Novelle
Dieser Artikel befasst sich mit der literarischen Gattung der Novelle mit besonderem Augenmerk auf das 14. Jahrhundert. Die Novelle (ital. novella: Neuigkeit, neue Nachricht, Erzählung) wird zum ersten Mal im 14. Jahrhundert in Boccaccios Decameron als Bezeichnung für eine literarische Gattung verwendet. Der Begriff „Novelle“ ist nicht klar definiert, da sich beispielsweise die Renaissance-Novelle von älteren novellistischen Erzählformen stark unterscheidet [Spinette 1979:549-548]. Aus diesem Grund ist eine Eingrenzung notwendig, weshalb dieser Artikel sich überwiegend mit den Anfängen der Novelle befasst. In Boccaccios Werk, dem Decameron, verfasste er 100 Novellen innerhalb eines Erzählrahmens, der klar durchstrukturiert ist. Die Hauptthemen dieser Novellen sind Fortuna, Amor und Intellekt. Seine Novellen rufen in vielen Ländern Begeisterung hervor und etablieren so eine neue Erzählgattung. In der zweiten Hälfte des 15.Jh. wird das Decameron als sprachliches und stilistisches Vorbild der Novelle gefeiert, im Laufe der Zeit wird es aber auch zunehmend kritisiert [Gier 2004:121-124].
Merkmale der Gattung
Eine klare Gattungsabgrenzung der Novelle ist schwierig, insbesondere im direkten Vergleich mit Märendichtung. Nach Goethes Definition ist eine Novelle "eine sich ereignete und unerhörte Begebenheit" [Gräf 1968:232]. Will man also Novellen abgrenzen von anderen Gattungen wäre zu beachten, dass die Handlung(=Begebenheit) Vorrang vor Figuren und Dingen hat, und Neuheit (=unerhört) des als wahr(=sich ereignet) Erzählten festzustellen ist. Oftmals sind weder thematische noch strukturelle Gemeinsamkeiten zu finden. Gibt es aber Gemeinsamkeiten, so stammen diese eher von der Tendenz zum Romanesken als der Gattung Novelle an sich. Eine genauere Darstellung der Unterschiede zwischen Märe und Novelle wird im Folgenden aufgezeigt [Gier 2004:121-124].
Abgrenzung zum Märe
Die Gattungen Novelle und Märe sind nicht leicht und deutlich zu unterscheiden. Hans Fischer hat dies in seiner Arbeit „Studien zur deutschen Märendichtung“ (Tübingen 1968) versucht. Fischer bedient sich dabei inhaltlicher und formaler Ähnlichkeiten unterschiedlicher Texte. Laut Fischers Definition handelt es sich bei einem Märe um eine „‘in paarweise gereimten Viertakter versifizierten, selbständigen und eigenzwecklichen Erzählung mittleren (d.h. durch die Verszahlen 150 und 2000 ungefähr umgrenzten) Umfangs, deren Gegenstand fiktive, diesseitig-profane und unter weltlichen Aspekten betrachtete, mit ausschließlich (oder vorwiegend) menschlichem Personal vorgestellte Vorgänge sind‘“ . Fischers Märenbegriff und Boccaccios Novellen gleichen sich vor allem in den inhaltlichen Momenten der Diesseitigkeit und der Wirklichkeitsgemäßheit [Fischer 1968:62f].
Merkmale | Märe | Novelle |
---|---|---|
Begründung der Gattung | Der Stricker als Gattungsbegründer (2. Viertel des 13. Jahrhunderts) | Mit Erscheinen des Decameron von Boccaccio (1349-1351) |
Art der Überlieferung | Zusammenhanglose Sammlung | Novellarium (bis 17. Jahrhundert) |
Rahmen (cornice) | Interner Rahmen (Pro-/Epimythion) | Externer Rahmen (extradiegetisch) |
Formale Struktur | Kleinere Reimpaarerzählung (ca. 100 bis 1000 Verse) | Kleinere Prosaerzählung (ungereimt) |
Personal | Modellfiguren (namenlos & exemplarisch) | Individuen mit eigenem Namen |
Themen | Wunderbare Elemente (Ehe, Listigkeit, etc.) | Realistisches Setting (Liebe, Klugheit, Witz) |
Ordo-Gedanke | Wiederherstellung einer göttlichen Ordnung | Selbstverantwortliches Handeln |
Funktion | Ordnungscharakter | Unterhaltungscharakter |
Deutung | Eindeutig (durch Epimythion) | Mehrdeutig |
Die "cornice" der Novelle
Literatur
<HarvardReferences />
- [*Spinette 1979] Spinette, Alberte: Boccaccio, Giovanni. In: Rolf Wilhelm Brednich (Hg.): Enzyklopädie des Märchens Bd. 2. Berlin 1979, Sp. 549-561.
<HarvardReferences />
- [*Gier 2004] Gier, Albert: Novelle. In: Rolf Wilhelm Brednich (Hg.): Enzyklopädie des Märchens Bd. 10. Berlin 2004, Sp. 120-126.
<HarvardReferences />
- [*Gräf 1968] Gräf, Hans Gerhard: Johann Wolfgang Goethe im Gespräch mit Johann Peter Eckermann, 29. Januar 1827. In: Hans Gerhard Gräf (Hg.): Goethe über seine Dichtungen. Versuch einer Sammlung aller Äußerungen des Dichters über seine poetischen Werke Bd. 1. Darmstadt 1968, S. 231–233.
<HarvardReferences />
- [*Fischer 1968] Fischer, Hans: Studien zur deutschen Märendichtung. Tübingen 1968.