Autobiografische Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)
Ulrich von Liechtenstein, dessen Existenz historisch belegt ist, erzählt im Frauendienst aus der Ich-Perspektive von seinem Leben als Ritter und Minnesuchender. Erstmals wird diese Einheit von Autor und Erzähler von der ersten von Ulrich verehrten und namenslos bleibenden Dame geäußert: deswar ich pin des harte vro, daz her Ulrich ist ritter hie warden [...] ich meine den von Liehtenstein. (FD 44,5-8) [1] Zwar enthält der Frauendienst zahlreiche fiktionale Elemente , einiges ist aber historisch belegt und dem tatsächlichen Leben Ulrichs von Liechtenstein entnommen. Von der Forschung wurde der Frauendienst bis etwa in die siebziger Jahre vor allem auf seinen historischen Wahrheitsgehalt hin untersucht, was bedeutet, dass reale von fiktiven Begebenheiten unterschieden werden sollten.[Chinca 2010: 306/307] Die aktuellere Forschung hingegen ist dazu übergegangen, eher die Gesamtaussage des Werks vor dem Hintergrund seines literarischen Wertes zu betrachten.[Chinca 2010: 308/309] Auch hierbei spielt aber der Einsatz von Fiktionalität und historischer Realität immer noch eine wichtige Rolle. [2] Im Folgenden wird zunächst einmal das Leben des historischen Ulrichs nachgezeichnet, um einen Anhaltspunkt dafür zu bekommen, welche Elemente daraus zu welchem literarischen Zweck übernommen wurden.
Autobiografie und Autofiktion
Die Bezeichnung Autobiografie leitet sich von drei griechischstammigen Wörtern ab. Auto bedeutet, dass ein menschliches Selbst spricht, das sein Leben (bios) niederschreibt (graphein).[Gasser 2012:16] Zentral ist dabei also, dass ein real existenter Mensch an einem Punkt seines Lebens zurückblickt und über seine eigene Vergangenheit schreibt. Der Autor muss folglich gezwungenermaßen identisch sein mit dem erzählenden und erlebenden Ich. Allerdings wird es auch bei größten Mühen niemals gelingen, vollständig objektiv und realitätsgetreu über die eigene Vergangenheit zu schreiben, da das menschliche Gedächtnis Eindrücke immer subjektiv verarbeitet, einzelne Details vergisst oder im Laufe der Zeit anders bewertet. Aus diesen Gründen stellt sich die Frage, ob es die Gattung der Autobiografie überhaupt als solche geben kann, oder ob nicht in jeder Autobiografie fiktionale Elemente zu finden sind. Andererseits ist anzunehmen, dass jeder individuelle Autor auch ganz individuelle Literatur verfasst, folglich steckt immer auch der Autor mehr oder weniger deutlich mit in seinem Werk, woraus sich im Umkehrschluss die Frage stellt, ob nicht "alles Schreiben autobiografisch" ist.[Gasser 2012:22] Aus dieser Definition ergibt sich, dass es weder rein autobiografische noch rein autofiktionale Werke geben kann. Vielmehr sind diese beiden Begriffe graduell. Bevor nun näher auf die autobiografischen Aspekte in Ulrich von Liechtensteins Frauendienst eingegangen wird, muss noch erwähnt werden, dass die hier angeführten Definitionen etwa ab den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden.[Gasser 2012:16] Autobiografie und Autofiktion sind also überaus moderne Gattungsbegriffe, was im Hinterkopf behalten werden sollte, wenn diese nun auf mittelalterlicher Literatur angewendet werden.
historisch-biografische Elemente
Die historische Person Ulrich von Liechtenstein
Kindheit und Jugend
Ulrich von Liechtenstein wurde etwa zwischen 1205 und 1208 geboren. Sein Vater Dietmar III. und seine Mutter Gertrud hatten noch vier weitere Kinder: Otto, Dietmar IV. von Offenburg, Hedwig und eine namentlich unbekannte Schwester.[Dopsch 1999: 100/101] Sein Bruder Dietmar wird auch im Frauendienst erwähnt, so zum Beispiel beim Turnier in Friesach, wo Ulrich den bruoder min [...] Dietmar von Liehtenstein (FD 181,3/5) trifft. Auch der Vater spielt eine Rolle. Sein Tod wird als Grund für die Heimreise des jungen Ulrichs nach Liechtenstein angeführt. (FD 35,5-36,4) Dietmar III. starb 1218,[Dopsch 1999: 100/101] was, vorausgesetzt die historischen Daten sind richtig, nicht ganz mit Ulrichs Version im Frauendienst übereinstimmt. Demnach war er vor dem Tod seines Vaters sowohl im Dienst der Dame und wuohs in daz zwelfte jar (FD 12,2) als auch anschließend noch im Dienst des Markgrafen Heinrich von Österreich, bei dem er vier Jahre verbrachte (FD 35,3-4). So gesehen müsste der literarische Ulrich mindestens sechzehn Jahre alt gewesen sein, laut historischen Daten kann er bis zum Tod des Vaters aber maximal das Alter von dreizehn erreicht haben.
Familie und Geschlecht der von Liechtenstein
Berufliche Tätigkeiten Ulrichs
Historisches im Frauendienst
Die Hochzeit (Ulrichs Schwertleite)
Der Tod des Herzogs
Historische Persönlichkeiten
In der Erzählung ausgelassene Details
z.B. seine komplette politische Laufbahn, reine Konzentration auf Ulrich als "Minneritter"
Wahrheitsbeteuerungen im Text
welche Aussagekraft haben diese, wo genau kommen sie zu welchem literarischen/erzähltechnischen Zweck vor?
Primärtext
- Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987.
Forschungsliteratur zum Thema
- Chinca, Mark: Der Frauendienst zwischen Fiktivität und Fiktionalität. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Linden, Sandra/Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben-Zeit-Werk-Forschung, Berlin/New York 2010, S. 305-323.
- Dopsch, Heinz: Zwischen Dichtung und Politik. Herkunft und Umfeld Ulrichs von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 49-104.
- Gasser, Peter: Autobiografie und Autofiktion. Einige begriffskritische Bemerkungen, in: Pellin,Elio/Weber, Ulrich: "...all diese fingierten, notierten, in meinem Kopf ungefähr wieder zusammengesetzten Ichs". Autobiographie und Autofiktion, Göttingen 2012.
- Krenn, Gerald: Historische Figuren und/oder Helden der Dichtung? Untersuchungen zu den Personen im Roman "Frauendienst", in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 105-132.
- Müller, Jan-Dirk: Ulrich von Liechtenstein, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Bd. 9, Berlin 1995, Sp. 1274-1282.
- Müller, Jan-Dirk: Lachen - Spiel - Fiktion. Zum Verhältnis von literarischem Diskurs und historischer Realität im "Frauendienst" Ulrichs von Lichtenstein, in: von Bloh, Ute/Schulz, Armin (Hgg.): Minnesang und Literaturtheorie, Tübingen 2001, S. 1-38.
- Peters, Ursula: Frauendienst. Untersuchungen zu Ulrich von Liechtenstein und zum Wirklichkeitsgehalt der Minnedichtung, Berlin 1970.
- Rischer, Christelrose: wie süln die vrowen danne leben? Zum Realitätsstatus literarischer Fiktion am Beispiel des Frauendienstes von Ulrich von Liechtenstein, in: Hahn, Gerhard (Hg.): Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, Stuttgart 1992, S. 133-157.
- Spechtler, Franz Viktor: Die Urkunden Regesten zu Ulrich von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 441-493.
- Spechtler, Franz Viktor: Probleme um Ulrich von Liechtenstein. Bemerkungen zu historischen Grundlagen, Untersuchungsaspekten und Deutungsversuchen, in: Auer-Müller, Michaela/Müller, Ulrich/Schmidt, Siegrid (Hgg.): Gesammelte Abhandlungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Göppingen 2006, S. 253-264.
- Spechtler, Franz Viktor: Ulrich von Liechtenstein. Urkunden und Zeugnisse zur Biographie des Autors des ersten Ich-Romans in deutscher Sprache, in: Auer-Müller, Michaela/Müller, Ulrich/Schmidt, Siegrid (Hgg.): Gesammelte Abhandlungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Göppingen 2006, S. 265-272.
Textnachweise
<HarvardReferences />
- [*Dopsch 1999]Dopsch, Heinz: Zwischen Dichtung und Politik. Herkunft und Umfeld Ulrichs von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 49-104.
<HarvardReferences />
- [*Chinca 2010]Chinca, Mark: Der Frauendienst zwischen Fiktivität und Fiktionalität. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Linden, Sandra/Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben-Zeit-Werk-Forschung, Berlin/New York 2010, S. 305-323.
<HarvardReferences />
- [*Gasser 2012]Gasser, Peter: Autobiografie und Autofiktion. Einige begriffskritische Bemerkungen, in: Pellin,Elio/Weber, Ulrich: "...all diese fingierten, notierten, in meinem Kopf ungefähr wieder zusammengesetzten Ichs". Autobiographie und Autofiktion, Göttingen 2012.