Die Teufelsszenen des Geistlichen Spiels
Ursprung der Teufelsszenen: Das Nikodemus-Evangelium
Die Grundlage der Teufelsszenen und Höllendarstellung in Oster- und Passionsspielen stellt das apokryphe Nikodemus-Evangelium dar. In ihm findet man konkrete Beschreibungen von Geschehnissen, die im Credo und im biblischen Kanon lediglich kurz angedeutet werden: Christi Höllenfahrt, die Erlösung der Altväter aus der Unterwelt und die Fesselung des Teufels. [Linke 1967]
Inhalte des Nikodemus-Evangeliums
Das Nikodemus Evangelium lässt sich in drei große Abschnitte gliedern. In einem ersten Teil, der auch unter dem Namen „Pilatus-Akten“ bekannt ist, wird ausführlich der Prozess Jesu vor Pilatus und anschließend nur kurz die Kreuzigung und das Begräbnis geschildert. Der zweite Teil beschreibt die Diskussionen des Hohen Rats der Juden, dem sogenannten Synedrium, darüber, ob Jesus tatsächlich auferstanden ist. Den Schluss des Evangeliums bildet der „Abstieg Christi zur Hölle“ bzw. „Descensus Christi ad infernos“. Wie dem Rezipienten gegen Ende versichert wird, handle es sich hierbei um die Aufzeichnungen von zwei Männern, die unter den Befreiten gewesen und von Jesus in den Himmel geführt worden seien: „Dies alles haben wir beiden Brüder gesehen und gehört“. [Weidinger 1988: 490] Der angebliche Augenzeugenbericht liefert Details zu einem Punkt, den Christen auch heute noch als Andeutung aus ihrem Glaubensbekenntnis kennen, in dem es heißt: „gekreuzigt, gestorben und begraben, / hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Der letzte Teil des Nikodemus-Evangeliums entspricht folglich scheinbar der Lehre der Kirche, auch wenn er nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurde. [Weidinger 1988]
Der „Abstieg Christi zur Hölle“
Wie der Sondertitel „Abstieg Christi zur Hölle“ schon vermuten lässt, wird in diesem Teil des Nikodemus-Evangeliums beschrieben, wie Jesus die Seelen der Gerechten aus den Händen Satans befreit und sie ins Paradies bringt. Im Evangelium erfolgt diese Handlung, anders als in den Oster- und Passionsspielen, sogar noch vor der Auferstehung am dritten Tag. Im Zusammenhang mit den Teufelsszenen muss auf eben diesen Abschnitt ein besonderer Augenmerk gelegt werden, da es als Inspiration für eine eigene Szene im Innsbrucker und Redentiner Osterspiel diente. Noch bevor Jesus in der Hölle angelangt, warnt Satan Hades vor einem „aus dem Geschlecht der Juden, Jesus geheißen, […] [der] sich selbst Gottes Sohn“ nennt und ihm in der Oberwelt schon öfters in die Quere gekommen ist. [Weidinger 1988: 486] Denn alle Krankheiten, die Satan an die Menschen gegeben hat, hat Jesus mit bloßen Händen wieder geheilt. Hades zweifelt bereits bei diesen Bemerkungen daran, dass es ihnen gelingen könnte, den mächtigen Jesus in der Unterwelt behalten zu können: „wie und mit welcher Kraft sollte er da von uns festgehalten werden?“ [Weidinger 1988: 487] Er äußert außerdem seine Bedenken, Jesus könnte alle Toten auferstehen lassen und somit die Hölle völlig leeren. Als Jesus sich nähert, bemühen sich Satan, Hades und seine Dämonen darum, die Tore der Hölle zu sichern und zu versperren. Jedoch vergebens, denn alle Riegel und Ketten stellen kein Hindernis für Jesus dar und so „zog der König der Herrlichkeit [in die Unterwelt] ein, […] und alle Finsternis des Hades erstrahlte in Licht.“ [Weidinger 1988: 488] Die Kreaturen der Unterwelt werden besiegt und Hades kann noch gar nicht richtig einordnen, wer Jesus nun überhaupt ist: „Doch wer bist du, der du solche Vollmacht und Kraft hast? […] Ans Kreuz bist du genagelt worden und ins Grab bist du gelegt worden, und jetzt bist du frei geworden und hast alle unsere Macht zerstört.“ [Weidinger 1988: 488] Während er Satan mit Vorwürfen überhäuft, wie „Den König der Herrlichkeit hast du töten wollen und hast dich selbst getötet“, fesselt Jesus Satan und erweckt die Toten, angefangen von Adam bis hin zum letzten Propheten Johannes den Täufer. [Weidinger 1988: 489] Anschließend ziehen die Auferweckten alle gemeinsam ins Paradies ein. [Weidinger 1988]
Inszenierung der Teufel
Während die Bühnenbilder bei Passions- und Osterspielen meist sehr einfach gehalten wurden, stattete man die Teufelsfiguren nicht selten mit einigen Requisiten aus. Im Mittelalter war es üblich, die einzelnen Stände anhand ihrer Kleidung voneinander unterscheiden zu können, und so sollte auch die Gruppe der Teufel sich schon rein äußerlich von den Übrigen abgrenzen. Dabei war das Ziel oft, sie abschreckend und eindrucksvoll zugleich wirken zu lassen. Um diese Wahrnehmung zu erreichen, verlieh man den Teufeln häufig ein tierartiges Aussehen. Während manchen Spielleitern eine schwarze Bemalung der Schauspieler genügte, statteten andere sie mit fellartiger Behaarung, einem Schwanz bzw. Schweif und Klauen an Händen und Füßen aus. Der Fokus lag oft aber auf Masken mit beweglichen Kinnladen. Sie waren gehörnt und mit riesigen Eckzähnen versehen, was sie besonders gespenstisch wirken ließ. Um dem Bild der Menschenfänger gerecht zu werden, hatten viele Teufel auch Ketten oder Stricke in ihrem Repertoire, mit denen sie ihre Opfer fangen und in die Unterwelt bringen konnten. Doch nicht nur die Kostüme selbst, sondern auch ihre Bewegungen ließen die Teufel grotesk wirken: Anstatt sich normal zu gehen, mussten die Schauspieler meist springen, tanzen oder, wie im Redentiner Osterspiel, sogar Purzelbäume schlagen. Um das ganze noch lautlich zu untermalen, schrien und sangen sie oft. [Schuldes 1974]
Wirkungsabsicht der Teufelsszenen im geistlichen Spiel
Um die Wirkungsabsicht der behandelten Passions- und Osterspiele deutlich werden zu lassen, müssen zwei unterschiedliche Typen der Darstellungsvermittlung herangezogen und analysiert werden. Dabei handelt es sich um den komischen Darstellungscharakter der Spiele auf der einen Seite, auf der anderen Seite um die Furcht, die durch das Anschauen der Teufelshandlungen bei den zeitgenössischen Zuschauern geweckt werden sollte. Im Folgenden werden exemplarische Textstellen der genannten Aspekte aufgezeigt, bevor im Anschluss an ihnen die Wirkungsabsicht der Teufelsszenen formuliert wird.
Komik
Während im fragmentarischen Osterspiel von Muri die Teufel selbst kaum thematisiert werden, findet sich im Innsbrucker Osterspiel das Motiv der Komik an verschiedenen Stellen wieder. So spricht Luzifer angesichts der Ankunft Jesu vor den Toren seiner Hölle beinahe überheblich davon, den Gottessohn mit eigenen Händen selbst zur ewigen Verdammnis in die Hölle zu bringen:balde heiz en enweg gen, | Heiß schnell ihn davongehn, |
anders en wert eyn boße weter besten! | sonst wird ihn ein böses Gewitter anfallen! |
ly mir crewel vnd kelle, | Gib mir Gabel und Kelle, |
ich wil en sencken in dy helle! | versenken will ich ihn in die Hölle! [IO V. 299-302] |
Gleich darauf fällt er jedoch in die Wehklagen zurück (vgl. IO V.346-361), die bereits vor der Befreiung der gefangenen Seelen durch Jesus in seiner Sprache Anklang gefunden haben. Luzifer beklagt nicht nur seine eigene ewige Verdammnis, sondern erkennt Jesus indirekt auch als mächtigen Erlöser an:
Wer ist der konig lobelich, | Wer ist der gepriesene König, |
der da stost so geweldiglich | der mir da so gewaltig stößt |
mir an myne helletor? | an meine Höllentore? [IO V. 277-279] |
Durch diese Diskrepanz und raschen Wechsel in der emotionalen Darstellung der Teufel (Elke Ukena-Best spricht von einer Anthropomorphisierung der Teufel [Ukena-Best 2001: 191]), für die Luzifer als Höllenfürst repräsentativ steht, bewirkt das Innsbrucker Osterspiel einen klaren Komikeffekt bei seinen Zuschauern. Weiter noch wird der Komikeffekt im Redentiner Osterspiel ausgestaltet. Neben den teilweise sprechenden Namen der Unterteufel, die auf Verhalten oder entstellte Äußerlichkeiten hinweisen (bspw. Funkeldune oder Krummnase), den immer wieder auftretenden Streitereien der Teufel untereinander oder der auffällig ausdrucksstarken Fäkalsprache ist es hier auch die Ironie, die einen bedeutenden Einfluss auf die Rezeption der Komik ausübt. Satan, engster Vertrauter Luzifers, hat selbst dafür gesorgt, dass die Hölle im Rahmen der Höllenfahrt durch Jesus vollständig geleert wird. Er ist es nämlich, der den Gottessohn den Todesstoß versetzt hat, sodass sich die biblische Verheißung der Auferstehung überhaupt erst erfüllen kann:
Ik richtede dat sper in syn herte, | Ich lenkte den Speer in sein Herz, |
Do let he des dodes smerte. | da erlitt er den Todesschmerz. [ReO V. 413f] |
Weiter ausgestaltet werden die verzweifelten Versuche der Machterhaltung und die dem gegenüberstehende Machtlosigkeit der Teufel in Konfrontation mit einem sündigen Priester, dem es gelingt, Satan und selbst Luzifer gefährlich zu werden (vgl. ReO V. 1712-1913). Er kann durch die Heiligkeit des Sakraments trotz seiner Sünden dem Seelenfang entgehen und exemplifiziert dem Zuschauer damit die Kraft der Heiligkeit Gottes. [Schulte 1992: 107]
Furcht
Im Osterspiel von Muri ist die Furcht vor der Hölle und den Teufeln nur auf eine indirekte Weise präsent. Die überlieferten Fragmente zeigen die Teufel nicht selbst als abschreckende Gestalten, verbinden die Hölle und ihre Verwalter allerdings mit negativen Aspekten. So spricht Jesus exemplarisch von den dort gefangenen Seelen:die hant ir iemerlihe | die habt ihr jammervoll |
verderbet ungehiure | und schrecklich zugrunde gerichtet |
in deme helleviure | im Höllenfeuer |
in starchen hellewizen. | an starken Höllenstrafen. [OM IV, V. 27-30] |
Die Angst der Zuschauer vor der Hölle ist dann im Innsbrucker Osterspiel und im Redentiner Osterspiel deutlich differenzierter feststellbar. Während im Innsbrucker Osterspiel eine „verdammte Seele“ von Jesus in der Hölle zurückgelassen wird und sich der Seelenfang direkt an die Höllenfahrt anschließt, steigern sich Umfang und Intensität insbesondere des Seelenfangs und des Höllengerichts im Redentiner Osterspiel um ein Vielfaches. Luzifer fordert explizit zur Verführung der Menschheit zur Sünde auf (vgl. ReO V.1145), die Teufel greifen bildhaft aktiv in das Leben der Zeitgenossen der Zuschauer ein, so zum Beispiel der Teufel Puk bei einer Schankwirtin:
So pleghe ik er de hant to roren | so pflege ich ihr die Hand zu bewegen |
Unde de mate bi siden sturen, | und den Maßkrug beiseite zu lenken. |
Wente wolde se vulle mate vorkopen, | Denn würde sie volles Maß verkaufen, |
So mochte uns ere sele untlopen. | so könnte uns ihre Seele entlaufen. [ReO V. 1462-1465] |
Diese Furcht vor der Versuchung durch den Teufel spiegelt sich durch die Reinszenierung der Versuchung Jesu in der Wüste (vgl. Markus, 1,12f. / Matthäus 4, 1-11 / Lukas 4, 1-13) auch im St. Galler Osterspiel wider. Obwohl sich der Verfasser eng an die biblische Vorlage hält, erfährt der Zuschauer auch hier durch Anschauung den Einfluss des Teufels, der für ihn ohnehin kein Abstraktum, sondern Realität gewesen ist.
Wirkungsabsicht
Das Zusammenspiel von Komik und Furcht, wie es in den einzelnen Spielen hervorgehoben wurde, führt nun zu einer ineinander übergreifenden Wirkungsabsicht. Zum einen soll dem Zuschauer die Macht und Herrlichkeit der Erlösung vor Augen geführt werden. Die Macht, dem Teufel zu widerstehen, konnte er durch eine gerechte Lebensführung erreichen, wie sie durch die Dogmen der Kirche vertreten war. Andererseits sollte die Angst vor Sündenbestrafung und Teufel den Zuschauer zu genau diesem gerechten Leben motivieren – nicht reine Heilsgewissheit, sondern aktive Ablehnung der Verfehlungen der Sünder in der Darstellung sollte erreicht werden. Hans-Jürgen Linke bringt es auf den Punkt: Die Mischung von Komik und Teufelsgrauen muß für die Menschen einer Zeit, die sich überall von Dämonen umlauert glaubte, etwas Beklemmendes gehabt haben. [Linke 1967: 102] Um dieser Beklemmung zu entgehen, die durchaus als eines der Ziele der Spiele definiert werden darf, bedarf es einer Reaktion des Zuschauers. Damit wird die heilspädagogische Absicht deutlich, wie sie Elke Ukena-Best klar formuliert hat: „Die Zuschauer nehmen aus der Teufelshandlung eine vertiefte Erkenntnis über die Gefährdung ihres Seelenheils und die Fragilität des Seelenfriedens mit auf den Weg. […] Durch sie [die Teufel] kann das Publikum erkennen, was der Heilsverlust bedeutet, wodurch er hervorgerufen wird, wie er sich auswirkt und wie man sich vor ihm bewahren kann.“ [Ukena-Best 2001: 212-214]
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
<HarvardReferences />
[*Linke 1967] Linke, Hans-Jürgen: Die Teufelsszenen des Redentiner Osterspiels. In: Niederdeutsches Jahrbuch. Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 90 (1967), S. 89-105.
[*Schuldes 1974] Schuldes, Luis: Die Teufelsszenen im deutschen geistlichen Drama des Mittelalters. Versuch einer literaturhistorischen Betrachtung unter besonderer Betonung der geistesgeschichtlichen Gesichtspunkte. Göppingen 1974.
[*Schulte 1992] Schulte, Brigitte: Zur Funktion der Priesterszene im "Redentiner Osterspiel", in: Niederdeutsches Wort. Beiträge zur niederdeutschen Philologie 32 (1992), S. 103-107.
[*Ukena-Best 2001] Ukena-Best, Elke: „Homud heft us duvele senket in afgrunde”. Superbia, Teufel und Hölle im Redentiner Osterspiel, in: Leuvense bijdragen. - Leuven : Dep. of Linguistics of the Univ. of Leuven 90 (2001), S. 181-214.
[*Weidinger 1988] Weidinger, Erich: Die Apokryphen. Verborgene Bücher der Bibel. Augsburg 1988.