Komik in den Winterliedern (Neidhart): Unterschied zwischen den Versionen
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Die Rollen der Minne in den Winterlieder sind damit schon fast bestimmt. Der Minnesänger als einsamer Wolf wirbt um eine "vrouwe", die Teil der "dörperwelt" ist und hat die Gesellschaft, d.h. die "dörper", als Rivalen. Da die Gesellschaft Rivalen, d.h. Mitbewerber um die "vrouwe" sind und die "vrouwe" wiederum häufig auf die Werbung der Rivalen, aber selten oder gar nicht auf die Werbung des Minnesängers, wird die Konfliktrelation Sänger - Gesellschaft in hohem Maße verstärkt (Ruh, 122). Die grundlegende Thematik und Motivik der Winterlieder entspringt nun eben den Gründen für diese Konfliktrelation und der Konfliktrelation an sich. | Die Rollen der Minne in den Winterlieder sind damit schon fast bestimmt. Der Minnesänger als einsamer Wolf wirbt um eine "vrouwe", die Teil der "dörperwelt" ist und hat die Gesellschaft, d.h. die "dörper", als Rivalen. Da die Gesellschaft Rivalen, d.h. Mitbewerber um die "vrouwe" sind und die "vrouwe" wiederum häufig auf die Werbung der Rivalen, aber selten oder gar nicht auf die Werbung des Minnesängers, wird die Konfliktrelation Sänger - Gesellschaft in hohem Maße verstärkt (Ruh, 122). Die grundlegende Thematik und Motivik der Winterlieder entspringt nun eben den Gründen für diese Konfliktrelation und der Konfliktrelation an sich. | ||
Als Katalysator der Entstehung | Als Katalysator der Entstehung der Thematik und Motivik aus der Konfliktrelation ist das Szenarium bzw. Milieu und Natureingang zu vermerken. Das Szenarium bleibt äußerst reduziert beschrieben und wird nur in einigen Liedern konkretisiert. Die Grundrisse sind jedoch durchgängig bekannt: Die Lieder spielen in einem druchwegs dörflichen Szenarium, das Milieu der "dörper". In ihrem Milieu ist der Sänger fremd, wogegen die "dörper" sich umso sicherer fühlen. Denn sie sind unter ihresgleichen, in vertrauten Räumen und vertrauten Gepflogenheiten und können dem Fremden mit entsprechendem Selbstbewusstsein entgegentreten. Umgekehrt fühlt sich der Fremde umso mehr als Fremder und von den Räumen und dem Personal der ihm oppositionären Welt ausgegrentzt. Dabei steht | ||
Die Lieder der Gruppe der "Winterlieder" sind dementsprechend durch den vorherrschenden bzw. eintretenden Winter und den abwesenden Sommer bestimmt. Das heißt auch, dass die Lieder dieser Gruppe von all denjenigen assoziierten Gefühlen und Gemütshaltungen vorgeprägt ist, die man mit dem Winter in Verbindung bringt oder durch den Winter verursacht sieht, und eben nicht mit all denjenigen Gefühlen und Gemütshaltungen, die man mit dem Sommer in Verbindung bringt oder durch den Sommer verursacht sieht. Aus diesen Gefühlen und Gemütshaltungen, die mit dem Winter in Verhältnis stehen, entwickeln sich dann -verkürzt- die Handlungen, Motive und Themen der Gruppe, die oftmals denen entgegengestellt werden können, die sich aus dem Rahmen "Sommer" heraus entwickeln. | Die Lieder der Gruppe der "Winterlieder" sind dementsprechend durch den vorherrschenden bzw. eintretenden Winter und den abwesenden Sommer bestimmt. Das heißt auch, dass die Lieder dieser Gruppe von all denjenigen assoziierten Gefühlen und Gemütshaltungen vorgeprägt ist, die man mit dem Winter in Verbindung bringt oder durch den Winter verursacht sieht, und eben nicht mit all denjenigen Gefühlen und Gemütshaltungen, die man mit dem Sommer in Verbindung bringt oder durch den Sommer verursacht sieht. Aus diesen Gefühlen und Gemütshaltungen, die mit dem Winter in Verhältnis stehen, entwickeln sich dann -verkürzt- die Handlungen, Motive und Themen der Gruppe, die oftmals denen entgegengestellt werden können, die sich aus dem Rahmen "Sommer" heraus entwickeln. | ||
Welche das sind, kann man sich, wenn man sich die eigenen Assoziationen und Erfahrungen mit dem Winter in Erinnerung ruft, gut vorstellen: Einsamkeit, Schmerz, Trauer, Sehnsucht, Reizbarkeit und dann unbefriedigende, indifferente, verzweifelte Handlungen und daraus Gewalt, Folgen, Eifersucht, Flucht, Ruhelosigkeit und Spott, Klage, Gewalt; und eben nicht Liebe, Lust, Freude, Zufriedenheit/Ausgelassenheit und dann ausgelassene, freizügige, befriedigende Handlungen und daraus Liebe, Minne, Lob/Ode, Tanz und Lob, Hymne, Tanz. | Welche das sind, kann man sich, wenn man sich die eigenen Assoziationen und Erfahrungen mit dem Winter in Erinnerung ruft, gut vorstellen: Einsamkeit, Schmerz, Trauer, Sehnsucht, Reizbarkeit und dann unbefriedigende, indifferente, verzweifelte Handlungen und daraus Gewalt, Folgen, Eifersucht, Flucht, Ruhelosigkeit und Spott, Klage, Gewalt; und eben nicht Liebe, Lust, Freude, Zufriedenheit/Ausgelassenheit und dann ausgelassene, freizügige, befriedigende Handlungen und daraus Liebe, Minne, Lob/Ode, Tanz und Lob, Hymne, Tanz. |
Version vom 2. März 2021, 16:04 Uhr
Der vorliegende Artikel kombiniert eine Analyse der Gruppe "Winterlieder" (Neidhart) in Hinsicht auf enthaltene "Komik" mit einer Interpretation der Regelmäßigkeiten und Funktionen dieser vorkommenden "Komik". Aus den Ergebnissen werden dann Horizonte eröffnet, welche Bedeutung man diesem "komischen Element" bezüglich der Produktivität, der Gattung und der Ausstrahlungskraft der "Winterlieder" beimessen kann.
Motiv für die Untersuchung
Generell liegt das Interesse einer jeden Untersuchung in der Aufdeckung neuer Aspekte oder neuer Erkenntnis und das Stilmittel "Komik" scheint auf genau solche Stellen hinzuweisen, die neue Sichtweisen oder Erkenntnisse bergen:
Es gibt für gewöhnlich zwei prominente Mittel, um eine Rezipientenschaft - d.h. hier eine Hörerschaft - tiefgreifend anzusprechen: Die "Tragik" oder die "Komik".
Die vorliegende Liedersammlung findet ihre Erfüllung im Gesang vor adeligem Publikum. Es erfüllt seinen primären Zweck in dem Amüsement, das es in dem Publikum auslöst. Daher sollte es sich nur anbieten eines dieser Mittel anzuwenden. So kann man (a) mit guten Gründen annehmen, dass sich in den Winterliedern Vorkommnisse dieser Mittel finden lassen. Hierfür gehen wir davon aus, dass sich "Komik" finden lässt.
Diese Mittel erreichen wie keine anderen, dass der Rezipient sich in das Geschehen einfühlt, die Ereignisse nachvollzieht und damit selbst in hohem Maße in die Handlung oder die Erzählung verwickelt ist. Auf dieser Betrachtungsebene ist es dem Rezipienten dann möglich außergewöhnlich abstrakte Interpretationen und Urteile vorzunehmen. Kurz: Wann immer diese Mittel auftauchen, soll die Hörerschaft tiefgreifend angesprochen und zu einer Interpretation angeregt werden, die das Thema von außergewöhnlich naher und gleichzeitig außergewöhnlich abstrakter Perspektive beleuchtet.
Deshalb sollte (b) eine generelle Analyse der Komik in dem Sinne aufschlussreich sein, als sie von Natur aus auf Dinge hinweist, die einer näheren Betrachtung wert sind.
Die Möglichkeiten für den Autor "Komik" anzubringen sind indes äußerst vielfältig. Der Inhalt kann in verschiedenster Weise stilistisch so aufbereitet sein, dass man von "Komik" sprechen würde. Folglich steht dem Autor ein ganzes Instrumentarium an "komischen Mitteln" zur Verfügung, um verschiedenste "Botschaften" in dieselben Inhalte zu stecken. Der Rezipient steht dann nicht nur vor der Aufgabe eine Komik als solche zu identifizieren und zu interpretieren, sondern muss dabei die Art der Komik, Umsetzung der Komik und Bezug der Komik in der Interpretation berücksichtigen. Die Interpretationsmöglichkeiten und potentiellen Inhalte im Bereich der Komik - gerade wenn man berücksichtigt, dass sich Komik durchaus auf mehrere Dinge gleichzeitig beziehen kann - vermehren sich so um ein vielfaches. Das Vorkommen von Komik verspricht somit grundsätzlich nicht nur einen weiteren Sinn sondern auch potentiell eine ganze Bandbreite verschiedenster Konnotationen, Bewertungen und Bedeutungen.
Um diesen Variantenreichtum möglicher Interpretationen und versteckter Inhalte einzufangen/aufzudecken, sollte die Analyse keinesfalls eindimensional ausfallen, sondern ein breites Spektrum dieser "komischen Mittel" abdecken, differenzieren und dann in Verhältnis setzen.
Eine Analyse, die auf diese Weise den Facettenreichtum der Komik berücksichtigt, könnte (c) ganz unterschiedliche bzw. variantenreiche Bedeutungen aufdecken / eine Vielzahl an Ergebnissen fördern.
Anhand der Ergebnisse der Analyse können dann Aussagen über die Funktion und die Bedeutung der verwendeten Komik getroffen werden.
Einführung
Neidhart und sein Werk
Die Lieder Neidharts stellen eine der bedeutsamsten und umfangreichsten deutschsprachigen lyrischen Schriftserien des Mittelalters dar. Zu Neidhart (von Reuental) selbst und seinem Leben, außer einigen realhistorischen Indizien und Hinweise in seinen Liedern, ist nicht viel bekannt (Bennewitz, 31). Viel wichtiger als seine Person ist aber sein Werk und vor allem die Wirkung, welche dieses auf die nächsten Jahrhunderte ausübte. Neidhart schrieb zu einer Zeit - erste Hälfte des 13. Jahrhunderts -, in der das literarische Thema der "Minne" und auch die Spielart der "hohen Minne" bereits ihren Zenit erreicht haben (vgl. höfische Liebe im satirischen Spiegel 45-46). Es ist sicher legitim aufgrund der grundlegenden Thematik seiner Lieder auch die Lieder Neidharts als "Minnegesangslieder" zu bezeichnen und Neidhart als "Minnesänger", doch freilich nicht - und das ist der springende Punkt - im eigentlichen Sinne. Der Autor muss irgendetwas an dem literarischen Trendmodell "Minnegesang" seines Zeitalters verändert haben, denn kaum ein anderer Minnegesang bewirkte eine vergleichbare Resonanz. Neidharts neue Präsentation der "Minne" vermochte die Hörerschaft zu faszinieren und zu provozieren (vgl. auch Jan-Dirk-Müller 451). Einige Puristen müssen Neidharts für seine provokative Modifikation des Minnesangkonzepts missbilligt haben, dennoch bestand offensichtlich eine rege Nachfrage nach Neidhart-Liedern, die sich über die Lebenszeit des Autors und die Gattung hinaus bis ins 16. Jahrhundert andauerte. Das ging soweit, dass sich ein regelrechtes Neidhart - "Following" einstellte, das Abschriften fertigte und sich von Mitteln, Motiven und Themen des Neidhart-Werkes inspirieren ließ, sodass heute "(...) außergewöhnlich viele Handschriften aus einem außergewöhnlich langen Zeitraum vorliegen (...)" (Hübner, 46). Schließlich bedingte gerade die Kombination beider Wirkungen, Provokation und Faszination, dass wir noch heute von dieser Liederserie sprechen können und wollen.
Ein neuer Minnesang
Wenn man versucht den Inhalt der Lieder Neidharts in einer Art Abstrakt zusammenzufassen, erhält man ein grundsätzliches Verständnis dafür, inwiefern Neidharts Präsentation der Minne neu ist:
Die implizite Exposition, so könnte man sagen, ist die, dass ein Ritter, i.e. eine Figur der Adelswelt, aufs Land zieht, i.e. die Welt der Bauern, um dort (eine Bäuerin) zu minnen, zu singen oder immerhin zu agieren (oder es zumindest versucht). Die Folge ist offensichtlich die, dass er, eine Figur der Adelswelt, in der Bauernwelt auf Figuren der Bauernwelt trifft und mit diesen in unterschiedlicher Weise agieren muss. Die Bauernwelt, die Figuren der Bauernwelt, die sogenannten dörper, ihre Handlung mit und entgegen des Sängers bilden eine neuartige "dörper"-Thematik, die Neidhart dem Minnesang - Diskurs schenkte (vgl. höfische Liebe im satirischen Spiegel 45). Dieses Novum des Neidhart-Minnesangs und die entsprechend neue Präsentation der Minne geben eine Ahnung davon, weshalb diese Serie so provozieren und faszinieren konnte. Interessanterweise wird genau an dieser Stelle (der neuartigen Präsentation der Minne durch und mit der dörper-Thematik) auch der Kern des komischen Potentials dieser Minnesang-Spielart deutlich.
Dass dieses "Agieren" bei oder - im besten Falle - "Coagieren" des Ritters von Reuental mit den "dörpern" "komisch" - hier im Sinne von unangenehm, außergewöhnlich, uneigentlich oder ungewohnt - ausfallen wird, sollte schon jetzt, noch ohne dass irgendetwas gesungen wurde, allen Rezipienten klar sein. Denn es kollidieren hier buchstäblich Welten, die in diesem Maße normalerweise - und außerhalb dieser Inszenierung - nie aufeinandertreffen würden. Alles dasjenige, das in diesem Rahmen geschieht oder erzählt wird, d.h. vornehmlich eine Minne, kann nur von einer "komischen" einer besonders merkwürdigen Art sein, die zugegebenermaßen genauso gut faszinieren wie provozieren kann. Denn der Minnegesang wird uneigentlich und nicht zu dem, was man von Minne erwartet, das Mädchen ist nicht die "frouwe", die man erwartet, das Verhalten und die Beschreibungen des Ritters sind nicht immer ritterlich, der Umgang zwischen den Figuren scheint verzerrt brutal, die Sprache zum Teil derbe usw. Letztlich scheint der eigentliche Inhalt dieses Gesanges, d.h. die Minne, verändert, verzerrt und ungewöhnlich. Mit anderen Worten: Der abstrakte Rahmen dieser Gesänge scheint so komponiert zu sein, die neue Thematik so gewählt zu sein, dass sie die perfekten Voraussetzungen für "Komik" schafft - wenn nicht gar "Komik" eine notwendige Implikation ist.
Einführendes zur Komik
"Komik" ist seit der Antike ein prominentes und vielverwendetes Stilmittel - bzw. in aufgeführter Form Komödie -. Obgleich der "Komik" in der Antike - und bis in die frühe Neuzeit hinein - keine große intellektuelle Leistung zugerechnet wurde und sie eher eine kleine Schwester der "Tragik" war, feiert sie seit der Aufklärung Konjunktur. Sie ist heute Gegenstand philosophischer, sprachwissenschaftlicher und literaturwissenschaftlicher Forschung und kann sich rühmen Teil vieler Theorien zu sein. So wird der "Komik" längst ein großes aufklärendes Potential angerechnet. Denn nur selten will man mit "Komik" allein einen Raum für Amüsement, Ablenkung von Wirklichkeit oder einfache Unterhaltung schaffen. Viel häufiger wird in diesem Raum - in zugegeben heiterer Stimmung - zum Mit-denken und Nach-denken eingeladen. "Komik" begegnet uns fast täglich, enthält selbst in der unschuldigsten Art - bspw. Slapstick-Humor - eine Botschaft, ist bei Rezipienten beliebt und verdient es je auch einen Gedanken an ihren Hintergrund zu verlieren.
Grundlegende Vorbemerkungen und Leitfragen
Vorbemerkungen und Einschränkungen
Diese Analyse will keinen vollständige Auflistung aller in den Winterliedern vorkommenden komischen Mitteln leisten. Grundsätzlich soll die Untersuchung eine Übersicht über die wichtigsten Mittel der Komik und deren Vorkommnisse in den Winterliedern bereitstellen. Damit eine Übersicht zustande kommen kann, die einen exemplarischen Eindruck von der "Komik" in den Winterliedern bietet, muss die Analyse repräsentative und anschauliche Ergebnisse liefern. Dafür müssen ideale Bedingungen geschaffen werden: zum einen muss ein spezieller Gegenstandsbereich isoliert werden, von dessen Analyse man sich entsprechende Ergebnisse erhoffen kann; zum anderen muss das Kriterium der Analyse in differenzierte Stichpunkte eingeteilt werden, unter denen die Analyse übersichtlich und verständlich durchgeführt werden kann.
Es ist zu bemerken, dass in allen Neidhartliedern "Komik", d.h. auch den Sommerliedern, ein flächendenkendes und wiederkehrendes Phänomen ist. Dennoch ist sie in den Liedern unterschiedlich verteilt und in unterschiedlichem Grade ausgeprägt. Für die Untersuchung soll genau die Gruppe an Liedern herausgenommen werden, die ein auffällig hohes Aufkommen dieses zu untersuchende Phänomen aufweist, sodass die Analyse auf fruchtbare Ergebnisse stoßen kann. Die Winterlieder scheinen in diesem Sinne als Versuchsgruppe besser geeignet als die Sommerlieder, weil die Winterliedern - nicht allein wegen ihres Jahreszeitensettings - mehr Konfrontationen, Klage, Trutz und Spott enthalt als die Sommerlieder, die in zum größten Teil harmonische oder immerhin fröhliche Motivik haben. In dieser konfliktreichen und angespannten Grundstimmung unter der Enge und Bedrohlichkeit des Winters besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit auf komische Elemente zu stoßen. Doch bei allen diesen vielversprechenden Elementen der Winterlieder rückt ein Kriterium in den Vordergrund, das einige dieser Elemente einschließt und für die Winterlieder von unvergleichbarer Signifikanz ist - die erwähnte "dörper"-Thematik. Die Einleitung zeigte dieses Merkmal schon als Novum der Neidhartlieder, Kernthematik der Winterlieder und weißte schon auf den Zusammenhang mit anderen Thematiken, bspw. Minne, und mit der "Komik" hin. Schon rein quantitativ bestimmt dieses Merkmal einen großen Teil aller Strophen der Winterlieder, wobei solche "dörper"-Strophen in ausnahmslos jedem Winterlied vorhanden sind, wenn auch teilweise nur angehängt oder bezugslos (Ruh, 123). So sehr wie dieses Merkmal die Winterlieder auszeichnet, so sehr wie die Winterlieder dieses Merkmal exemplifizieren, kann es für diese Gruppe mithin als Typusbestimmend bezeichnet werden (Ruh, 123).
Es liegt also ein Gattungsmerkmal der Winterlieder vor, das eine grundlegende Thematik ausmacht, das das Novum der Neidhart'schen Minnedichtung ist, das Konstituente der Grundkonstellation der Winterlieder ist, an das andere Thematiken anschließen, das in allen Liedern vorkommt und direkten Zusammenhang mit der Komik der Winterlieder stehen sollte. Denn die dörper-Strophen sind genau die Punkte, an denen die zwei entgegengesetzten Welten aktiv aufeinandertreffen.
Für Analyse schein es mithin sinnvoll, zunächst die Gruppe der Winterlieder zu wählen und dann innerhalb dieser Gruppe alle die Strophen als Gegenstandsbereich der Analyse zu isolieren, die mit solche "dörper", ihr Verhalten oder die Auseinandersetzung mit ihnen zum Inhalt haben.
Die Ergebnisse werden in dem Sinne repräsentativ sein, als jeder Einzelfall der Gruppe analysiert und nichts ausgelassen wird und das Merkmal ein Konstituens der Vergleichsgruppe ist, das heißt die Ergebnisse der Untersuchung dieses einen Merkmals für die gesamte Gruppe sprechen kann, und in dem Sinne anschaulich, als viele, deutliche Vorkommnisse von Komik in diesem Merkmal zu finden sein werden.
Die Stichpunkte in die das Kriterium eingeteilt werden soll, dürfen nicht allzu spezifisch gefasst sein, aber dennoch voneinander differenzierbar. Es wäre ratsam nur ein überschaubares Set an Stichpunkten anzufertigen, die das Kriterium nicht zerfasern. Um eine nachvollziehbarkeit und klarkeit zu gewährleisten, müssen alle Stichpunkte der Analyse in einem Weg vom Kriterium ableitbar sein, sodass jeder Stichpunkt klar in einem Zusammenhang mit dem Kriterium steht und dieses in einer Hinsicht repräsentiert.
Von einem Phänomen der "Komik" zu sprechen ist äußerst diffizil, wenn nicht sprachlich falsch. Es herrscht immer noch Uneinigkeit darüber, ob man "Komik" einfach als solche erkannt, affirmiert und affektiert werden kann oder ob sie vielmehr subjektiv ist. Im letzteren Falle hinge das Erkennen der "Komik" alleine vom Rezipienten ab, d.h. ggf. von seiner Vorkenntnis und seiner Einstellung, sodass eine Stelle, die "Komik" enthält, für den einen eine solche sein kann und für den anderen nicht. Für dieses Unternehmen nehmen wir an, dass objektive "Komik" nicht existiert, weil das Erkennen der "Komik" tatsächlich vom Rezipient abhängt. Was jedoch objektiv vorliegt, sind die Bedingungen bzw. die Eigenschaften, die als "Komik" erkannt werden können. Deshalb ist von nun an, wenn von "Komik" die Sprache ist, ein "komisches Potential" gemeint.
Leitfragen der Interpretation
Neben den zentralen Leitfragen der Interpretation - (I) Von welcher Art ist "Komik" in den Winterliedern? (II) Welche (globale/lokale) Funktionen hat die "Komik" in Neidharts Winterliedern? - lassen sich aus der Einleitung noch zwei weiterführende Fragen ableiten:
Die "Winterlieder" lassen ein durchgängiges Muster erkennen. In den ihnen wiederholen sich Themen, Motive und Mittel. Diese Gemeinsamkeiten können als eine Art Set aus übergeordneten Kriterien verstanden werden, die einzeln notwendig - vielleicht auch disjunktiv hinreichend - sind, um von einem "Winterlied" auszugehen. Man kann sagen, dass dieses Set an Kriterien die Gattung der "Winterlieder" spezifizieren, d.h. die Kriterien sind gattungsspezifisch. Eines dieser Gattungsmerkmale oder gattungsspezifischen Kriterien der Winterlieder, so wurde festgestellt, ist die "dörper"-Thematik. Es wurde angenommen, dass "Komik" ein Merkmal ist, das in Zusammenhang mit dieser "dörper"-Thematik auftaucht. (III) Könnte die "Komik" auch als ein solches Kriterium der "Winterlieder" angesehen werden? Ist also "Komik" ein Gattungsmerkmal der Gattung "Winterlieder", d.h. ein notwendiges Kriterium für ein "Winterlied"?
Ferner wurde deutlich, dass die "Winterlieder" bei den Rezipienten, wie auch die anderen Neidhartlieder, besonders beliebt waren. "Komik" ist ein Mittel, von dem man mit guten Gründen behaupten kann, dass es bei der Hörerschaft starke Reaktionen erregen kann. Zudem kann jeder nachvollziehen, dass "Komik", bspw. in Form eines Witzes, sowohl provozieren als auch faszinieren - oder beides gleichzeitig - kann. (IV) Ist die "Komik" ein Grund für die Beliebtheit dieser Lieder? Macht gerade das Merkmal "Komik" die Winterlieder für Reproduktionen attraktiv? Ist die "Komik" ein (oder der spezifische) Grund für das "Following"? Kann also das Merkmal "Komik" die Produktivität der Neidhartlieder und ihre Ausstrahlung in andere Gattungen erklären?
Eine Hypothese
Über die Form, den Inhalt und die Funktion eines Witzes hinaus, gilt diesem Witz auch immer ein gewissen Zweck, den der Komiker vorsieht. Komik entspringt nur selten Zufall, unabsichtlicher oder unfreiwilliger Handlung. Wenn ein komisches Element gesetzt wird, dann zumeist im Bewusstsein, über dessen komisches Potentials und mögliche Wirkung. Damit ist jedem Ausdruck von Komik eine gewisse Absichtlichkeit bzw. Intentionalität vorausgesetzt.
Auch der Autor der Neidhartlieder wird das "komische Potential" mit einer Absicht eingesetzt haben. Alle Vorkommnisse, die vorliegen, sind bewusst so gewählt und kombiniert. Hinter der Verwendung der Komik liegt ein Interesse des Autors, etwas zu erreichen, d.h. er beabsichtigt etwas mit seiner Komik zu erreichen. Diese Absicht ist eine Folge in der nicht fiktiven Welt, die womöglich mit dem verbunden ist, worüber die Komik in der fiktiven Welt spricht.
Der Autor verwendet "Komik" mit der Absicht etwas an den Verhältnissen der realen Welt zu verändern, das in der fiktiven Welt durch die Komik markiert ist.
Die Analyse
Analyse der verwendeten Begrifflichkeiten
Das Kriterium der Analyse
Bspw. durch Parodie spiegelt sich ein Umstand in neuem, karikierten Gewand, das vielleicht auf neues zum Umstand schließen lässt. Weiter zugespitzt erhält man die Satire, die viel eher noch Raum für kritische Beurteilung zulässt. Bis man von Ironie zu Sarkasmus, von Slapstick zu Galgenhumor und ultimativ vom bloßen Amüsement zur handfesten - teilweise geschmacklosen - Verurteilung kommt.
Der Gegenstand der Analyse
Die Winterlieder
Definierung
Formal wird mit den Winterliedern eine Gruppe von 37 metrisch-gebundenen Liedern bezeichnet, die sich durch Gemeinsamkeiten als solche auszeichnet und sich durch Eigenheiten von der Gruppe der Sommerlieder unterscheiden lässt. Bevor die Gruppe an Lieder als solche beschrieben wird, soll sie zunächst auf diese Weise definiert werden.
Eine besondere Stellung hat hierbei der obligatorische Natureingang. In dieser manchmal kürzeren manchmal längeren Einführung in das Lied adressiert der Sänger die durch Jahreszeiten veränderbare Natur, beschreibt sie, personalisiert sie und spricht sie teilweise in Form von Apostrophen an. Was thematisiert wird, ist der kommende titelgebende Winter, aber oft auch der vergangene Sommer und Frühling, vor dessen Folie um den Winter geklagt wird (Schweikle, 80). Da der Natureingang in allen Winterliedern - mit Ausnahme in WL4 - an derselben Stelle am Anfang des Liedes auftaucht, wird er auch als Gattungssignal bezeichnet (Ruh, 123). Alleine anhand dieses Kriteriums kann ein Winterlied als ein solches bestimmt und von Sommerliedern, die zumeist gut unterscheidbaren sommerlichen Natureingang, differenziert werden. Folglich ist der winterliche Natureingang sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung um von einem Winterlied auszugehen. Zugleich ist der winterliche Natureingang das einzige Kriterium der Winterlieder, das sie scharf von den Sommerliedern zu trennen vermag. Denn alle anderen Kriterien der Winterlieder sind auch solche der Sommerlieder. Die Unterschiede bestehen vornehmlich in der Ausprägung und Konkretisierung, der Themen, Motive und Figuren.
Es gibt nur wenige andere Gemeinsamkeiten der Winterlieder, über die die Literatur sich einig ist, dass sie die Winterlieder kennzeichnen. Gemeinsamkeiten oder andere Auffälligkeiten, die durch eine Beschreibung der Gruppe deutlich werden, sprechen oft nicht für alle Winterlieder (Ruh, 123). Kennzeichnend wäre noch die Stollenstrophe, die in den Winterliedern durchwegs vorherrscht. Zuletzt steht die gattungsspezifische Ausprägung und Konkretisierung der "dörper". Wie schon argumentiert wurde sind die "dörper" zwar kein Spezifikum der Winterlieder, dennoch sind sie in dem Maße spezifisch, als sie in spezifisch akribischer Weise ausgearbeitet wurden, eine der höfischen oppositionäre Welt ausmachen und in die Grundthematik der Winterlieder integriert wurden (Ruh, 123).
Beschreibung
Die "dörper" sind konstituierender Bestandteil der Grundkonstellation der Winterlieder, in der "(...) der Minnesänger (...) auf dem Dorf um ein Mädchen wirbt, als ob es eine adelige Dame wäre, und dabei in Konflikt mit den Bauernburschen kommt" (Hübner, 52). Diese Konstellation beschreibt ein modifiziertes Minneschema, das gerade genug auf dem klassischen Minneschema aufbaut (Ruh, 122), um es noch hinter der "dörplichen" Maske zu erkennen. Vor der Folie der "dörper"-Welt wird dieses klassische Minneschema bewusst kontrastiert. In dem modifizierten Minneschema wird "(...) das adelige Ideal der höfischen Liebe mit der bäuerlichen Dorfwelt konfrontiert (...)" (Hübner,45).
Die Rollen der Minne in den Winterlieder sind damit schon fast bestimmt. Der Minnesänger als einsamer Wolf wirbt um eine "vrouwe", die Teil der "dörperwelt" ist und hat die Gesellschaft, d.h. die "dörper", als Rivalen. Da die Gesellschaft Rivalen, d.h. Mitbewerber um die "vrouwe" sind und die "vrouwe" wiederum häufig auf die Werbung der Rivalen, aber selten oder gar nicht auf die Werbung des Minnesängers, wird die Konfliktrelation Sänger - Gesellschaft in hohem Maße verstärkt (Ruh, 122). Die grundlegende Thematik und Motivik der Winterlieder entspringt nun eben den Gründen für diese Konfliktrelation und der Konfliktrelation an sich.
Als Katalysator der Entstehung der Thematik und Motivik aus der Konfliktrelation ist das Szenarium bzw. Milieu und Natureingang zu vermerken. Das Szenarium bleibt äußerst reduziert beschrieben und wird nur in einigen Liedern konkretisiert. Die Grundrisse sind jedoch durchgängig bekannt: Die Lieder spielen in einem druchwegs dörflichen Szenarium, das Milieu der "dörper". In ihrem Milieu ist der Sänger fremd, wogegen die "dörper" sich umso sicherer fühlen. Denn sie sind unter ihresgleichen, in vertrauten Räumen und vertrauten Gepflogenheiten und können dem Fremden mit entsprechendem Selbstbewusstsein entgegentreten. Umgekehrt fühlt sich der Fremde umso mehr als Fremder und von den Räumen und dem Personal der ihm oppositionären Welt ausgegrentzt. Dabei steht Die Lieder der Gruppe der "Winterlieder" sind dementsprechend durch den vorherrschenden bzw. eintretenden Winter und den abwesenden Sommer bestimmt. Das heißt auch, dass die Lieder dieser Gruppe von all denjenigen assoziierten Gefühlen und Gemütshaltungen vorgeprägt ist, die man mit dem Winter in Verbindung bringt oder durch den Winter verursacht sieht, und eben nicht mit all denjenigen Gefühlen und Gemütshaltungen, die man mit dem Sommer in Verbindung bringt oder durch den Sommer verursacht sieht. Aus diesen Gefühlen und Gemütshaltungen, die mit dem Winter in Verhältnis stehen, entwickeln sich dann -verkürzt- die Handlungen, Motive und Themen der Gruppe, die oftmals denen entgegengestellt werden können, die sich aus dem Rahmen "Sommer" heraus entwickeln. Welche das sind, kann man sich, wenn man sich die eigenen Assoziationen und Erfahrungen mit dem Winter in Erinnerung ruft, gut vorstellen: Einsamkeit, Schmerz, Trauer, Sehnsucht, Reizbarkeit und dann unbefriedigende, indifferente, verzweifelte Handlungen und daraus Gewalt, Folgen, Eifersucht, Flucht, Ruhelosigkeit und Spott, Klage, Gewalt; und eben nicht Liebe, Lust, Freude, Zufriedenheit/Ausgelassenheit und dann ausgelassene, freizügige, befriedigende Handlungen und daraus Liebe, Minne, Lob/Ode, Tanz und Lob, Hymne, Tanz. Dass es sich eben nicht um die letztere Folge handelt, ist ebenso für die Gruppe bezeichnend wie der Fakt, dass es sich um die erstere handelt - die einzelnen Handlungen, Motive und Themen sollen in der Analyse noch genauer differenziert und erläutert werden.
Die Gruppe der "Winterlieder" besteht aus X Lieder, unterscheiden sich durch Länge, metrischer-gebundener qualitativen Eigenschaften und der Richtung, Vollständigkeit oder Ausprägung der Themen und Motive.
Analyse der "Winterlieder" anhand der Mittel der Komik
Notizen: Motiv zur Untersuchung - Einführung - Grundlegende Vorbemerkungen und Leitfragen - Eine Hypothese - Analyse - Kriterium der Analyse: "Komik" (Vorstellung der Arten der Komik anhand von Beispielen aus den Winterliedern Übersetzung)- Gegenstand der Analyse: "Neidharts Winterlieder" - - Analyse der Winterlieder (nach den Winterliedern / unterschiedlichen Unterpunkten der "Komik") - Vergleich/Auswertung der Ergebnisse - Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten - Ausfälligkeiten (Kollision und Bruch)- Interpretation - Regelmäßigkeiten/Auffälligkeiten (und Unregelmäßigkeiten) - Gibt es eine Richtung? - Funktionen der "Komik" in den Winterliedern (Motiv des Autors diese Komik zu verwenden - Handelt es sich nun um "Komik" oder "Satire"// Wie Standessatire hier (hohe) Minnesatire?) - Unterschiedliche Wirkung in der Rezession - Schluss: Ist die Komik ein Gattungsmerkmal der "Winterlieder" (Indiz: Die Ganze Exposition ist so komponiert, dass nicht viel außer Komik (oder Tragik) übrig bleibt / folgen kann - Oder gar nur für Komik so ausgelegt?)? Wie kann gerade das "komische Element" die Gattung für ein "Following" attraktiv machen? - Aufgreifen der Hypothese: Intention des Autors? -- Fazit (Hypothese bestätigen // Die Neidhartlieder unterscheiden sich gerade in der Intention von Verwendung der Komik in hohem Maße von den Followern und Schwankliedern // Ansprechen der Bürgerschaft (Bürgerschaft kann sogar teilweise lesen! als neue potentielle Rezipienten // Es ist für die Intension bezeichnend, dass aus dem Clash der Stände keine Tragik oder eine allein amüsierende seichte Komik hervorgeht -obwohl man das durchaus machen könnte-, sondern eine Konstruktive. Der Clash wird damit nicht zur Verschmähung der Stände herbeigeführt, sondern um eine konstruktive, einladende, freundliche Komik // Die Wahl des Humors kann durchaus als elegante Lösung bewertet werden, die Misstände darzustellen, welche häufig alles andere als schön sind. So ist nicht nur der Humor häufig in Form eines Bruches realisiert, sondern schon die Verwendung des Humors ein Bruch.)