Das Herzemaere (Konrad von Würzburg)
Handlung
Ein Ehemann möchte mit einer Reise nach Jerusalem intendieren, dass seine Gattin durch räumliche Distanz die Minne zu einem ihr gewogenen ritter vergisst. Auf des Liebhabers Wunsch hin dem Paar nachzufahren bittet die frouwe den ritter selbst nach Jerusalem zu fahren, sodass sämtliche Zweifel des Ehemanns genommen werden. Der ritter befolgt den Wunsch der frouwe, die ihm zum Abschied einen Ring schenkt. Der Ehemann schöpft – wegen der enormen Qual des ritters – Verdacht und muss zuletzt „an ir [...] gebaerden feststellen, dass die beiden nicht ohne einander sein können.“ [Kragl 2008: 302]: Unmittelbar nach dem Abschied von ritter und frouwe stirbt an gebrochenem Herzen der ritter, der im Sterben liegend seinem Knappen den Auftrag gibt, der Geliebten sein Herz samt dem von ihr geschenkten Ring in einem Kästchen zu überreichen. Treu ergeben folgt der Knappe dem Wunsch des ritters und begegnet auf seinem Weg zur frouwe dem Ehemann, der das Kästchen gewaltvoll an sich nimmt. Die Bedeutung der Gegenstände Herz und Ring verstehend - der Ritter ist tot und lässt Urkunde durch den Knappen senden - gibt der Ehenmann das Herz seinem Koch. Dieser soll daraus eine köstliche Speise - die für die Gattin bestimmt ist – zubereiten. Genussvoll verzehrt wird das Herz des Geliebten von der frouwe, die glaubt nie etwas Süßeres gespeist zu haben. Auf die Frage hin ob „diz ezzen lobesam gewesen wilde oder zam“ (V. 457 - 485) antwortet ihr der Gatte, dass das Mahl das Herz des ritters wäre. Diese Nachricht löst in der frouwe sowohl enorme Qual als auch – wegen der Treue des ritters – Schmerz aus: Ihr Herz zerbricht und sie stirbt.
Deutungsansätze
Das „Herzmäre“ Konrads von Würzburg wird häufig in Verbindung zu Gotfrid von Straßburg gebracht, welcher sich in Tristan auf ähnliche Weise mit der Minne befasst. Auch in der Wortwahl lassen sich zahlreiche Tristan-Zitate finden.[Jones 2017:291] Gotfrid von Straßburg wird sogar im Prolog des Herzmäres genannt: „des bringet uns gewisheit / von Strâzburc meister Gotfrit“ (V. 8f.), wobei Jones in einer näheren Betrachtung der Überlieferung zu bedenken gibt, dass es sich dabei um einen nachträglich hinzugefügten Hinweis eines späteren Schreibers handeln könne, der auf die Ähnlichkeiten hinweisen wollte.[Jones 2017:291]
Eine solche thematische Ähnlichkeit zu Tristan ist die Verknüpfung des Minnetods mit dem Motiv der Eucharistie.[Ortmann/Ragotzky 1988:96] Im „Herzmäre“ finden sich zahlreiche religiöse Referenzen, sodass Ortmann und Ragotzky diese als „ausschließliche Perspektive der Deutung“[Ortmann/Ragotzky 1988:96] werten. So reist der Ritter beispielsweise nach Jerusalem, als er sich von der Dame trennt, was an die Kreuzzugslyrik erinnert und den Ritter als Kreuzritter aufwertet.[Wagner 2011:312] Nach seinem Märtyrertod wird das Herz des Ritters in einem verzierten Kästchen verwahrt, es wird zur „Minnereliquie“[Ortmann/Ragotzky 1988:95]. Mit der Herzspeise erreicht die Allegorie ihren Höhepunkt: „Das Essen des Herzens wird hier in eine unübersehbare Analogie zur Eucharistie gebracht; die Hostie zu essen bedeutet, den Leib Christi in sich aufzunehmen, es bedeutet, mit Christus eins zu werden, im Tode; die Einheit im Tode aber verbürgt die Einheit in der Auferstehung und damit das ewige Leben“.[Ortmann/Ragotzky 1988:93f.] Eine solche Deutung interpretiert den Tod der Liebenden positiv. Es ist ein Tod, der das Minneleid beendet und Minneerfüllung im Jenseits verspricht.[Wagner 2011:313] Hinsichtlich des Prologs, in dem der Erzähler vorgibt, ein Vorbild von „lûterlîchiu minne“ (V. 2) und „ganzer liebe“ (V. 7) zeichnen zu wollen, müsse man, so Wagner, die „Beobachterdistanz“ bedenken: „Der Erzähler verherrlicht durch die transzendentale Verklärung des Todes keineswegs ein reales Sterben für die Minne, sondern er verherrlicht […] die Betrachtung eines solchen Sterbens, die Rezeption einer entsprechenden Erzählung“.[Wagner 2011:315f.]
Einen anderen Akzent setzt dagegen Florian Kragl, der sich in intensiv mit der Herzmetapher auseinandersetzt. Bis zu der Trennung der Liebenden, so Kragl, wird das „herze“ in seiner geläufigen metaphorischen Bedeutung verwendet: „herze steht metaphorisch für minne“.[Kragl 2008:311f.] Nach der Trennung ist vom Herz vermehrt, jedoch nicht ausschließlich, in seiner organischen Funktion die Rede. Dieses neue Verständnis gehe vom Ritter aus, der parallel dazu beginnt, auch körperlich an der Minne zu leiden.[Kragl 2008:312f.] Kragl schließt zum Tod des Ritters: „Sein Unverständnis für eine Metapher bzw. sein Umverständnis einer Metapher wird ihm zum Verhängnis. Er grübelt sich ins Grab“.[Kragl 2008:315] Auch die Dame sterbe in Folge eines Fehlverständnisses: „Sie wiederum, die zunächst einfach eine leckere Speise zu essen glaubt, interpretiert diese – bereits vermittelte – materialisierte Metapher noch einmal falsch bzw. neu und macht die verquere Liebesbotschaft […] zu einem Bild für unverbrüchliche Treue“[Kragl 2008:324], um deren Erwiderung sie den Tod wählt. Da Kragl auch in Prolog und Epimyhtion Widersprüche in der Erzählerintention und Herzsprache erkennt,[Kragl 2008:322] folgert er: „Die Geschichte ist nicht beschränkt auf das Ausagieren einer Liebeshandlung oder auf die Zurschaustellung einer oberflächlichen Liebesmetaphorik. Demonstriert wird vielmehr […] das semantische Problem des metaphorischen Sprechens anhand der Herzmetapher im Minnekontext“.[Kragl 2008:327]
Barbara Feix wiederum nähert sich der Minneauffassung des „Herzmäre“ über eine Analyse der Visualität. Blicke im „Herzmäre“, so Feix, sind „Zeichen der Kommunikation“[Feix 2002:87], die in der Trennung der Liebenden durch „Memorialzeichen“ ersetzt werden, welche „zur Aufnahme und zum Lebendig-Erhalten von (Liebes)Beziehungen“[Feix 2002:92] dienen. Ein solches Zeichen sei der Ring, den die Dame dem Ritter bei der Abreise gibt. Dieses Symbol sei aber nicht so stark wie ein physischer Blick; der Ritter leidet – und stirbt – dennoch.[Feix 2002:92] Dem Ring komme erneut Bedeutung zu, als der Ritter ihn zusammen mit seinem Herz versendet, denn „ohne den Ring kann die Dame das Herz später nicht als Zeichen erkennen“.[Feix 2002:91] Dies erkenne aber auch der Ehemann, was zu seinem Racheakt und dem Tod der Dame führe. So werden die Memorialzeichen zu „Zeichen der unterbrochenen Blicke und überwinden die durch äußere Einflüsse […] erzeugten Schranken – aber erst im Tod der Liebenden“.[Feix 2002:92] Feix zieht ein Fazit, das auch Ortmann und Ragotzky unterstreichen: „Trennung bedeutet Tod“.[Feix 2002:92] [Ortmann/Ragotzky 1988:95]
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
- [*Feix 2002] Feix, Barbara: «... mit minneclichen ougen»: die Visualisierung von Liebe und Erkenntnis im 'Herzmære' Konrads von Würzburg, in: Frauenblicke, Männerblicke, Frauenzimmer. Studien zu Blick, Geschlecht und Raum, hg. von Waltraud Fritsch-Rößler, St. Ingbert 2002 (Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft 26), S.83–93.
- [*Jones 2017] Jones, Claire Taylor: Relics and the Anxiety of Exposure in Konrad Von Würzburg's Herzmaere, in: Journal of English and Germanic Philology 116.3 (2017), S. 286–309.
- [*Kragl 2008] Kragl, Florian: Wie man in Furten ertrinkt und warum Herzen süß schmecken. Überlegungen zur Historizität der Metaphernpraxis am Beispiel von Herzmaere und Parzival, in: Euphorion 102 (2008), S. 289–330.
- [*Kragl 2008: 302] Kragl, Florian: Wie man in Furten ertrinkt und warum Herzen süß schmecken, in: Euphorion 102 (2008), S. 302.
- [*Ortmann/Ragotzky 1988] Ortmann, Christa und Hedda Ragotzky: Zur Funktion exemplarischer triuwe-Beweise in Minne-Mären: ‚Die treue Gattin‘ Herrands von Wildonie, ‚Das Herzmäre‘ Konrads von Würzburg und die ‚Frauentreue’, in: Kleinere Erzählformen im Mittelalter. Paderborner Colloquium 1987, hg. von Klaus Grubmüller [u.a.], Paderborn 1988 (Schriften der Universität, Gesamthochschule Paderborn: Reihe Sprach- und Literaturwissenschaft 10), S. 89–109.
- [*Wagner 2011] Wagner, Silvan: Sterben als Eintritt in höfisches Heil: Gott und der Tod in Mären des 13. Jahrhunderts (Herzmaere, Der nackte Kaiser, Die eingemauerte Frau), in: Gott und Tod. Tod und Sterben in der höfischen Kultur des Mittelalters, hg. von Susanne Knaeble [u.a.], Berlin 2011 (Bayreuther Forum Transit 10), S. 309–329.