Der fünfmal getötete Pfarrer (Hans Rosenplüt)
Handlung
Um einen Riss in seiner Schuhsohle flicken zu lassen, den er kurz vor seinem Aufbruch zu einem Amtsauftrag bemerkt, sucht ein Pfarrer einen Schuster auf, der ihm diesen vernähen soll. Durch einen falschen Nadelstich tötet dieser aus Versehen den Pfarrer, der an Ort und Stelle verblutet. Um die eigene Schuld am Tod zu verheimlichen, versteckt der Schuster auf Anraten seiner Frau die Leiche zunächst, um sie am nächsten Tag auf sein Pferd zu setzen und dieses in ein Haferfeld zu führen. Als der Bauer das grasende Pferd bemerkt, entzürnt er sich über den Verlust seiner Ernte beziehungsweise die Rücksichtslosigkeit des Pfarrers und fordert ihn auf, aus dem Feld herauszureiten. Nicht bemerkend, dass der Pfarrer tot ist, deutet er dessen fehlende Reaktion als Ignoranz und gerät darüber so in Zorn, dass er einen Stein auf ihn wirft. Die Leiche fällt daraufhin vom Pferd und bleibt tot auf dem Boden liegen, sodass der Bauer glaubt, er habe ihn durch den Steinwurf getötet. Nachdem auch er sich Rat suchend an seine Frau wendet, beschließen die beiden, die Leiche des Pfarrers das Gatter ihres Nachbarn zu lehnen, um sie loszuwerden. Als dieser sich am nächsten Tag auf das Feld zum Arbeiten begeben möchte, kommt er aufgrund der Leiche, die das Gatter blockiert, nicht durch. Wie sein Vorgänger erkennt auch dieser Bauer nicht, dass der Pfarrer bereits tot ist und gerät über dessen scheinbare Ignoranz so in Zorn, sodass er das Gatter aufreißt, wodurch der Pfarrer umkippt. Im Glauben, er habe ihn dadurch umgebracht, wendet sich der Bauer entsetzt an seine Frau, mit welcher er in der folgenden Nacht die Leiche in die Kammer seines Nachbarn, einem Küster, schiebt, wo sie auf eine Schüssel mit vorbereitetem Teig stoßen. Um es so aussehen zu lassen, als sei der Pfarrer durch eigenes Verschulden gestorben, platzieren sie die Schüssel vor diesem, sodass es scheint, als sei er beim Essen des Teiges erstickt. Am nächsten Morgen findet die Frau des Küsters die Leiche mit der leeren Schüssel und holt entsetzt ihren Mann herbei. Obgleich sich in diesem Fall das Paar nicht für den Tod des Pfarrers verantwortlich sieht, beschließen auch sie den Todesfall zu vertuschen und stellen die Leiche an den Altar der Kirche, um es aussehen zu lassen, als sei der Pfarrer bei seiner Andacht gestorben. Als die Bauern zur Frühmesse erscheinen, nimmt niemand den Pfarrer als Toten war. Stattdessen knien alle vor dem Altar nieder, während eine alte Frau sich durch die Menschen drängt, um das Gewand des Pfarrers zu berühren. Als sie daran zieht, fällt die Leiche auf sie hinab und erschlägt sie, woraufhin die Anwesenden erst den Tod des Pfarrers bemerken. Entsetzt und in tiefer Trauer, beschließen die Bauern die beiden zu beerdigen, woraufhin sich der Autor Rosenplüt abschließend persönlich äußert, dass der Pfarrer den Tod nach der weiber ler[1] gefunden hat.
Der fünfmal getötete Pfarrer als Beispiel für die Subgattung "Schwankmäre"
Das Märe Der fünfmal getötete Pfarrer kann, wie alle rosenplütschen Mären, dem Typus „Schwankmäre“ zugeordnet werden, welcher als zentrales Thema Ehebruchsgeschichten behandelt und daher ein relativ beschränktes Figurenpersonal, meist eine männliche und eine weibliche Figur, aufweist.[2] Zusätzlich zu den stereotypisch beschriebenen Hauptfiguren, bei welchen sich die weibliche Figur meist durch List und Boshaftigkeit, die männliche hingegen durch Dummheit auszeichnet, tauchen oftmals ebenfalls stereotypisch beschriebene Figuren auf, wie "der sexgierige, potente Priester, der romantisch-sentimentale Adlige, die brave, eher dümmliche Magd, der kluge, treue Knecht [...] und [...] der ebenfalls äußerst listige fahrende Schüler [beziehungsweise] Theologiestudent".[2] Neben dem Adligen ist vor allem der Priester häufig am Ehebruch beteiligt und wird, da er im Gegensatz zu diesem oft erwischt wird, meistens bestraft und gedemütigt.[2] Obgleich das Märe insofern von den typischen Schwankmären unterscheidet, dass es weder den Ehebruch thematisiert noch sonstige sexuelle Bezüge aufweist, kann es dennoch zu dieser Gattung gezählt werden, da sich in diesem verschiedene Formen schwanktypischer Komik finden.[3] So wird neben der Figurenkomik, welche sich durch die hilflosen Männer ergibt, die immer wieder ihre listigen Frauen fragen müssen, auch Situationskomik durch die sich öfters wiederholende Situation erzeugt, in der die Bauern den Pfaffen ansprechen und aufgrund der fehlenden Reaktion in Zorn geraten, während der Leser weiß, dass der Pfaffe nicht reagieren wird.[3] Zusätzlich sorgt die Frage danach, wie das nächste Ehepaar die Leiche los wird, welche sich der Leser spätestens nach dem zweiten Mord stellt, für Handlungskomik.[3]
Interpretationsansatz "Die sieben Todsünden" (Elisabeth Christensen)
Elisabeth Christensen sieht die eigentliche Besonderheit des Märes in der Auswahl bzw. der Art und Weise der Präsentation der Sünden. So erscheint es ihr bemerkenswert, dass Rosenplüt die Leichenschieberei wohl aus dem französischen Fabliau- Vorgänger Segretain übernommen hat, dabei jedoch die Liebesaffäre, welche im Fabliau als Anlass für den Priestermord dient, komplett auslässt und stattdessen den Pfarrer relativ unglücklich sterben lässt.[4] Verwunderlich erscheint Christensen hierbei, dass Rosenplüt, der sonst hauptsächlich mit der sexuellen Thematik arbeitet, ein solches Element außen vorlässt und stattdessen einen banalen Unfall konstruiert, was ihm die Erzähllogik ihrer Meinung nach eigentlich nur erschwert.[4] Klaus Grubmüller zufolge entspricht Rosenplüt damit der „Tendenz zur Darstellung böse endender Zufälligkeiten“, welche er auch in anderen Mären dieser Zeit sieht und als Kritik an den ordo- Aufweichungen und neuen Gegebenheiten der damaligen realen Welt interpretiert, die mit dem damaligen Ende einer Epoche einhergehen.[5] Christensen, die Grubmüllers These dadurch bestätigt sieht, dass Rosenplüt sowohl in seiner religiösen Rede die Welt, als auch in seinem Beichtspiegel die sieben Todsünden als Grund für die Schlechtigkeit der Welt nennt, deutet auch das Märe der fünfmal getötete Pfarrer in diesem Zusammenhang und sieht darin alle Todsünden repräsentiert.[4] So zeigt sich die hoffart (superbia bzw. Hochmut) bereits zu Beginn des Märes beim Pfarrer selbst, da ihm die von Christensen als „lächerlich“ betitelte Sorge über das Loch in seinem Stiefel wichtiger als sein Dienst als Priester ist und er anstatt die Sterbesakramente zu überbringen, zunächst zum Schuster reitet, wobei er sogar die Hostie als das Sinnbild seiner Aufgabe zu Hause lässt.[6] Christensen bewertet dieses Verhalten als „ruchlos und egoistisch“, da es ihr zufolge gerade beim Spenden von Sterbesakramenten auf das rechtzeitige Eintreffen des Pfarrers ankommen kann.[6] Darüber hinaus erscheint der Zorn als weitere Todsünde mehrfach innerhalb des Märes, da die Bauern stets wütend auf die Entdeckung des Pfarrers reagieren und „tiradenartige Hassreden“ gegen diesen formulieren. Die Missgunst wird satirisch durch den toten Pfarrer präsentiert, der zwar nicht mehr aktiv handeln kann, dem jedoch passiv der neyd zugeschrieben beziehungsweise in der "Hafer-Szene" auch vom Bauer vorgeworfen wird.[6] Gleichzeitig repräsentiert der Pfarrer die acedia (Faulheit bzw. Trägheit), da er vom Bauern in der „Gatter-Szene“ getadelt wird, nur untätig herum zu stehen, was der Bauer als Hohn empfindet, da er zur Arbeit gehen muss.[7] Im Sinne von der Feigheit, das Richtige zu tun zeigt sich die acedia zudem bei allen Akteuren der Haupthandlung, „da sich jeder und jede Einzelne aus Angst vor der Strafe gegen das Richtige entscheidet.“[7] In der Teig-Szene, welche sich sonst in keiner Vorlage findet, und Christensen zufolge extra von Rosenplüt eingefügt wurde, wird die Völlerei abgebildet und zusätzlich die Lächerlichkeit der Figuren zu betont, da sich der Pfarrer nicht mit einer feinen Speise, sondern mit rohem Teig vollstopft.[7] Die Tatsache, dass die Bauern den Pfarrer in das Nachbarhaus dinsen, also schleppen müssen, und dieser die Frau am Ende der Erzählung durch seine Leibesfülle erschlägt, bestätigt zusätzlich, dass ihn das Laster schon zu Lebzeiten begleitet.[7] In der Schlussszene zeigt sich schließlich als letztes Laster die Wollust, da die alte Frau in der Messe so begierig am Gewand des Pfarrers reißt, dass dieser auf sie fällt und sie erschlägt.[8] Christensen sieht auch hier eine eindeutige Absicht Rosenplüts dahinter, damit eine Sünde zu demonstrieren, da sich die Szene ebenfalls in keiner Vorlage findet. Ihr zufolge könnte man die Szene auch als „Bild eines missglückten Geschlechtsaktes“ sehen, wobei sich in der Heftigkeit des Reißens der Frau deren Geilheit zeigt.[8]
Literaturverweise
- ↑ Der fünfmal getötete Pfarrer, in: Novellistik des Mittelalters, hg., übers. und kommentiert von Klaus Grubmüller, Berlin: Dt. Klassiker-Verl. 2011, S. 915.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Christensen, Elisabeth: Den pfaffen und das weib wolt effen. Klerus und Komik in Hans Rosenplüts Mären, in: Satire-Ironie-Parodie. Aspekte des Komischen in der deutschen Sprache und Literatur, hg. von Klaus Amann/Wolfgang Hackl, Innsbruck 2016 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft: Germanistische Reihe 85), S. 139.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Ebd., S. 147.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Ebd., S. 148.
- ↑ Klaus Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter. Fabliau – Märe – Novelle. Tübingen 2006, S. 193.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Christensen, Elisabeth: Den pfaffen und das weib wolt effen. Klerus und Komik in Hans Rosenplüts Mären, in: Satire-Ironie-Parodie. Aspekte des Komischen in der deutschen Sprache und Literatur, hg. von Klaus Amann/Wolfgang Hackl, Innsbruck 2016 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft: Germanistische Reihe 85),S. 149.
- ↑ 7,0 7,1 7,2 7,3 Ebd., S. 150.
- ↑ 8,0 8,1 Ebd., S. 151.