Das wilde-Motiv im Parzival

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Hinweis: Dieser Artikel entsteht derzeit im Rahmen des Haupt- und Oberseminars zu Wolfram von Eschenbachs Parzival und befindet sich noch in der Entstehung. Ebenso ist das Literaturverzeichnis noch nicht vollständig.

Im folgenden Artikel soll versucht werden, das wilde-Motiv in Wolframs von Eschenbach Versroman Parzival hinsichtlich der Raumbeschreibung und der Figurenkonzeption zu verdeutlichen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung der wilden Natur, ebenso wie auf dem Bild des wilden Mannes in der mittelalterlichen Literatur. Folglich wird zu prüfen sein, inwieweit das wilde-Motive in Form der beiden Konzepte auch im Parzival zu finden ist und welche Funktionen ihm zukommen.

Das wilde-Motiv

Allgemein

Das wilde-Motiv ist eines der zentralen Leitmotive mittelalterlicher Literatur. Doch was bedeutet das mhd. Wort wilde eigentlich? Matthias Lexer schlägt in seinem mittelhochdeutschen Taschenwörterbuch als Adjektiv unter anderem folgende Übersetzungen vor: Nicht vom Menschen gepflegt und veredelt, unbewohnt, ungezähmt, dämonisch, fremd, sittenlos und wunderbar. Als Nomen könnte man es mit Wildnis, Wildheit, Verkommenheit oder wunderbares Wesen übersetzen [Lexer 1992: 321]. Diese zahlreichen Möglichkeiten verdeutlichen, dass es sich hierbei um einen Motivkomplex handelt, der sich in mehrere Dimensionen aufsplittern lässt. Dabei charakterisiert der normative Aspekt einerseits ein abweichendes Verhalten als wild und andererseits bezieht er sich auf die Identifikation von Fremden und Wildem. Hiermit geht auch eine dauerhafte Bedrohung einher [Hufeland 1976: 7]. Die Ausdifferenzierung des Motivclusters nach „typisierten Bedeutungsfunktionen“ [Hufeland 1976: 7] beschäftigt sich mit der Wildheit als Topos der Figureneinführung sowie der Raumbeschreibung.

Unterschiedliche Funktionen

Im Zuge der Hauptfiguren erstreckt sich der Bedeutungsraum des Wilden vom antihöfischen „Raum der Gefährdung“ [Hufeland 1976: 8] über den Ort der âventiure hin zum „Zufluchtsort der Weltflüchtigen“ [Hufeland 1976: 8]. Verändert man nun aber den Begriff dahingehend, dass einzelne Figuren „verwildern“, so ändert sich auch die topographische Dimension. Das Wildheitssymbol ist derweil als „metaphorische und symbolische Repräsentation der Gefährdung“ [Hufeland 1976: 12] zu verstehen. Es ist im Bereich der Umsetzung auf Figurenebene von zentraler Bedeutung, da es zum einen den Helden mit dem Prinzip des Wilden konfrontiert und zum anderen mit dem Typus den wilden Ritters arbeitet [Hufeland 1976: 16]. Eine weitere Dimension bezieht sich die eine Denkweise, die man als mythisch annehmen kann. Bedingt durch die Prägung der mittelalterlichen Literatur durch ein dualistisches Prinzip, ist das Wilde auch als Gegensatz zum Zamen zu verankern [Schuler-Lang 2014: 32]. Einen letzten gattungstypologischen Unterschied hinsichtlich der Funktion des Wilden macht Theodor Nolte deutlich. Er modifiziert die Wildheit in Bezug auf das Aufwachsen in der Wildnis. Dies übernimmt Wolfram im Parzival um genau das Ablegen der Wildheit zu unterstreichen, da diese hier als Negativfolie fungiert. Folglich übernimmt diese Auslegung eine kritisch reflexive Funktion [Nolte 1997: 50-54]. Abschließend lässt sich festhalten, dass das Wilde als anderes der höfischen Kultur gilt und es daher zu besiegen oder zu überwinden ist [Schuler-Lang 2014: 34].

Wilde Natur im Parzival

In Bezug auf die wilde Natur ist insbesondere das Motiv des Waldes zu nennen. Denn er wurde im Mittelalter noch als wilder Raum antizipiert [Schuler-Lang 2014: 26]. Als Symbolraum für mögliche Gefahren und Bedrohungen zeigt er sich als perfekter Ort für die âventiure in Form eines Platzes zur Selbstvergewisserung und Bewährung des Hofes [Schnyder 2008: 122-135]. So auch in Vers (…)

Der Wald von Munsalvӕsche entspricht nicht dem wilden âventiure-Wald, wie er in vielen Artusromanen zu finden ist, sondern um einen Art Schutzraum. Parzival betritt in zwar auf der Suche nach âventiure, jedoch verliert sich dort die Spur der Ritter, die er verfolgt (V.249, 1-8). Die „waste“ (V.250, 5) ist kein Raum Ort für Kämpfe oder Reisende, denn „unkundem gaste mac hier wohl grôer schade geschehn“ (V.250, 6f). Trotzdem bildet der Wald hier, der auch als Wildnis oder Einöde bezeichnet wird, einen Rückzugsort für verlorene Seelen, wie beispielsweise Sigune. Sie trauert dort um ihren getöteten Geliebten (V.249, 14-17). Der Wald charakterisiert an dieser Stelle einen „Nicht-Ort“ [Schnyder 2008: 126f], eine Utopie, die von der höfischen Welt abgelöst zu sein scheint. Auch für Herzeloyde bildet der Wald einen Zufluchtsort, indem sie ihren Sohn abgeschottet von jeglicher Zivilisation und fern von der Welt der Ritter erziehen kann (V.117, 7-10). In diesem Sinne formt also der Wald einen Gegenpol zur höfischen Kultur, eine Insel der Ruhe und es Friedens.

Letztlich bleibt daher nur noch zu sagen, dass auch in Parzival das Motiv des Wilden hinsichtlich der Raumbeschreibung mehrfach zu finden ist. Sowohl als Ort der âventiure und Gegenmodell zur höfischen Welt, wie auch als Heilsraum und Rückzugsort für aus der Artuswelt ausgeschiedene Figuren.

Wilde Leute im Parzival

Eine in Wäldern lebende und mit üppiger Körperbehaarung versehene Gruppe von Menschen, so ist das Konzept der wilden Leute im Mittelalter zu beschreiben [Ott 1998: 120f]. Der Prototyp derer ist der durch sein äußeres Erscheinungsbild animalisch, sittenlos und rohe anmutende wilde Mann. Er ist mittels seines vollkommen behaarten Körper, den krallenartigen Fingern und seinem großen Gebiss unverkennbar als Wesen des Waldes charakterisiert. Hier übernimmt er auch die Rolle des Beschützers und Gebieters der Tiere. Übernimmt er einerseits als kräuter- und heilkundiger eine Helferrolle, bleibt er andererseits ein Wilder, der nichts über seine Beschaffenheit weiß [Leyen/ Spamer 1912: 19-24].
Dieser ambivalente Figurentyp ist auch im Parzival zu finden.

Cundrie

Bezeichnend für den Typus der wilden Leute im Parzival ist vor allem Cundrie. Ihre ambivalente Daseinsform ist bereits in ihrem äußeren Erscheinungsbild als „diu maget witze rîche was gevar den unglîche die man dâ heizet bêâ schent“ (V.313, 1ff) angelegt.

über den huot ein zopf ir swanc

unz ûf den mûl: der was sô lanc,

swarz, herte und niht ze clâr,<br />

linde als eins swînes rückehâr.<br />

sie was genaset als ein hunt:<br />

zwên ebers zene ir für den munt

giengen wol spannen lanc.

ietwederwintprâ sich dranc

mit zöpfen für die hârsnour.

(V.313, 17-25)

Ihr Äußeres wir eher animalisch als menschlich beschreiben, mit Eberzähnen, Ohren wie ein Bär (V.313, 29) und Händen mit Affenfell (V.314, 5f). Aufgrund dieser Wiedergabe ihres Aussehens erfüllt sie nahezu alle oben genannten Charakteristiken der wilden Leute. Zudem ist sich auch noch heilkundig (V.579, 24-27), ein Attribut, dass den wilden Leuten ebenfalls zugeschrieben wird. Nichtsdestotrotz ist das Zaumzeug ihres Maultieres „tiwer unde rîche“ (V.312, 13), ebenso wie ihre Kleidung (V.313, 7-13) sehr kostbar und edel. Dies verdeutlicht ihre adlige Herkunft und Zugehörigkeit zur zivilisierten Welt. Desweitern ist sie sprachlich sehr gewandt und hat Kenntnisse der artes liberales (V.319, 19-25), was gleichfalls ein Indiz für ihre Mitgliedschaft in der Artusgesellschaft ist. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Cundrie wilde Eigenschaften mit Accessoires der höfischen Model vereint und folglich einen eigenen Typ der wilden hässlichen Frau repräsentiert [Schuler-Lang 2014: 176]. Die Hässlichkeit, welche in der Tradition der wilden Frau steht, gepaart mit Gelehrtheit und dem Status als Jungfrau [Kasten 1991: 257] steht kontrastiv zu Sigune, die einen anderen Typen der wilden Frau abbildet.

Sigune

Literaturverzeichnis

Textausgabe

  • Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übers. von Dieter Kühn, 2 Bde., Frankfurt a.M. 2006.

Sekundärliteratur

<HarvardReferences /> [*Hufeland 1976] Hufeland, Klaus: Das Motiv der Wildheit in mittelhochdeutscher Dichtung. In: ZfdPh 95, 1976. <HarvardReferences /> [*Leyen/ Spamer 1912]Leyen, Friedrich von der/ Spamer, Adolf: Die altdeutschen Wandteppiche im Regensburger Rathaus. Sonderabdruck aus dem vom Magistrat der Stadt Regensburg herausgegebenen Werke: Das Rathaus zu Regensburg 1910. Regensburg 1912. <HarvardReferences /> [*Kasten 1991]Kasten, Ingrid: Häßliche Frauenfiguren in der Literatur des Mittelalters. In: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen - Quellen - Antworten. Hg. von Bea Lundt. München 1991. <HarvardReferences /> [*Nolte 1997]Nolte, Theodor: Wilde und zam. Wildnis und Wildheit in der deutschen Literatur des Hochmittelalters. In: Methodisch reflektiertes Interpretieren. Fs. für Hartmut Laufhütter zum 60. Geburtstag. Hg. von Hans-Peter Ecker. Passau, 1997. <HarvardReferences /> [*Schnyder 2008]Schnyder, Mireille: Der Wald in der höfischen Literatur: Raum des Mythos und des Erzählens. In: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. 13, 2008. <HarvardReferences /> [*Schuler-Lang 2014]Schuler-Lang, Larissa: Wildes Erzählen-Erzählen vom Wilden:'Parzival','Busant' und 'Wolfdietrich D'. Vol. 7. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2014.