f.] Hagen redet auf Gunther ein, bis dieser seinem Plan zustimmt. Durch den Verrat an Siegfried würde laut Hagen das Reich der Burgunden weitere Länder dazu gewinnen, jedoch stürzt dies das Reich stattdessen später ins Unheil (Str. 870). Er zieht speziell in Bezug auf die Ermordung Siegfrieds eine zu eilige Konsequenz aufgrund des Königinnenstreits, wodurch er Gunther zu seinem Plan vorschnell überredet (Str. 874ff.). Er zieht seinen Plan Siegfried zu ermorden durch und nutzt die Information seiner Herrin Kriemhild, welche ihm sagt, an welcher Stelle Siegfried verwundbar ist, schamlos aus, nicht um den Helden zu schützen, sondern ihn von hinten zu töten (Str. 902 und 986). Auf der einen Seite kann Hagen im ersten Teil als Verräter und Mörder Siegfrieds gesehen werden, welcher durch untriuwe und übermuot einen eigentlichen Freund des Königs als Feind verkennt. Auf der anderen Seite ist er ein treuer und furchtloser Vasall, der dem Haus der Burgunden voller êre dient.

Hagen als Heros

Hagen von Tronje ist im zweiten Teil der Nibelungensage gemeinsam mit seiner Gegenspielerin Kriemhild die Hauptperson. [Backenköhler 1961: S.58] Die Figur macht hierbei eine Wende um 360 Grad, denn während der Hagen des ersten Teils sich als treuloser Verräter zeigt, ist der Hagen des zweiten Teils ein unbeugsamer Held von wahrer Seelengröße, aber auch gleichzeitig weiterhin ein "Inbild der Vasallität" [Zimmermann 2020: S. 77], daher ist seine Handlungsmotivation stets das Wohlergehen der Königsfamilie und das des Burgundenvolks. Er hält den Königen den Rücken frei mit dem Erledigen unliebsamer Aufgaben und gilt im zweiten Teil als Hauptträger staatsmännischen Handelns. [Backenköhler 1961: S. 58] Kriemhild den Hort zu entziehen und ihn anschließend im Rhein zu versenken, geschieht allein auf Hagens Verantwortung, was den Königen die Möglichkeit gibt, die bröckelnde Familienehre zu wahren. Die Fortnahme des Horts ist nur das erste Glied einer Kette von Vorsichtsmaßnahmen (Rat gegen die Werbung Etzels, Weigerung den Schatz herauszugeben, Abraten von der Fahrt an den Etzelhof), die Hagen unternimmt, um die Burgunden vor ihrem Untergang zu wahren, mit denen er aber nicht durchdringen kann. [Backenköhler 1961: S.60] Bis dahin handelt Hagen weitestgehend als höfischer Vasall, der seinen Herren treu ergeben ist und akzeptiert, dass seine gut gemeinten Ratschläge nicht angenommen werden. Die Fahrt zu Etzels Hof bestreitet Hagen als Führer der Burgunden, was symbolisch für seine Rolle als Führer in den Untergang steht. [Backenköhler 1961: S. 62] Sie kennzeichnet auch den Beginn der Entwicklung Hagens zu einer Heldengestalt in der Erzählung. Hagen hat zudem Kenntnis über den Etzelhof und kennt den Weg dorthin von Kindesbeinen an.

Hagen auf der Überfahrt

Die Weissagung der drei Wasserfrauen und Hagens Reaktion darauf zeigen Hagens Entwicklung, denn er wird vom „vornherein Wissenden, der zuerst selbst das Verhängnis glaubte abwenden zu können, [...] zu dem, der bewusst das Schicksal auf sich nimmt und vollstreckt.“ (Backenköhler S. 62). Hagens Hinnahme der Weissagung lässt darauf schließen, dass sie lediglich sein eigenes Wissen bestätigt haben und deshalb ihre Vorhersage des Verderbens nicht zu ahnden braucht (Backenköhler S.62f.). Die Überfahrt mit dem Fährkahn und der Kampf mit dem Fährmann bringen den heroischen Charakter Hagens zur Geltung. Er erschlägt den Fährmann aus reiner Notwehr, da dieser versucht, ihn gewaltsam vom Schiff zu vertreiben. Hagen ist hier wie bei der Begegnung mit den Wasserfrauen veredelt.( Vgl. Backenköhler S. 62). der Fährmann hat seinen eigenen Tod selbst verschuldet( Backenköhler S. 64). Der Ruderbruch während der Fahrt steht für Hagens Stärke und ereignet sich, als der Held das vom Strom abgetriebene Fahrzeug wenden muss. Auch die schnelle Ausbesserung mit dem Schildband kehrt geistesgegenwärtige Kraft und Geschicklichkeit Hagens hervor. Durch die Rettung des Kaplans und die anschließende Schiffszerstörung sind alle Gesten der Schicksalskenntnis und -bejahung auf Hagen übertragen worden. Er bleibt also seiner Rolle als heroischer Führer in den Untergang treu. Trotz seiner Führungsrolle ist er auf der Reise weiterhin um das Wohl seiner Herren besorgt und übernimmt freiwillig die Nachhut, als es ins Land der Bayern geht, um die Könige mit der Nachricht von dem Kampfe zu verschonen. (Backenköhler S. 65). Der Kampf mit Gelfrat hinterlässt jedoch einen Kratzer im bis dato makellosen Heldenbild. Hagen muss seinen Bruder Dankwart um Hilfe bitten, um ihn zu besiegen. Die Szene ist bei Weitem nicht die einzige, in der Hagens heroische Seite ambivalent wird.

Hagen am Etzelhof

Die Ankunft am Etzelhof macht deutlich, dass Hagen der Exponent des kommenden Geschehens sein soll. Schon beim Eintritt wird er als Ziel aller Blicke genannt und ihm als einzigen Helden eine ausführliche Beschreibung seines Äußeren gewidmet. In der Frage Etzels nach Hagen wird zudem auch die Gesetzlichkeit der heroischen Welt alter mæren markiert ( Zimmermann S. 91). Je länger Hagen am Etzelhof weilt, desto öfter beginnt er seine höfische Art abzulegen, frei nach dem Motto: Dem, der ihm feindlich ist, erweist er keine Ehre (Backenköhler S. 69). Somit fühlt er sich auch gegenüber Kriemhild an keine Regel ritterlichen Anstands mehr gebunden, was die Handlung zu einem Wechsel von Aktion und Reaktion der beiden Gegenspieler Hagen und Kriemhild werden lässt. Auf Hagens Verletzung der Königinnenwürde folgt der nächtliche Überfall der Hunnen, den Hagens und Volkers Wacht vereitelt. Die Aufforderung an die Burgunden, gewappnet zur Kirche zu gehen, die Täuschung des arglosen Etzel über den Grund ihres Aufzugs, die Bestärkung Volkers in seinem Vorsatz, den hunnischen Stutzer beim Turnier hart anzurennen, alles zeigt Hagens Bestrebungen, auch nicht die geringste Feindseligkeit oder Missachtung hinzunehmen (Backenköhler S. 69). Hagen ist nicht mehr bereit sich gegenüber irgendwem unterzuordnen, wie es im ersten Teil der Fall war. Als Held weicht er nicht mehr von seiner Linie ab, auch oder gerade weil diese in den Untergang der Burgunden führen wird. Im Schlusskampf ist Hagen als der führende Streiter auf Seiten der Burgunden herausgestellt, der sich gemeinsam mit Volker und Dankwart fast in eine Art Mordrausch kämpft (Backenköhler S. 74). Interessant ist hier, dass die eigentlichen Vasallen der Könige vorneweg gehen und die Rädelsführer im Kampf gegen die Hunnen darstellen, womit den Königen fast nichts anderes übrigbleibt, als ihnen zu folgen. Hagen ist omnipräsent im Kampfgeschehen. Er delegiert (schickt Volker seinem Bruder Dankwart zur Hilfe an die Saalpforte), kommentiert (lobt Volkers Kühnheit vor Gunther)kämpft selbst (bezwingt Iring in einem Schlüsselkampf) (Backenköhler S. 75). Dass Kriemhild aus Angst, Etzel könnte verlieren, ihren Mann nicht in den Zweikampf mit Hagen schickt, unterstreicht noch einmal Hagens Stärke. Dass Hagen während des Saalbrands den Burgunden rät, Blut zu trinken, um nicht zu verdursten, charakterisiert seine Entschlossenheit zum Äußersten zu gehen. Hildebrand nennt ihn sogar einen „tiuvel“ als er verwundet von dem Kampf gegen ihn zurückkehrt, was Hagen nun sogar ins Dämonische steigert. (Backenköhler S. 76). Als von den Nibelungen nur noch Hagen und Gunther und von den Amelungen allein Dietrich und Hildebrand am Leben sind, unterbindet Hagen die von Dietrich ausgesprochene Unterwerfungsaufforderung heroisch mit dem Hinweis, dass es sich für zwei Helden nicht gezieme, kampflos aufzugeben. (Zimmermann S. 96). Im letzten Akt der Erzählung ist Hagen trotz seines Todes Triumphator, da der letzte Mitwisser Gunther vor ihm stirbt und Hagen mit der Verweigerung des Hortes im Tod über Kriemhild triumphiert (Backenköhler S. 77).

Es gibt jedoch einen weiteren negativen Aspekt, der Hagens Heldenstellung schmälert. Im heldenepischen Erzählen ist der Gewinn heroischer Trophäen elementarer Bestandteil der Erzählungen vom Held-Sein (Zimmermann S. 86). Erst mit dem Moment von Siegfrieds Ermordung beginnt Hagen damit, heroische Dinge anzusammeln: Zuerst übernimmt er Siegfrieds Schwert Balmung, dann den Nibelungenschatz, den er obendrein im Rhein versenken lässt, und schließlich begehrt er während des Aufenthaltes in Bechelaren von Gotelind den Schild Nudungs als Gabe. Im Gegensatz zu Siegfried, der seine Trophäen im Kampf und durch heroische Taten in seinen Besitz bringen konnte, erreicht Hagen diese Dinge nur durch Mord, Raub und Dreistigkeit (Zimmermann S. 87).

Hagen als Freund

Hagen und die Burgunden

Hagen kann sich uneingeschränkt auf die Loyalität seiner nahen Blutsverwandten verlassen: Dazu gehören sein jüngerer Bruder Dankwart und sein Neffe/Schwestersohn Ortwin von Metz. Dankwart rettet seinem Bruder im Kampf mit dem bayerischen Markgrafen Gelfrat das Leben, Ortwin solidarisiert sich in der Mordratszene mit seinem Onkel, auch er fordert Sivrits Tod. Mit den burgundischen Königen Gunther, Gernot und Giselher ist Hagen nur entfernt verwandt, jedoch besteht auch zwischen ihnen ein Band des gegenseitigen Vertrauens. Hagen ist ihr wichtigster Berater. Mehrfach wird er als ‚vriunt Hagene‘ bezeichnet, an einer Stelle sogar als ‚trôst der Nibelunge‘ (Str. 1723). Hagen ist für die Burgunden unentbehrlich. Gerade im zweiten Teil des Nibelungenlieds leistet er vielen ‚Freundesdienste‘: Als die Kämpfe im Saal zu lange toben, fordert Hagen einige Männer auf, die Helme abzubinden, sie sollen sich auf die toten Körper setzen und ausruhen, Hagen werde mit seinen engsten Waffenbrüdern die Angreifer solange in Schach halten (Str. 2078). Als Kriemhilt den Saal schließlich in Brand stecken lässt, spricht Hagen den Männern Mut zu, er rät, das Blut der Gefallenen zu trinken, um den quälenden Durst zu lindern (Str. 2111). Hagen spendet Trost und Zuversicht, er versucht den Kampfgeist der Männer aufrecht zu halten. Auch wird im zweiten Teil des Nibelungenliedes Hagens enge Freundschaft zu Volker von Alzey, Spielmann und Fiedler am burgundischen Hof, evident: Seit der Ankunft an Etzels Hof sind die beiden unzertrennlich, Hagen ist stets in Volkers Gesellschaft anzutreffen (Str. 1756). Volker sitzt mit Hagen auf der Bank vor Kriemhilts Saal, um sie bewusst zu kränken – Hagen hat Sivrits Schwert Balmung quer über den Knien liegen, beide weigern sich vor der Königin aufzustehen, um sie zu grüßen, beide sind bewaffnet und tragen volle Panzerung unter der höfischen Kleidung (Str. 1758). Das Hagens Wahl ausgerechnet auf diesen Gefährten fiel, hat seinen Grund: Kriemhilt warnt die Hunnen vor Volker, er sei sogar noch stärker als Hagen, er sei ein sehr gefährlicher Mann (Str. 1765). Als das burgundische Gefolge später zu seinem Nachtquartier geleitet wird, weigern sich Hagen und Volker zu Bett zu gehen – gemeinsam halten sie Schildwacht, vereiteln den hunnischen Angriff und retten so den Burgunden vorerst das Leben.

Hagen und die Helden an Etzels Hof

Hagen ist mit Dietrich von Bern befreundet. Die beiden haben sich an Etzels Hof kennengelernt, dann aber für viele Jahre aus den Augen verloren. Ihr Wiedersehen verläuft so herzlich, dass Etzel auf die beiden Männer aufmerksam wird. Dietrich und Hagen geben sich die Hände, unterhalten sich vertraulich (Str. 1747-1748). Etzel schaut genauer hin und erkennt in Hagen den jungen Mann, der einst an seinem Hof als Geisel weilte. Er erinnert sich an ihn als guten Freund, der ihm tüchtigen Dienst erwies (Str. 1754). An Etzels Hof hat Hagen mit weiteren Männern freundlich gesinnte Bekanntschaft gemacht: Mit Walther von Spanien, der ebenfalls als politische Geisel im Kindesalter übergeben wurde. Gemeinsam haben sie zahlreiche Feldzüge im Namen Etzels erfolgreich bestritten (Str. 1794); mit dem treuen und wichtigsten Gefolgsmann Dietrichs, Hildebrand, der auch ‚alter‘ oder ‚meister‘ genannt wird. Hildebrand war Dietrichs Erzieher und Waffenmeister, fungiert nun als Vertrauter und Berater. Er zollt Hagen heroischen Tribut; und mit Rüdiger, Lehnsmann Etzels und Markgraf von Bechelaren. Rüdiger wird von Etzel als stellvertretender Brautwerber an den Wormser Hof geschickt, Etzel möchte Kriemhilt zur Frau, Rüdiger soll die Interessen seines Herrn adäquat vertreten. Bei Ankunft der fremden Delegation in Worms wird Hagen herbeigerufen, er erkennt Rüdiger sofort, sorgt für einen herzlichen Empfang. Als sich die Burgunden ihrerseits ins Hunnenland begeben, ist Rüdiger ihr Gastgeber auf Zwischenstation in Bechelaren, er nimmt sie freundlich auf, besonders zuvorkommend und hocherfreut begrüßt er Hagen, Hagens Bruder Dankwart, und Volker (Str. 1654). Beim Abschied der Burgunden erkennt Hagen Rüdigers schwelenden Konflikt: Verstrickt in nicht vereinbaren, konträren triuwe-Bindungen, die er eingegangen ist, muss Rüdiger eine Entscheidung treffen. Er kann nicht alle triuwe-Verpflichtungen gleichzeitig nachkommen, einige davon müssen gelöst werden. Mit seiner Schildbitte signalisiert Hagen, dass er die persönliche triuwe-Bindung guter Freundschaft dennoch nicht aufzugeben bereit ist, er will sie weiterhin aufrechterhalten, er will Rüdiger als Freund behalten, sollten sie sich später auf dem Schlachtfeld begegnen oder sogar töten müssen, dann von Angesicht zu Angesicht als Freund, nicht als Feind. Hagen bittet um Nudungs Schild, um Rüdiger die Gelegenheit zu bieten, „ihm noch einmal eine Freundestat zu erweisen“ (Wapnewski, S. 57). Hagen baut ihm die Bühne für einen letzten großen Auftritt: Rüdige r zeigt nochmals milte, Güte – im Akt des Schenkens, des reziproken Nehmens und Gebens spiegelt Rüdiger Hagens wahre „Seelengröße“ (Wapnewski, S. 57) genauso wie Hagen Rüdigers, eine Seelengröße, die seine eigentliche Natur ausmacht. Beide wissen, dass sie von nun an gegnerischen Lagern angehören. Hagen versteht und verzeiht.

Auch über Hagens Tod hinaus werden die Freundschaften nochmals bekräftigt: Etzel beklagt Hagens Tod lautstark – und dass, obwohl Hagen kurz zuvor seinen kleinen Sohn und einzigen Erben Ortlieb köpfte (Str. 2371) Der alte Hildebrand rächt Hagen schließlich, er erträgt nicht, dass der Held von einer Frau erschlagen wurde, zornentbrannt haut er Kriemhilt in Stücke (Str. 2373) – und dass, obwohl ihn Hagen zuvor stark an der Brust verletzte, sodass ‚Herzblut‘ seine Brünne benetzte (Str. 2307). Er hätte beinahe sein eigenes Leben an Hagen verloren.


Literaturverzeichnis

Textausgaben und Quellen

  • Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, nach der Handschrift B, hg. von Ursula Schulze, übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 2011.

Forschungsliteratur

<HarvardReferences />

  • [*Backenköhler 1961] Backenköhler, Gerd: Untersuchungen zur Gestalt Hagens von Tronje in den mittelalterlichen Nibelungendichtungen. Bonn 1961.
  • [*Classen 1998] Classen, Albrecht: Sing ich dien liuten mîniu liet. Das heroische Element im Nibelungenlied - Ideal oder Fluch? in: Tuczay C. u. A. (1998): Ir sult sprechen willlekomen: grenzenlose Mediävistik; Festschrift für Helmut Birkhan zum 60. Geburtstag. Bern 1998.
  • [*Müller 1998] Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998.
  • Wapnewski, Peter: Rüdigers Schild. Zur 37. Aventiure des ‚Nibelungenliedes‘, in: Zuschreibungen, gesammelte Schriften, hg. von Peter * * * Wapnewski und Fritz Wagner, Hildesheim 1994 (Spolia Berolinensia. Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit 4), S. 41-71.
  • [*Weddige 2001] Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik, 4. Auflage, München 2001.
  • [*Wenzel 1986] Wenzel, Horst: Ze hove und ze holze - offenlîch und tougen. Zur Darstellung und Deutung des Unhöfischen in der höfischen Epik und im Nibelungenlied. In: Kaiser, G. & Müller, J.-D. (Hrsg.). Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200. Düsseldorf 1986.
  • [*Zimmermann 2020] Zimmermann, Julia: Sagenwissen und Erinnerung an Hagen. Erzählen vom Helden im ›Nibelungenlied‹, in: Widersprüchliche Figuren in vormoderner Erzählliteratur, hg. von Elisabeth Lienert, Oldenburg 2020 (BmE Themenheft 6), S. 77-103 (online).