Perspektivisches Erzählen (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen

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=== Die Erzählerperspektive===
=== Die Erzählerperspektive===


Bei dem ''Parzival''-Erzähler handelt es sich vorwiegend um einen auktorialen Erzähler, aus dessen Perspektive das Handlungsgeschehen wiedergegeben wird. Der Erzähler ist allwissend, überblickt das Geschehen und ist nicht an eine einzige Figurenperspektive gebunden. Diese Erzählperspektive lässt sich nach Gérard Genette als Nullfokalisierung bezeichnen. Der Erzähler charakterisiert seine Geschichte zu Beginn des Romans als sprunghaft, sich wendend, dem Leser entziehend oder vorauseilend, sich zurückwendend und vorausdeutend und greift damit das Bild des hakenschlagenden Hasens, das er in Bezug auf das [[Das Elsterngleichnis (Wolfram von Eschenbach, Parzival) | Elsterngleichnis]] im Prolog äußerte, wieder auf. Diese genannten Eigenschaften der Geschichte korrespondieren mit den Merkmalen, die ein auktorialer Erzähler aufweist, der wendig zwischen einzelnen Handlungen hin- und herzuspringen vermag. Der Erzähler greift wertend, kommentierend und strukturierend in die Erzählung ein. Es ist jedoch festzuhalten, dass es sich bei dem ''Parzival''-Erzähler um keine unangefochteneene Erzählinstanz handelt. Der Erzähler macht selbst "auf die Begrenzheit seiner Perspektive aufmerksam" [Bumke 2004: S.230] und stellt seine eigene Autorität als Erzählinstanz in Frage. Er beruft sich zwar mehrmals auf seine Quelle (Vgl. 58,16 u. 59,4 u. 381,30), um den Wahrheitsgehalt seiner Äußerungen zu verbürgen, relativiert jedoch die Bedeutung seiner Aussagen in demselben Satz: "geloubetz, ob ir wellet: geziuge sint mir gar verzagt" (381, 28 f.: das könnt ihr glauben oder nicht: Zeugen habe ich keine). Die Richtigkeit des Erzählten legt der Erzähler in die Hände des Lesers beziehungsweise des Hörers: "Gebiet ir, sô ist ez wâr" (59,27: Ihr braucht nur zu befehlen, dann ist es wahr), und lässt die Zuhörer den Eid über die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen schwören: "diz sag ouch ich ûf iwer ieslîches eit" (238,8f.: ich sage es wieder - ich nehme es auf euren Eid). Durch dieses Verhalten entbindet sich der Erzähler teilweise seiner Verantwortung und überträgt diese auf den Rezipienten: "sol ich des iemen triegen, sô müezt ir mit mir liegen" (238,11f.: wenn einer dann etwas feststellt, daß es nicht wahr istt, was ich sage, so habt ihr zusammen mit mir gelogen).
Bei dem ''Parzival''-Erzähler handelt es sich vorwiegend um einen auktorialen Erzähler, aus dessen Perspektive das Handlungsgeschehen wiedergegeben wird. Der Erzähler ist allwissend, überblickt das Geschehen und ist nicht an eine einzige Figurenperspektive gebunden. Diese Erzählperspektive lässt sich nach Gérard Genette als Nullfokalisierung bezeichnen. Der Erzähler charakterisiert seine Geschichte zu Beginn des Romans als sprunghaft, sich wendend, dem Leser entziehend oder vorauseilend, sich zurückwendend und vorausdeutend und greift damit das Bild des hakenschlagenden Hasens, das er in Bezug auf das [[Das Elsterngleichnis (Wolfram von Eschenbach, Parzival) | Elsterngleichnis]] im Prolog äußerte, wieder auf. Diese genannten Eigenschaften der Geschichte korrespondieren mit den Merkmalen, die ein auktorialer Erzähler aufweist, der wendig zwischen einzelnen Handlungen hin- und herzuspringen vermag. Der Erzähler greift wertend, kommentierend und strukturierend in die Erzählung ein. Es ist jedoch festzuhalten, dass es sich bei dem ''Parzival''-Erzähler um keine unangefochtene Erzählinstanz handelt. Die Kommentare des Erzählers weisen Widersprüchlichkeiten auf, welche in dem Abssatz: Beispiel beispielhaft aufgezeigt werden soll. Der Erzähler macht selbst "auf die Begrenzheit seiner Perspektive aufmerksam" [Bumke 2004: S.230] und stellt seine eigene Autorität als Erzählinstanz in Frage. Er beruft sich zwar mehrmals auf seine Quelle (Vgl. 58,16 u. 59,4 u. 381,30), um den Wahrheitsgehalt seiner Äußerungen zu verbürgen, relativiert jedoch die Bedeutung seiner Aussagen in demselben Satz: "geloubetz, ob ir wellet: geziuge sint mir gar verzagt" (381, 28 f.: das könnt ihr glauben oder nicht: Zeugen habe ich keine). Die Richtigkeit des Erzählten legt der Erzähler in die Hände des Lesers beziehungsweise des Hörers: "Gebiet ir, sô ist ez wâr" (59,27: Ihr braucht nur zu befehlen, dann ist es wahr), und lässt die Zuhörer den Eid über die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen schwören: "diz sag ouch ich ûf iwer ieslîches eit" (238,8f.: ich sage es wieder - ich nehme es auf euren Eid). Durch dieses Verhalten entbindet sich der Erzähler seiner Verantwortung und überträgt diese auf den Rezipienten: "sol ich des iemen triegen, sô müezt ir mit mir liegen" (238,11f.: wenn einer dann etwas feststellt, daß es nicht wahr ist, was ich sage, so habt ihr zusammen mit mir gelogen). Diese Aussagen des ''Parzival''-Erzählers relativieren die Gültigkeit seiner Kommentare, Deutungen und Wertungen [Bumke 2004: Vgl. S. 230], das heißt der Erzähler wird als zuverlässige Erzählinstanz in Zweifel gezogen.


=== Die Figurenperspektive===
=== Die Figurenperspektive===

Version vom 24. Juni 2012, 18:39 Uhr

Das Perspektivische Erzählen beziehungsweise die point-of-view-Technik ist ein bedeutendes erzähltechnisches Gestaltungselement in dem Roman Parzival von Wolfram von Eschenbach. Das Handlungsgeschehen wird in dem Roman sowohl aus der Perspekive des vorwiegend auktorialen Erzählers als auch aus unterschiedlichen Perspektiven einzelner Roman-Figuren beleuchtet. Diese polyperspekivische Präsentation des Parzival-Stoffes ermöglicht die Darstellung der Beurteilungsvielfalt einzelner Aspekte der Handlung, stellt jedoch gleichzeitig eine enorme Herausforderung an den Rezipienten des Stoffes dar.

Eine neue Kunstform

Die durchgängige Erzählerperspektive stellt eine bedeutende Neuerung der höfischen Erzählkunst im Mittelalter dar. [Bumke 2004: Vgl. S. 229] Vorbilder und Beispiele einer stringenten Erzählerpespektive sind die Epen des französischen Dichters Chrétiens de Troyes, darunter auch die Vorlage Li Contes del Graal ou Le roman de Perceval für den Parzival-Roman Wolframs von Eschenbach, und der Roman d'Énéas. [Bumke 2004: Vgl. S. 229] Der Conte du Graal von Chrétiens de Troyes ist monoperspektivisch verfasst. Wolfram von Eschenbach übernimmt bei der Verschriftlichung seines Parzival-Romans die Schilderung des Geschehens durch eine Erzählerperspektive aus seiner französischen Vorlage. Er fügt dem Erzähler als Erzählinstanz jedoch spezifische Eigenheiten hinzu und erweitert die Darstellung des Erzählten durch die Perspektive verschiedener Roman-Figuren. Durch diese Aufspaltung der monoperspektivischen Erzählweise von Chrétiens de Troyes in den polyperspektivischen Erzählstil Wolframs von Eschenbach, entsteht in dem deutschen Parzival-Roman ein Netz divergierender und konvergierender Sichtweisen, worauf im folgenden Abschnitt noch einmal ausführlicher eingegeangen wird. Für den Moment ist festzuhalten, dass das polyperspektivische Erzählen Wolframs von Eschenbach eine beachtliche erzähltechnische Innovation und darstellerische Erweiterung gegnüber seiner Vorlage von Chrétiens de Troyes verkörpert, sodass Bumke von einer "eigene[n] Kunstform" [Bumke 2004: S. 229] Wolframs von Eschenbach spricht.

Die Perspektiven

Die Erzählerperspektive

Bei dem Parzival-Erzähler handelt es sich vorwiegend um einen auktorialen Erzähler, aus dessen Perspektive das Handlungsgeschehen wiedergegeben wird. Der Erzähler ist allwissend, überblickt das Geschehen und ist nicht an eine einzige Figurenperspektive gebunden. Diese Erzählperspektive lässt sich nach Gérard Genette als Nullfokalisierung bezeichnen. Der Erzähler charakterisiert seine Geschichte zu Beginn des Romans als sprunghaft, sich wendend, dem Leser entziehend oder vorauseilend, sich zurückwendend und vorausdeutend und greift damit das Bild des hakenschlagenden Hasens, das er in Bezug auf das Elsterngleichnis im Prolog äußerte, wieder auf. Diese genannten Eigenschaften der Geschichte korrespondieren mit den Merkmalen, die ein auktorialer Erzähler aufweist, der wendig zwischen einzelnen Handlungen hin- und herzuspringen vermag. Der Erzähler greift wertend, kommentierend und strukturierend in die Erzählung ein. Es ist jedoch festzuhalten, dass es sich bei dem Parzival-Erzähler um keine unangefochtene Erzählinstanz handelt. Die Kommentare des Erzählers weisen Widersprüchlichkeiten auf, welche in dem Abssatz: Beispiel beispielhaft aufgezeigt werden soll. Der Erzähler macht selbst "auf die Begrenzheit seiner Perspektive aufmerksam" [Bumke 2004: S.230] und stellt seine eigene Autorität als Erzählinstanz in Frage. Er beruft sich zwar mehrmals auf seine Quelle (Vgl. 58,16 u. 59,4 u. 381,30), um den Wahrheitsgehalt seiner Äußerungen zu verbürgen, relativiert jedoch die Bedeutung seiner Aussagen in demselben Satz: "geloubetz, ob ir wellet: geziuge sint mir gar verzagt" (381, 28 f.: das könnt ihr glauben oder nicht: Zeugen habe ich keine). Die Richtigkeit des Erzählten legt der Erzähler in die Hände des Lesers beziehungsweise des Hörers: "Gebiet ir, sô ist ez wâr" (59,27: Ihr braucht nur zu befehlen, dann ist es wahr), und lässt die Zuhörer den Eid über die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen schwören: "diz sag ouch ich ûf iwer ieslîches eit" (238,8f.: ich sage es wieder - ich nehme es auf euren Eid). Durch dieses Verhalten entbindet sich der Erzähler seiner Verantwortung und überträgt diese auf den Rezipienten: "sol ich des iemen triegen, sô müezt ir mit mir liegen" (238,11f.: wenn einer dann etwas feststellt, daß es nicht wahr ist, was ich sage, so habt ihr zusammen mit mir gelogen). Diese Aussagen des Parzival-Erzählers relativieren die Gültigkeit seiner Kommentare, Deutungen und Wertungen [Bumke 2004: Vgl. S. 230], das heißt der Erzähler wird als zuverlässige Erzählinstanz in Zweifel gezogen.

Die Figurenperspektive

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Ein Beispiel

Die Herausforderung an den Leser und den Hörer

Quellennachweise

<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).