Das Heidentum als Hindernis
Im folgenden Artikel soll die Darstellung des Heidentums im Parzival untersucht werden. Vor allem soll die Charakterisierung des Heidentums als Hindernis sowie das Überwinden oder Vermeiden desselben herausgestellt werden. [1]
Das Heidentum als Sinneseinschränkung
Das Nicht-Verstehen von christlichen Symbolen
Nach seinem Tod während eines Kampfes im Orient, den Gahmuret im Namen des Barûcs bestreitet, wird Gahmuret in Bagdad bestattet und fortan von den Heiden wie ein Gott verehrt. "[A]uf Bitten der christlichen Mitstreiter Gahmurets lässt [der Barûc] ein Kreuz errichten, auf welchem man den Helm mit einem Epitaph anbringen kann. Das christliche Symbol des Kreuzes wird also, unverstanden von den Heiden, wie es im Text heißt, auf dem Grab eines Christen errichtet, der im Orient im Dienst des mächtigsten heidnischen Herrschers fiel." [Kellner 2009:32] Wie Kellner hier herausstellt und im Texte des Parzivals beschrieben wird (Textestelle Parzival), ist der Barûc als Heide zwar so tolerant, das christliche Kreuzsymbol auf heidnischem Boden zu erlauben, jedoch könnnen weder er noch die anderen Heiden dieses Symbol verstehen. Während man dieses Unverständnis auf fehlende Bildung in Bezug auf die andere Religion sehen kann, kann man es genauso auch als Sinneseinschränkung deuten. Es kommt darauf an, ob man das Nicht-Verstehen hier als Bildungsdefizit oder als generelles Nicht-in-der-Lage-sein interpretiert.
An anderer Stelle wird im Parzival auf ähnlicher Ebene erwähnt, dass eine Heidenkönigin (Secundille?) den Gral besitzen möchte. Sie ist nicht die erste Heidin mit diesem Wunsch: die Gralsgemeinschaft in der Person Anfortas wurde aus genau diesem Grund durch einen Heiden verletzt. Beide genannte Heiden können somit nicht verstehen, dass man etwas so Mächtiges wie den Gral weder besitzen noch beherrschen kann - sie sind nicht in der Lage, die Macht des Grals in seiner Gänze zu begreifen.
Wie in Bezug auf Feirefiz und sein Nicht-Sehen des Grals im weiteren Verlauf des Artikels herausgestellt werden wird, ist normalerweise die Taufe das einzige Mittel, um das Verständnis-Defizit in Bezug auf das Christentum zu überwinden.
Ursprungsgeschichte des Grals
Die Ursprungsgeschichte des Grals wird im Parzival in (...) erwähnt. Hierbei ist zu bemerken, dass der Heide "Flegetanis das in den Sternen Gesehene in Buchstaben gefasst und aufgezeichnet haben soll." [Kellner 2009:45] Dem heidnischen Astronom Flegetanis wird also eine überraschend wichtige Position innerhalb der Gralsgeschichte zugeschrieben, denn nur durch seine Entdeckung in den Sternen und dessen Aufzeichnung konnte die Gralsgeschichte einen Anfang nehmen. [Kellner 2009: vgl.46] Allerdings ist es Flegetanis nur möglich, etwas in den Sternen zu sehen - er ist nicht dazu in der Lage, diese Entdeckung auch in dem Sinne zu erkennen, dass er sie versteht. Seine Vorarbeit muss stattdessen vom Christ Kyot gedeutet werden: Dieser findet Flegetanis' Text und es heißt, er habe "[i]m Unterschied zu Flegetanis [...], nachdem er die Schrift- und Zauberzeichen gelernt habe, ohne dabei auf die schwarze Kunst zurückzugreifen, den Text nicht nur sehen und entziffern können, sondern als Getaufter habe er die Geschichte des Grals auch verstanden." [Kellner 2009:45/46]. Demzufolge wird die Taufe, wie oben schon angedeutet, im Parzival als das "conditio sine qua non [präsentiert], um die Geheimnisse des Grals zu entdecken, seine Sinndimensionen zu erschließen [...]". [Kellner 2009:45/46]
Obwohl die Taufe als das höchste und notwendige Mittel beschrieben wird, das ein Heide braucht, um sein Verständnis- bzw. Erkenntnisdefizit zu überwinden, ist es doch erstaunlich, dass ein Heide wie Flegetanis als der erste beschrieben wird, der etwas vom Gral und seinen Wundern geahnt hat. Auch wenn es letztendlich nur einem Christen gelingen konnte, den Gral zu begreifen, werden hier heidnische und christliche Apsekte miteinander verschränkt, ohne das Heidnische unbedingt abzuwerten.
Feirefiz und der Gral
Genauso wie Flegetanis die Geschichte des Grals nicht so erfassen konnte, wie der Christ Kyot sie entschlüsselt hat, hat auch Feirefiz Probleme den Gral zu erkennen. Als Heide ist Feirefiz nicht in der Lage den Gral mit seinen Wundern wahrzunehmen, sowie die Schrift auf dem Gral zu lesen. "Erst nach der Taufe gehört Feirefiz zum Kreis der Eingeweihten in der Gralsgesellschaft, erst als Getaufter kann er den Gral sehen und die Schrift, die temporär auf ihm erscheint (818,20-23). Nur die Taufe, das zeigt die Episode am Gral, macht sehend im eigentlichen, im höheren Sinn." [Kellner 2009: 35]
Worte Titurels, des Ahnherrn der Gralssippe: 813, 17 – 22 der sprach ,ist ez ein heidensch man, sô darf er des niht willen hân daz sîn ougn âns toufes kraft bejagen die geselleschaft daz si den grâl beschouwen: da ist hâmit für gehouwen.' Zur Verwendung des Bildes des hâmit schreibt Kellner: "Im Bild des hâmit (813,22), des Gestrüpps, Verhaus, welches dem Heiden gleichsam die Sicht auf den Gral versperrt, wird die Grenze zwischen dem Heiden und den Christen noch einmal deutlich markiert." [Kellner 2009:36]
Die Möglichkeit interreligiöser Beziehungen
Gahmuret und Belacane
Da sich Königin Belacane und ihr Königreich Zazamanc in Bedrängnis befinden, stellt sich Gahmuret in ihren Dienst (vgl. 29, 14 - 16). Trotz der Unterschiede bezüglich ihrer Hautfarbe sind sich die beiden recht schnell zugetan: Belacane erkennt Gahmuret als schönen Mann (vgl. 29, 2) und löst bei Gahmuret eine ähnliche Reaktion aus (vgl. 29, 8 und 34, 16). Nachdem Gahmuret ausstehende Gefahren in der Form von Rittern, die Belacane die Schuld am Tod eines ihr dienenden Königs gaben, abgewendet hat, kommt es dementsprechend zunächst zu einer Liebesnacht (vgl. 44, 27 - 30) und dann zur Hochzeit zwischen den beiden. Gahmuret's Liebe zu Belacane wird als stark und aufrichtig beschrieben, denn er "hatte [...] die schwarze Frau lieber als seinen eigenen Leib." (54, 21 - 22).
Königin Belacane wird insgesamt auffallend positiv charakterisiert:
Mittelhochdeutsch | Neuhochdeutsch |
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ez enwart nie wîp geschicket baz:
der frouwen herze nie vergaz, im enfüere ein werdiu volge mite an rehter kiusche wîplich site. |
Nie gab es eine Frau mit einem besseren Wesen;
das Herz dieser Dame blieb niemals ganz allein, immer hatte es edle Begleitung weibliche Sitte, die aus der Ruhe einer reinen Seele kommt. |
54, 23 – 26
Obwohl Belacane demnach in ihrer Reinheit und ihrem Edelmut perfekt ist und Gahmuret sie wirklich liebt, verlässt er sie einige Zeit später, als sie mit dem gemeinsamen Kind Feirefiz schwanger ist (vgl. 55, 13 - 16). Die Gründe hierfür erscheinen widersprüchlich. Auf der einen Seite erklärt der Erzähler, dass Gahmuret sich wieder nach ritterlichen Abenteuern sehnt (vgl. 54, 17 - 20). Andererseits erwähnt Gahmuret in seinem Abschiedsbrief an seine Frau nichts davon, sondern führt ihre Religion als
Abreisegrund an.
Mittelhochdeutsch | Neuhochdeutsch |
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waer dîn ordn in mîner ê,
sô waer mir immer nâch dir wê: |
Wäre nur dein Glaube in der Ordnung meiner Religion,
so müßte ich mich immer nach dir sehnen |
55, 25 - 26
Mittelhochdeutsch | Neuhochdeutsch |
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frouwe, wiltu toufen dich,
du maht ouch noch erwerben mich. |
Meine Dame, wenn du dich taufen läßt,
vielleicht kannst du mich dann doch noch wiedergewinnen. |
56, 25 - 26
Bis Gahmuret "die Glaubensdifferenz [instrumentalisiert], um sein Verhalten zu legitimieren" [Kellner 2009:31], wird Belacanes heidnischer Glaube nur als Unterschied erwähnt, jedoch nicht kommentiert oder gar als Hindernis beschrieben. Obwohl es deshalb zunächst den Anschein hat, dass die genannten Abschnitte im Kontrast zu dem vorangehenden Text stehen, "relativiert sich dies [...] dadurch, dass es sich um nichts als Ausreden für ein wenig ehrbares männliches Verhalten handelt" [Kellner 2009:31]. Indizien hierfür sind die Diskrepanz zwischen den Aussagen des Erzählers und denen Gahmurets (bzw. Gahmurets sagt sogar selbst, dass er eigentlich nur Fernweh hat??), sowie die Tatsache, dass Belacane durchaus bereit gewsen wäre, ihren Glauben für ihren Gatten aufzugeben. Dies wird in den folgenden Versen deutlich:
Mittelhochdeutsch | Neuhochdeutsch |
---|---|
Des engerte se keinen wandel niht.
'ôwe wie balde daz geschiht! wil er wider wenden, schiere sol ichz enden. |
Dagegen hatte sie nicht das geringste einzuwenden.
>> Ach, wie schnell ist das getan! Wenn er nur wiederkommen will – sofort kann das geschehen sein. |
56, 25 - 26 (?)
Feirefiz und Repanse
Parzival und Feirefiz machen sich in Buch XV auf, um den Gral zu finden (vgl. 786, 18/19) und befinden sich deshalb in Buch XVI auf der Gralsburg Munsalvaesche. Dort trifft Feirefiz seine zukünftige Frau Repanse de Schoye, die Christin und Trägerin des Grals ist. Feirefiz ist sogleich von Repanse verzaubert, denn "ir blic mir inz herze gêt" ("Ihr Blitzen dringt mir ins Herz hinein", 810, 14). Wie im Artikel schon zuvor erwähnt, kann Feirefiz als Heide den Gral nicht sehen. Um ihm diese für sie wertvolle Erfahrung nicht vorzuenthalten, wird er nun von Parzival und Anfortas gebeten, den christlichen Glauben anzunehmen (vgl. 813, 24 - 30). Inwiefern der Gral und der christliche Glaube als solcher jedoch eine Rolle in Feirefiz' Entscheidung sich taufen zu lassen spielen, ist jedoch fraglich. Kellner schätzt Feirefiz' Motivation zur Taufe wie folgt ein: "Jener begehrt nicht die Taufe, sondern die schöne Repanse, die Taufe ist die Taufe ist ihm nichts als ein Mittel zur Liebeserfüllung [...] Nur um der Liebe zu Repanse willen ist Feirefiz bereit, seine erste Frau zu verlassen und Jupiter sowie allen anderen Göttern abzuschwören [...]" [Kellner 2009:37]" [Kellner 2009:37]. Die Ansicht, dass die Erfüllung seiner Liebe zu Repanse der Hauptgrund für die Taufe ist, wird im Text unter anderem dadurch deutlich, dass Feirefiz Parzival fragt: "Ob ich durch iuch ze toufe kum, ist mir der touf ze minnen frum?" ("Wenn ich mich euch zuliebe taufen lasse, hilft mir die Taufe in der Liebe?", 814, 1/2). Parzivals Antwort auf diese Frage macht deutlich, dass das die Zugehörigkeit zum Heidentum ein deutliches Hindernis für eine anhaltende Beziehung zwischen Feirefiz und Repanse darstellt, denn nur unter der Bedingung der Taufe erwirbt Feirefiz das Recht um Repanses Liebe zu werben (vgl. 814, 17 - 19). Parzivals Ansicht nach ist eine interreligiöse Beziehung also nicht möglich, beziehungsweise nicht empfehlenswert, da er Feirefiz Konvertierung zum Christentum als Bedingung für das Liebeswerben setzt.
Fazit
"Das Heidnische wird in seinen Verbindungen mit dem Christlichen immer wieder neu perspektiviert, häufig erscheint es ambivalent." [Kellner 2009:49]
Literaturnachweise
<HarvardReferences/>
[*Kellner 2009] Kellner, Beate: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolframs von Eschenbach "Parzival". In: Wechselseitige Wahrnehmungen der Religionen im Spaetmittelalter und in der Fruehen Neuzeit. Ort, 2009.
- ↑ Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/ New York 2003.