Spuren höfischen Erzählens in Hartmanns Gregorius

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Hartmann von Aue hat mit Erec und Iwein nicht nur den Artusroman in der deutschen Sprache etabliert, sondern auch zwei weitere Werke verfasst, die weltlich-ritterliches Erzählen mit geistlich-legendarischem „abenteuerlich kombinieren“[Wehrli 1997: 290], was aus deren Zuweisung in eine Gattung eine literaturwissenschaftliche Herausforderung macht. Einer dieser beiden Sonderfälle ist die Legende von Gregorius, dem frommen Sünder. Ulrich Ernst und Max Wehrli legen in ihren Untersuchungen des Werks dar, in welcher Form es Spuren höfischen Erzählens enthält.

Motive

Bereits dass die Geschichte und Figur des Gregorius, die in der altfranzösischen Erzählung Vie du pape Grégoire ihren schriftlichen Ursprung hat, fiktiv ist, deutet daraufhin, dass es sich bei dem Werk um eine Legende handelt. Tatsächlich unterstützen weitere Merkmale diesen Eindruck, so führt Wehrli die traditionsreichen Inzest-, Vatermord- und Wandermotive auf, die viele andere Legenden charakterisieren, wie zum Beispiel die von Andreas, Judas, Albanus und Vergogna.[Wehrli 1997: 290] Zu diesen legendarischen Erkennungszeichen treten jedoch schon in der altfranzösischen Vorlage in ebenso großer Häufigkeit Merkmale der höfischen Literatur, zu denen Wehrli die Kinderminne, die Aussetzung des neugeborenen Gregorius, sein Heranwachsen und Aufstieg zum Ritter, seine Befreiung der bedrängten Fürstin und das Wiederfinden seiner Mutter zählt. Gregorius sei „der ideale Ritter, der [...] sich selbst ‚erfahren’ will, [...] tapfer, maßvoll, beständig, voll Vertrauen auf Gott.“[Wehrli 1997: 291] Ernst sieht gerade in dem Wesen der Figur des (heranwachsenden) Gregorius den Zusammenstoß weltlichen und geistlichen Schreibens und distinguiert seine Funde. In die höfisch-literarische Sphäre weist er u. A. Eigenschaften wie getriuew und guot[Hartmann: V. 1239], zuhte und vouge[Hartmann: V. 1242], Beliebtheit[von Aue: V. 1245f.] Mäßigkeit in Freud und Leid[von Aue: V. 1247f.], milte[Hartmann: V. 1250] und Tapferkeit.[Ernst 2002: 135] Dagegen identifiziert er Gregorius’ patentia[Hartmann: V. 1240], mansuetudo[Hartmann: V. 1243f.], artes-Gelehrsamkeit[Hartmann: V. 1241], Unterwerfung unter die kirchliche disciplina[Hartmann: V. 1249] und Orientierung an der vera sapientia[Hartmann: V. 1253f.] als geistliche Tugenden („Tugenden eines [heranwachsenden] Mönchs“).[Ernst 2002: 136] So treffen nicht nur in der Handlung des Werks Spuren geistlichen und höfischen Erzählens aufeinander, sondern in der Ausarbeitung des Protagonisten selbst.

Semantiken

Auch im Bereich der in Gregorius auftretenden Semantiken treffen höfisches und geistliches Erzählen aufeinander, Semantiken beider Ursprünge finden ihren Weg in den Text. Als Beispiel sei das Bedeutungsfeld der minne genannt, dem in Artusromanen gewöhnlich eine größere Wichtigkeit zukommt als in Legenden. In Gregorius steht es nicht nur am Anfang des Werks in Zusammenhang mit der Geschwisterliebe im Vordergrund, die zunächst positiv konnotiert und im Sinne des sterbenden Vaters ist, bis sich der Bruder unter Einfluss des Teufels an seiner Schwester vergeht ("an sîner swester minne / sô riet er im"[Hartmann: V. 318f.]), sondern zieht sich durch den ganzen Text, um verschiedenes zu vermitteln. So ist an anderer Stelle auch von der Liebe zu Gott die Rede und minne positiv konnotiert, zum Beispiel, wenn der Vater seinem Sohn rät: "vor allen dingen minne got, / rihte wol durch sîn gebot"[Hartmann: 257f.].

Erzählschemata

Sowohl in der Legende als auch im Artusroman lassen sich bestimmte geläufige Erzählschemata herausstellen. Hartmann verwendet in Gregorius Erzählschemeta beider Art, sodass eine genauere Untersuchungen einiger Textabschnitte erstaunliche Ergebnisse hervorbringt. Beispielsweise ähnelt Gregorius' Aufbruch, beschrieben in V. 1825ff.[Hartmann], dem Ausritt des Ritterpaares Erec und Enite in Hartmanns Erec. Der Textstelle liegt das höfische Erzählschema der âventiure zugrunde, das sich durch eine motivierte Suche nach einer zufälligen Bewährungsprobe kennzeichnet, die dem oder den Helden dann in einem locus terribilis widerfährt. Exile and return, ein weiteres höfisches Erzählschema, beschreibt die Abkehr des Helden von seinem Hof, um draußen eine Abenteuer zu bestehen, sowie seine darauffolgenden ruhmreiche Rückkehr und tritt ebenfalls in Gregorius auf, wo es Gregorius' Zeit als büßender Eremit auf dem Felsen umspannt. Er geht ins exile, nachdem er von seiner Sünde der Ehelichung seiner Mutter erfährt, um zu büßen, und sein return in die höfische Welt kommt in Form der Einberufung nach Rom. Dieser Vorgang, das Begehen einer Sünde, das Bereuen dieser und die anschließende Buße, ist gleichzeitig auch ein verbreitetes Erzählschema in der geistlichen Legenden-Literatur und wird mit conversio benannt.

Raumordnungen

Wehrlis Mutmaßungen zur Intention

Während Ernst und Wehrli bezüglich des Auftritts der Spuren höfischen Erzählens auf ähnliche Ergebnisse kommen, wie im vorrausgehenden Abschnitt zusammengefasst, sind sie bei der Auslegung anderer Aspekte wie zum Beispiel der Frage nach der Schuld Gregorius’ und dem von Hartmann als richtig angesehenen Umgang mit der Sünde unterschiedlicher Meinung. Ebenso sind sie sich uneinig, was die Intention Hartmanns, ritterlich-weltliche Elemente in die Geschichte einzustreuen, betrifft. Gleich zu Beginn seiner Abhandlung des Werkes stellt Wehrli die These auf, Gregorius sei ein expliziter Versuch, „den Ritter als Stand und Lebensform christlich zu legitimieren.“[Wehrli 1997: 290] Er argumentiert gegen die Auslegung, Hartmann verfolge als Ziel die „Demontage der höfischen Werte-Welt“[1]. Das Bekenntnis Hartmanns im Prolog, er habe zu viel gesprochen, sei nur als gattungsmäßige Formel zu verstehen. Trotz der problematischen Darstellung Gregorius’ ritterlichen gier zer welde und der inzestuösen Liebe werde seine Hochzeit von Gott gutgeheißen. Wehrli weist zudem daraufhin, dass Gregorius nie der schlimmsten Sünde des Zweifels verfällt und sein Gespräch mit dem Abt voller guter Argumente für ein ritterlich-weltliches Leben stecke. Den glücklichen Ausgang, der für Gregorius die Erlösung aller Schuld und die Ernennung zum Papst bedeutet, versteht Wehrli als Mittel für Hartmann, um der Geschichte die Moral zu geben, dass auch eine ritterlich-weltliche Lebensweise zur geistlichen Erfüllung führen kann, vielleicht sogar einem dem kirchlichen System untergeordnetem Dasein vorzuziehen ist.[Wehrli 1997: 292]

Ernsts Mutmaßungen zur Intention

Laut Ernst dagegen sei ein Kompromiss zwischen ritterlich-weltlichen und christlich-geistlichen Lebensweisen in Gregorius nicht vorgesehen. In der zweiten Hälfte zeige sich ein „unüberbrückbarer Widerspruch“ zwischen einem gottgewandten und einem weltlichen, auf Ruhm abzielenden Verhalten. Hartmann übe Kritik an der höfischen Ethik. Während man formulieren könnte, dass Wehrli die Legende von Gregorius als „pro-ritterlich“ auslegt, bezeichnet Ernst das Werk explizit als „anti-ritterlich“. An ihren unterschiedlichen Auslegung der Intention Hartmanns, zeigt sich, wie stark sich Interpretationen unterscheiden können.

Bewertung und Fazit

Legende, höfischer Roman, Legendenroman...?

Anmerkungen

  1. So interpretiert von Peter Wapnewski.[Wehrli 1997: 291]

Bibliographie

<HarvardReferences />

  • [*Wehrli 1997] Wehrli, Max. Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. 3. Auflage, Stuttgart (Reclam) 1997.
  • [*Ernst 2002] Ernst, Ulrich. Der Gregorius Hartmanns von Aue: theologische Grundlagen - legendarische Strukturen - Überlieferung im geistlichen Schrifttum. Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2002.
  • [*Hartmann] Hartmann von Aue. Neumann, Friedrich und Fritsch-Rößler, Waltraud (Hg.): Gregorius. Stuttgart (Reclam) 2011.