Wunder und Magie in Legenden

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Dieser Artikel beschäftigt sich mit verschiedenen philosophischen, theologischen und historischen Forschungsansätzen zu den Themenkomplexen "Wunder" und "Magie".

Wissenschaftliche Literatur

Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien

Arnold Angenendt: Das Wunder - religionsgeschichtlich und christlich

Mit seiner These, dass jede Religion von Wunderglauben [1] geprägt werde, leitet Arnold Angenendt seinen Aufsatz „Das Wunder – religionsgeschichtlich und christlich“ ein. Dieser eben erwähnte Wunderglaube ist in einer von geistlichen Deutungsmustern geprägten Gesellschaft eine äußerst relevante Komponente: Das Wunder lässt sich nicht nur „als Signum göttlichen Eingreifens” [2], sondern auch als Teil der göttlichen Ordnung sowie als Instanz der Weltanschauung verstehen. Wie Angenendt im Laufe seiner Arbeit eruiert ist auffällig, dass das Wunder epochal, bildungs- und wissensgeschichtlich bedingt von jeweils unterschiedlicher Bedeutung ist: Äußerst deutlich wird dies, wenn Ansätze der griechischen Philosophie auf das biblische Konzept treffen. Die griechische Philosophie ging von der Welt als ein nach Recht und Gesetz aufgebauter Kosmos aus, in dem Götter das menschliche Schicksal generell als irrelevant empfinden; der Einzelne unterliegt latent der Ignoranz der Götter. Was das Wunder betrifft, so lässt sich bemerken, dass das Glauben an selbiges innerhalb der griechischen Philosophie exkludiert wurde. Different ist dies seit der Zeitenwende: Die vorerst rationale Haltung wendet sich hin zu einer irrationalen. Während die griechische Philosophie das Wunder, wie eben beschrieben, als non-existierend betrachtet – was dessen ungeachtet ein „Sich-Wundern” [3], ein thaumazein [4], nicht ausschließt – gilt im biblischen Konzept Gott „als der Höchste und Mächtigste […]”[5], dem es gegeben ist Wunder zu tun. In neutestamentarischer Hinsicht spiegeln Wunder die Vollmacht des Herrschers und seine souveräne, göttliche, den Menschen zum Glauben als auch christlichen Lebensweg hinführende Tat. Der Mensch, der sich nun mit dem Herrscher verbindet, vertraut auf Gott. Ferner entsteht ein an Voraussetzungen geknüpftes Wunderwirken: allein denjenigen, die den göttlichen „Geboten folgen, wird das Wunder zuteil.“ [6]. Was das Wunder per se betrifft so sollte es zu guten Werken antreiben und den Glauben verstärken, wenn es aber eben davon abbrachte, „konnte es nur eine Irreführung sein, ja sogar eine Versuchung des Teufels, denn auch dieser vermochte Wunder zu tun.” [7] In der christlichen Geschichte erhielt sich in Folge dessen die Überlegung, dass „der Glaube und die guten Werke wichtiger seien als alle Mirakel.” [8] – demgemäß galt es der bloßen Wunderbegierde entgegenzutreten. Sofern der Herrscher ihn dazu befähigt, vermag selbst der Mensch Wunder wirken, die nicht als Heilszusicherung, sondern als Zeichen zur Erweckung des Glaubens und Belohnung für christliche Taten gelesen werden müssen und zudem das dem Menschen zunächst im Verborgenen befindliche, göttliche Handeln sichtbar machen. [9] Es entstand die Vorstellung „des ,theios aner’, des göttlichen Menschen.” [10], und die Idee des christlichen Gottesmenschen, dem vir Dei, der durch die von Gott verliehene Kraft, der virtus beziehungsweise dynamis ausgezeichnet und begnadigt ist, die ihm ermöglicht Wunder zu wirken. Die göttliche Kraft wird in dem Maße eingegossen [11], in dem sich der Gottesmensch beim Herrscher verdient machte, weshalb man sich den vir Dei als vas spiritale vorzustellen hat. Nach dem Tod verblieb die dynamis im Leibe des Verstorbenen, wodurch sich die Reliquienverehrung herausbildete. Bei dieser wurde durch die verbleibende virtus das Wunder weiterhin erfleht. Obwohl Wunder durch Heilige vermittelt wurden, betrachtete man sie als von Gott gewirkt: „Gott wie den Heiligen, gebührte Dank.” [12], was dazu führte, dass Heilige mit Entgelt bedacht wurden. Außerdem wurden nach Augustinus Forderung der Kultur des Vergessens durch Aufschreiben entgegenzutreten Wunder notiert, mittelalterliche Verschriftlichungen nahmen zu. Was die Art der Wunder betrifft, so zeigte sich eine signifikante, epochengebundene Varianz: In der Spätantike und im Frühmittelalter nahm das Wunder einen enormen Raum ein, während in der Renaissance des 12. Jahrhunderts die göttliche Wunderwelt einer ersten Erschütterung unterlag [13]: „Gottes und der Menschen Wirken wurden nunmehr stärker geschieden.“ [14], was sich auch in der theologischen Kategorisierung in Übernatur und Natur zeigt. [15] Wie in der Antike erschien die Welt erneut als Kosmos, in dem Wunder als Ausnahme auftraten. So definierte die Scholastik betreffs der neuförmigen Beziehung zwischen Gott und der Welt ersteren als Erstursache, die kreierten Wesen als Zweitursachen – das Wunder unterlag der Definition „als Ereignis ,contura naturam‘.” [16]. Einen Beitrag zur genauen Differenzierung des Wunderbegriffs leisteten hierbei zwei Termini: „das ,miraculum’ als Wunder Gottes und die ,mirabilia’ als das natürlicherweise Verwunderliche […]“ [17]. Dieses neue Verständnis akzentuierte, dass, anders als innerhalb des biblischen Wunderbegriffes, „nicht mehr jedes Verwunderliche ein Wunder war […]“ [18], zudem letzteres als Ereignis contura naturam verstanden wurde statt als göttliches Zeichen. [19] Statt dem Verlass auf den unmittelbaren, göttlichen Eingriff, dominierte sodann die menschliche Eigentätigkeit; das Individuum wirkte zunehmend autonom. Tugenden wurden dem Einzelnen nun nicht mehr von Gott eingeflossen, sondern konnten – „mit Ausnahme der „göttlichen Tugenden“ des Glaubens, der Hoffnung und Liebe […]” [20] – selbst angeeignet werden und wurden nicht mehr allesamt durch Gott eingeflossen. Die Renaissance, die Frommen des Spätmittelalters und der Humanismus: Die Ridikulisierung des zunehmend kritisch reflektierten Wunderglaubens erstarkte. Einen tiefgreifenden Umschwung aber bewirkte die Aufklärung: Die Naturgesetzlichkeit wurde als allumfassend betrachtet wurde und das menschliche Autonomie-Bewusstsein [21] wollte das Unerklärliche länger nicht annehmen, sodass in naturwissenschaftlicher Hinsicht das Wunder als „unmöglich und menschlich sogar unerträglich […]” [22] galt, da es von wissenschaftlichem und kulturellem Fortschritt ablenkte – der Terminus des grundsätzlichen Antisupranaturalismus [23] entstand durch Ernst Troeltsch. Daraufhin geschah katholischerseits im 19. und 20. Jahrhundert „Wundersuche an Wallfahrtsorten” [24], „Protestantischerseits erhob sich gegen die Aufklärung und insbesondere gegen alle Leugnung des Transzendenten die Erweckungsbewegung […] [25]. Doch als Sigmund Freud „das Wunder als Ausdruck von infantilem Narzißmus […]” [26] erklärt, zweifeln auch die Historiker das Wunder als Einbildung und Irreführung an. Was die heutige geschichtswissenschaftliche Forschung betrifft, so distanziert sie sich von jenen Zeiten, die von überkritisch-rationalen Positionen gefärbt waren. Glaubwürdigkeit wird der hagiographischen Überlieferung nun nicht mehr angefochten. Trotz vormaliger Konversion des Wunderglaubens im Laufe von Mittelalter und Neuzeit existiert mittlerweile, so konstatiert Angenendt, einige übereinstimmende Positionen, die eine Neigung zu Wunderbarem pointieren. Generell kann eine Tendenz zur Rehistorisierung [27] festgestellt werden, die damit folgerichtig eine auf den Wunderglauben bezogene zweite, ja aktualisierte Naivität mit sich bringt und beleuchtet. [28] Wo das Imponderable und Unverhoffte im menschlichen Leben auftritt, so endet Angenendt, ist dieses beschreibbar, doch mitnichten wissenschaftlich erklärbar. [29] Deshalb solle das Verlangen und die Suche nach Vermenschlichung vielmehr „als Ausdruck der urmenschlichen Frage” [30] subjektiv gedeutet werden: Das Wunder ist „eine Frage der Lebenseinstellung und des Glaubens, wie weit man nämlich mit reinem Zufall oder auch […] göttlicher Fügung rechnet.“ [31].

Bernhard Bron: Das Wunder: Das theologische Wunderverständnis im Horizont des neuzeitlichen Natur- und Geschichtsbegriffs

Bernhard Bron beschreibt in seinem Text „Das Wunder: das theologische Wunderverständnis im Horizont des neuzeitlichen Natur- und Geschichtsbegriffs“, Abschnitt B: „Die Geschichte des Wunderbegriffs“ näher. Er beginnt mit dem Wunderbegriff nach Augustins. Dieser begründet, Wunder geschehen ‚contra naturae cursum notissimun’, sie ereignen sich nicht gegen die Natur, die man als Gesamtwirklichkeit der Welt verstehen kann, sondern nur ‚gegen die uns bekannte Natur’. Dies führt schließlich zur Ablösung des bestehenden Wundergedankens. Zusätzlich hebt Augustin die Theorie ‚semina occulta’, die den beschleunigten Naturprozess beinhaltet, den Widerspruch zwischen Wunderbarem und Natürlichen Geschehen auf, ein Zusammensein von Geschichts- und Schöpfungshandeln Gottes. Das im Weiteren Abschnitt behandelte scholastische Wunderverständnis handelt von der Differenzierung zwischen ‚con mirabilia’ und ‚miracula nach Albertus Magnus. ‚con mirabilia’ beschriebt „Ereignisse[n] exzeptionellen Charakters, die noch im Rahmen natürlichen Geschehens erklär- und verstehbar sind“. [32] miracula wohingegen beschreibt Ergebnisse, welche nur auf ein direktes Eingreifen von Gott zurückgeführt werden können. Da der Naturbegriff durch den Gedanken der Ordnung und Gesetzmäßigkeit bestimmt ist, erscheinen Wunder als Ereignisse contra, supra et praeter naturam. Man kann demnach sagen, Augustin, Albertus Magnus und Thomas v. Aquin unterscheiden zwischen Taten Gottes, im Rahmen einer natürlichen Ordnung und Ereignissen, die praeter ordinem naturae, also vorbei an der natürlichen Ordnung geschehen. Bei Augustin geht es um die religiöse Bedeutung des Wunders. Bei Thomas um die „außernatürliche Verursachung durch Gott“ geht. [33] Im nächsten Abschnitt behandelt Bron den nominalistischen Weltbegriff nach Wilhelm v. Ockham. Die unterschiedlichen Erscheinungen in der Welt, sind bei Ockham nicht ontologisch geordnet. Der Nominalismus lehnt die Realität des Allgemeinen ab. Was existiert, existiert als ein Singuläres und Individuelles. [34] Alles Existierende ist aus dem Nichts geschaffen und begrifflich noch nicht fixiert. Bei Wilhelm Ockham geht es primär um die Begriffserklärung des „Zeichens“. Deren Bedeutung natürlich ist, bezeichnet Dinge, die zuvor zur Kenntnis gelangt sein müssen und unabhängig existieren. Eine weitere Bedeutung ist, das Zeichen als eine Art Stellvertreter zu Dinge zu sehen. [35] In der Wirklichkeit geht Wilhelm von Ockham davon aus, dass der Mensch keinen direkten Zugang zu den Dingen hat. Weitergehend beschäftigt sich Bron mit dem Weltbegriff in der Mystik nach Meister Eckart. Dieser Weltbegriff lässt sich in drei Antinomien zusammenfassen. „Gott ist Sein und Nichtsein. Gott ist Eins und Alles in Allem. Die Welt ist Nichtsein und Allheit, ist Eins und Vieles, ewig und zeitlich“ [36] „Gott ist immanent und transzendent zur Welt. Die Welt ist immanent und transzendent zu Gott.“ Drittens „Gott und Welt sind völlig gleich. Gott und Welt sind völlig ungleich.“ [37] Dieser neue Weltbegriff ist nicht an dem biblischen Schöpfungsbegriff orientiert, sondern durch Gedanken des Hervorbringens aller Dinge aus dem unveränderlichen göttlichen Einen. Der Weltbegriff von Eckart beschreibt die Weiterentwicklung des Pantheismus, also der Lehre, nach der Gott in allen Dingen der Welt existiert. [38] Des Weiteren beschäftigt sich Bron mit dem Weltbegriff nach Nikolaus v. Kues. Die Welt die Nikolaus Kues beschriebt, erscheint nicht im Gegensatz zum Göttlichen, sondern manifestiert die göttliche Allmacht. Jede Erkenntnis wird immer wieder durch eine neue Erkenntnis aufgehoben und überwunden. [39] Die Negation der Endlichkeit leitet eine doppelte Entwicklung ein, die der Welt einerseits göttlichen Charakter verleiht, andererseits, auch zu einem bestimmten Bereich unabgeschlossene Fakten liefert. [40] Der Mensch ist mit seiner Entfaltung der geistigen Kräfte und seinem schöpferischen handeln eine Art Mitarbeiter, wenn es um die „Sinnerfüllung der schöpferischen Tätigkeit Gottes“ geht. [41] Ein weiterer Abschnitt ist die panentheistische Auflösung des Wunderbegriffs bei Giordano Bruno. Die Welt wird bei Giordano Bruno als „das Unendliche die letztgültige Wirklichkeit, die sich nicht mehr als Ebenbild Gottes versteht“ beschrieben. [42] Dies wird durch das im griechischen Monismus wurzelnde Weltbild des Panentheismus und Pantheismus verdeutlicht. Gott ist die Einheit aller Größen, während die „Natur auch unter dem Aspekt des Endlich-Meßbaren erscheint“. [43] Die Welt bildet eine physische grenzenlose Einheit. Bruno entwickelt eine „Metaphysik der absoluten Schöpfung.“ [44] Es ergibt sich eine Transformation aller göttlichen Werte auf die Wirklichkeit der Welt, aber nur, wenn es sich um notwendige Explikationen der Wirklichkeit Gottes handelt. [45] Desweiteren behandelt Bron „Das Wunder als Erweis des göttlichen Herrseins über die Natur“ nach A. Schlatter. [46] Laut Schlatter verbietet sich die Darlegung einer Wunder- oder Schöpfungstheorie, denn uns ist die Einsicht in Gottes schöpferischen Handeln nicht gegeben. Dennoch gilt Gott als Herr und Schöpfer der Natur. Man kann sagen, die Natur ist „im natürlichen Geschehensablauf wie in einzelnen Taten als Gottes Werk und Eigentum […]“ zu verstehen. [47] Durch Wunder entsteht keine Gefahr für die Natur. Denn durch Wunder werden nur die Gnade Gottes und die Macht offenbart. Die Jesu Wunder sind in unterschiedlichen Situationen der Not des Leides, Anlass und Beweis für göttliches Erbarmen und Liebe. [48] „Wort und Werk Jesu lassen sich nicht voneinander trennen“, „Das Wunder ist Ausdruck der grenzenlosen göttlichen Gnade, […]“. [49] Der Schlatterschen Wunderbegrifft lässt sich wie folgt deuten. Wunder sind göttliche Werke, die Natur ist in göttlichem Besitz. [50] Das Wunder ist auf den Glauben bezogen und kann nur als totale Hingabe an Gottes Handeln verstanden werden. [51] Das Wunder stellt sich für Schlatter als ein konstitutives Element dar, welches nicht durch historische Kritik fassbar sein kann. Auch hier ist eine Distanz zu wahren, die durch das berichtete geschehen selbst bedingt und begründet ist. Weiter erwähnt Bernhard Bron, das Wunder als „Selbstauslegung des Wortes“ bei Thielcke. Der biblische Wunderbegriff, denn nur das biblische Wunder hat theologische Relevanz, es ist durch den objektiven Charakter bestimmt. Dieser Charakter besteht „in dem Jenseits meiner Welt liegenden.“ [52] Das Wunder besteht also in meiner persönlichen Subjektivität, also subjektiver Reflektion, Erfahrung und der religiösen Anschauung. Des Weiteren beschreibt er die Einheit von Wort und Tat. „Das Wunder ist der Leib des Wortes, und das Wort ist die Seele des Wunders“. [53] Wort ist nicht ohne Tat möglich, denn das Wort muss auch seine Selbstauslegung finden. Das Wunder teilt das Schicksal des Wortes, des Verborgenen. Weitergehend beschreibt er den Wunderbegriff im Horizont der Kategorie der Kausalität und der Weltgesetzlichkeit. Die kausale Gestalt des Weltgesetzes ist nur im Auge des Menschen da. Das Weltgesetz selbst, ist nur in den Augen Gottes da. [54] Der Glaube zeigt bestimmte Strukturen des Wollens und des Bittens. Es werden grundsätzlich keine Wunder erzählt, sondern Gespräche in der wechselseitigen Form von Bitte und Antwort. Letzte Punkte von Brons Text sind das Wunderverständnis von Lukas und das Wunderverständnis im Johannesevangelium. Die Zeit Jesu und die Zeit der Kirche sind zwei verschiedene Epochen. Das Leben Jesu wird als historisches Phänomen immer und ansteigend bedeutungsvoller. Die Kirche blickt auf ihr geschichtliches Dasein zurück. Das Johannesevangelium dient als eine Art Demonstration, die die Herrlichkeit Jesu aufzeigt. Für Johannes sind Zeichen, Symbole irdischer Abschattung. [55]

Eberhard Demm: Zur Rolle des Wunders in der Heiligenkonzeption des Mittelalters

Heilige werden definiert als „Menschen, in deren Gegenwart Wunder geschehen“ [56]. Zur Heiligsprechung waren mindestens zwei bezeugte Wunder notwendig, diese wurden immer theologisch erklärt und gerechtfertigt. Dennoch ist die thaumaturgische Heiligkeitskonzeption umstritten, wie sich am Beispiel der Diskussion um den heidnischen Wunderbegriff zeigt. Zunächst erklärt Demm die Unterschiede zwischen heidnisch und christlich gewirkten Wundern. Die heidnischen Wunderwirkungen basierten so auf Zaubermitteln, Zwang oder dem Kontakt zu Dämonen - folglich fehle der Aspekt des Glaubens, der eine entscheidende Rolle innerhalb der christlichen Wunder einnimmt. Die christlichen Wunder vollziehen ein persönliches Dreiecksverhältnis zwischen Gott, dem Thaumaturgen und dem jeweiligen Wunderempfänger, Glaube ist stets vorhanden. Durch die spezifisch christliche Komponente wird dem Wunder der „automatisch-magische Charakter genommen“ [57]. „Wunder könnten zwar die Heiligkeit zeigen, seien aber kein notwendiges Kriterium.“ [58], da zahlreiche gute Menschen wie Apostel Paulus keine Wunder vollbrachten, doch fromm und tugendhaft waren, außerdem gute Werke taten.


Miracula corporalia und spiritualia sind demnach unterschiedliche, doch „legitime Wunderkonzeptionen […]” [59]. Körperliche Wunder wie Krankenheilungen gelten als miracula praeter oder supra naturam, während „Freigiebigkeit, Nächstenliebe oder die Bekehrung von Ungläubigen […] zunächst einmal natürliche Vorgänge […]” [60] sind, die aber „durch Divination zum religiösen Wunder erhöht […]” [61] werden können und in den übernatürlichen Bereich durch die existente Verbindung mit der göttlichen numinosen Sphäre emporsteigen. Auch wenn in etlichen Fällen eine ablehnende Haltung gegenüber des körperlichen Wunders als Heiligkeitskriterium [62] aufgezeigt wird, galt es hervorzuheben, dass „der Heilige […] Wunder gar nicht nötig […]” [63] habe, „dann aber nach all dieser Polemik doch einige Wunder berichtet.“ [64]. Die öffentliche Haltung berücksichtigend mussten Mirakel demnach einfach erzählt werden. Schließlich wohnte dem Volk vor allem im frühen Mittelalter eine bedeutende Position inne: Es hatte die Entscheidungsgewalt zu bestimmen, wer als Heiliger angesehen wurde. Überwiegend strittige Entscheidungen wurden dabei getroffen: Binnen der auf körperliche Wunder ausgerichteten Welt des Volkes wurde ein jeder als heilig verehrt „an wessen Grab körperliche Wunder geschahen […]“ [65]. Unkontrolliert und zunehmend wurden Heilige verehrt – um dem entgegenzuhandeln wurden kirchliche Versuche im Jahr 401 innerhalb des fünften Konzils von Karthargo unternommen. Innerhalb dessen wurde ein Bedingungskatalog hinsichtlich Verehrungen verfügt: Vorausgesetzt wurden „eine zuverlässige Vita […]” [66] sowie der „Überprüfung der Reliquien und der lokalen Tradition […]” [67].; Wunder wurden gar nicht mehr erwähnt. [68] Da aber die Mehrheit der Bischöfe mit dem Volk deren magische Vorstellungswelt teilten, blieb der Konzilsbeschluss zunächst einflusslos, was sich jedoch mit den zugespitzten, strengeren karolingischen Kapitularien änderte. [69] Auch in diesen wurde das Wunder als Heiligkeitskriterium ausgelassen. Auch wenn noch kein ausdrückliches Kanonisationsverfahren existent war, so partizipierten die Bischöfe häufiger am Heiligsprechungsprozess: Es blieb jedoch dabei, dass eindrucksvolle Wunder am belangreichsten waren. [70] Jedoch kam es im Jahre 993 tatsächlich zu einer Kanonisierung durch Papst Johannes XV., die ein formelles Verfahren samt petitio, informatio und publicatio [71] involvierte. So lange wurde die Kanonisation ausgearbeitet, bis sie unter Innozenz III. zum ausschließlichen Vorrecht der päpstlichen Hofes wurde. [72] In dieser Kurie werden Wunder und Verdienste als gleichwertig angesehen und durch ein Prinzip, das Demm als „thaumaturgische Verdienstkonsequenz” [73] bezeichnet, verklammert. „dem Verdienst muß das Wunder folgen, dem Wunder aber auch das Verdienst vorausgehen, damit man den Heiligen sowohl vom Magier als auch von einem gewöhnlichen guten Menschen unterscheiden kann.” [74]. Innerhalb der Kurie wurden Akzente unzweideutig gesetzt: Selbst „wenn jemand thaumaturgische Fähigkeiten besaß, bewies das noch nicht seine Heiligkeit, weil seine Wundergabe ja auf magischen Praktiken beruhen konnte.“ [75] – Verdienste müssen also klar sichtbar sein. Unfähig Verdienste zu erblicken, blieb für das Volk aber das Wunder der essentielle, durchgreifende Faktor in puncto Heiligkeit. Doch ein so deutlich, schier nachdrücklich auf den Faktor Verdienst richtender Prozess ist diffizil: Das zur Kanonisation propagandistisch verfasste Beispiel von Caesarius von Heisterbach, die Vita Engelberti, verdeutlicht dies. Bei dem von seinem Verwandten getöteten Engelbert, der kein gottergebenes Leben führt doch wegen seines Martyriums Verdienste erworben hätte, sind posthume Wunder existent. Trotz Umkehr der Tatsachen auf Seiten des Verfassers – ein politisch motivierter Mord wird als Martyrium ausgelegt [76] – wird das „Prinzip der thaumaturgischen Verdienstkonsequenz erfüllt.” (S. 322). Absurder Weise wurde dennoch vom Verfasser hervorgehoben, dass Wunder einerseits bei frommen Heiligen nicht erscheinen müssten, sie andererseits erheblich seien im Falle eines suspekten Lebenswandels, womit die Bindung zwischen Wunder und Verdienst erneut aufgehoben war, sodass nachfolgend das alleinige Kriterium des Wunders erneut Beachtung fand und nach wie vor als Heilige fragwürdige Personen verehrt wurden. [77] Generell ist festzuhalten, dass Heiligkeit gegenüber dem Volk, trotz erfolgter Kanonisation, abermals belegt werden musste: „Nicht die päpstliche Kanonisationsbulle entscheidet als letzten Endes über die Verehrung eines Heiligen, sondern einzig und allein das Wunder […]“ [78]. Weiterhin galt letzteres für das Volk als wesentliches Heiligkeitsriterium und wenn es darum ging zu bestimmen wer als Heiliger zu verehren ist, wohnte weiterhin dem Volk eine entscheidende Position inne. Wunder galten theologisch wie funktionell als eine so wesentliche Komponente des Heiligen, „daß sie trotz aller theoretischen Gleichwertigkeit das Verdienstkriterium zumeist dominieren mußten.“ [79]. In diesem Kontext herausfordernd zeigen sich die Ottoviten: Die thaumaturgische Fähigkeiten Ottos betrachtend lässt sich erwähnen, dass vorerst keine Wunder genannt werden und Otto sich beharrlich weigert, Wunder zu tun – sogar Wundererbittende weist er zurück. [80] Einzig die direkte göttliche Intervention oder aber das Einschalten Heiliger garantieren Mirakel, an denen aber Otto gar nicht mitwirkt. [81] Otto wirkt per se also keine Wunder – ein thaumaturgisches Mirakelmanko wird damit verherrlicht. [82]


Fazit

Literatur

  1. Angenendt, Arnold: Das Wunder – religionsgeschichtlich und christlich, in: “Mirakel im Mittelalter: Konzeptionen, Erscheinungsformen, Deutungen”, hg. von Martin Heinzelmann et al., Stuttgart 2002, S. 95.
  2. Ebd., S. 95.
  3. Ebd., S. 97.
  4. Ebd., S. 97.
  5. Ebd., S. 97.
  6. Ebd., S. 98.
  7. Ebd., S. 103.
  8. Ebd., S. 103.
  9. Vgl. ebd., S. 99.
  10. Ebd., S.100.
  11. Vgl. ebd., S. 101.
  12. Ebd., S. 102.
  13. Vgl. ebd., S. 104.
  14. Ebd., S. 104.
  15. Vgl. ebd., S. 104.
  16. Ebd., S. 104
  17. Ebd., S. 104.
  18. Ebd., S. 104
  19. Vgl. ebd., S. 104.
  20. Ebd., S. 105.
  21. Ebd., S. 107.
  22. Ebd., S. 107.
  23. Ebd., S. 107.
  24. Ebd., S. 109.
  25. ebd., S. 109.
  26. Ebd., S. 109.
  27. Ebd., S. 112.
  28. Vgl. ebd., S. 112.
  29. Vgl. ebd., S. 113.
  30. Ebd., S. 113.
  31. Ebd., S. 113.
  32. Bernhard Bron: „Das Wunder: das theologische Wunderverständnis im Horizont des neuzeitlichen Natur- und Geschichtsbegriffs“, Götting 1975, S. 15
  33. vgl. S. 16
  34. vgl. S. 16
  35. vgl. S. 16
  36. S. 17
  37. S. 17
  38. vgl. S. 17
  39. vgl. S. 18
  40. vgl. S. 20
  41. vgl. S. 20
  42. vgl. S. 21
  43. S. 21
  44. S. 21
  45. vgl. S. 21f
  46. vgl. S. 198
  47. S. 199
  48. vgl. S. 199
  49. vgl. S. 199
  50. vgl. S. 200
  51. vgl. S. 200
  52. vgl. S. 202
  53. vgl. S. 202
  54. vgl. S. 203
  55. vgl. S. 232f
  56. Demm, Eberhard: Zur Rolle des Wunders in der Heiligenkonzeption des Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte. 57, 1975, S. 300.
  57. S. 302
  58. S. 304
  59. Demm, Eberhard: Zur Rolle des Wunders in der Heiligenkonzeption des Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte (57), 1975, S. 313.
  60. Ebd., S. 313.
  61. Ebd., S. 313.
  62. Vgl. ebd., S. 314.
  63. Ebd., S. 314.
  64. Ebd., S. 314.
  65. Ebd., S. 315
  66. Ebd., S. 316.
  67. Ebd., S. 316.
  68. Vgl. ebd., S. 316.
  69. Vgl. ebd., S. 316.
  70. Vgl. ebd., S. 317.
  71. Vgl. ebd., S. 217-318.
  72. Vgl. ebd., S. 318.
  73. Ebd., S. 320
  74. Ebd., S. 320.
  75. Ebd., S. 321
  76. Vgl. ebd., S. 322.
  77. Vgl. ebd., S. 322-323.
  78. Ebd., S. 324.
  79. Ebd., S. 327.
  80. Vgl. ebd., S. 327-329.
  81. Vgl. ebd., S. 329.
  82. Vgl. ebd., S. 329-330.