Intertextualität: Parzival und die Aeneis

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Wolfram von Eschenbach verwendet in seinem Roman Parzival intertextuelle Bezüge zu Vergils Aeneis beziehungsweise Veldekes Eineit. Diese Verweise sind auf zwei Arten im Text realisiert. Einerseits gibt es direkte Bezüge wie etwa der Vergleich zwischen der Burg in Karthago und Schanpflanzun (399,11-12), andererseits gibt es Ähnlichkeiten auf der makrotextuellen Ebene. An dieser Stelle sind die Liebesbeziehungen Gawans zu nennen, die parallele Strukturen zur Handlung zwischen Aeneas und Dido und später Lavinia aufweisen. Das Ziel dieses Artikels ist es nun, die Funktion dieser intertextuellen Bezüge herauszuarbeiten. Dabei wird besonders die durch die Verweise entstehende Rezeptionshaltung der Textadressaten eine wichtige Rolle spielen.


Vergils Aeneis und Veldekes Eineit

Die Frage, welche Fassung den Bezugstext für Wolframs Arbeiten darstellt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Wahrscheinlich ist, dass ihm mehrere Vorlagen zur Verfügung standen. Zunächst muss davon ausgegangen werden, dass Wolfram, der höchstwahrscheinlich die Schule der septem artes liberales durchlief, mit Vergils antiker Version vertraut war. Bezüglich der mittelalterlichen Fassungen von Chrétien de Troyes und Heinrich von Veldeke ist unklar, ob er auf beide referiert. Ein Argument, das dafür spricht, dass dem Autor des Parzival zumindest eine Ausgabe von Veldekes Eineit vorlag, ist die direkte Erwähnung Veldekes während eines Minneexkurses:

Mittelhochdeutsch (292,18-21) Neuhochdeutsch
hêr Heinrich von Veldeke sînen buom Herr Heinrich von Veldeke hat bekanntlich einmal,
mit kunst gein iwerm arde maz: überaus kunstvoll, Euer Wesen mit einem Baum verglichen.
het er uns dô bescheiden baz Wenn er uns nur deutlicher auseinandergelegt hätte,
wie man iuch süle behalten! wie man euch halten kann!

Aufgrund dieser direkten Erwähnung Veldekes wird im Folgenden vorausgesetzt, dass Wolfram in Kenntnis dessen Eineit war.

Makrotextuelle Ebene

Intertextuelle Ähnlichkeiten auf der makrostrukturellen Ebene beziehen sich in erster Linie auf parallele Erzählstrukturen. In den zwei Gahumretbüchern sind derartige vergleichbare Strukturen zwischen der Aeneis/Eineit und Parzival zu finden. So trifft Gahmuret, wie Aeneas, in einem fremden Land auf eine orientalische Herrscherin, in die er sich verliebt. Das Glück währt jedoch nur kurze Zeit und Gahmuret reist heimlich in einer Nacht ab, um eine erneute Meeresreise zu begehen. Anschließend gelangt er in ein neues Reich, wo er eine Frau trifft, mit der eine christliche Hochzeit stattfindet. Die Frage ist, warum Wolfram diese Strukturen der Aeneis/Eineit auf seinen Parzival überträgt und nicht die Struktur des Artusromans anwendet. Eine Möglichkeit besteht darin, dass indem sich Gahmuret der christlichen Welt und somit auch der Artuswelt abwendet, auch eine anderes Erzählschema notwendig wird. Das Artusschema in einer erzählten Welt anzusiedeln, die von heidnischer Kultur geprägt ist, erscheint als nicht kohärent.

Ein weiterer Aspekt auf der makrotextuellen Ebene ist die Einrahmung von Gawans Liebeshandlung durch die intertextuellen Verweise auf die Eineit beziehungsweise auf das darin von Veldeke entwickelte Minnekonzept. Durch die Platzierung der Textstellen (292, 18-21 und 532) eröffnet Wolfram einen Exkurs, der eine minnetheoretische Diskussion entfaltet, bei der er sich genauer mit Veldekes Vorstellungen dazu auseinandersetzt.

Mikrotextuelle Ebene

Gawan als Aeneas

Die Figur des Gawans erweckt bei der Analyse hinsichtlich der Intertextualität besondere Aufmerksamkeit, was insbesondere an folgender Textstelle liegt:

Mittelhochdeutsch (399,11-14) Neuhochdeutsch
disiu burc was gêheret sô, Diese Burg war so herrlich,
daz Enêas Kartâgô dass Enêas so viel Majestät
nie sô hêrrenliche vant nicht einmal an Kartâgô fand
dâ froun Dîdôn tôt was minnen pfant wo der Dîdô Tod der edlen zu einem Pfand der Liebe wurde.

Diese Textstelle betont auf den ersten Blick die Herrlichkeit und den Reichtum der Burg Antikonies. Das interessante an dieser Textstelle ist jedoch vielmehr, die direkte Erwähnung von Enêas. Dieser intertextuelle Verweis befindet sich zu Beginn des achten Buches und somit noch vor dem ersten Aufeinandertreffen von Gawan und Antikonie. Die Funktion dieser Textstelle wird besonders deutlich, wenn die entstehende Erwartungshaltung der Rezipienten miteinbezogen wird. Denn durch diese klare Anspielung auf die unglückliche Liebesbeziehung zwischen Aeneas und Dido wird bereits vor dem ersten Treffen darauf verwiesen, dass die Liebe der beiden nicht von Dauer sein wird. Zudem wird der Gawan-Handlung eine erotische Dimension hinzugefügt, indem wie eben beschrieben, ein tragisches Liebesabenteuer angedeutet wird. Das Leben Gawans war zuvor hauptsächlich von Kämpfen, wie dem gegen Meljanz (384ff.) geprägt. Durch diese Anspielung wird schon vor der eigentlichen Begegnung der Liebenden der Handlung eine weitere Dimension verliehen. Allerdings wird die Erwartung des Rezipienten enttäuscht, da es zu keiner sexuellen Handlung zwischen den beiden kommt.[1]

Balacane als Dido

Bei der Anaylse der Figur der heidnischen Königin von Zazamanc, Belacane, werden die Parallelen zur karthargischen Königin Dido besonders deutlich. Hierbei lohnt es sich zunächst zu betrachten, wie Belacane stilisiert wird. Bei der ersten Begegnung von Gahrumet und Belacane sagt sie: ob i'u minen kumber klage, den ich nahe im herzen trage (24,13f.). Durch diese Aussage wird sie als trauernde Witwe stilisiert. Mit Blick auf die makrotextuelle Ebene ist hier klar eine Parallele des Aufeinandertreffens zu erkenne, hinsichtlich der mikrotextuellen Ebene ist jedoch vielmehr von einer Distanzierung zu sprechen. Denn im Vergleich zur Aeneis/Eineit berichtet hier nicht der Gast von seinem Schicksal, sondern die Gastgeberin erzählt von ihrem Unglück. Dieser Bericht, der einer Totenklage ähnelt, taucht noch an weiteren Stellen des Romans auf (vgl. 26,9ff.; 28,7f.). Durch diese Trauer wird der Königin klar die Eigenschaft der triuwe zugesprochen, welche im Parzival zu dem Idealbild einer Frau gehört.[2] Auf diese Weise distanziert sich Wolfram von seinen literarischen Vorbildern, die die Figur der Dido deutlich negativer darstellen.[3]

Zusammenfassung

Litaraturverzeichnis

Im Folgenden immer zitiert aus: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übers. von Dieter Kühn, 2 Bde., Frankfurt a.M. 2006.

Bloetzer Ehret, Dominique. Didos Leid als literarisches Erbe in den Gahrumetbüchern, in: Études Médiévales. Revue 5 (2003). S. 182-197.

Draesner, Ulrike. "Wege durch erzählte Welten." Intertextuelle Verweise als Mittel der Bedeutungskonstitution in Wolframs Parzival. Frankfurt am Main (1993).

  1. Draesner, Ulrike S. 316
  2. vgl. wîpheit, dîn ordenlîcher site, dem vert und fuor ie triwe mite (116,13f.).
  3. Bloecker Ehret, S. 185ff.