Die Erzählstruktur des Reinhart Fuchs als Interpretationsgrundlage

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Poetologische Selbstreflexionen: Autor und Werk

Mittelhochdeutsch Übersetzung
nv vernemet seltzene dinc Hört euch merkwürdige Dinge
vnde vremde mere, und unbekannte Geschichten an,
der die glichesere [Tips: "der die" => "die der"; glichesere s. Wörterbuch >> mhd. gelîchsnaere = 'Heuchler']
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[] er ist geheizen Heinrich, er heißt Heinrich
der hat die bvch zesamene geleit der ...................hat
von Isengrines arbeit. über Isengrins Mühsal.

(RF V. 9819, 1784-1790)


Diskussionsgrundlage: Forschungstexte

Gegenstand der Sitzung am 15.06.2020 sind zwei Grundlagentexte von Kurt Ruh[Ruh 1980] und Karl Bertau [Bertau 1983], die ihre Interpretationsskizzen zum Reinhart Fuchs auf den Erzählaufbau des Textes stützen. Ziel der Sitzung ist, die Strukturierungsvorschläge zu vergleichen, methodisch zu prüfen und ihre interpretatorischen Schlüsse zu diskutieren.

Aufgabenschritte:

(1.) Struktur: Wie ist nach Ruh bzw. Bertau der Reinhart Fuchs aufgebaut?
A. Ruh (1980):

  • Ungerade Episodenanzahl und Mittelzäsur bei Isengrins Unheilsgeschichte und Hoftag mit klassisch-episch / sukzessiver Anordnung (= syntagmatische Reihung)
  • zu Beginn Aventiurenreihe mit 375 Versen(Reinharts schlechter Tag = "Vorspiel"), danach unterteilt in zwei gleich große Hauptteile ( zu jeweils 7 Szenen): Teil 1 "Fuchs-Wolf-Auseinandersetzung" und Teil 2 "König Vrevels Hoftag".

B. Bertau (1983):

  • Episodensammlung (paradigmatisch), statt Episodenreihung
  • Simultanlogische Lektüre: keine zwingend-causale Folge der Episoden; Vielmehr beliebige, exemplarsiche Auswahl von Taten des Helden.
  • 3 Teile, je 7 Episoden; Zentrum stellt Teil B dar
  • alternativ denkbar: sukzessivlogische Tendenzen (s. Ruh)


(2.) Methodik: Wie ermitteln Ruh bzw. Bertau diese Struktur? (Wie gesehen sie vor, welche Prinzipien und Annahmen legen sie zugrunde?)

A. Ruh (1980):

  • quantitativ: beide Großteile entsprechen sich ungefähr im Versumfang
  • die beiden Versionen der Texte werden kontrastiert
  • strukturelle Ähnlichkeiten der beiden Teile werden hervorgehoben
  • "Zentralkomposition" als Gliederungsprinzip

B. Bertau (1983):

  • Situationsfolge: nicht zwingend; raümlich nebeneinander und beliebig
  • jede Episode ist in sich am Ziel
  • jedoch nicht ohne Finalität
  • anstatt sukzessivlogischer Folge der Episoden: räumlich-statische Komposition


(3.) Interpretation: Welche Sinnlenkung leiten Ruh bzw. Bertau aus ihren Strukturbeschreibungen ab?
A. Ruh (1980):

  • "Reinhart Fuchs" als Zusammenführung und Erweiterung bereits bestehender Erzählungen (Isengrins not).
  • Anspielungen auf elsässische Verhältnisse
  • politische Kritik: antistaufische Haltung des Autors
  • "Warnfabel": "ritterliche Idealwelt" wird unterhöhlt
  • kombiniert im zweiten Teil Hoftag, Klage und missglückte Botschaften mit Krankheit des Königs und Heilung durch Wolfsfell

B. Bertau (1983):

  • ein einzelnes Ereignis ist ein Gleichnis für typische im Allgemein-menschlichen anzutreffende Situation
  • einzelne Episoden als expemlarische Taten des Helden: Der (Anti-)Held selbst wird zu einer allegorischen Verkörperung des Bösen.
  • satirische Kritik an den Ständen und der höfischen Welt -> nicht konstruktiv, sondern Heinrich sieht die Welt "ganz schwarz" ! (totaler destruktiver "Einspruch")


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Verwendete Literatur

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  • [*Bertau 1983] Bertau, Karl: 'Reinhart Fuchs'. Ästhetische Form als historische Form, in: ders.: Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200, München 1983, S. 19-29.
  • [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 13-33.