Die dörper in Neidharts Liedern
Immer wieder treten in Neidharts Liedern "die dörper" als Neidharts männliche Gegenspieler auf und behindern diesen in mehreren Bereichen, vor Allem aber bei der Brautwerbung. Dieser Artikel gibt einen Überblick über allgemeine Eigenschaften der dörper, deren Beziehung zu Neidhart und einzelne Interpretationsansätze in verschiedenen Deutungszusammenhängen.
[Peters 2000]
[Schweikle 1990]
[Braun 2007]
[Müller 1986]
[Schulze 2018]
Bedeutung und Begriffsgeschichte
Bei dem Begriff dörper handelt es sich um ein Lehnwort aus dem Niederländischen/Niederdeutschen, das der oberdeutschen Dichtung um 1200 zuzuordnen ist. Auf den sozialgeschichtlichen Kontext reduziert, kann der Begriff dörper mit der Bedeutung von bûre (= Bauer) gleichgesetzt werden, wodurch den dörpern lediglich die Rolle des Gegenspieler des Sängers zugewiesen wird. (Vgl.[Schweikle 1990:123]).
Eine solche inhaltlich beschränkte Definition der dörper scheint daher unzureichend und nicht ganz plausibel, da hierbei die Frage aufkommt, wieso Neidhart in seinen Liedern nicht einfach den Begriff bûre übernimmt.
Folgende Tabelle zeigt zwei verwandte Begriffe zum Substantiv „dörper“:
Wortart | Wort | Bedeutung | Beispiel |
---|---|---|---|
Substantivum | dörperheit |
|
„dâ ist nie dehein dorpeit under“...
→ „darunter ist nie irgendeine Unhöfichkeit“ [Schweikle 1990:123]. |
Adjektiv | dörperlich |
|
„dat hê mich dörperlich bæte“...
→ „dass er mich auf unhöfische Art bitten würde“ [Schweikle 1990:123] . |
Eine exakte Übersetzung für den Begriff des dörpers, als auch eine bloße Deutung im sozialgeschichtlichen Kontext scheint kaum möglich und vermutlich auch nicht äußerst hilfreich zu sein. Vielmehr gilt es, den Begriff als Bezeichnung für eine fiktive Figurengruppe in den Neidhartliedern zu verstehen, der hauptsächlich als „literarischer Gegentypus zum idealtypischen ritter“ [Schweikle 1990:124] und dessen Verhaltensformen dienen soll.
bûre vs. dörper
Wie bereits erwähnt kommt es in der sozialgeschichtlich orientierten Auswertung des dörper-Begriffs zu einer Gleichsetzung mit dem Begriff bûre , gebûre, was einer Gleichsetzung der dörper mit gewöhnlichen Bauern des niederen Standes nach sich zieht. Mit dieser Gleichsetzung würden auch die Handlungen und das Auftreten der Gegenspieler des Sängers mit denen der Bauern in jeder Hinsicht übereinstimmen, was diesen Ansatz schon von Grund auf widerlegt.
Nur selten wird der Terminus bûre in Neidharts Liedern verwendet. In SL23 und SL25 wird der Begriff gezwungenermaßen benötigt, um das Pastourellenschema umzukehren. Das bedeutet, statt einem bäuerlichen Mädchen, das um einen Ritter wirbt, wirbt ein Bauernjunge (also bûre) um ein Mädchen, das einem höheren Stand angehört. Um den niedrigeren Stand des Bauernjungen zu kennzeichnen kommt demnach nur die Bezeichnung bûre infrage, insofern die Bezeichnung dörper hier irreführend wäre. Des weiteren verwendet Neidhart den Begriff bûre um realhistorische Ereignisse hervorzuheben oder zu beschreiben. Das ist beispielsweise im SL 22 und SL 27 der Fall, bei denen Neidhart Bezug auf die Gesellschaftsgruppe der Bauern nehmen möchte. Auch die Verwendung als abwertendes Schimpfwort ist im Zusammenhang mit dem Begriff bûre möglich. So verwendet Neidhart den Terminus im WL 25 - ähnlich wie er heute teilweise auch noch verwendet wird - um eine vermeintlich nieder Bevölkerungsgruppe in ihrem Dasein und ihren Verhaltensweisen abzuwerten (Vgl.[Schweikle 1990:124-127]).
Es sollte deutlich geworden sein, dass beide Begriffe in Neidharts Liedern genannt werden, diese jedoch klar differenziert betrachtet werden sollten. Wie sich der Begriff des dörpers noch weiter von dem des bûren unterscheidet und sich von ihm abgrenzt, wird im Folgenden weiter ausgeführt.
Eigenschaften der dörper
Im Folgenden werden Eigenschaften, als auch äußere und charakterliche Eigenschaften der dörper untersucht. Schweikle bezeichnet die dörper im Allgemeinen als „einen fiktiven Typus, der […] durch unpassende oder geckenhafte Aufmachung, durch grobes Benehmen bei Tanz, Spiel und v.a. den Frauen gegenüber und durch exzessive Streitsucht gekennzeichnet ist“[Schweikle 1990: 124].
Aussehen und Kleidung
Durch ihr Aussehen und ihre extravaganten Kleidungsstücke fallen die dörper nicht nur auf, sondern ziehen darüber hinaus auch gezwungenermaßen die Aufmerksamkeit anderer Figuren der Neidhartlieder auf sich. Hierbei liegt der Fokus vor Allem auf der Kleidung, aber auch die Frisuren, beziehungsweise die Haare der einzelnen dörper, dienen zur Veranschaulichung ihres äußeren Erscheinungsbilds.
Haare und Frisuren
Da die Haare und Frisuren der dörper sehr oft und detailreich in Neidharts Liedern beschrieben werden, liegt es nahe, dass diesen Beschreibungen eine gewisse Bedeutung zuzugestehen ist. Mögliche Deutungsansätze wären hierbei, die Haare und Frisuren als Symbol des Standes oder als Zeichen der Virilität zu verstehen (Vgl.[Braun 2007:267]). Darüber hinaus werden auch Kopfbedeckungen und Haartrachten in ausführlicher Form beschrieben:
"Habt ir nicht geschowet sin gewnden loche lange
die da hangent verre vur daz chinne hinzetal
in der hovben ligent si des nahtes mit gewange
vnt sint in der maze sam die chrame seiden val
von / den snevren ist ez roeid
interhalb der hovben
vollechliche hoende breit
so ez beginnet strovben."
(R18, Str.VI)
Kleidung
Die demonstrative Art der dörper, sich zu kleiden, stößt bei den anderen Akteuren der Neidhartlieder auf Spott und Unverständnis.
Beschreibung und Wirkung
Teilweise lassen sich einzelne Figuren durch die prunkvolle und provozierende Aufmachung der dörper auch zu aggressiven und brutalen Aussagen oder Gedankengängen hinreißen.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
We, waz hat er muochen! | Weh, was bildet er sich ein |
si kumt im niht ze maze. | Sie ist viel zu gut für ihn. |
zwiu sol sin pineclich gebrech? | Was soll sein peinliches Geplärre? |
im enmac gehelfen niht sin hovelich gewant. | Ihm vermag auch nicht sein höfischer Aufzug zu helfen. |
er sol im eine suochen, | Er soll sich eine suchen, |
diu in werben laze. | die es zulässt, von ihm umworben zu werden. |
diu sinen roten buosemblech | Sein roter Brustpanzer, |
diu sint ir ungenaeme gar, dar zuo sin hiufelbant. | ist ihr unangenehm, genauso wie seine Hochnäßigkeit. |
enge ermel treit er lanc, | Enge, lange Ärmel trägt er, |
die sint vor gebraemet, | vorne mit perlen, |
innen swarz und uzen blanc. | innen schwarz und außen weiß. |
mit siner rede er vlaemet. | Er flämelt, wenn er redet. |
(WL 27, Str.VII)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
und sult ir sin der tiuvel gar | Solltet ihr der Teufel selbst sein, |
mit iuwerm glitzeden huote, | mit eurem glitzernden Hut, |
zware ich mache in bluotes var | würde ich mein Schwert gewiss |
mit minem swerte guote. | mit eurem Blut färben. |
(WL 27, Str.VIIb, V.9-12)
Deutung
Neben den Passformen und den Materialien der Kleidung der dörper werden des Öfteren auch einzelne Accessoires oder Schmuckstücke beschrieben. Diese Extravaganz und auch die vermeintliche Kostspieligkeit der einzelnen Kleidungsstücke lässt die Vermutung zu, bei ihnen handle es sich um gewisse Statussymbole der dörper. Nach diesem Ansatz könne man den Kleidungsstil der dörper in all seiner Extravaganz und Übertriebenheit als Abgrenzung zum bäuerlichen und damit niederen Stand ansehen (Vgl.[Braun 2007:266-267]).
Waffen
Durch die aufgeladene, meist gewalttätige und aggressive Atmosphäre, welche in den Winterliedern zwischen dörpern und Sänger herrscht, tritt unter anderem das Thema Waffen und Rüstungen in den Vordergrund. Diese Aspekte, welche im klassischen Minnesang eher selten vertreten sind, spielen in den Liedern Neidharts eine besondere Rolle für die Charakterisierung der Antagonisten des Sängers sowie die Illustrierung und Konstituierung des Umfelds. Für die Beschreibung und Benennung solcher Waffen besitzt der Autor eine Bandbreite an Formulierungen, benennt jedoch vor allem Handwaffen wie chepel eysen, chlingen, ekken, mezzer, misencorden, swert und ähnliches [Braun 2007]. Wie bei vielem in der Kunstwelt Neidharts sind auch einige Waffen symbolisch aufgeladen. Allen voran ist hierbei das Schwert, welches nicht nur eine militärisch, sondern auch eine sexuelle Konnotation besitzt [Braun 2007].
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
Rädelohte sporen treit mir Fridepreht ze leide, | Radrunde Sporen trägt Fridebrecht mir zu leide, |
niuwen vezzel hat er baz dan zweier hende breit. | sein neuer Schwertgurt war mehr als zwei Hände breit. |
rucket er den afterreif hin wider ûf die scheide, | Wenn er den Hinterreif zurück auf die Scheide schiebt, |
(WL24, S10, V.1-3)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
wellents ir getelse niht verrîden, | wollen sie mit ihrem Geklimper nicht aufhören, |
sich mugen zwêne an mîner weibelrouten wol versnîden. | können sich zwei beachtlich an meinem Schwert schneiden. |
Koeme ich zeinem tanze, | Käme ich zu einem Tanz, |
dâs alle giengen bî, | wo alle vorbeikämen/teilnähmen, |
dâ wurde ein spil von hende | da würde ein Spiel beginnen |
mit beiden ekken zuo. | mit beiden Schwertschneiden. |
(WL10, S3 V.10- S4 V.4)
In beiden Beispielen aus den Winterliedern Neidharts wird die Abneigung des Sängers gegenüber seinen Rivalen und deren Verhalten deutlich. Wenn das Schwert jedoch um seine Deutung als Phallussymbol ergänzt wird, erhalten die Strophen eine zusätzliche Bedeutungsebene, in welcher die Konkurrenz um ein Minneziel und die damit einhergehende sexuelle Interaktion die gegenseitige Aggression prägen. Zusätzlich zu ihren Waffen tragen die dörper auch verschieden Rüstungsteile wie collir, eisen rinch, eisnin gewant, hvtel, wambeis, platen und weiteres. Auch hier findet sich eine neue Deutungsebene, die über Gewalt hinaus geht. Durch die vereinzelte Nennung von Teilen einer Rüstung, die aber nie in einem ganzen Auftreten, wird der Versuch und das letztendliche Scheitern der dörper illustriert, sich als Ritter darzustellen [Braun 2007].
Verhaltensweise und Auftreten
Neben ihrer auffälligen Aufmachung fallen die dörper vor Allem durch ihr Benehmen auf, welches sich grundsätzlich durch die Abweichung von höfischen Normen und den damit verbunden Verhaltensetikette auszeichnet.
Schweikle beschreibt den dörper demnach „als Exempelfigur für Überschreitungen höfischer Normbereiche“[Schweikle 1990:124]. Diese Überschreitungen beziehen sich hauptsächlich auf den Mangel an gebührender Bescheidenheit und einer gewissen Freundlichkeit und Höflichkeit (vor Allem gegenüber Frauen) und spiegeln somit gerade das Gegenteil einer höfischen Erziehung wider.
Die dörper treten oft in Gruppen auf, und verhalten sich nicht nur dem Sänger gegenüber aggressiv und gewaltbereit, sondern streiten sich auch untereinander:
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
Etzel, Ruoze und Adelber | Etzel, Ruoze und Adelber |
und der geile Rüele | und der übermütige Rüele |
zesamen hant gesworn | haben sich alle verschworen |
alle uf einen dörper her: | gegen einen Dörper: |
derst von Witenbrüele | Der ist von Witenbrüele |
und brüevet grozen zorn. | und hegte großen Zorn. |
daz enkunde ich e noch sit | Das erfuhr ich, doch konnte |
nie voltagedingen | nie schlichten. |
Rüele enwolte enwiderstrit | Rüele wollte um die Wette |
an dem reien springen: | beim Reigentanz springen: |
daz was Lanzen nit. | da wurde Lanze wütend/fuchsteufelswild. |
(WL13, V.3)
Der Handlungsraum der dörper beschränkt sich oft auf Tanzveranstaltungen oder Spiele, bei denen sie durch „Prunksucht, Angeberei, Tölpelhaftigkeit“ [Schweikle 1990:127] und ihr aggressives Verhalten auf sich aufmerksam machen. Hinzu kommt, dass (vor Allem die männlichen dörper) meist im Verbund auftreten. Hierbei muss nach [Braun 2017:270] jedoch zwischen zwei Strukturen unterschieden werden. Zum einen gibt es dörper-Gruppen, die an eine gewisse soziale und herrschaftliche Struktur gebunden sind. Diese äußern sich in gewissen Machtstrukturen und hängen davon ab, welches Amt der dörper im Verbund ausübt. Zum anderen gibt es aber auch völlig unstrukturierte Ansammlungen von dörpern. Die Zusammensetzung einzelner Akteure beruhe hierbei auf „den Prinzipien der Addition und Austauschbarkeit“ [Braun 2017:270] und bestärkt die These, dass es sich bei Neidharts dörper-Welt um einen eigene Kunstwelt handelt.
Inwiefern dieses Verhalten und die damit einhergehende antithetische Gegenüberstellungen zu höfischen Sitten und Verhaltensnormen gedeutet und kontextualisiert werden kann, wird im Folgenden näher beleuchtet.
Der Sänger und seine Gegenspieler
Peters sieht bei Neidharts Winterliedern in Verbindung mit dem Auftreten der dörper die Einführung einer „signifikant prägende Gesellschaftsthematik“[Peters 2000:449]. Die Winterlieder sind oft geprägt durch die einführende Winterklage, die anschließende Klage des Sängers und die damit einhergehenden Beleidigungen gegen die dörper und deren vermeintliche Versuche, dem Sänger seine Braut unstrittig zu machen.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
Engelwân und Uoze | Engelwan und Uoze, |
die zwênè sint mír geház | diese zwei hassen mich |
(schaden unde nídes muoz ich mich von in versehen) | Auf Schaden und Neid muss ich vorbereitet sein. |
und der geile Ruoze: | Und der tolle Ruoze: |
wie tíuwèr er sích vermáz, | wie teuer er sich gab, |
der bestüende mich durch sí! die drîe widerwehen | der forderte mich durch sie heraus! Die drei Widersacher |
râtent unde brüevent, daz ich ane lôn belîbe. | versuchten alles, dass ich nicht zu meinem Lohn komme. |
niht envolge ir lêre, vrouwe, liebist aller wîbe! | Folge nicht ihren Worten, Herrin, schönste aller Frauen! |
lone mîner jâre; lâz in leit an mir geschehen! | Belohne mich für die Jahre, lass mir kein Leid zukommen. |
(WL13, V.3)
Vrouwe, dîne güete | Herrin, deine Güte, |
di erkénne ìch sô mánicvált, | die sich mir prachtvoll offenbart, |
daz ich liebes lônes von dir noch gedingen hân. | dass ich deine Liebe als Lohn fest und sicher glaubte. |
daz mich ie gemüete, | Ich war besorgt, |
die spränzlér und ír gewált, | durch die Bauern und ihre Gewalt, |
daz was mit den bluomen hin. nu wil mir Engelwân | waren die Blumen dahin. Nun will mir Engelwan |
dîne hulde verren: daz im müeze mísselingen, | deine Huld vorenthalten: Das soll ihm so misslingen, |
sô daz hundert swert ûf sînem kophe lûte erklingen! | dass hundert Schwerter an seinem Kopf erklingen mögen! |
snîdent sî ze rehte, sî zerüttent im den spân. | Schneidet sie zurecht, zerstört ihm seine Glieder! |
(WL13, V.4)
Seht an Engelwânen, | Seht euch Engelwan an, |
wie hôhe ér sîn hóubet tréit! | wie eingebildet er doch ist! |
swanne er mit gespannem swerte bî dem tanze gât, | Wenn er mit gespanntem Schwert zum Tanze geht, |
sô ist er niht âne | dann bläst er sich auf, |
der vlaemìschen höveschéit, | in seiner flammländischen Ritterlichkeit, |
dâ sîn vater Batze wênic mit ze schaffen hât. | da sein Vater Batze wenig mit ihm am Hut hat. |
nu ist sîn sun einoeder gouch mit sîner rûhen hûben: | Nun ist sein Sohn ein eitler Narr mit einer rauen Mütze, |
ich gelîche sîn gephnaete ze einer saten tûben, | Sein Getue ähnelt einer satten Taube, |
diu mit vollem krophe ûf einem korenkasten stât. | die mit vollem Kropfe auf dem Getreidespeicher sitzt. |
(WL13, V.5)
In den Strophen III-V des WL 13 beschreibt der Sänger drei dörper, die es vermeintlich auf ihn abgesehen haben. Bei den dörpern handelt es sich um Engelwan, Uoze und Ruoze. In Strophe III wirkt der Sänger fast ein wenig paranoid, indem er fest davon überzeugt ist, durch die drei dörper Schaden zu nehmen. Interessant ist zudem, dass der Sänger den dörpern Neid vorwirft. Dieser Neid äußert sich bei den dörpern jedoch keineswegs und schwingt stattdessen immer wieder in den Aussagen des Sängers mit:
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
Seht an Engelwânen, | Seht euch Engelwan an, |
wie hôhe ér sîn hóubet tréit! | wie eingebildet er doch ist! |
(V.5, Str.1-2)
Eine explizite Herausforderung zum Kampf lässt sich ebenfalls schwer herauslesen, wird jedoch vom Sänger unausgeführt beteuert:
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
und der geile Ruoze: | Und der tolle Ruoze: |
wie tíuwèr er sích vermáz, | wie teuer er sich gab, |
der bestüende mich durch sí! die drîe widerwehen | der forderte mich durch sie heraus! |
(V.3, Str.4-6)
Es liegt nahe, dass sich der Sänger nicht nur durch das Verhalten der dörper sondern vor Allem durch Gunst der „vrouwe“ gegenüber Engelwan bedroht und gekränkt fühlt. Die genauen Gründe dieser Missgunst gegenüber der dörper werden hier zwar nicht weiter beschrieben, jedoch zeichnet sich diese durch abfällige Bemerkungen über deren Charakterzüge, als auch durch explizit formulierte, aggressive Wunschhandlungen gegen die drei selbsternannten Widersacher aus:
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
ich gelîche sîn gephnaete ze einer saten tûben, | Sein Getue ähnelt einer satten Taube, |
diu mit vollem krophe ûf einem korenkasten stât. | die mit vollem Kropfe auf dem Getreidespeicher sitzt. |
(V.5, Str.8-9)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
.. daz im müeze mísselingen, | ... Das soll ihm so misslingen, |
sô daz hundert swert ûf sînem kophe lûte erklingen! | dass hundert Schwerter an seinem Kopf erklingen mögen! |
snîdent sî ze rehte, sî zerüttent im den spân. | Schneidet sie zurecht, zerstört ihm seine Glieder! |
(V.4, Str.7-9)
Erschaffung einer Kunstwelt
Als Ausgangspunkt und in gewisser Weise als Vorlage dient bei Neidhart der klassische Minnesang. Wie Neidhart jedoch mit diesen Strukturen und Schemata bricht, beziehungsweise sie ergänzt und verändert wird ausführlicher im Artikel dörperliche Sommerlieder am Beispiel von c34 behandelt.
Grundsätzlich lässt sich dieses benannte Erschaffen einer eigenen Kunstwelt nach Braun [Braun 2007:262]auf zwei Arten deuten. Zum einen könne die Welt der dörper als eine Art Zerfall des klassischen Minnesangs verstanden werden. Andererseits könnten die dörper und ihr unpassendes und extrovertiertes Auftreten aber auch für die Kritik am hohen Sang dienen.
Zerfall höfischer Sitten
Allgemein sind die dörper in Neidharts Liedern der höfischen Lebenswelt zuzuordnen. Nach Schweikle thematisiert Neidhart darüber hinaus jedoch auch ein Aufheben von höfischen Strukturen, indem er die dörper in gewisser Weise aus ihrer vermeintlichen Standesgrenze (also die der Bauern) herausdrängt. Das erschwert demnach eine eindeutige Einordnung der dörper in Struktur der Ständegesellschaft enorm. Vielmehr erweist sich der Begriff des dörpers dadurch als „überständisch, sozial indifferent oder besser ambiguos “ [Schweikle 1990:125]: Zum einen missachte der dörper die höfischen Werte und Sitten und verhalte sich somit unhöfisch. Auf der anderen Seite versuche er (beispielsweise durch Kleidung oder Rüstung), den Verhaltensweisen der Ritter (und somit denen des höfischen Idealbilds) nachzueifern, sich ritterliche Fähigkeiten und Attribute anzueignen oder ritterlichen Beschäftigungen nachzugehen Vgl.[Schweikle 1990:125].
Dadurch halte Neidhart der höfischen Gesellschaft, also seinem Publikum, den Spiegel vor, indem er diese auf die Unzulänglichkeiten ihrer Gesellschaftsstruktur und ihrer Bestandteile aufmerksam mache. Hierbei kritisiere er vor Allem die Ritter in Bezug auf ihren zügellosen Lebensstil (außereheliche Beziehungen, Rücksichtslosigkeit und unnötiges und sinnloses Kämpfen) aber auch das Verhalten der Frauen (Vgl. Dialoglieder).
Diese Kritik weißt oft einen sehr unterhaltungsvollen Wert auf und wird zudem oft überspitzt, wenn nicht gar spöttisch vorgetragen.
Gegenmodell zur höfischen Welt und Differenz zu bäuerlichen Lebensverhältnissen
Müller sieht die Welt der dörper als eine „Projektion aus der Sicht höfischer Regulierungen“.[Müller 1986:438] So seien die dörper von jeglichen Sozialstrukturen oder ökonomischen Beschränkungen freigestellt. Daraus ergäbe sich die Reduktion des dörper-Alltags im Allgemeinen auf Sex, die Brautwerbung, sinnlose Prügeleien oder darauf, zu Protzen und zu Prahlen. Feierlichkeiten und Kämpfe stellen laut Müller demnach nicht nur den Rahmen der Minnelieder sondern vielmehr auch den Handlungsraum der dörper dar. Doch auch Müller sieht in Neidharts Ausführungen soziale Kritik. So rege Neidhart dazu an, soziale Identitäten und Strukturen zu überdenken und neu zu bestimmen.
Denn diese vorhergegangenen Strukturen gibt es bei Neidhart in dieser Form nicht mehr.
Müller beschreibt ein erfolgreiches Bestehen in der vorliegenden sozialen Ordnung als ein „Durchsetzten auf Kosten der anderen“. Bei den Mitteln handle es sich dabei um, die bereits erwähnten, Waffen, Kleider, den Schmuck aber auch die Fähigkeit, sich gewaltsam im Kampf durchzusetzten. Darüber hinaus vergleicht Müller die dörper mit den Heroen des Spätmittelalters, und begründet dies mit der sowohl bedrohlichen, als auch komischen Wirkung der beiden Personengruppen (Vgl.[Müller 1986:438f]).
Dörperliche Namen
Namentlich werden viele dörper in Neidaharts Liedern erwähnt. Das ist insofern interessant, dass Namen im klassischen Minnegesang aufgrund der damit verbundenen Individualität der Figuren grundsätzlich nicht genannt werden. In den den Neidhartliedern hingegen werden die Namen der dörper nicht nur genannt, darüber hinaus haben diese meist auch eine bestimmte Funktion oder sollen bestimmte Eigenschaften der einzelnen Akteure unterstreichen. Hierüber gibt folgende Tabelle eine kleine Übersicht:
Komposita
Kompositum | Beispiele | Funktion/Wirkung |
---|---|---|
Adel- | Adelger, Adelwan, Adelwin |
|
Engel- | Engelmar, Engelpolt, Engelwan |
|
Fride- | Friderich, Vriderovn |
|
-chneht-, -polt-, -wan- | Engelwan, Adelwan |
|
Weitere Besonderheiten
Einzelne Namensbestandteile dienen auch lediglich dazu, die Verhaltensweisen oder einzelne Handlungen der dörper zu kritisieren:
„gumpen“ → „umherspringen“ → Bsp.: Gumpe „rûnen“ → „Aushecken, Zuflüstern“ → Bsp.: Vriderovn
Hinzu kommen einzelne Namen, die auf deren Bereitschaft zur Gewalt und Gewaltausübung anspielen: z.B.: Engelram, Sigemar.
Auch Tierkomponenten kommen des Öfteren in den Namen der einzelnen dörper vor. Da in Bezug auf diese in der mittelalterlichen Literatur jedoch sowohl positive, als auch negative Konnotationen möglich sind, können in diesem Zusammenhang keine allgemeinen Aussagen getroffen werden.
Der dörper Engelmar
Engelmars Spiegelraub
Fazit
Literatur
<HarvardReferences />
- [*Peters 2000] Peters, Ursula: Reinharts Dörperwelt, in: Mittelalter-Philologie zwischen Gesellschaftsgeschichte und Kulturanthropologie, S.445-460.
- [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart 1990, S. 123-130.
- [*Braun 2007] Braun, Manuel: Spiel Autonomie (unveröffentl. Habil.), S. 259-280.
- [*Müller 1986] Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur und Hofgesellschaft. Höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 409-453.
- [*Schulze 2018] Schulze, Ursula: Grundthemen der Lieder Neidharts, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 96-102.