Das Entbästen (Gottfried von Straßburg, Tristan)
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Jagdepisode (V. 2759-3378)[1] und untersucht den Gebrauch des mittelhochdeutschen Verbs entbesten bei Gottfried von Straßburg.
Die Jagd
Der Erzähler vermittelt Tristans und Markes Zusammentreffen durch eine Gelegenheit, die Tristan als Kulturbringer in Erscheinung treten lässt: die Jagd. Der höfische Tristan sieht im Wald Markes Leute, die einen Hirsch zerlegen wollen. Dabei behandeln die Jäger den Hirschen wie ein Schwein:
- Nu daz der hirz gevellet wart,
- der dâ jegermeister was,
- der stracte in nider ûf daz gras
- ûf alle viere alsam ein swîn
(V. 2788-2791)
(Als nun der Hirsch getötet worden war,legte der Jägermeister ihn in das Gras nieder auf alle viere, wie ein Schwein.)[Krohn 2009:177]
Die übliche Sitte in Markes Königreich ist, die Beute zu enthäuten und danach in vier Teile zu spalten. In Tristans Land wird ein Hirsch entbästet. Niemand kennt diese Technik in der Jagdgesellschaft: trût kint, waz ist enbesten? (V. 2820). Gerne demonstriert Tristan der Jagdgesellschaft die Kunst des Entbästens (V. 2862-2920): er trennt nacheinander die Vorderläufe, dann die Hinterläufe, enthäutet den Hirsch und trennt dann die Brust mit drei Rippen von beiden Seiten dazu vom Rücken. Danach werden die Rippen und der Pansen mit dem Gedärm abgetrennt.
Am Ende des Enbästens werden die Brust, die Vorderkeulen, Flanken, Läufe übereinander gelegt:
- sus was der hirz enbestet,
- Nu daz der hirz gevellet wart,
- diu hût billiche entlestet.
- die brust, die büege, sîten, bein,
- daz haete er allez über ein
- vil schône dort hin dan geleit.
- hie mite sô was der bast bereit.
(V. 2915-2920)
(So wurde der Hirsch entbästet/ und die Haut geschickt abgelöst./ Die Brust, die Vorderkeulen, Flanken, Läufe,/ das alles hatte er übereinander/ säuberlich dort hingelegt./ Damit war das Enbästen beendet.)[Krohn 2009: 183]
Nach dem Enbästen demonstriert Tristan auch die Kunst der Furkie und Curie während die begeisterte Jagdgesellschaft dem schönem Fremden zuschaut. Am Ende der Jagdepisode wird Tristans Jagdkunst auch dem König vorgeführt, womit Tristan Markes Sympathie gewinnt.
Waz ist enbesten?
Laut Elisabeth Schmid sind die beiden Termini entbesten und bast bei Gottfried zuerst belegt.
Das Verb enbesten und das Substantiv bast werden von Gottfried als Fachausdrücke in der Jagdszene gebraucht, als seien sie in der deutschen zeitgenössischen Jagdkultur gang und gäbe. Die beiden Wörter sind jedoch nicht in die deutsche Jagdsprache eingegangen.[Schmidt 2002: 155-160] Das Verb enbästen tritt später in verwandter Semantik auf, das Substantiv Bast ist in dieser Bedeutung in der deutschen Wortgeschiche einzigartig.
Die beide anderen Wörter Furkie und Kurie sind dagegen echte Fachausdrücke, die in der Romanliteratur des 14. Jahrhundert vorkommen und erklärt werden. Furkie ist in Frankreich im 14.Jahrhundert als Jagdsitte belegt. Curie kommt im Yvain und im Perceval bei Chrétien vor.[Schmidt 2002: 155]
Was den Fachausdruck Bast betrifft, gibt es Belege für das Häutchen, das sich am Geweih das Hirsches bildet, im Deutschen erst seit dem 18. Jahrhundert. In der Tristan-Saga wird Substantiv bast und das Verb entbesten als Fachausdrücke für die Zerlegung gebraucht. Gottfried hat somit in der Jagdszene einen Terminus für die Zerlegung gefunden.
Mit dem Gebrauch der unbekannten Jagdtermini weckt Tristan Neugier der Jagdgesellschaft. Es wird darauf hingewiesen, dass etwas Neues, Unbekanntes geschieht. Gottfried beabsichtigt damit seinen Helden auszuzeichnen und sein Können als etwas Aussergewöhnliches darzustellen.
Die Bedeutung der Szene für die Handlung
Die ganze Jagdszene nimmt einen zentralen Stellenwert ein. Hier werden die Gebräuche der französischen Jagd dargestellt. Laut Kron ist das die älteste mittelhochdeutsche Quelle für die französischen Jagdsitten (Vgl Kron, Kommentar S. 69).
Da die Jagdepisode durch Tristans Geschick und Wissen geprägt ist, trägt sie zum Idealbild des Helden bei. Tristan demonstriert sein Können und gewinnt die Bewunderung der Jagdgesellschaft. Ab diesem Zeitpunkt beginnt auch die intensive Beziehung zwischen Marke und Tristan: der Held gewinnt die Zuneigung des Königs und wird zum obersten Jägermeister an seinem Hof:
- Marke sprach aber Tristande zuo:
- "ich sage dir, Tristan, waz du tuo.
- du solt mich einer bete gewern,
- der enwil ich niht von dir enbern."
- "swaz ir gebietet, hêrre mîn."
- "du solt mîn jegermeister sîn!"
- hie wart ein michel lahter van.
- hier under sprach dô Tristan:
- "hêrre, gebietet über mich.
- swaz ir gebietet, daz bin ich.
- iuwer jeger und iuwer dienestman
- daz bin ich, alse ich beste kan."
- "mit guote, vriunt", sprach Marke dô
- "diz ist geloubet, nu sî alsô!"
- (V. 3365-3379)
(Wieder sprach Marke zu Tristan: "Ich sage dir, was du tun sollst, Tristan. Du sollst mir eine Bitte erfüllen, die du nicht abschlagen darfst." "Was immer Ihr wollt, Herr." "Du sollst mein Jägermeister werden." Da erhob sich großes Freudengelächter. Tristan antwortete sogleich: "Herr, befehlt über mich. Ich bin, was immer Ihr wollt. Euer Jäger, Euer Dienstmann will ich sein, so gut ich kann." "Ausgezeichnet, Freund", sagte Marke, "du hast es gelobt, und so soll es sein.")[Krohn 2009:209]
Indem Tristan seine weidmännische Kunst zeigt, gelingt es ihm, eine führende Stellung in der Gesellschaft einzunehmen.
Anmerkungen
- ↑ Zitierung mit Versangabe im Folgendem aus Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 2009 (RUB 4471-4473).
Literatur
<HarvardReferences />
- [*Krohn 2009] Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1-3- Stuttgart 2009 (RUB 4471-4473).
- [*Schmidt 2002] Schmidt, Elisabeth: Natur und Kultur in der Jagdszene von Gottfrieds "Tristan" in: Der "Tristan" Gottfrieds von Straßburg: Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, hg. von Christoph Huber und Victor Millet, Tübingen: Niemeyer, 2002, S. 152-166.