Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel thematisiert die Aspekte der Gerechtigkeit sowie Ungerechtigkeit in dem von Heinrich dem Glîchezâren verfassten Tierepos Reinhart Fuchs [1]. Hierbei liegt der Fokus vor allem auf Reinharts tückischen Listen und dem Hoftag, welche in Hinblick auf die Aspekte der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Folgenden genauer analysiert werden. Zudem wird herangezogen, ob Ungerechtigkeiten willentlich verübt werden oder Figuren durch eine List dazu verleitet wurden.


Definition

Bevor die Aspekte der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in Reinhart Fuchs genauer analysiert werden können, muss zuerst der Begriff der Gerechtigkeit definiert werden. Gerechtigkeit bedeutet –entsprechend der Bedeutung von gerecht – "das Gerechtsein" oder eine "gerechte Behandlung" [dwds]. Mit dem "Gerechtsein" kann dabei die "Gerechtigkeit eines Richters, Urteils, einer Strafe" gemeint sein [dwds]. Eine "gerechte Behandlung" meint zum Beispiel, jemanden "Gerechtigkeit widerfahren lassen" [dwds]. Gerechtigkeit wird außerdem manchmal gleichbedeutend mit "Recht" und der "ausübenden Instanz der öffentlichen Rechtspflege" verwendet [dwds].

Die Ungerechtigkeit Vrevels


Die Ungerechtigkeit des Königs an den Ameisen

Als zum ersten Mal in der Erzählung genauer vom Löwenkönig Vrevel berichtet wird, wird bereits deutlich dass diese Figur ungerecht gehandelt hat und das trotz – oder gerade wegen – seiner hohen Machtposition. So wird – überraschenderweise – nach allen Ungerechtigkeiten Reinharts dem Leser eröffnet, dass all das während einem Landfrieden stattgefunden hat (RF, V. 1239). Der Löwenkönig ging jedoch zu einem Ameisenhaufen und verkündete ihnen, dass er ihr Herrscher sei (RF, V. 1251-1254). Als diese sich weigerten, sich ihm zu unterwerfen, tötete er tausend von ihnen, verwundete viele der Ameisen und zerstörte zusätzlich ihre Festung (RF, V. 1255-1264). Damit ist Reinhart also nicht der einzige, der während einem Landfrieden solch ungerechte Taten vollbringt. Denn sogar der König selbst verübt eine solche Ungerechtigkeit und bricht somit eigentlich den Landfrieden, den er angeordnet hatte. Als der Ameisenherr daraufhin zu seinem verwundeten Volk und der zerstörten Festung zurückkehrt, beschließt er sein Volk zu rächen und somit Gerechtigkeit für diese sicherzustellen (RF, V. 1296-1297). Der Ameisenherr springt in das Ohr des Königs – unter Reinharts Beobachtung – und verursacht so, dass der König glaubt schwerkrank zu sein (RF, V. 1300-1306). Damit ist der Ameisenherr zumindest teilweise mitverantwortlich für die ungerechten Ereignisse die auf die vermeintliche Erkrankung des Löwenkönigs folgen, allerdings bleiben die Hauptakteure der Ungerechtigkeit vom Hoftag in erster Linie der Löwenkönig Vrevel selbst, gefolgt von Reinhart Fuchs.

Die Ungerechtigkeit des Königs am Hoftag (V. 1930-1946)

Einordnung in den Kontext der Erzählung

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, Reinhart zum Hoftag zu beordnen, erscheint der angeklagte Reinhart zum Hoftag. Dieser gibt sich jedoch beim Löwenkönig als Arzt aus, der um Vrevels Heilung bemüht ist. Damit will Reinhart die Wut des Königs mildern. Der Löwenkönig fällt auf diese List Reinharts herein und befolgt dessen Anweisungen, auch wenn er dadurch seinen Untertanen gegenüber ungerecht, zum Teil sogar grausam handelt. ”Damit ist die Gerichtsszene in die Verarztung Vrevel umfunktioniert. Diesen interessiert nur noch Reinhart der Arzt, der nunmehr neue Heilmittel anpreist. Der Angeklagte wird zum Richter und Schinder.” [Ruh 1980]

Mittelhochdeutsch Übersetzung
der kvnic hiez si begrifen Der König ließ sie
vil mangen sinen starken kneht. von vielen starken Dienern ergreifen.
man schinte si, ovch wart Dipreht Man zog ihnen das Fell ab, und auch Diepreht
beschindet also harte. erging es so.
daz qvam von Reinharte. Das alles hatte Reinhart ins Werk gesetzt.
der sprach: ,ditz ist wol getan. Er sagt: "So ist es in Ordnung.
ein versoten hvn svl wir han Jetzt brauchen wir ein gekochtes Huhn
mit gvtem specke eberin.' mit feinem Eberspeck."
der kvnic sprach: ,daz sol vor Pinte sin.' Der König befahl: "Das muß Frau Pinte sein."
der kvnic hiez hervur stan Er ließ Scantecler vortreten
Scanteclern, er sprach: ,ich mvz han und sagte: "Ich brauche
zv einer arztie din wip.' deine Gattin für eine Kur."
,neina, herre, si ist mir als min lip "Nein, Herr, sie bedeutet mir mein Leben.
ezzet mich vnde lazet si genesen!' Verzehrt mich lieber selbst und laßt sie gesund!"
Reinhart sprach: ,des mag niht wesen.' Reinhart entgegnete: "Das geht nicht."
der kvnic hiez Pinten vahen, Der König ließ Pinte fangen,
Scantecler begonde dannen gahen. Scantecler eilte weg.

In dieser Textstelle wird beschrieben, wie dem Wolf Isengrin, dem Bär (Kaplan) Brun und dem Kater Diepreht das Fell abgezogen wird. Der Löwenkönig glaubt – wegen Reinhart – diese Felle für seine Heilung zu benötigen. Reinhart führt seine List fort indem er behauptet, dass der König außerdem noch ein gekochtes Huhn und Eberspeck braucht, woraufhin der König das Huhn Pinte einfangen lässt – entgegen Scanteclers Bitte, seine Frau zu verschonen.

Nachfolgende Handlung

All diese ungerechten Behandlungen waren aber noch nicht genug. Reinhart behauptet danach noch, dass für die Heilung des Königs ein Band aus Hirschleder vonnöten sei, sowie das Fell eines Bibers. So verlangt der Löwenkönig noch von dem Hirsch Randolt ein Lederband und von dem Biber sein Fell. Viele Tiere flüchten daraufhin aus Angst, dass auch ihnen noch das Fell abverlangt werden könnte. Die einzigen, die übrig blieben, waren der Krimel, das Kamel und der Elefant – also all jene, die ein günstigeres Urteil für Reinhart gefällt hatten. An allen anderen Tieren hatte sich Reinhart erfolgreich gerächt.

Bedeutung der Szene

Mit Hinblick auf eine Analyse der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in Reinhart Fuchs, ist diese Szene von besonders großer Bedeutung, denn hier wird das größte Unrecht der Geschichte beschrieben. All diese Tiere erfahren Ungerechtigkeit durch ihren eigenen König – und das nur, weil ihm sein eigenes Wohl wichtiger ist als das seiner Untertanen. Reinhart fungiert in dieser Szene als eine Art 'Strippenzieher', der die missliche Lage des Königs ausnutzt und sich durch ihn an allen Tieren rächen will, die ihn angeklagt haben oder ihm ein hartes Urteil auferlegen wollten. Dennoch wird in dieser Szene die Ungerechtigkeit in erster Linie vom Löwenkönig ausgeübt, der alle Vorwürfe gegen Reinhart zu vergessen scheint und auf dessen List reinfällt, obwohl er von seiner Listigkeit wusste. Es ist immerhin Vrevel, der seine Machtposition als König und als Richter gänzlich missbraucht und daran scheitert, für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Hoftag war dazu gedacht, ein Urteil über Reinharts Taten zu fällen und Gerechtigkeit für all jene zu bringen, die von Reinhart überlistet und somit oft schwer verwundet wurden. Stattdessen wird aber genau jenen Tiere noch mehr Leid zugefügt und sie erfahren nichts als Ungerechtigkeit.

Literaturverzeichnis


  1. Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, Hg. Karl-Heinz Göttert, Reclam, Stuttgart 1976.

<HarvardReferences />

  • [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs. Eine antihöfische Kontrafaktur, 1980.
  • [*dwds] "Gerechtigkeit" auf Digitalem Wörterbuch der der deutschen Sprache. URL: https://www.dwds.de/wb/Gerechtigkeit (Abrufdatum: 10.02.2021)