Perspektivisches Erzählen (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen

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=== Sigune===
=== Sigune===
Als [[Sigune (Wolfram von Eschenbach, Parzival) | Sigune]] erfährt, dass Parzival die Frage auf der Gralsburg nicht gestellt hat, bezeichnet sie ihn als "gunêrter lîp, verfluochet man" (255,13: ehrloser Leib, verfluchter Mann) und wirft Parzival fehlendes Mitleid vor. (Vgl. 255,17) Aus der Perspektive Sigunes, ist es unmöglich Parzivals Versagen wiedergutzumachen. (Vgl. 255,24) Sie spricht ihm die weltlichen Werte des Adels und der Ritterehre ab (Vgl. 255, 27) und verweigert eine weitere Unterhaltung mit Parzival. (Vgl. 255,28f.) Diese Position Sigunes, welche stark der Cundries gleicht, verändert sich in Buch IX. Sigune vergibt bei der Wiederbegegnung mit Parzival diesem nach vielen Jahren seine Schuld: "al mîn gerich sol ûf dich, neve, sîn verkorn" (441,18f.: Alle Schuld, die ich an dir zu rächen habe, soll dir vergessen sein). Sie wünscht ihm die Hilfe Gottes
Als [[Sigune (Wolfram von Eschenbach, Parzival) | Sigune]] erfährt, dass Parzival die Frage auf der Gralsburg nicht gestellt hat, bezeichnet sie ihn als "gunêrter lîp, verfluochet man" (255,13: ehrloser Leib, verfluchter Mann) und wirft Parzival fehlendes Mitleid vor. (Vgl. 255,17) Aus der Perspektive Sigunes, ist es unmöglich Parzivals Versagen wiedergutzumachen. (Vgl. 255,24) Sie spricht ihm die weltlichen Werte des Adels und der Ritterehre ab (Vgl. 255, 27) und verweigert eine weitere Unterhaltung mit Parzival. (Vgl. 255,28f.) Diese Position Sigunes, welche stark der Cundries gleicht, verändert sich in Buch IX. Sigune vergibt bei der Wiederbegegnung mit Parzival diesem nach vielen Jahren seine Schuld: "al mîn gerich sol ûf dich, neve, sîn verkorn" (441,18f.: Alle Schuld, die ich an dir zu rächen habe, soll dir vergessen sein). Sie wünscht ihm die Hilfe Gottes und hält eine Rückkehr Parzivals nach Munsalvaesche nicht für unmöglich.(Vgl. 442,11-14) Sigune ist ein Beispiel für den Wandel einer Perspektive innerhalb einer Person.


===Parzival===
===Parzival===

Version vom 24. Juni 2012, 22:20 Uhr

Das Perspektivische Erzählen beziehungsweise die point-of-view-Technik ist ein bedeutendes erzähltechnisches Gestaltungselement in dem Roman Parzival von Wolfram von Eschenbach. Das Handlungsgeschehen wird in dem Roman sowohl aus der Perspekive des vorwiegend auktorialen Erzählers als auch aus unterschiedlichen Perspektiven einzelner Roman-Figuren beleuchtet. Diese polyperspekivische Präsentation des Parzival-Stoffes ermöglicht die Darstellung der Beurteilungsvielfalt einzelner Aspekte der Handlung, stellt jedoch gleichzeitig eine enorme Herausforderung an den Rezipienten des Stoffes dar.

Eine neue Kunstform

Die durchgängige Erzählerperspektive stellt eine bedeutende Neuerung der höfischen Erzählkunst im Mittelalter dar. [Bumke 2004: Vgl. S. 229] Vorbilder und Beispiele einer stringenten Erzählerpespektive sind die Epen des französischen Dichters Chrétiens de Troyes, darunter auch die Vorlage Li Contes del Graal ou Le roman de Perceval für den Parzival-Roman Wolframs von Eschenbach, und der Roman d'Énéas. [Bumke 2004: Vgl. S. 229] Der Conte du Graal von Chrétiens de Troyes ist monoperspektivisch verfasst. Wolfram von Eschenbach übernimmt bei der Verschriftlichung seines Parzival-Romans die Schilderung des Geschehens durch eine Erzählerperspektive aus seiner französischen Vorlage. Er fügt dem Erzähler als Erzählinstanz jedoch spezifische Eigenheiten hinzu und erweitert die Darstellung des Erzählten durch die Perspektive verschiedener Roman-Figuren. Durch diese Aufspaltung der monoperspektivischen Erzählweise von Chrétiens de Troyes in den polyperspektivischen Erzählstil Wolframs von Eschenbach, entsteht in dem deutschen Parzival-Roman ein Netz divergierender und konvergierender Sichtweisen, worauf im folgenden Abschnitt noch einmal ausführlicher eingegeangen wird. Für den Moment ist festzuhalten, dass das polyperspektivische Erzählen Wolframs von Eschenbach eine beachtliche erzähltechnische Innovation und darstellerische Erweiterung gegnüber seiner Vorlage von Chrétiens de Troyes verkörpert, sodass Bumke von einer "eigene[n] Kunstform" [Bumke 2004: S. 229] Wolframs von Eschenbach spricht.

Die Perspektiven

Erzählerperspektive

Bei dem Parzival-Erzähler handelt es sich vorwiegend um einen auktorialen Erzähler, aus dessen Perspektive das Handlungsgeschehen wiedergegeben wird. Der Erzähler ist allwissend, überblickt das Geschehen und ist nicht an eine einzige Figurenperspektive gebunden. Diese Erzählperspektive lässt sich nach Gérard Genette als Nullfokalisierung bezeichnen. Der Erzähler charakterisiert seine Geschichte zu Beginn des Romans als sprunghaft, sich wendend, dem Leser entziehend oder vorauseilend, sich zurückwendend und vorausdeutend und greift damit das Bild des hakenschlagenden Hasens, das er in Bezug auf das Elsterngleichnis im Prolog äußerte, wieder auf. Diese genannten Eigenschaften der Geschichte korrespondieren mit den Merkmalen, die ein auktorialer Erzähler aufweist, der wendig zwischen einzelnen Handlungen hin- und herzuspringen vermag. Der Erzähler greift wertend, kommentierend und strukturierend in die Erzählung ein. Es ist jedoch festzuhalten, dass es sich bei dem Parzival-Erzähler um keine unangefochtene Erzählinstanz handelt. Die Kommentare des Erzählers weisen Widersprüchlichkeiten auf, welche in dem Abssatz: Beispiel beispielhaft aufgezeigt werden soll. Der Erzähler macht selbst "auf die Begrenzheit seiner Perspektive aufmerksam" [Bumke 2004: S.230] und stellt seine eigene Autorität als Erzählinstanz in Frage. Er beruft sich zwar mehrmals auf seine Quelle (Vgl. 58,16 u. 59,4 u. 381,30), um den Wahrheitsgehalt seiner Äußerungen zu verbürgen, relativiert jedoch die Bedeutung seiner Aussagen in demselben Satz: "geloubetz, ob ir wellet: geziuge sint mir gar verzagt" (381, 28 f.: das könnt ihr glauben oder nicht: Zeugen habe ich keine). Die Richtigkeit des Erzählten legt der Erzähler in die Hände des Lesers beziehungsweise des Hörers: "Gebiet ir, sô ist ez wâr" (59,27: Ihr braucht nur zu befehlen, dann ist es wahr), und lässt die Zuhörer den Eid über die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen schwören: "diz sag ouch ich ûf iwer ieslîches eit" (238,8f.: ich sage es wieder - ich nehme es auf euren Eid). Durch dieses Verhalten entbindet sich der Erzähler seiner Verantwortung und überträgt diese auf den Rezipienten: "sol ich des iemen triegen, sô müezt ir mit mir liegen" (238,11f.: wenn einer dann etwas feststellt, daß es nicht wahr ist, was ich sage, so habt ihr zusammen mit mir gelogen). Diese Aussagen des Parzival-Erzählers relativieren die Gültigkeit seiner Kommentare, Deutungen und Wertungen [Bumke 2004: Vgl. S. 230], das heißt der Erzähler wird als zuverlässige Erzählinstanz in Zweifel gezogen.

Figurenperspektiven

Durch die enorme Anzahl der Figuren, welche in Wolframs von Eschenbach Parzival auftreten, entsteht eine Vielfalt von Figurenperspektiven. Diese treten durch die Schilderung von Figurengedanken und Figurenreden durch den Erzähler hervor. Die unterschiedlichen Figurenperspektiven weisen untereinander Übereinstimmungen aber auch Entgegensetzungen auf und widersprechen teilweise der Erzählerperspektive. Darüber hinaus bleibt die Stellungnahme eine Figur über den Verlauf der Handlung hinweg nicht immer konstant, sondern verändert sich, wie etwa bei der Beurteilung der Schuldfrage durch Sigune (Vgl....).Die Absolutheit einzelner Aussagen wird durch diese Perspektivvielfalt relativiert und in Frage gestellt. Die Darstellung einiger divergierender und konvergierender Figurenperspektiven erfolgt in dem Absatz ... exemplarisch.

Gahmuret-Partie, Gawan-Partien und Parzival-Partien

Die Bücher des Romans Parzival von Wolfram von Eschenbach lassen sich anhand der Handlungsträger folgerndermaßen gliedern:
Gahmuret, Buch I-II Parzival I, Buch III-VI Gawan I, Buch VII-VIII Parzival II, Buch IX Gawan II, Buch X-XIV Parzival III, Buch XIV-XVI Feirefiz, Buch XVI. [Bumke 2004: Vgl. S. 194]
Durch die Fokusierung unterschiedlicher Protagonisten in den einzelnen Büchern des gesamten Romans geschieht eine weitere Perspektivierung der gesamten Handlung. Zentrale Themen werden in den Gahmuret-, Gawan-, oder Parzival-Büchern unterschiedlich bearbeitet. Die Verschiedenheit der Perspektive auf grundlegende Themen in den einzelnen Büchern hat auch Auswirkungen für die Interpretation, je nachdem von welchem Standpunkt aus man argumentiert. Sek.li.

Ein Beispiel: Die Perspektiven auf die Schuldfrage

Der vorliegende Abschnitt befasst sich mit der Darstellung unterschiedlicher Perspektiven aus dem Parzival-Roman, welche beispielhaft an Hand der Schuldfrage aufgezeigt werden sollen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, wie die einzelen Erzählinstanzen das Scheitern Parzivals auf der Gralsburg beurteilen und welche Schlüsse sich bezüglich des perspektivischen Erzählens für den Parzival-Roman daraus ziehen lassen. Neben der Schuldfrage eignen sich auch die Sigune-Szenen, die Jeschute-Szenen und die drei Artushof-Szenen, um den Aspekt des Perspektivischen Erzählens herauszuarbeiten. [Bumke 2004: Vgl. S. 232] Bumke hat neben der Frageunterlassung auch die drei Artushof-Szenen und den Gral vor dem Fluchtpunkt des Perspektivischen Erzählens ausgearbeitet. [Bumke 2004: Vgl. S.230-232]

Gurnemanz

Von Gurnemanz lernt Parzival vor seinem Scheitern auf der Gralsburg, dass zu vieles Fragen nicht gut ist. Bumke verweist in diesem Zusammenhang auf die Diskrepanz zwischen der Sprecher-Perspektive Gurnemanz' und der Erwartungs-Perspektive Parzivals, denn aus der Perspektive Gurnemanz' ist sein Gebot durchaus sinnvoll, aus der Perspektive Parzivals jedoch ein großer Fehler. [Bumke 2004: Vgl. S. 230] (Begrenztheit der Perspektiven)

Erzähler

Im direkten Anschluss zu Parzivals Frageunterlassung auf der Gralsburg bekundet der Erzähler sein Mitgefühl gegenüber Parzival und klagt: "ôwê daz er niht vrâgte dô" (240,3: Ach, daß er jetzt nicht fragte). Gleichzeitig wirft er Parzival Schuld an Anfortas' Leiden vor, denn Parzivals Fragen hätte die Leiden des Gralskönigs beendet. (Vgl.240,7-9) Dieser Vorwurf steht in direktem Widerspruch zu den Aussagen des Erzählers, Parzival sei der " valscheite widersaz" (249,1: Feind treulosen Undanks) und er habe "den rehten valsch [...] vermiten" (319,8: wirklich Schlechtes unterlassen).

Sigune

Als Sigune erfährt, dass Parzival die Frage auf der Gralsburg nicht gestellt hat, bezeichnet sie ihn als "gunêrter lîp, verfluochet man" (255,13: ehrloser Leib, verfluchter Mann) und wirft Parzival fehlendes Mitleid vor. (Vgl. 255,17) Aus der Perspektive Sigunes, ist es unmöglich Parzivals Versagen wiedergutzumachen. (Vgl. 255,24) Sie spricht ihm die weltlichen Werte des Adels und der Ritterehre ab (Vgl. 255, 27) und verweigert eine weitere Unterhaltung mit Parzival. (Vgl. 255,28f.) Diese Position Sigunes, welche stark der Cundries gleicht, verändert sich in Buch IX. Sigune vergibt bei der Wiederbegegnung mit Parzival diesem nach vielen Jahren seine Schuld: "al mîn gerich sol ûf dich, neve, sîn verkorn" (441,18f.: Alle Schuld, die ich an dir zu rächen habe, soll dir vergessen sein). Sie wünscht ihm die Hilfe Gottes und hält eine Rückkehr Parzivals nach Munsalvaesche nicht für unmöglich.(Vgl. 442,11-14) Sigune ist ein Beispiel für den Wandel einer Perspektive innerhalb einer Person.

Parzival

Cundrie

Cunneware

Trevrizent

Die Herausforderung an den Leser und den Hörer

Quellennachweise

<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).