Der Sänger von Reuental (Neidhart): Unterschied zwischen den Versionen

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Auch hier hat das Ende des Sommers einen Veränderung für die Feierlichkeiten in der ''dörper''-Welt zu bedeuten: Die Tänze auf den Wiesen können aufgrund des Winters und der Kälte nicht mehr draußen stattfinden und werden in die Stube verlegt. Diese Räumlichkeitsveränderung von draußen nach drinnen, von der Weite in die Enge der Stube, führt zu Konflikten und Gewalt zwischen den Figuren. [Müller 1986: 443] Zudem hat der Winteranbruch einen Stimmungsumschwung zur Folge und ist mit Leid verbunden. Allerdings bezieht sich dieses Leid im WL 10 nicht auf das Sänger-Ich selbst, sondern das Sänger-Ich stellt einen Bezug zum ''dörper'' Gunderam her, welcher unter den sozialen Veränderungen im Winter leidet:[Schweikle 1990:115] "des gewan sît kummer/der herre Gunderam" (WL 10, I, V. 5f.)
Auch hier hat das Ende des Sommers einen Veränderung für die Feierlichkeiten in der ''dörper''-Welt zu bedeuten: Die Tänze auf den Wiesen können aufgrund des Winters und der Kälte nicht mehr draußen stattfinden und werden in die Stube verlegt. Diese Räumlichkeitsveränderung von draußen nach drinnen, von der Weite in die Enge der Stube, führt zu Konflikten und Gewalt zwischen den Figuren. [Müller 1986: 443] Zudem hat der Winteranbruch einen Stimmungsumschwung zur Folge und ist mit Leid verbunden. Allerdings bezieht sich dieses Leid im WL 10 nicht auf das Sänger-Ich selbst, sondern das Sänger-Ich stellt einen Bezug zum ''dörper'' Gunderam her, welcher unter den sozialen Veränderungen im Winter leidet:[Schweikle 1990:115] ''"des gewan sît kummer/der herre Gunderam"'' (WL 10, I, V. 5f.)


====Charakterisierung des Sänger-Ichs in WL 10 ====
====Charakterisierung des Sänger-Ichs in WL 10 ====

Version vom 26. Februar 2021, 13:30 Uhr

Dieser Artikel befindet sich in Bearbeitung und ist daher noch nicht abgeschlossen!

„Das in den Liedern sprechende, singende und agierende Ich ist besonders wirkungsvoll in Szene gesetzt und gewinnt vor allem mittels widersprüchlicher Positionen, Konfigurationen und Elemente eine spezifische Kontur, wie sie nur bei wenigen Autoren anzutreffen ist.“ [Haufe 2003:101] hält Hendrikje Haufe über die Konzeption des Sänger-Ichs in Neidharts Œuvre fest. Das Sänger-Ich, genannt „Nîthart“ oder „der von Riuwental“, fungiert nicht nur als Sprecher der Lieder, sondern ist auch ein Teil der erzählten Welt in Neidharts Liedern. Ihm werden bestimmte Rollen in den Texten zugeschrieben, die sich nicht immer decken. Diese „Widerspruchspotenziale“ [Haufe 2003:101] in der Inszenierung der Sänger-Rolle sollen auch Thema dieses Artikels sein. Grundlage dafür bildet das Winterlied 10, ein dörperkonformes Sängerlied, welches in einer Art Streitgespräch zwischen Sänger-Ich und dörper gegenseitige Kritik, Beschimpfungen und Androhungen von Gewalt vor dem Hintergrund des Wintereinbruches thematisiert.

Um die Figur des Sängers genauer untersuchen zu können, soll im ersten Teil dieses Artikels ein Überblick über die Konzeption des Sängers in den Neidhart Liedern gegeben werden. Hierbei soll sich mit der Konzeption und den Namen des Sänger-Ichs in den Liedern Neidharts, sowie mit der Abgrenzung zum realen Autor der Lieder auseinandergesetzt werden. Darauf aufbauend wird im zweiten Teil des Artikels das Winterlied 10 näher betrachtet. Zunächst erfolgt eine Übersetzung des mittelhochdeutschen Textes. Dem schließt sich eine formale Analyse des Liedes an. Anschließend sollen folgende Fragestellungen bei der Interpretation von Winterlied 10 beantwortet werden: Wie wird das Sänger-Ich charakterisiert und welche Rollen werden ihm zugeschrieben? Wo gibt es diesbezüglich Widersprüchlichkeiten im Verhalten bzw. Rede des Sänger-Ichs oder in der Darstellung des „hern Nîthart“ durch den dörper? Dazu soll sich besonders mit dem Sänger-Ich in der Rolle des Spötters befasst werden, um das Winterlied 10 auf die Problematik der eigenen Herabsetzung durch das Verspotten anderer prüfen zu können.

Zur Figur des Sänger-Ichs bei Neidhart

Texte der höfischen Literatur, wie die des Minnesangs, werden durch ihre Sprache – Beziehungen der Akteure im Text, Grammatik und Poetik, aufgegriffene Themen und Motive im Text und Sprecherrollen- in einer bestimmten Struktur angeordnet, in welcher jedem Element eine bestimmte Rolle zugewiesen wird. [Müller 1986:409] So werden Regeln und Annahmen der sozialen Ordnung widergegeben, welche nicht mit der realen und historischen Gesellschaftsordnung der Zeit übereinstimmen müssen. Dieses Gebilde kann als höfisch bezeichnet werden, da die Texte ein Modell der höfischen Welt und Ordnung realisieren, welches der historischen Alltagswelt nachfolgt und zum Teil von ihr abhängig, gleichzeitig aber von ihr abgegrenzt ist. [Müller 1986:411] Die Zurückweisung dieser Strukturen in der höfischen Literatur birgt ein utopisches Potenzial. [Müller 1986:412]

In Neidharts Lieder werden ebensolche Strukturen bzw. Sprechweise aus dem traditionellen Minnesang aufgriffen, indem sie erwähnt oder vorausgesetzt werden. Gleichzeitig werden solche Ordnungen in der dörperlichen Welt zurückgewiesen, indem sie ins Gegenteil versetzt werden(Bsp. Verschiebung von höfischen Akteuren zu den dörpern)oder mit den Regeln dieser höfischen Ordnung gebrochen wird.[Müller 1986:412f.] Diese dörperliche Sprechweise ist im Gegenzug zur höfischen konkretisiert (Bsp. Namen und Standesbezeichnungen [Müller 1986:452] oder Raum [Müller 1986:442] ). Diese beiden Systeme lassen sich durch das jeweils andere interpretieren. Sie überlagern und determinieren sich gegenseitig, sodass die gegenübergestellten Modelle des Sprechens in ihrer Zuordnung eine gemeinsame Struktur bilden. Der Übergang zwischen ihnen wird durch Redewechsel oder die Pointe als Bruch dargestellt. [Müller 1986:413]

Für die Rolle des Sänger-Ichs bei Neidhart im Vergleich zu klassischen höfischen Texten bedeutet dies konkret:

Im höfischen Modell tritt das Sänger-Ich weniger als Individuum auf, sondern spricht in einem "generalisierende Gestus" [Müller 1986:417] für die Gesellschaft und repräsentiert dabei deren Vorstellungen (an keinen konkreten Ort gebunden). Das Sänger–Ich wird über seine Existenz als Ritter und seinen Bezug zum Hof charakterisiert. Bei der Verschiebung auf das Land in Neidharts Liedern verändert sich die Rolle des Sänger-Ichs. Der generalisierende Sprachgestus wird durch die Art der Besetzung teilweise aufgehoben. Zwar ist das Sänger-Ich auch bei Neidhart als Ritter und damit Teil des Hofes konzipiert, allerdings befindet es sich nicht mehr am Hof unter seinesgleichen (Versammlung), sondern wird als höfischer Ritter isoliert (Vereinzelung) in der dörper-Welt verortet.[Müller 1986:420] Erst durch die Interaktion mit den dörpern kann das Sänger-Ich an ihrer Welt teilhaben und dabei auch eigene Wünsche offenbaren und diese durchsetzen. [Müller 1986:423] Das Sänger-Ich ist daher sowohl Teil der "ortlos-abstrakten Ordnung „bei Hof“"[Müller 1986:424], als auch "der konkret lokalisierten "im Land“". [Müller 1986:424] Das Sänger-Ich hält somit an höfische Benehmen und Normen fest, [Schweikle 1990:82] fügt sich aber gleichzeitig (durch Gewalt, Schimpfen) in die dörper-Welt ein, sodass die Grenzen zwischen der höfischen und dörperlichen Sprechweise verschwimmen. Dadurch können die vorausgesetzten höfische Normen und Verhaltensregeln infrage gestellt werden.[Müller 1986:421f.]

"Nîthart" und "der von Riuwental"

Auch durch die namentliche Benennung wird das ritterliche Sänger-Ich bei Neidhart individualisiert. Innerhalb der Œuvres tauchen zwei Bezeichnungen für die textinterne Sängerfigur auf: „ (her) Nîthart/Neidhart“ (in den Schwanklieder teilweise schon mit spätmhd. Diphthongierung:„Neithart“ ) und „von Riuwental/Reuental“. Welcher von beiden Namen im jeweiligen Lied auftaucht, ist von der Liedgattung abhängig. [Schweikle 1990:51] Das Sänger-Ich wird in 7 von 12 Trutzstrophen [Mertens 2018:48] von den konkurrierenden dörpern als „Nithart bezeichnet (vgl. Winterlied 10 ) . Gleichzeitig taucht diese Bezeichnung in einigen Schwankliedern und in späteren Sommerliedern auf.[Schweikle 1990:52] Das Sänger-Ich bezeichnet sich nicht selbst, sondern der Name wird ihm von anderen Figuren zugesprochen (mit Ausnahme der Signatur in C 232) [Mertens 2018:48] Mit der Bezeichnung „der von Riuwental“ wird in den Sommerliedern Neidharts, genauer in den Mutter-Tochter-Gesprächen, auf eine Ritter-Figur referiert. Es ist anzunehmen, dass beide Figurennamen, "Nîthart" und "der von Riuwental", auf ein und dieselbe fiktive Figur verweist, nur aus unterschiedlicher Perspektive: “einmal aus der Perspektive der weiblichen Rollenfiguren, zum andern in der Selbstpräsentation des lyrischen Ichs.“ [Schweikle 1990: 53] Der Name „von Riuwental“ kann eine Herkunftsbezeichnung oder Referenz auf den Wohnort des Sänger-Ichs sein, da Reuental als Ortsname wiederholt im Neidhart´schen Œuvre auftaucht. Die beiden Bezeichnungen kommen allerdings nie zusammen als "Neidhart von Reuental" in einem Lied vor (Ausnahme WL 35).[Schweikle 1990:52]

Beide Namen können weisen eine allegorische Lesart auf, welche auch auf die Charakterzüge des Sänger-Ichs schließen lassen. "Nîthart" ist zum einem als Teufelsname bekannt. [Bennewitz 2018: 37] Wortwörtlich lässt sich das Kompositum aus "nîde" und "hart" als Person verstehen, die voller Hass, Feindseligkeit oder Eifersucht ist. [Lexer 2021b] "Riuwental" kann als "Tal der Reue" [Bennewitz 2018:37], "Jammertal" oder "Sorgental" [Mertens 2018:48] verstanden werden.

Unterscheidung zwischen Sänger-Ich und Autor

Das im Text sprechende, berichtende und agierende Sänger-Ich [Haufe 2003:105] ist vom Dichter Neidhart zu differenzieren, auch wenn Figuren- und Autorenname übereinstimmen. Es ist nicht belegt, ob der Dichter wirklich Neidhart hieß, aber er ist wohl unter diesem Namen bekannt gewesen.[Schweikle 1990:54] Dennoch wird gerade durch die Konzeption des Sänger-Ichs eine “autobiografische Illusion“ [Mertens 2018:46] in Neidharts Liedern erzeugt. Das Sänger-Ich wird innerhalb der von Neidhart erschaffenen geschlossenen, fiktiven Welt biografisch dargestellt. In dieser fiktiven Welt werden, beispielsweise durch namentliche Nennung der dörper, Verwendung von realen Ortsbezeichnungen, und den nicht-höfische Wortschatz, Wirklichkeitsbezüge eingesetzt, welche den Liedern Authentizität verschafft.[Mertens 2018:47] Diese Referenzen steigern die Intensität des Textes. [Mertens 2018:43] Auch politisch-sozialgeschichtliche Anspielungen im Text stellen Verbindungen zur realen Welt her. Dementsprechend gibt es Verse, welche auf die wirklichen Lebensumstände des Autors hindeuten oder von diesen beeinflusst worden sein können. [Schweikle 1990:57] Zudem finden sich autopoetischen Äußerungen des Sänger-Ichs in den Liedern, wodurch wiederum dem Sänger-Ich eine Autor-Rolle (auf Ebene des Textes) zugeschrieben werden kann.[Haufe 2003:104]

Neidharts Winterlied 10 [1]

Im Winterlied 10 berichtet das Sänger-Ich in seinem Monolog (Strophe 1-6) von den Geschehnissen in der dörper-Welt und fokussiert sich dabei besonders auf das Treiben des dörpers Gunderam. In diesem Sängerlied [Ruh 1984:123] beschreibt, kritisiert und verspottet das Sänger-Ich dessen arrogantes und gewaltvolles Verhalten (auch der Frau gegenüber) und bedroht ihn (vgl. Strophe I, II, V und VI). Die dörper sind bei Tanz und Musik versammelt und auch das Sänger-ich ist unter ihnen und nimmt an einem Würfelspiel teil, welches er gewinnt (Strophe III und IV). WL 10 ist ein dörperkonformes Lied, da die Sängerfigur nicht im Gegensatz zu den dörpern gezeigt wird, sondern selbst an den beschriebenen Treiben teilnimmt.[Schweikle 1990:82] Durch den Sänger-Wechsel in den Trutzstrophen (VIa und VIb) die als Antwort eines dörpers, vermutlich den bedrohten Gunderam selbst, auf den Monolog des Sänger-Ichs der vorherigen Strophen zu verstehen. Mit dem Einsetzen der Trutzstrophen wird vom Autor ein Spiel inszeniert, bei dem der rivalisierenden dörper der Sängerfigur gegenübergestellt wird und seine Position verteidigen kann. Dabei droht die dörper-Figur dem Sänger-Ich ebenso Gewalt an, sofern dieser sein Verspotten nicht bleiben lässt. [Schulze 2018:115f.]

Das Winterlied 10 formt mit den Winterliedern 1-9 einem Sondertypus innerhalb der Winterlieder Neidharts, da beispielsweise die Minneklage in all diesen Liedern entfällt oder aber das Sänger-Ich als Minnewerber größtenteils nicht aktiv ist (und wenn er als Minner auftritt, dann erfolgreich).[Ruh 1984:123]

Übersetzung

Strophe I

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Dô der liebe summer Als der liebe Sommer
ureloup genam, Abschied nahm,
dô mouse man der tänze da musste man auf die Tänze
ûfm anger gar verphlegen. auf den Wiesen gänzlich verzichten.
des gewan sît kummer Das versetzte
der herre Gunderam: den Herrn Gunderam seither in Betrübnis:
der mouse ouch sîn gestänze Auch er musste seine Prahlerei
dô lâzen under wegen. nun bleiben lassen.
der ist bickelmeister disen winder: Er ist diesen Winter Aufseher beim Würfelspiel:
œder gouch ist in dem lande ninder; Es gibt nirgendwo einen törichteren Narr im Land;
sîn rûmegazze kaphet zallen zîten wol hin hinder. sein Schwert "rûmegazze"[2] gafft jederzeit zum Hintern.

Strophe II

Waz er an den meiden Was er an den Mädchen
wunders dâ begât, für Wundertaten vollbringt,
ê daz mîn vrouwe Schelle ehe meine Herrin Glocke
volende ir gebot! ihre Anweisungen durchsetzte!
erst vil unbescheiden, Zuerst sehr rücksichtslos,
wan swelhe er bestât, als er welche herausfordert,
diu wirt von slegen helle diese werden von Schlägen bleich
und mîdende den spot; und meiden den Spott
dâ von lâzen alle ir smutzemunden, darum sollen alle ihr Schmunzeln lassen,
des die jungen niht verheln enkunden! welches die Knaben nicht verbergen konnten!
des hât ir hant von solher meisterschefte dicke enphunden. Von derartiger Gewalt hat ihre Hand viel abbekommen.

Strophe III

Immer, sô man vîret, Immer, wenn man feiert,
sô hebent sî sich dar dann versammeln sie sich
mit einer samenunge, zu einer Menschenmasse,
den ich wol schaden gan. der ich gewiss Schaden gönne.
Werenbreht der lîret, Werenbreht spielt die Leier,
sô sumbert Sigemâr. während Sigemâr die Geige spielt.
daz in dâ misselunge, Dass ihnen das missglückt,
daz læge et eben an! das wäre nur sinnvoll!
daz sich doch vil lîhte mac verrîden: Dass sich das vielleicht ändern mag:
wellents ir getelse niht vermîden, Will ihre Zügellosigkeit nicht aufhören,
sich mugen zwêne an mîner weibelruotem wol versnîden. sollen sich die zwei wohl an meinem Gerichtsschwert schneiden!

Strophe IV

Kœme ich zeinem tanze, Käme ich zu einem Tanz,
dâs alle giengen bî, zu dem sie alle hingingen,
dâ wurde ein spil von hende da beginnt ein Spiel mit Händen
mit beiden ekken zuo. samt beiden Schwertern.
lîhte geviele ein schanze, Vielleicht fällt ein Wurf,
daz vor mir lægen drî. sodass vor mir drei liegen.
ich hielte ez âne wende, Ich hielt es für sicher,
verbüte ez einer vruo. dass es jemand früh vertauscht.
sige und sælde hulfen mir gewinnen, Überlegenheit und Glück halfen mir gewinnen,
daz si halbe müesen dan entrinnen. sodass sie danach davonlaufen müssen.
nu ziehen ûf und lâzen in ir gogelheit zerinnen! Nun zückt das Schwert und lasst ihren Übermut dahinschwinden!

Strophe V

Sîne wiedegenge Seine Jagdausflüge
die verewent mich grâ, die lassen mich ergrauen,
swenn er verwendeclîchen wann immer er hochmütig
vür mîne vrouwen gât. vor meine Herrin tritt.
trîbet erz die lenge, Triebe er es auf die Dauer,
bestât er danne dâ, verbleibt er doch dabei,
man hilft im ûz der kîchen, man helfe ihm aus seinem Keuchen heraus
daz er vil riuwic stât. sodass er reuevoll stehen bleibt.
er und etelîche sîn geselle, Ihn und viele seiner Freunde,
den ich tanzent an ir hant ersnelle, die erwische ich tanzend an ihrer Hand,
des sî gewis, ich slahe in, daz sîn offen stât ein elle! das sei gewiss, ich schlage ihn, sodass seine Elle offen steht!

Strophe VI

Im hilft niht sîn treie Ihm hilft weder sein Wams,
noch sîn hiubelhout; noch sein Helm;
ez wirt im in getrenket: auch er wird ins Wasser geworfen:
er zuhte ir einen bal. Er hat ihr einen Ball entrissen.
erst eon tœrscher leie; Er ist ein törichter Dummkopf;
sîn tumbelîcher muot seine unbedachter Gesinnung
der wirt im dâ bekrenket. wird ihn deshalb verletzten.
wil er vür Riuwental Will er beim Reuental
hin und her sô vil gewentschelieren, doch eifrig umherstreifen,
er wirt wol zezeiset under vieren. er wird wohl von vieren zerzaust.
her Werenbreht, waz mag ich des, wirt im der umberieren? Herr Werenbreht, was kann ich dafür, wenn er umherschwankt?

Strophe VIa

Die wîl ich die klingen Solange ich die Klinge
um mîne sîten trage, an meiner Seite trage,
sô darf mir durch mîn sumber so darf mir niemand durch mein Geflecht
niemen stechen nieht. stechen.
er muoz vil wîte springen: Er sollte lieber weit weg springen:
begrîfe ichn mit dem slage, würde ich ihn mit einem Schlag treffen,
ich slahe in, daz er tumber ich schlage ihn, sodass er besinnungslos
schouwet nimmer lieht. kein Licht mehr sieht.
ich hilf im des lîbes in den aschen ich half ihm freudig in den Schmutz
und slah im mit willen eine vlaschen, und gebe ihm mit Vergnügen einen Hieb,
daz im die hunt daz hirne ab der erde müezen naschen. sodass ihm die Hunde das Hirn von der Erde lecken können.

Strophe VIb

Her Nîthart hât gesungen, Herr Neidhart hat gesungen,
daz ich in hazzen wil sodass ich ihn hassen will
durch mînes neven willen, um meines Neffens Willen,
des neven er beschalt. dessen Verwandten er beschuldigt hat.
lieze ers unbetwungen! Ließe er es ungeschoren!
es ist im gar ze vil. Es ist ihm viel zu viel.
enpflæge er sîner grillen Soll er seine grellen Schreie zurückhalten
und het ouch der gewalt! und auch die Gewalt!
ez ist ein schelten, daz mich freuden letzet. Es ist eine Beleidigung, die mich an der Freude hindert.
wirt diu weibelruote mir gewetzet, Wenn mir das Gerichtsschwert geschliffen wurde,
ich trenne in ûf, daz man wol einen sezzel in in setzet. dann trenne ich ihn auf, sodass man einen Sessel in ihn setzten kann.

Aufbau und Form

Das „Winterlied 10“ setzt sich aus insgesamt 8 Strophen zusammen, welche jeweils aus 11 Versen bestehen. Davon sind die letzten beiden Strophen VIa und VIb als sogenannte Trutzstrophen zu verstehen, welche im Aufbau mit den Strophen I bis VI übereinstimmen. Wie für Neidharts Winterlieder typisch, ist der Ton des Winterliedes 10 kanzonenförmig aufgebaut. [Brunner 2018:149] Dabei bilden die Verse 1 bis 8 der Aufgesang, der sich in zwei Stollen unterteilen lässt (1. Stollen: V. 1-4; 2. Stollen: V. 5-8). Die jeweils letzten drei Verse der einzelnen Strophen bilden den Abgesang und gleichzeitig einen Terzinenstollen. Die Reime im WL 10 sind durchgehend Endreime. Das Reimschema einer Strophe ist abcdabcdeee. Im Aufgesang liegen daher Kreuzreime vor, während dieses Reimschema im Abgesang durch den Haufenreim ersetzt wird. Es handelt sich immer um reine Reime, wie beispielsweise summer und kummer (vgl. I, V. 1 und V. 5). Die Hebungen im Aufgesang sind dreihebig. Im Abgesang verändert sich die Hebung, sodass in einer Zeile fünf Hebungen vorliegen. Allerdings bildet hier immer der elfte Vers einer Strophe eine Ausnahme, da es sich hier um einen Langvers mit acht Hebungen handelt. Zudem lässt sich festhalten, dass die männlichen und weiblichen Kadenzen abwechselnd auftreten. Der erste Vers einer Strophe endet immer mit einer unbetonten Silbe, also einer weiblichen Kadenz, während der zweite Vers auf einer betonten Silbe, also mit einer männlichen Kadenz, endet. So wechselt der Verschluss der Verse bis einschließlich zu Vers 9, welcher wieder auf einer weiblichen Kadenz endet. In Vers 10 und 11 findet allerdings kein Wechsel mehr statt, sodass im gesamten Abgesang nur weibliche Kadenzen zu finden sind.

Interpretation

Natureingang

WL 10 beginnt wie alle Winterlieder Neidharts (mit Ausnahme WL 4) mit einem Natureingang, der wie bei vielen Winterliedern verkürzt ist [Ruh 1984:116]:

Dô der liebe summer
ureloup genam,
dô mouse man der tänze
ûfm anger gar verphlegen.
(WL 10, I, V. 1-4)

Auch hier hat das Ende des Sommers einen Veränderung für die Feierlichkeiten in der dörper-Welt zu bedeuten: Die Tänze auf den Wiesen können aufgrund des Winters und der Kälte nicht mehr draußen stattfinden und werden in die Stube verlegt. Diese Räumlichkeitsveränderung von draußen nach drinnen, von der Weite in die Enge der Stube, führt zu Konflikten und Gewalt zwischen den Figuren. [Müller 1986: 443] Zudem hat der Winteranbruch einen Stimmungsumschwung zur Folge und ist mit Leid verbunden. Allerdings bezieht sich dieses Leid im WL 10 nicht auf das Sänger-Ich selbst, sondern das Sänger-Ich stellt einen Bezug zum dörper Gunderam her, welcher unter den sozialen Veränderungen im Winter leidet:[Schweikle 1990:115] "des gewan sît kummer/der herre Gunderam" (WL 10, I, V. 5f.)

Charakterisierung des Sänger-Ichs in WL 10

Strophe I-VI: Wie wird das Sänger-Ich dargestellt? Trutzstrophen VIa und VIb: Wie wird das Sänger-Ich von anderen Figuren dargestellt?

Konflikt zwischen Selbstdarstellung des Sänger-Ichs und dessen Darstellung durch den dörper

Fazit

Anmerkungen

  1. Verwendete Textausgabe im gesamten Artikel: "Die Lieder Neidharts" hg. von Wießner und Sappler [Wießner-Sappler 1999]
  2. "rûmegazze" ist ein Schwertname und bedeutet "räume die gasse!"<HarvardReferences /> [Lexer 2021a]

Literaturverzeichnis

<HarvardReferences /> [*Wießner-Sappler 1999] Die Lieder Neidharts, hg. v. Edmund Wießner, fortgef. v. Hanns Fischer. 5., verb. Aufl., hg. v. Paul Sappler, mit einem Melodieanhang v. Helmut Lomnitzer. Tübingen: Niemeyer 1999 (Altdeutsche Textbibliothek 44).

<HarvardReferences /> [*Bennewitz 2018] Bennewitz, Ingrid: Neidhart. Ein Autor und seine Geschichte(n), in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. v. Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler. Berlin/Boston: de Gruyter 2018, S. 31-41. <HarvardReferences /> [*Brunner 2018] Brunner, Horst: Die Töne der Neidhartlieder, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. v. Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler. Berlin/Boston: de Gruyter 2018, S. 143-167. <HarvardReferences /> [*Haufe 2003] Haufe, Hendrikje: Minne, Lärm und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit in Winterliedern Neidharts, in: Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts, hg. v. Martin Baisch et al. Göttingen: V & R unipress 2003 (Aventiuren 1), S. 101-122. <HarvardReferences /> [*Lexer 2021a] „rûme-gaʒʒe, swmn.“, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid=R02375>, abgerufen am 10.02.2021. <HarvardReferences /> [*Lexer 2021b]„Nît-hart, n. pr. m.“, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid=N01154>, abgerufen am 23.02.2021. <HarvardReferences /> [*Mertens 2018] Mertens, Volker: Neidhart: ,Minnesang' und .Autobiografie', in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. v. Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler. Berlin/Boston: de Gruyter 2018, S. 43-54. <HarvardReferences /> [*Müller 1986] Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur und Hofgesellschaft. Höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 409-453. <HarvardReferences /> [*Plotke 2010] Plotke, Seraina: Neidhart als Spötter – Spott bei Neidhart, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57:1 (2010), S. 23-34. <HarvardReferences /> [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. Bd. 1: Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters. Berlin/New York: de Gruyter 1984, S. 107-128. <HarvardReferences /> [*Schulze 2018] Schulze, Ursula: Grundthemen der Lieder Neidharts, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. v. Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler. Berlin/Boston: de Gruyter 2018, S. 95-116. <HarvardReferences /> [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart: Metzler 1990 (Sammlung Metzler 253).