Ehe und Ehebruch: Unterschied zwischen den Versionen

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Ist es nicht auffällig, dass Isoldes  Ehebruch<ref name="test">[Nicola Zotz schreibt im Zusammenhang mit  der Ehebruchskonstellation von einer "soziale[n] Unmöglichkeit".],  Nicola Zotz: „Vaterverlust oder Vatergewinn? Rual zwischen Riwalin und  Marke“, in: Johannes Keller (Hg.), ''Das Abenteuer der Genealogie:  Vater-Sohn-Beziehungen im Mittelalter'', Göttingen 2006, S. 87-104, hier  S. 92.</ref> nicht die Ehre der  Liebenden befleckt? Anscheinend hat nur Marke um seine Ehre zu bangen; seine Gefolgsleute und Späher  fürchten mit ihrem Herren ihr Ansehen  einzubüßen. Wie ist es zu  erklären, dass Marke um seine Ehre betrogen  wird, wo er doch nicht am  Ehebruch teilnimmt? Muss Marke, der König, der  königliche Ehemann  Isoldes als Allegorie für ein mittelalterliches,  höfisches  Gesellschaftsbild angesehen werden, das sich über seinen Herrscher  definiert? Wie ist die Verbannung des Paares vom Hof und die Zuflucht,  die sie in der Minnegrotte finden zu deuten? Spaltet der "Tristan"-Stoff  die ältere deutsche Literatur, so wie die Dekadenz des fin de siécle  des ausgehenden 19. Jh. und des beginnenden 20. Jh. Moral von Konvention  abspaltet. Wirkt der "Tristan" Gottfrieds etwa als Katalysator für die aufgestauten Triebe, die die starren höfischen Normen zu unterdrücken  suchen? Was rechtfertigt die Rezeption des "Tristans", der zur selben  Zeit erschien wie die großen Artus-Romane? Muss der "Tristan" als  Antagonismus des Artus-âventiure-Romans gelesen werden? Und wie wird  dieser Stoff in moderner Literatur verwendet? Gelten noch gleiche Regeln  für die Ehebrecher und die Gehörnten?
Ist es nicht auffällig, dass Isoldes  Ehebruch anscheinend nicht die Ehre der  Liebenden befleckt?  Nur Marke um seine Ehre zu bangen; seine Gefolgsleute und Späher  fürchten mit ihrem Herren ihr Ansehen  einzubüßen. Marke scheint seine Ehre zu verlieren, anstatt des Liebespaares. Muss Marke, der König, der  königliche Ehemann  Isoldes als Allegorie für ein mittelalterliches,  höfisches  Gesellschaftsbild angesehen werden, das sich über seinen Herrscher  definiert?  
 
In diesem Artikel soll das Verhältnis der Liebe und der Ehe im mittelalterlichen Roman geklärt werden. Außerdem muss dabei die Frage betrachtet werden, inwiefern Ehebruch und Ehrverlust der Liebenden und des Betrogenen in Verbindung stehen. Wie ist dann die Verbannung des Paares vom Hof und die Zuflucht,  die sie in der Minnegrotte finden zu deuten und warum kehren Tristan und Isolde zurück in die Gesellschaft?
==Vorüberlegungen zu Gottfrieds "Tristan"==
In erster Linie wird hier die Beziehung Tristans, Isoldes und Marke unter die Lupe genommen, wo der Liebe-Ehe-Ehebruch-Konflikt am deutlichsten zum Tragen kommt.
===Welchen Konventionen sind die Figuren in Gottfrieds "Tristan" unterworfen?===
==Liebe und Ehe am literarischen Hof==
 
Man muss für das Mittelalter zwischen der Liebe wie wir sie heute verstehen und der Liebe innerhalb einer Ehe unterscheiden. Beide Formen der Liebe fasst die höfische Kultur unter dem Begriff der ''minne'' zusammen. Um Missverständnissen vorzubeugen sollen in diesem Artikel die Begriffe ''seneliebe'', als jene romantische Liebe, und Eheliebe verwendet werden[Ertzdorff: S. 88].
Man muss zu aller erst berücksichtigen, dass wenn in der mittelalterlichen  Literatur ein höfisches Idealbild eines Ritters erschaffen wird, dieses  auch als Idealbild angesehen werden muss und nicht als status quo gelten  darf. Es ist davon auszugehen, dass das Leben am Hof in etwa dem  nacheifert, was die Literatur und überliefert. Doch würde man unseren  Vorfahren zu viel zutrauen, wenn man davon ausginge, dass sie diese  Idealbilder verkörperten und in der gepriesenen „Reinheit“ lebten.  Interessanter Weise ist im Artusroman jeder einzelne für seine eigene  Ehre verantwortlich. Der Fall folgt durch eigenes Unvermögen. Nachdem  der Ritter sich durch höfischheit emporgekämpft hat auf seinem  âventiure-Weg, fällt er anschließend aufgrund irgendeiner Form von  unhöfischheit. Isolde würde, wäre sie eine Figur des Artusromans, ihre  Ehre einbüßen durch den Ehebruch. Nur den minne-Dienst eines Ritters  dürfte sie zulassen, ja, müsste sie zulassen, um ihre eigene Ehre zu vermehren.
Diese seneliebe und Eheliebe sind unvereinbar miteinander. So postuliert die Gräfin von Champagne in einem vom 1. Mai 1174 datierten Brief: "Wir verkünden und setzen unverrückbar fest, dass die Liebe zwischen zwei Eheleuten ihre Macht nicht entfalten kann."[Bumke1: S. 530] Die seneliebe kann also in einer Ehe nicht stattfinden; wohl aber außerhalb der Ehe im Minnedienst. Das hat insbesondere den Grund, dass politische, arrangierte, unpersönliche Ehen gang und gäbe waren und über bestehende Liebschaften hinweg geschlossen wurden, welche dann oft beibehalten wurden - im Geheimen.
 
Allerdings darf in dem Postulat der Gräfin von Champagne keine Aufforderung zum Ehebruch gelesen werden, es dient lediglich der Anerkennung der grundsätzlichen Verschiedenheit der Beziehung innerhalb und außerhalb der Ehe[Bumke1: S. 534].
Im „Tristan“ Gottfrieds ist das anders. Marke würde seine Ehre verlieren, würde der Ehebruch bekannt werden. Isolde und Tristan haben dabei anscheinend nur den Zorn Markes zu  fürchten, nicht jedoch Ehrverlust. Auch rügen Brangäne und Kurwenal, die von der Liaison wissen, das Paar mit keinem Wort. Sie fordern nur zur  Wachsamkeit auf. Die Ehr- und Moralvorstellungen im „Tristan“ müssen  also anderen Parametern unterworfen sein, wie in anderen  mittelalterlichen Texten. Tristan und Isolde sind ja frei von allen  Skrupeln, Ängsten, frei von dem Verdacht, ihr Verhalten könnte ihre  persönliche „Ehre“ schmälern. Die beiden tragen also den  gesellschaftlich-moralischen Konflikt nicht aus, der doch für Marke ganz  unmittelbar ist.
Das höfische Ideal sieht nun vor, dass eine Ehe geschlossen wird, um die Ehre der Eheleute zu vergrößern. So das Ideal, denn die Ehe wurde eben meist nicht aus privaten, sondern "geschäftlichen" Gründen geschlossen! Es geht um Land, Bündnisse, Handel, Frieden usw. Trotzdem soll der Minnedienst außerhalb der Ehe fortgesetzt werden, denn auch darin liegt ein Teil der vollständigen höfischen Verhaltensweisen. Aus diesen Komponenten resultiert im Folgenden das Minneparodox. Einerseits soll die Ehe eingegangen werden - in der keine seneliebe möglich ist -, andererseits ist aber die seneliebe zur Erfüllung eines Idealzustandes unabdingbar. So muss sie außerehelich gesucht werden. Beide Seiten der Medaille dienen dem Ehrzuwachs und enden im Ehrverlust des/der Ehebrechers/in und des Gehörnten, es sei denn die Medaille bleibt auf ihrer Kante stehen.
 
Die Motive der heimlichen seneliebe, dem darin enthaltenen Ehebruch und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Problematik, da letztendlich das Ideal nicht erfüllt, ja un der Erfüllung gleichsam vernichtet wird, lassen sich natürlich literarisch sehr gut verarbeiten. Was wir an der Vielzahl von Romanen und hauptsächlich Minnesängen sehen können.
Marke ist derjenige, der den Bruch  der Normen der Moral durch Tristan und Isolde zu beklagen hat und mit  den Konsequenzen leben muss - mit seinem Ehrverlust.Er ist eifersüchtig,  denn er liebt Isolde und er trägt eine Verantwortung gegenüber der  Gesellschaft, der er nicht gerecht wird; er
==Liebesproblematik im Tristan==
schafft es nicht, dass seine Frau seine Ehre stützt und lässt es zu, dass sie ihn entehrt.  Niemand aber muss den Bruch mit den Normen der höfischen Konventionen  beklagen, bzw. die daraus resultierenden Konsequenzen tragen - es gibt  keine Konsequenzen, es scheint nicht einmal höfische Konventionen zu  geben in diesen Belangen. Tristan und Isolde brechen im Zweifelsfall  zwar beides: die Normen der Moral und die Normen der Konventionen. Man  müsste davon ausgehen, dass sie für den Bruch der Konventionen bestraft  werden würden, das ist aber nicht der Fall. Sie werden von Marke, dem  Leidtragenden, der natürlich gegen sie zürnt, aber aus emotionalen  Gründen, nur dafür bestraft, dass sie ihn Hintergangen haben, also  moralisch nicht einwandfrei handelten. Tristan und Isolde werden von  Marke also für den Bruch mit den Normen der Moral verbannt; würde er sie  für den Bruch mit Konventionen bestrafen, ließe er sie umbringen. Die  Gesellschaft hält sich aus dem Konflikt zwischen Marke und dem Paar heraus. Die Gesellschaft schaut aber auf Markes Ehre, welche Isolde  verringerte. Deshalb muss man die Gesellschaft trotzdem als wirksame  Größe in Bezug auf die Liebenden annehmen, da sie doch indirekt durch  Marke, durch seinen Zorn, seinen Zweifel antagonistische Funktion inne  ein. Dass es dem Paar in der Verbannung aber viel besser geht, dass sie  ihre Zweisamkeit, das gefahrlose Zusammensein genießen können, zeigt, dass nur insofern eine Bestrafung vorhanden ist, dass Tristan den  edelsten nur denkbaren Ritter verkörpert und somit Teil der Gesellschaft  am Hofe ist - dieser Gesellschaft aber fern bleiben muss. Insofern ist wohl Tristans und Isoldes Ehre doch auch befleckt. Diese Tatsache  rechtfertigt auch, warum Tristan und Isolde gerne wieder mit an den Hof  kommen, nachdem Marke sie in der Minnegrotte aufgespürt hat, obwohl sie wissen müssen, dass sie ihre Zuneigung für einander in Markes Nähe nicht  mehr zeigen könne und wieder in ständiger Gefahr leben werden, erwischt  zu werden. Das Leben am Hof sichert ihnen Ehre, so lange sie sich im  Verborgenen lieben.
Nachdem Tristan, der emotional und narrativ sehr eng an Marke geknüpft ist, bzw. Marke ebenso an Tristan, da sie in ihrer gemeinsamen Herrschaft ein unübertreffliches Ritterideal verkörpern, um Isolde für Marke erfolgreich geworben hat, trinken Tristan und Isolde zufällig auf der Überfahrt nach Cornwall den Liebestrank und sind von nun an unzertrennlich in sehnsuchtsvoller Liebe aneinander gebunden. Sie sind bis in den Tod miteinander verwoben: ''ouwê Tristan und Îsôt, diz tranc ist iuwer beider tôt!'' (V. 11705 f.). Diese Verbundenheit bis in den Tod und die Unmöglichkeit einer Existenz ohne den Partner führen dazu, dass sie Marke beginnen zu hintergehen - sie beginnen eine Liebschaft. Natürlich bleibt diese nicht allzu lange unentdeckt, so dass Marke auf den Plan gerufen wird, zuerst von Marjodo
 
:Der nîdege Marjodô
Um diese Überlegungen zu  verdeutlichen: Bei Fontanes „Effi Briest“ geschieht das Gegenteil; Effi  wird von Instetten verstoßen, weil sie mit gesellschaftliche  Konventionen gebrochen hat, moralisch und emotional hat er ihr am Ende  aber vergeben. Er verstößt sie, weil die Gesellschaft den Bruch mit der  Konvention bestraft haben will, nicht weil die Gesellschaft den Bruch  mit einer Moralvorstellung bestraft haben will. Die Gesellschaft bei  Gottfried will den Bruch mit den Normen der Moral bestraft sehen. Was  auch geschieht. Durch Marke, am dem sie nicht moralisch korrekt  handelten, werden sie von der Gesellschaft verbannt. Man brauch hier  also Marke, den König, nicht den Ehemann, als Katalysator, der die  Gesellschaft repräsentiert und anstelle der Gesellschaft hintergangen  wird und die durch ihn straft. Durch die Schändung des Königs, wird  gleichzeitig jeder Untertan befleckt.
:der nam den künec verholne dô
:und seite im, daz ein maere
:dâ ze hove entsprungen waere
:von Îsôt und Tristande, (V. 13637 - 13641)
und später mit Hilfe Melots
:Dâ kêrte ouch ez spâte und vruo
:sîne lüge und sîne lâge zuo. (meint: auf die Entdeckung der Affäre inflagranti) (V. 14261 f.)
und sich eine Reihe von Listen und Gegenlisten aneinanderfügen, welche Tristan und Isolde trotz ihrer verwerflichen Tat unbeschadet überstehen.
===Rehabilitation des Paares durch Sympathielenkung===
Wie kommt es aber, dass das moralische Problem des Ehebruchs von Gottfried von Straßburg überhaupt nicht diskutiert wird? Dieser rückt nämlich die Erfüllung der sehnsuchtsvollen Liebe (''senemaere'' V. 17184) zwischen Tristan und Isolde ins Zentrum der Handlung und auch die Gefahren (List und Gegenlist), die das Paar heil überstehen muss. Es fällt kein Schatten des Vorwurfs auf die Handlungsweise der Liebenden, deren Ehebruch das öffentliche Ansehen des Königs schwer in Mitleidenschaft zieht, nicht aber das der Ehebrecher[Bumke1: S. 558].
==Riwalin und Blascheflurs Affäre==
Die Eltern Tristans, Riwalin und Blanscheflur, zeugen ihn außerehelich. Dies muss zwangsläufig zu Problemen des öffentlichen Ansehens führen, denn der außereheliche Geschlechtsverkehr ist ein Tabu. Zudem ist die Entjungferung ein Privileg des Ehemannes in der Hochzeitsnacht und bei vorhergehender Entjungferung sinken die Chancen auf dem Heiratsmarkt beträchtlich, weil die ''frouwe'' nicht mehr unbefleckt ist. Freilich ist das eher ein Problem, das sich Blanscheflur offenbart, denn für Männer war vorehelicher Verkehr nicht allzu ernst zu nehmen.
Zudem hat Blanscheflur von Riwalin nun dieses uneheliche Kind empfangen - Tristan ist somit schon vor seiner Geburt entehrt. Aus seneliebe bietet Riwalin Blanscheflur an sie zu ehelichen, was sie natürlich bejaht.
:...geruochet aber ir
:heim unde hinnen varn mit mir,
:ich selbe und allez, daz ich hân,
:daz ist iu iemer untertân. (V. 1535 - 1538)
und
:und râte zwâre, daz ir ê
:ze kirchen ir geruochet jehen,
:da ez pfaffen unde leien sehen,
:der ê nach christenlîchem site. (V. 1630 - 1633)
...
:Nu daz geschach, daz was getân,
:daz er des alles vollekam. (V. 1638 f.)
Hier verbinden sich kurzzeitig seneliebe und Eheliebe - kurz deshalb, weil Riwalin kurz darauf im Kampfe fällt. Blanscheflur gebirt Tristan und stirbt darauf an gebrochenem Herzen, aus Schmerz um den toten Riwalin. Tristan wird daraufhin von Rual adoptiert, einem Freund seines Vaters, aber nicht bevor die Schwangerschaft Ruals Frau mit Tristan fingiert wurde, die Tristan rehabilitiert!
:und bevalch ir verre und an den lîp,
:daz sî sich in leite
:nâch der gewohnheite,
:als ein wîp kindes inne lît,
:und daz si nâch der selben zît
:jaehe unde jehende waere,
:daz sî daz kint gebaere
:daz ir juncherre solte sîn. (V. 1896 - 1903)
Hier wird deutlich wie sehr Liebe überformt wird von höfischer Moral-und Idealvorstellung. Trotz allem Trotz dagegen und moralisch bedenklichem Handeln und mittels dem Argument der seneliebe, werden aber alle Zweifel am Liebespaar und den Helfern und ebenso alle Vorwürfe gegen sie, ausgemerzt.  


===Wie wird das Ehebruch-Motiv gelöst?===
===Wie wird das Ehebruch-Motiv gelöst?===
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<references />
<references />
==Literatur==
==Literatur==
< references/>
<HarvardReferences />
* Bumke, Joachim: Liebe und Ehebruch in der höfischen  Gesellschaft,  in:  Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung  in  Deutschland,  hg. von Rüdiger Krohn, München 1983, S. 25-45.
*[*Bumke1]Bumke, Joachim: Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, dtv, München, 1986.
* Ertzdorff, Xenja von: Liebe, Ehe, Ehebruch und Tod in Gottfrieds Tristan,  in: Liebe - Ehe - Ehebruch in der Literatur des Mittelalters, hg. von  Xenja von Ertzdorff und Marianne Wynn, Giessen 1984 (Beiträge zur  deutschen Philologie 58), S. 88-97.  
*[*Bumke]Bumke, Joachim: Liebe und Ehebruch in der höfischen  Gesellschaft,  in:  Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung  in  Deutschland,  hg. von Rüdiger Krohn, München 1983, S. 25-45.
*[*Ertzdorff]Ertzdorff, Xenja von: Liebe, Ehe, Ehebruch und Tod in Gottfrieds Tristan,  in: Liebe - Ehe - Ehebruch in der Literatur des Mittelalters, hg. von  Xenja von Ertzdorff und Marianne Wynn, Giessen 1984 (Beiträge zur  deutschen Philologie 58), S. 88-97.  
* Jaeger, Charles Stephen: Ennobling love. In search of a lost sensibility, Philadelphia 1999 (The Middle Ages series).
* Jaeger, Charles Stephen: Ennobling love. In search of a lost sensibility, Philadelphia 1999 (The Middle Ages series).

Version vom 7. Februar 2011, 12:42 Uhr

Ist es nicht auffällig, dass Isoldes Ehebruch anscheinend nicht die Ehre der Liebenden befleckt? Nur Marke um seine Ehre zu bangen; seine Gefolgsleute und Späher fürchten mit ihrem Herren ihr Ansehen einzubüßen. Marke scheint seine Ehre zu verlieren, anstatt des Liebespaares. Muss Marke, der König, der königliche Ehemann Isoldes als Allegorie für ein mittelalterliches, höfisches Gesellschaftsbild angesehen werden, das sich über seinen Herrscher definiert? In diesem Artikel soll das Verhältnis der Liebe und der Ehe im mittelalterlichen Roman geklärt werden. Außerdem muss dabei die Frage betrachtet werden, inwiefern Ehebruch und Ehrverlust der Liebenden und des Betrogenen in Verbindung stehen. Wie ist dann die Verbannung des Paares vom Hof und die Zuflucht, die sie in der Minnegrotte finden zu deuten und warum kehren Tristan und Isolde zurück in die Gesellschaft? In erster Linie wird hier die Beziehung Tristans, Isoldes und Marke unter die Lupe genommen, wo der Liebe-Ehe-Ehebruch-Konflikt am deutlichsten zum Tragen kommt.

Liebe und Ehe am literarischen Hof

Man muss für das Mittelalter zwischen der Liebe wie wir sie heute verstehen und der Liebe innerhalb einer Ehe unterscheiden. Beide Formen der Liebe fasst die höfische Kultur unter dem Begriff der minne zusammen. Um Missverständnissen vorzubeugen sollen in diesem Artikel die Begriffe seneliebe, als jene romantische Liebe, und Eheliebe verwendet werden[Ertzdorff: S. 88]. Diese seneliebe und Eheliebe sind unvereinbar miteinander. So postuliert die Gräfin von Champagne in einem vom 1. Mai 1174 datierten Brief: "Wir verkünden und setzen unverrückbar fest, dass die Liebe zwischen zwei Eheleuten ihre Macht nicht entfalten kann."[Bumke1: S. 530] Die seneliebe kann also in einer Ehe nicht stattfinden; wohl aber außerhalb der Ehe im Minnedienst. Das hat insbesondere den Grund, dass politische, arrangierte, unpersönliche Ehen gang und gäbe waren und über bestehende Liebschaften hinweg geschlossen wurden, welche dann oft beibehalten wurden - im Geheimen. Allerdings darf in dem Postulat der Gräfin von Champagne keine Aufforderung zum Ehebruch gelesen werden, es dient lediglich der Anerkennung der grundsätzlichen Verschiedenheit der Beziehung innerhalb und außerhalb der Ehe[Bumke1: S. 534]. Das höfische Ideal sieht nun vor, dass eine Ehe geschlossen wird, um die Ehre der Eheleute zu vergrößern. So das Ideal, denn die Ehe wurde eben meist nicht aus privaten, sondern "geschäftlichen" Gründen geschlossen! Es geht um Land, Bündnisse, Handel, Frieden usw. Trotzdem soll der Minnedienst außerhalb der Ehe fortgesetzt werden, denn auch darin liegt ein Teil der vollständigen höfischen Verhaltensweisen. Aus diesen Komponenten resultiert im Folgenden das Minneparodox. Einerseits soll die Ehe eingegangen werden - in der keine seneliebe möglich ist -, andererseits ist aber die seneliebe zur Erfüllung eines Idealzustandes unabdingbar. So muss sie außerehelich gesucht werden. Beide Seiten der Medaille dienen dem Ehrzuwachs und enden im Ehrverlust des/der Ehebrechers/in und des Gehörnten, es sei denn die Medaille bleibt auf ihrer Kante stehen. Die Motive der heimlichen seneliebe, dem darin enthaltenen Ehebruch und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Problematik, da letztendlich das Ideal nicht erfüllt, ja un der Erfüllung gleichsam vernichtet wird, lassen sich natürlich literarisch sehr gut verarbeiten. Was wir an der Vielzahl von Romanen und hauptsächlich Minnesängen sehen können.

Liebesproblematik im Tristan

Nachdem Tristan, der emotional und narrativ sehr eng an Marke geknüpft ist, bzw. Marke ebenso an Tristan, da sie in ihrer gemeinsamen Herrschaft ein unübertreffliches Ritterideal verkörpern, um Isolde für Marke erfolgreich geworben hat, trinken Tristan und Isolde zufällig auf der Überfahrt nach Cornwall den Liebestrank und sind von nun an unzertrennlich in sehnsuchtsvoller Liebe aneinander gebunden. Sie sind bis in den Tod miteinander verwoben: ouwê Tristan und Îsôt, diz tranc ist iuwer beider tôt! (V. 11705 f.). Diese Verbundenheit bis in den Tod und die Unmöglichkeit einer Existenz ohne den Partner führen dazu, dass sie Marke beginnen zu hintergehen - sie beginnen eine Liebschaft. Natürlich bleibt diese nicht allzu lange unentdeckt, so dass Marke auf den Plan gerufen wird, zuerst von Marjodo

Der nîdege Marjodô
der nam den künec verholne dô
und seite im, daz ein maere
dâ ze hove entsprungen waere
von Îsôt und Tristande, (V. 13637 - 13641)

und später mit Hilfe Melots

Dâ kêrte ouch ez spâte und vruo
sîne lüge und sîne lâge zuo. (meint: auf die Entdeckung der Affäre inflagranti) (V. 14261 f.)

und sich eine Reihe von Listen und Gegenlisten aneinanderfügen, welche Tristan und Isolde trotz ihrer verwerflichen Tat unbeschadet überstehen.

Rehabilitation des Paares durch Sympathielenkung

Wie kommt es aber, dass das moralische Problem des Ehebruchs von Gottfried von Straßburg überhaupt nicht diskutiert wird? Dieser rückt nämlich die Erfüllung der sehnsuchtsvollen Liebe (senemaere V. 17184) zwischen Tristan und Isolde ins Zentrum der Handlung und auch die Gefahren (List und Gegenlist), die das Paar heil überstehen muss. Es fällt kein Schatten des Vorwurfs auf die Handlungsweise der Liebenden, deren Ehebruch das öffentliche Ansehen des Königs schwer in Mitleidenschaft zieht, nicht aber das der Ehebrecher[Bumke1: S. 558].

Riwalin und Blascheflurs Affäre

Die Eltern Tristans, Riwalin und Blanscheflur, zeugen ihn außerehelich. Dies muss zwangsläufig zu Problemen des öffentlichen Ansehens führen, denn der außereheliche Geschlechtsverkehr ist ein Tabu. Zudem ist die Entjungferung ein Privileg des Ehemannes in der Hochzeitsnacht und bei vorhergehender Entjungferung sinken die Chancen auf dem Heiratsmarkt beträchtlich, weil die frouwe nicht mehr unbefleckt ist. Freilich ist das eher ein Problem, das sich Blanscheflur offenbart, denn für Männer war vorehelicher Verkehr nicht allzu ernst zu nehmen. Zudem hat Blanscheflur von Riwalin nun dieses uneheliche Kind empfangen - Tristan ist somit schon vor seiner Geburt entehrt. Aus seneliebe bietet Riwalin Blanscheflur an sie zu ehelichen, was sie natürlich bejaht.

...geruochet aber ir
heim unde hinnen varn mit mir,
ich selbe und allez, daz ich hân,
daz ist iu iemer untertân. (V. 1535 - 1538)

und

und râte zwâre, daz ir ê
ze kirchen ir geruochet jehen,
da ez pfaffen unde leien sehen,
der ê nach christenlîchem site. (V. 1630 - 1633)

...

Nu daz geschach, daz was getân,
daz er des alles vollekam. (V. 1638 f.)

Hier verbinden sich kurzzeitig seneliebe und Eheliebe - kurz deshalb, weil Riwalin kurz darauf im Kampfe fällt. Blanscheflur gebirt Tristan und stirbt darauf an gebrochenem Herzen, aus Schmerz um den toten Riwalin. Tristan wird daraufhin von Rual adoptiert, einem Freund seines Vaters, aber nicht bevor die Schwangerschaft Ruals Frau mit Tristan fingiert wurde, die Tristan rehabilitiert!

und bevalch ir verre und an den lîp,
daz sî sich in leite
nâch der gewohnheite,
als ein wîp kindes inne lît,
und daz si nâch der selben zît
jaehe unde jehende waere,
daz sî daz kint gebaere
daz ir juncherre solte sîn. (V. 1896 - 1903)

Hier wird deutlich wie sehr Liebe überformt wird von höfischer Moral-und Idealvorstellung. Trotz allem Trotz dagegen und moralisch bedenklichem Handeln und mittels dem Argument der seneliebe, werden aber alle Zweifel am Liebespaar und den Helfern und ebenso alle Vorwürfe gegen sie, ausgemerzt.

Wie wird das Ehebruch-Motiv gelöst?

Fazit

Einzelnachweise

Literatur

<HarvardReferences />

  • [*Bumke1]Bumke, Joachim: Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, dtv, München, 1986.
  • [*Bumke]Bumke, Joachim: Liebe und Ehebruch in der höfischen Gesellschaft, in: Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland, hg. von Rüdiger Krohn, München 1983, S. 25-45.
  • [*Ertzdorff]Ertzdorff, Xenja von: Liebe, Ehe, Ehebruch und Tod in Gottfrieds Tristan, in: Liebe - Ehe - Ehebruch in der Literatur des Mittelalters, hg. von Xenja von Ertzdorff und Marianne Wynn, Giessen 1984 (Beiträge zur deutschen Philologie 58), S. 88-97.
  • Jaeger, Charles Stephen: Ennobling love. In search of a lost sensibility, Philadelphia 1999 (The Middle Ages series).