Sexualität und Erotik (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Der Tristan-Roman ist voll von sexuellen und erotischen Momenten. Das sinnliche, wie körperliche Erleben von Liebe, Sexualität, Treue und Freundschaft, ist handlungskonstituierende Größe. Wie ich in diesem Artikel erörtern will, ist es das Fleischliche, das Verlangen, was alle Handlungsstränge antreibt und überformt. Da dieses Thema sehr umfangreich, wenn nicht sogar ausufernd (gerade deshalb aber sehr spannend erscheint), ist, möchte ich versuchen einzelne Momente und Figuren herauszufiltern, um anhand derer die Wichtigkeit der Sexualität in diesem Roman zu erörtern. Nicht zuletzt haben Thomas Mann, Richard Wagner, diverse Drehbuchautoren und etliche Künstler und Schriftsteller die Liebesmotive des Tristans, besonders alle erotischen, in übertragener und abgeänderter Form aufgenommen. Die rein physische Liebe, die Lust, das Verlangen und die Körperlichkeit nimmt einen viel wesentlicheren Raum ein, als die keusche, freundschaftliche, „reine“ und psychische Liebe.

Erscheinungsformen von Sexualität und Erotik

Wer pflückt den Apfel und sät Zwietracht?

Betrachtet man Isoldes erstes Erscheinen. Sie tritt als Heilerin auf, um Tristans Giftwunde zu versorgen. Dabei ist sie voller Mitleid für den verwundeten Spielmann, nicht zuletzt deshalb, weil sie von Tristans Höfischheit erfahren hat. Tristan wird von ihr geheilt, weil er einem Ritterideal entspricht. Noch erhält keiner von beiden sexuelle Attraktivität; beide sind nur sozial äußerst attraktiv. Tristan wegen seines guten Aussehens und Höfischheit muss als Idealbild des Ritters betrachtet werden, da das Aussehen Abbild alles Inneren ist. Bei Isolde verhält es sich genau gleich; sie ist das Idealmodell einer frouwe. Zwischen ihnen gibt es keine Erotik, nur keusche, maximal freundschaftliche Zuneigung, weil sie voneinander profitieren können. Tristan genest, Isolde lernt von Tristans künstlerischem Können.

Einige Zeit später empfiehlt Tristan Marke sich eine Frau zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt sind Tristan und Marke sehr deckend geformt. Beide, oder vielleicht gerade in Kombination und Ergänzung bilden ein ritterliches Herrscherbild, das mustergültig ist. Tristans höfische Erziehung und seine jugendliche Potenz, paaren sich mit Markes Altersweisheit und Erfahrung. Ein gerechter, starker, (männlicher) Herrscher entsteht. Tristan und Marke könnte man als eine Person, eine Seele, ein Leib verstehen, da sie sich derartig nahe stehen und ähnlich sind. Auf Tristans Empfehlung hin, schickt Marke Tristan (wen sonst, nur Tristans Jugend, Erziehung und Stärke), um die schöne Isolde als Braut zu gewinnen, für Marke. In den Versen 8253 - 8295 schwärmt Tristan - nicht sexuell - von Isolde und empfiehlt sie über 40 Verse Marke. Sie ist lustic, ûz erkorn, lûtere, liehte, lûter, ein kint von gebaerden und von lîbe, um nur einige Attribute zu nennen. Ihre sexuelle Attraktivität wird mit keinem Wort erwähnt. Tristan beschreibt sie bezeichnenderweise als Helena. Man bedenke, dass Helena der Grund für den Trojanischen Krieg lieferte. Sie war der Streitpol, der die Freundschaft der Griechen mit den Trojanern beendete, die Völker entzweit. Marke und Tristan werden entzweit werden und der kleine Trojanische Krieg wird ebenfalls durch die Instanz der List entschieden. Marke entschließt sich also zur politischen Hochzeit und Tristan macht sich auf Isolde zu gewinnen. Er schafft es. Nur ist ihm Isolde mittlerweile nicht mehr wohl gesonnen, da sie erfahren hat, dass Tristan ihren Onkel umbrachte. Durch den Liebestrank, den die zwei fataler Weise trinken, anstatt Wein, um ihren Waffenstillstand zu besiegeln wird Isolde zur Venus. Isolde ist von nun an umkämpftes Sex- und Statussymbol des Romans. Durch die Entfachung der fleischlichen Lust zwischen Tristan und Isolde (natürlich auch Liebe) ist nur noch ein Bruch mit Marke möglich. Tristan und Isolde fühlen sich immer stärker körperlich zueinander hingezogen und fangen an Marke zu betrügen. Ein fataler Treuebruch Tristans, der ihm Isolde zur Frau gebracht hat. Ein Ehebruch Isoldes, die Marke heiraten musste. Wie stark die „Geilheit“ des Liebespaares sein muss, zeigt die Tatsache, dass Isolde sich schon auf der Überfahrt, noch vor der Heirat mit Marke, somit außerehelich und ledig entjungfern lässt. Sie ist sozial disqualifiziert dadurch. Sie geht jeder weiblichen Höfischheit verlustig, zu der eben auch die voreheliche Keuschheit gehört. Tristan hat es da als Mann leichter. Nun kann man behaupten es läge alles nur am Trank als magische, übernatürliche Größe. Doch muss man betrachten wer den Trank braute. Isoldes Mutter nämlich, eine Frau. Sogar eine weise, gelehrte Frau. Autark, stark, autoritär, selbstbewusst, selbstständig. Herrscherin über die Iren und Alchemistin. Eine untypische Einrichtung - gelinde gesagt. Eine weibliche Herrscherin, Beraterin des Königs, der sich mehr auf ihr Urteil zu verlassen scheint, als auf ein Männliches. Isolde, die ältere, scheint eine Isolde sophia zu sein. Diese Frau stellt mit ihrer Persönlichkeit jede soziale-höfische Ordnung auf den Kopf, zumindest die Ordnung auf der britischen Insel, indem sie mit ihrer Zauberei Liebe und Fleischeslust produziert. Die Magie einer Eva, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hat. Eine Frau bringt also die Lust in jene heile, geordnete Welt Tristans, die allen Frieden auflöst. Die Erbsünde? Ich möchte soweit nicht gehen, dass der Tristan-Roman frauenfeindlich ist; doch sehe ich deutliche Motive, die den Verdacht nahe legen, dass Isolde, als pars pro toto für alle Weiblichkeit, der Schlüssel zur Zwietracht und zum Konflikt ist. Dabei ist es nicht einmal sonderlich bedeutsam, welche Isolde gemeint ist. Auch Brangäne erfüllt ihr Weiblichkeitsklischee. Sie ist nicht achtsam genug und lässt es zu, dass der falsche Liebestrank als Friedenstrank getrunken wird. Um wieder zu Isolde zu kommen, betrachten wir ihre Entjungferung nochmals aus einem anderen Blickwinkel: Isolde sind alle Konsequenzen egal, weil sie als sexuelle Isolde den locus amoenus erschafft, indem alle sozialen Werte und politischen Strukturen niedertritt. Für das Liebespaar bedeutet das aber, dass sie outcasts sind in der Gesellschaft, welche für sie locus terribilis - dieser Konflikt endet in der Flucht ins Paradies. In der Minnegrotte, kann alle Lust und Körperlichkeit frei sein. Doch darf man den Minneort zwar als Lusttempel ansehen, nicht jedoch, als Sodom oder Gomorrha. Marke legitimiert schließlich die Zuneigung Tristans zu Isolde, bzw. Isoldes zu Tristan, bevor sie sein weltliches Reich verlassen. Doch wie findet die Trennung Tristans von Marke genau statt? Durch die Erschaffung einer Venus, die ich nun als Begriff für personifizierte Weiblichkeit verwenden mag, weil kein Name des Romans allein dafür stehen kann, die für Marke bestimmt sein soll - aus weltlicher Sicht - aber sexuell und emotional Tristan verführt, wird die Schwäche des Mannes die Macht der Frau durch die Erotik gegenübergestellt. Der Mann ist verführbar, Tristan, das Ideal, plötzlich nicht mehr unantastbar. Ihm steht ein moralisch einwandfreier Marke gegenüber, der sich wirklich zu Isolde hingezogen fühlt und sie auch ohne Trank - und nicht nur politisch - liebt. Wir haben nun wieder zwei Seelen und zwei Körper - zwei Männer. Der verführte, potente Liebhaber und der moralische, liebende Gehörnte. Diese Charaktere können nicht mehr zusammen finden. Die Venus treibt den Keil tief zwischen diese Männer. Tristan hintergeht also Marke und handelt unmoralisch, unhöfisch und Marke lässt sich von seinen Beratern aufwiegeln gegen Tristan, dem er anfängt - zurecht - zu misstrauen. Es gibt kein reines höfisches Ritterideal mehr. Tristan handelt verwerflich, Marke ist ohne Tristan nicht vollständig, deshalb nur können seine Berater Zwietracht säen. Mit dem verlorenen ideal Ritter, ist die höfische Gesellschaft aus den Angeln gehoben, das Weltbild verrückt.

Fleischliche Lust

Zusammen liegen vs. zusammenliegen - Freundschaft, Homo- und Heterosexualität, Keuschheit