Autobiografische Elemente (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)

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Ulrich von Liechtenstein (ca. 1205/1208-26.01.1275), dessen Existenz historisch belegt ist, erzählt im Frauendienst aus der Ich-Perspektive von seinem Leben als Ritter und Minnesuchender. Erstmals wird diese Einheit von Autor und Erzähler von der ersten von Ulrich verehrten und namenslos bleibenden Dame geäußert: deswar ich pin des harte vro, daz her Ulrich ist ritter hie warden [...] ich meine den von Liehtenstein. (FD 44,5-8) [1] Zwar enthält der Frauendienst zahlreiche fiktionale Elemente , einiges ist aber historisch belegt und dem tatsächlichen Leben Ulrichs von Liechtenstein entnommen. Von der Forschung wurde der Frauendienst bis etwa in die siebziger Jahre vor allem auf seinen historischen Wahrheitsgehalt hin untersucht, was bedeutet, dass reale von fiktiven Begebenheiten unterschieden werden sollten.[Chinca 2010: 306/307] Die aktuellere Forschung hingegen ist dazu übergegangen, eher die Gesamtaussage des Werks vor dem Hintergrund seines literarischen Wertes zu betrachten.[Chinca 2010: 308/309] Auch hierbei spielt aber der Einsatz von Fiktionalität und historischer Realität immer noch eine wichtige Rolle. [2] Im Folgenden wird zunächst einmal das Leben des historischen Ulrichs nachgezeichnet, um einen Anhaltspunkt dafür zu bekommen, welche Elemente daraus zu welchem literarischen Zweck übernommen wurden.

Autobiografie und Autofiktion

Die Bezeichnung Autobiografie leitet sich von drei griechischstammigen Wörtern ab. Auto bedeutet, dass ein menschliches Selbst spricht, das sein Leben (bios) niederschreibt (graphein).[Gasser 2012:16] Zentral ist dabei also, dass ein real existenter Mensch an einem Punkt seines Lebens zurückblickt und über seine eigene Vergangenheit schreibt. Der Autor muss folglich gezwungenermaßen identisch sein mit dem erzählenden und erlebenden Ich. Allerdings wird es auch bei größten Mühen niemals gelingen, vollständig objektiv und realitätsgetreu über die eigene Vergangenheit zu schreiben, da das menschliche Gedächtnis Eindrücke immer subjektiv verarbeitet, einzelne Details vergisst oder im Laufe der Zeit anders bewertet. Aus diesen Gründen stellt sich die Frage, ob es die Gattung der Autobiografie überhaupt als solche geben kann, oder ob nicht in jeder Autobiografie fiktionale Elemente zu finden sind. Andererseits ist anzunehmen, dass jeder individuelle Autor auch ganz individuelle Literatur verfasst, folglich steckt immer auch der Autor mehr oder weniger deutlich mit in seinem Werk, woraus sich im Umkehrschluss die Frage stellt, ob nicht "alles Schreiben autobiografisch" ist.[Gasser 2012:22] Aus dieser Definition ergibt sich, dass es weder rein autobiografische noch rein autofiktionale Werke geben kann. Vielmehr sind diese beiden Begriffe graduell. Bevor nun näher auf die autobiografischen Aspekte in Ulrich von Liechtensteins Frauendienst eingegangen wird, muss noch erwähnt werden, dass die hier angeführten Definitionen etwa ab den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden.[Gasser 2012:16] Autobiografie und Autofiktion sind also überaus moderne Gattungsbegriffe, was im Hinterkopf behalten werden sollte, wenn diese nun auf mittelalterlicher Literatur angewendet werden.

Historisch-biografische Elemente

Die historische Person Ulrich von Liechtenstein

Kindheit und Jugend

Ulrich von Liechtenstein wurde etwa zwischen 1205 und 1208 geboren.[3] Sein Vater Dietmar III. und seine Mutter Gertrud hatten noch vier weitere Kinder: Otto, Dietmar IV. von Offenburg, Hedwig und eine namentlich unbekannte Schwester.[Dopsch 1999: 100/101] Sein Bruder Dietmar wird auch im Frauendienst erwähnt, so zum Beispiel beim Turnier in Friesach, wo Ulrich den bruoder min [...] Dietmar von Liehtenstein (FD 181,3/5) trifft. Auch der Vater spielt eine Rolle. Sein Tod wird als Grund für die Heimreise des jungen Ulrichs nach Liechtenstein angeführt. (FD 35,5-36,4) Dietmar III. starb 1218,[Dopsch 1999: 100/101] was, vorausgesetzt die historischen Daten sind richtig, nicht ganz mit Ulrichs Version im Frauendienst übereinstimmt. Demnach war er vor dem Tod seines Vaters sowohl im Dienst der Dame und wuohs in daz zwelfte jar (FD 12,2) als auch anschließend noch im Dienst des Markgrafen Heinrich von Österreich, bei dem er vier Jahre verbrachte (FD 35,3-4). So gesehen müsste der literarische Ulrich mindestens sechzehn Jahre alt gewesen sein, laut den historischen Daten von Dopsch kann er bis zum Tod des Vaters aber maximal das Alter von dreizehn erreicht haben.

Familie und Geschlecht der von Liechtenstein

Der literarische Ulrich hat eine Ehefrau, die zwar im Verhältnis zu den verehrten Damen stark in den Hintergrund der Erzählung tritt, aber immerhin zweimal angeführt wird: von danne stal ich mich zehant und reit mit freuden da ich vant die herzenlieben chonen min: diu chunde mir lieber niht gesin (FD 707, 5-8) und auch bei der Gefangen- bzw. Geiselnahme Ulrichs wird die chone min (FD 1712, 7) erwähnt. Nur wenige Verse weiter kommt die Sprache auf mine chinden (FD 1714, 5), wobei ein Kind als sun (FD 1714, 7) bezeichnet wird, während Anzahl und Geschlecht der weiteren unbekannt bleiben. Die Ehefrau und die Kinder Ulrichs sind durch Urkunden historisch belegt. Mit seiner Frau Perchta von Weissenstein hatte Ulrich von Liechtenstein vier Kinder: die beiden Söhne Ulrich II. und Otto II. sowie zwei Töchter Diemut und Perchta, die wiederum alle verheiratet waren und von denen zumindest Otto II. auch selbst zahlreiche Kinder hatte.[Dopsch 1999:100/101]

Allein in Süddeutschland, Mähren und Österreich gab es im 13. Jahrhundert sieben Burgen mit dem Namen Liechtenstein, weshalb der steirische Ulrich von Liechtenstein hin und wieder mit den gleichnamigen österreichischen Adligen verwechselt wurde.[Dopsch 1999:57/58] So gehört der ebenfalls im Frauendienst erwähnte Heinrich von Liechtenstein (FD 1664/1668) nicht Ulrichs, sondern der österreichischen Familie an.[Dopsch 1999: 57] [4] Ulrich von Liechtensteins Vorfahren stammen ursprünglich von den Edlen von Traisen und Feistritz ab. 1140 stellte Dietmar von Reidling, ein Vorfahre Ulrichs, bei Judenburg die Burg Liechtenstein fertig und verlegte den Familiensitz dorthin.[Dopsch 1999: 71] Etwa im Jahre 1250 baute Ulrich von Liechtenstein dann die Frauenburg, die in der Nähe von Judenburg lag.[Dopsch 1999: 72] Allgemein hatte der steirische Adel im 13. Jahrhundert eine mächtige Stellung inne. Zudem befand sich die Region in einer kulturellen Blüt und so gab es einige steirische Adlige vor und nach Ulrich, die ebenfalls als Minnesänger tätig waren, auch wenn keiner von ihnen die Bekanntheit Ulrichs erlangte.[Dopsch 1999: 51-54]

Berufliche Tätigkeiten Ulrichs

Urkunden sind äußerst wichtige Quellen für das Mittelalter. Im Fall Ulrichs von Liechtenstein helfen sie dabei, herauszufinden, welche Tätigkeiten er wann ausübte und historisch zu beurteilen welche Stellung er damit innerhalb des steirischen Adels einnahm. So wie die meisten mittelalterlichen Urkunden berichten auch die über Ulrich von Rechtsgeschäften, die er entweder bezeugt oder in denen er als Aussteller auftritt. Die erste Amtsbezeichnung Ulrichs lautet "Schiedsrichter" und stammt von 1232. Etwa dreißig Jahre später, 1263, wird Ulrich noch einmal ganz ähnlich als "erster Schiedsmann" betitelt. Schiedsmann und Schiedsrichter waren im mittelalterlichen Schiedsgerichtsverfahren von Bedeutung. Schiedsmänner hatten die Aufgabe, eine gütliche Einigung beider Parteien anzuleiten während Schiedsrichter und ihre Beisitzer Entscheidungen fällen durften.[Schiedsgerichtsverfahren 1977-99] 1245 wird Ulrich in einer Urkunde als Ulricus de Lichtensteine dapifer Stirie (Ulrich von Liechtenstein, Truchseß der Steiermark) geführt.[Spechtler 1999: 446]. Ein Truchseß war im Mittelalter am fürstlichen oder königlichen Hof tätig und hatte im 12. und 13. Jahrhundert auch politischen Einfluss.[Kreiker 1977-99] Dies spiegelt auch der Inhalt der Urkunde wider: Ulrich soll im Auftrag Herzog Friedrichs II. den Bischof von Gurk zu militärischer Unterstützung überreden. [Spechtler 1999: 446]Das zeigt deutlich, dass Ulrich politisch tätig war und darüberhinaus noch das Vertrauen des Herzogs genoß, mit dem er wohl in einer guten Verbindung stand.


Keine urkundlichen Anzeichen für seine Tätigkeit als Minnesänger.

Historisches im Frauendienst

Die Hochzeit (Ulrichs Schwertleite)

Do fuor ich turniren knehtes wis Der fürst Liupolt uz Oesterich
durch lernen und durch knehtes pris gap da sin tohter minneclich
allenthalben reht driu jar von Sahsen einem fürsten wert,
da wart ich ritter, daz ist war der het ir ze einer konen begert.
ze Wiene ze einer hochzit diu hochzit wart so schoene da,
daz ich da vor noch immer sit daz (ich) sit niender anderswa
so schoene hochzit nie gesach; so schoene hochzit hab gesehen;
da was von dringen ungemach. des muoz ich von der warheit jehen

(FD, 39/40)

Der Tod des Herzogs

Historische Persönlichkeiten

In der Erzählung ausgelassene Details

z.B. seine komplette politische Laufbahn, reine Konzentration auf Ulrich als "Minneritter"

Wahrheitsbeteuerungen im Text

welche Aussagekraft haben diese, wo genau kommen sie zu welchem literarischen/erzähltechnischen Zweck vor?

Primärtext

  • Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987.

Forschungsliteratur zum Thema

  • Chinca, Mark: Der Frauendienst zwischen Fiktivität und Fiktionalität. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Linden, Sandra/Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben-Zeit-Werk-Forschung, Berlin/New York 2010, S. 305-323.
  • Dopsch, Heinz: Zwischen Dichtung und Politik. Herkunft und Umfeld Ulrichs von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 49-104.
  • Gasser, Peter: Autobiografie und Autofiktion. Einige begriffskritische Bemerkungen, in: Pellin,Elio/Weber, Ulrich: "...all diese fingierten, notierten, in meinem Kopf ungefähr wieder zusammengesetzten Ichs". Autobiographie und Autofiktion, Göttingen 2012.
  • Krenn, Gerald: Historische Figuren und/oder Helden der Dichtung? Untersuchungen zu den Personen im Roman "Frauendienst", in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 105-132.
  • Müller, Jan-Dirk: Ulrich von Liechtenstein, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Bd. 9, Berlin 1995, Sp. 1274-1282.
  • Müller, Jan-Dirk: Lachen - Spiel - Fiktion. Zum Verhältnis von literarischem Diskurs und historischer Realität im "Frauendienst" Ulrichs von Lichtenstein, in: von Bloh, Ute/Schulz, Armin (Hgg.): Minnesang und Literaturtheorie, Tübingen 2001, S. 1-38.
  • Peters, Ursula: Frauendienst. Untersuchungen zu Ulrich von Liechtenstein und zum Wirklichkeitsgehalt der Minnedichtung, Berlin 1970.
  • Rischer, Christelrose: wie süln die vrowen danne leben? Zum Realitätsstatus literarischer Fiktion am Beispiel des Frauendienstes von Ulrich von Liechtenstein, in: Hahn, Gerhard (Hg.): Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, Stuttgart 1992, S. 133-157.
  • Spechtler, Franz Viktor: Die Urkunden Regesten zu Ulrich von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 441-493.
  • Spechtler, Franz Viktor: Probleme um Ulrich von Liechtenstein. Bemerkungen zu historischen Grundlagen, Untersuchungsaspekten und Deutungsversuchen, in: Auer-Müller, Michaela/Müller, Ulrich/Schmidt, Siegrid (Hgg.): Gesammelte Abhandlungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Göppingen 2006, S. 253-264.
  • Spechtler, Franz Viktor: Ulrich von Liechtenstein. Urkunden und Zeugnisse zur Biographie des Autors des ersten Ich-Romans in deutscher Sprache, in: Auer-Müller, Michaela/Müller, Ulrich/Schmidt, Siegrid (Hgg.): Gesammelte Abhandlungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Göppingen 2006, S. 265-272.

Textnachweise

  1. Spechtler, Franz Viktor (Hg.): Ulrich von Liechtenstein. Frauendienst, Göppingen 1987, 44. Wann immer der mittelhochdeutsche Text zitiert wird, wird diese Ausgabe benutzt.
  2. Vgl. hierzu die Forschung von Franz Viktor Spechtler, die in Auszügen in der Forschungsliteratur angeführt wird.
  3. Davon geht zumindest Dopsch aus, Spechtler setzt einen größeren Zeitraum von etwa 1200 bis 1210 für die Geburt Ulrichs an.
  4. Da Ulrichs Sohn Otto II. später mit Diemut von Liechtenstein-Nikolsburg in die österreichische Linie der Liechtensteiner einheiratete, erschwert dies zusätzlich das Auseinanderhalten beider Familien.

<HarvardReferences />

  • [*Dopsch 1999]Dopsch, Heinz: Zwischen Dichtung und Politik. Herkunft und Umfeld Ulrichs von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 49-104.

<HarvardReferences />

  • [*Chinca 2010]Chinca, Mark: Der Frauendienst zwischen Fiktivität und Fiktionalität. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Linden, Sandra/Young, Christopher: Ulrich von Liechtenstein. Leben-Zeit-Werk-Forschung, Berlin/New York 2010, S. 305-323.

<HarvardReferences />

  • [*Gasser 2012]Gasser, Peter: Autobiografie und Autofiktion. Einige begriffskritische Bemerkungen, in: Pellin,Elio/Weber, Ulrich: "...all diese fingierten, notierten, in meinem Kopf ungefähr wieder zusammengesetzten Ichs". Autobiographie und Autofiktion, Göttingen 2012.

<HarvardReferences />

  • [*Spechtler 1999]Spechtler, Franz Viktor: Die Urkunden Regesten zu Ulrich von Liechtenstein, in: Spechtler, Franz Viktor/Maier, Barbara (Hgg.): Ich - Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 441-493.

<HarvardReferences />

  • [*Kreiker 1977-99]Kreiker, S.: 'Truchseß', in Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Bd. 8, Sp. 1069-1070.