Egoismus (Reinhart Fuchs): Unterschied zwischen den Versionen
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|so hat er den bachen genumen || hatte er den Schinken weggenommen | |||
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| Reinhart quam spilinde unde geil, || Reinhart näherte sich ganz vergnügt | |||
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| er sprach: ,wa ist hin min deil?’ || und meinte: „Wo ist mein Anteil geblieben?“ | |||
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| ,vrege di gevatern din, || „Frag doch deine Gevatterin, | |||
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| ob si iht habe behalten, des ir wart.’ || ob sie noch etwas von dem übrig hat, was ihr zustand.“ | |||
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| ‚nein ich‘, sprach si, ‚Reinhart, || „Nein“, sagte diese, „Reinhart, | |||
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| iz duchte mich vil suze.’ || ich fand es gar zu schmackhaft!“ | |||
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== Der Löwenkönig Vrevel == | == Der Löwenkönig Vrevel == |
Version vom 6. Februar 2021, 20:49 Uhr
Dieser Artikel befasst sich mit dem Egoismus und seiner Rolle als Handlungsmotiv in dem von Heinrich dem Glîchezâren verfassten Tierepos Reinhart Fuchs [1]. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei insbesondere der Protagonist der Erzählung, Reinhart Fuchs, selbst sowie der Löwenkönig und die Wölfe.
Definition
Bevor die Rolle des Egoismus im Reinhart Fuchs analysiert werden soll, gilt es zunächst, den Begriff des Egoismus genauer zu definieren. Etymologisch stammt der Begriff vom lateinischen Wort ego, was mit „ich“ zu übersetzen ist und uns bereits eine Vorstellung von der Bedeutung des Begriffs gibt. Der Duden definiert Egoismus wie folgt: “Haltung, die gekennzeichnet ist durch das Streben nach Erlangung von Vorteilen für die eigene Person, nach Erfüllung der die eigene Person betreffenden Wünsche ohne Rücksicht auf die Ansprüche anderer“. Die Definition des Egoismus enthält also zwei zentrale Aspekte: [1] die Erfüllung der eigenen Wünsche als Motiv des eigenen Handelns und [2] die fehlende Rücksicht auf die Ansprüche anderer. Egoistisch handelt demnach also derjenige, der dies mit dem Ziel der Erfüllung der eigenen Wünsche oder Bedürfnisse tut und dabei keinerlei Rücksicht auf die Ansprüche anderer nimmt. Als Synonyme zum Egoismus listet der Duden daher unter anderem Begriffe wie Eigenliebe, Eigennutz, Eigensucht, sowie Ichbezogenheit. Wie Egoismus sich nun genau äußerst und welche Rolle er im Reinhart Fuchs einnimmt, soll nun im Weiteren erörtert werden.
Reinhart Fuchs
Die Brunnenszene
Die vermeintliche Heilung
Die Wölfe
Der Betrug der Wölfe
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
Ysingrin hub sich balde: | Isengrin machte sich rasch auf den Weg: |
e dan der gebure mochte wider kumen, | Ehe der Bauer zurückkommen konnte, |
so hat er den bachen genumen | hatte er den Schinken weggenommen |
und hat in schire vressen. | und ihn schleunigst verschlungen. |
Reinhartes wart vergessen. | An Reinhart dachte keiner. |
[...] | [...] |
Reinhart quam spilinde unde geil, | Reinhart näherte sich ganz vergnügt |
er sprach: ,wa ist hin min deil?’ | und meinte: „Wo ist mein Anteil geblieben?“ |
do sprach Ysengrin: | Isengrin antwortete: |
,vrege di gevatern din, | „Frag doch deine Gevatterin, |
ob si iht habe behalten, des ir wart.’ | ob sie noch etwas von dem übrig hat, was ihr zustand.“ |
‚nein ich‘, sprach si, ‚Reinhart, | „Nein“, sagte diese, „Reinhart, |
iz duchte mich vil suze.’ | ich fand es gar zu schmackhaft!“ |
Der Löwenkönig Vrevel
Ins Zentrum der Erzählung tritt der Egoismus insbesondere mit der Figur des königlichen Löwen Vrevels, dessen Namen uns bereits einen gelungenen ersten Eindruck vom Charakter des Königs bietet. „Vrevel“ trägt nämlich nicht nur in unserem heutigen Sprachgebrauch negative Konnotationen sondern auch bereits im Mittelhochdeutschen: „vrevel hat im Mittelhochdeutschen zwar noch nicht die moderne Bedeutung ‚Untat‘, bezeichnet aber durchwegs negative Qualitäten: ‚Herrschsucht‘, Frechheit’, ‚Leichtfertigkeit‘, ‚Rechtsbeugung‘“ [Ruh 1980: 23]. Auch Bertau stellt diese Verbindung her – er ordnet dem Namen zwar andere, grundsätzlich jedoch nicht weniger negativ besetzte Bedeutungen zu: „Vrevel – der Name heißt „kühn“, „gewalttätig“, „rücksichtslos““[Bertau 1983: 21]. Den Bedeutungen seines Namens wird der Löwe dabei mehr als gerecht, denn an vorderster Stelle steht für den König die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse und Wünsche: die Sicherung seiner Macht und die Heilung seiner vermeintlichen Krankheit. Zum Zweck der Erfüllung dieser Wünsche und Bedürfnisse heiligt der König bereitwillig alle Mittel, ohne auch nur die geringste Rücksichtsnahme auf seine Untertanen. Besonders ersichtlich wird das egoistische Handeln des Löwenkönigs am Hoftag, den er kurzerhand für seine eigene Heilung missbraucht. Um ein besseres Verständnis für diese Szene gewinnen zu können, soll die nachfolgende Textstelle zunächst in den Kontext der Erzählung eingeordert werden.
Die Ameisenepisode
Die egoistische Heilung
Einordnung in den Kontext der Erzählung
Bereits die Einberufung des Hoftags trägt egoistische Züge, da diese als Folge der Erkrankung des Königs erfolgt, der diese irrtümlicherweise als Bestrafung Gottes für das Nichtabhalten des Hoftages deutet. Die Ursache seiner Erkrankung liegt allerdings in der vorangehenden Ameisenepisode, in der der tyrannische König aus Herrschsucht die Festung der Ameisen vernichtet. Dieses Unrecht rächt der Ameisenherr, indem er dem ahnungslosen Frevel ins Ohr springt und ins Gehirn dringt, was vom König schließlich als Krankheit und Bestrafung Gottes gedeutet wird. Die Einberufung des Hoftags ermöglicht dabei die Klage gegen Reinhart, den es dem Gesetz nach dreimal vorzuladen gilt. Als Reinhart schließlich am Hof erscheint, überzeugt er den König durch eine List, dass er eine Heilung für seine Krankheit gefunden habe, worauf der Hoftag nicht mehr der Rechtssprechung, sondern ausschließlich der Heilung des Königs dient. Diese Heilung bestünde dabei unter anderem aus Haut und Fell all derjenigen Tiere, die sich im bisherigen Verlauf der Erzählung als Kontrahenten des Fuchses erwiesen haben.
Die egoistische Heilung (V. 1930-1946)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
der kunic hiez si begrifen | Der König ließ sie |
vil mangen sinen starken kneht. | von vielen starken Dienern ergreifen. |
man schinte si, ouch wart Dipreht | Man zog ihnen das Fell ab, und auch Dieprecht |
beschindet also harte. | erging es so. |
daz quam von Reinharte. | Das alles hatte Reinhart ins Werk gesetzt. |
der sprach: ,ditz ist wol getan. | Er sagt: "So ist es in Ordnung. |
ein versoten hun sul wir han | Jetzt brauchen wir ein gekochtes Huhn |
mit gutem specke eberin.' | mit feinem Eberspeck." |
der kunic sprach: ,daz sol vor Pinte sin.' | Der König befahl: "Das muss Frau Pinte sein." |
der kunic hiez hervur stan | Er ließ Scantecler vortreten |
Scanteclern, er sprach: ,ich mvz han | und sagte: "Ich brauche |
zu einer arztie din wip.' | deine Gattin für eine Kur." |
,neina, herre, si ist mir als min lip | "Nein, Herr, sie bedeutet mir mein Leben. |
ezzet mich unde lazet si genesen!' | Verzehrt mich lieber selbst und laßt sie gesund!" |
Reinhart sprach: ,des mag niht wesen.' | Reinhart entgegnete: "Das geht nicht." |
der kunic hiez Pinten vahen, | Der König ließ Pinte fangen, |
Scantecler begonde dannen gahen. | Scantecler eilte weg. |
Die Textstelle beschreibt, wie sowohl der Wolf Isengrin, als auch der Bär Brun und der Kater Dieprecht dazu gezwungen werden, ihr Fell der Heilung des Königs zu opfern. Reinhart behauptet daraufhin, dass außerdem ein gekochtes Huhn und Eberspeck Teil der Heilung seien, worauf der König Scantecler um seine Frau bittet und diese schließlich – trotz Scanteclers Bitte, ihn selbst anstelle seiner Frau zu nehmen – einfangen lässt.
Nachfolgende Handlung
Mit der Schändung Isengrins, Bruns, Dieprechts und Frau Pintes ist es nicht getan: im Anschluss an die Szene werden außerdem auch noch Eber, Hirsch und Biber misshandelt. Reinhart heilt den König schließlich von seiner angeblichen Krankheit, jedoch nicht etwa mit den von ihm zuvor für notwendig erklärten Mitteln, sondern indem er den Ameisenherr mit heißen Umschlägen aus dem Kopf des Königs zwingt. Die Erzählung endet jedoch nicht mit der Heilung des Königs, sondern mit dessen Tod, der von Reinhart mittels eines Gifttranks herbeigeführt wird.
Bedeutung der Szene
Die hohe Relevanz der beschriebenen Szene besteht darin, dass sie den stark ausgeprägten Egoismus des Löwenkönigs offenbart, der seine eigene Gesundheit und Heilung bereitwillig über das Wohl seiner Untertanen stellt. Dieser Egoismus wird auch von Ruh diagnostiziert, der Vrevel als zugleich "lächerlich-würdelose[n] wie tyrannisch-willkürliche[n]" [Ruh 1980: 23] sowie "verachtungswürdige[n] König" [Ruh 1980: 27] charakterisiert: "Besonders schlimm steht es mit der triuwe des königlichen Löwen: er opfert seine treuesten Diener seiner Gesundheit." [Ruh 1980: 30]
Fazit
Literaturverzeichnis
- ↑ Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, Hg. Karl-Heinz Göttert, Reclam, Stuttgart 1976.
<HarvardReferences>
- [*Bertau 1983] Bertau, Karl. Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200, 1983.
- [*Ruh 1980] Ruh, Kurt. Reinhart Fuchs. Eine antihöfische Kontrafaktur, 1980.