Ehe und Ehebruch

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Ist es nicht auffällig, dass Isoldes Ehebruch anscheinend nicht die Ehre der Liebenden befleckt? Nur Marke hat um seine Ehre zu bangen und seine Gefolgsleute und Späher fürchten mit ihrem Herren ihr Ansehen einzubüßen. Marke verliert seine Ehre, anstatt des Liebespaares. Muss Marke, der König, der königliche Ehemann Isoldes als Allegorie für ein mittelalterliches, höfisches Gesellschaftsbild angesehen werden, das sich über seinen Herrscher definiert? In diesem Artikel soll das Verhältnis der Liebe und der Ehe im mittelalterlichen Roman geklärt werden. Außerdem muss dabei die Frage betrachtet werden, inwiefern Ehebruch und Ehrverlust der Liebenden und des Betrogenen in Verbindung stehen. Wie ist dann die Verbannung des Paares vom Hof und die Zuflucht, die sie in der Minnegrotte finden zu deuten und warum kehren Tristan und Isolde zurück in die Gesellschaft? In erster Linie wird hier die Beziehung Tristans, Isoldes und Marke unter die Lupe genommen, wo der Liebe-Ehe-Ehebruch-Konflikt am deutlichsten zum Tragen kommt.

Liebe und Ehe am literarischen Hof

Man muss für das Mittelalter zwischen der Liebe wie wir sie heute verstehen und der Liebe innerhalb einer Ehe unterscheiden. Beide Formen der Liebe fasst die höfische Kultur unter dem Begriff der minne zusammen. Um Missverständnissen vorzubeugen sollen in diesem Artikel die Begriffe seneliebe, als jene romantische Liebe, und Eheliebe verwendet werden[Ertzdorff: S. 88]. Diese seneliebe und Eheliebe sind unvereinbar miteinander. So postuliert die Gräfin von Champagne in einem vom 1. Mai 1174 datierten Brief: "Wir verkünden und setzen unverrückbar fest, dass die Liebe zwischen zwei Eheleuten ihre Macht nicht entfalten kann."[Bumke1: S. 530] Die seneliebe kann also in einer Ehe nicht stattfinden; wohl aber außerhalb der Ehe im Minnedienst. Das hat insbesondere den Grund, dass politische, arrangierte, unpersönliche Ehen gang und gäbe waren und über bestehende Liebschaften hinweg geschlossen wurden, welche dann oft beibehalten wurden - im Geheimen. Allerdings darf in dem Postulat der Gräfin von Champagne keine Aufforderung zum Ehebruch gelesen werden, es dient lediglich der Anerkennung der grundsätzlichen Verschiedenheit der Beziehung innerhalb und außerhalb der Ehe[Bumke1: S. 534]. Das höfische Ideal sieht nun vor, dass eine Ehe geschlossen wird, um die Ehre der Eheleute zu vergrößern. So das Ideal, denn die Ehe wurde eben meist nicht aus privaten, sondern "geschäftlichen" Gründen geschlossen! Es geht um Land, Bündnisse, Handel, Frieden usw. Trotzdem soll der Minnedienst außerhalb der Ehe fortgesetzt werden, denn auch darin liegt ein Teil der vollständigen höfischen Verhaltensweisen. Aus diesen Komponenten resultiert im Folgenden das Minneparodox. Einerseits soll die Ehe eingegangen werden - in der keine seneliebe möglich ist -, andererseits ist aber die seneliebe zur Erfüllung eines Idealzustandes unabdingbar. So muss sie außerehelich gesucht werden. Beide Seiten der Medaille dienen dem Ehrzuwachs und enden im Ehrverlust des/der Ehebrechers/in und des Gehörnten, es sei denn die Medaille bleibt auf ihrer Kante stehen. Die Motive der heimlichen seneliebe, dem darin enthaltenen Ehebruch und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Problematik, da letztendlich das Ideal nicht erfüllt, ja un der Erfüllung gleichsam vernichtet wird, lassen sich natürlich literarisch sehr gut verarbeiten. Was wir an der Vielzahl von Romanen und hauptsächlich Minnesängen sehen können.

Liebesproblematik im Tristan

Nachdem Tristan, der emotional und narrativ sehr eng an Marke geknüpft ist, bzw. Marke ebenso an Tristan, da sie in ihrer gemeinsamen Herrschaft ein unübertreffliches Ritterideal verkörpern, um Isolde für Marke erfolgreich geworben hat, trinken Tristan und Isolde zufällig auf der Überfahrt nach Cornwall den Liebestrank und sind von nun an unzertrennlich in sehnsuchtsvoller Liebe aneinander gebunden. Sie sind bis in den Tod miteinander verwoben: ouwê Tristan und Îsôt, diz tranc ist iuwer beider tôt! (V. 11705 f.). Diese Verbundenheit bis in den Tod und die Unmöglichkeit einer Existenz ohne den Partner führen dazu, dass sie Marke beginnen zu hintergehen - sie beginnen eine Liebschaft. Natürlich bleibt diese nicht allzu lange unentdeckt, so dass Marke auf den Plan gerufen wird, zuerst von Marjodo

Der nîdege Marjodô
der nam den künec verholne dô
und seite im, daz ein maere
dâ ze hove entsprungen waere
von Îsôt und Tristande, (V. 13637 - 13641)

und später mit Hilfe Melots

Dâ kêrte ouch ez spâte und vruo
sîne lüge und sîne lâge zuo. (meint: auf die Entdeckung der Affäre inflagranti) (V. 14261 f.)

und sich eine Reihe von Listen und Gegenlisten aneinanderfügen, welche Tristan und Isolde trotz ihrer verwerflichen Tat unbeschadet überstehen.

Rehabilitation des Paares durch Sympathielenkung

Wie kommt es aber, dass das moralische Problem des Ehebruchs von Gottfried von Straßburg überhaupt nicht diskutiert wird? Dieser rückt nämlich die Erfüllung der sehnsuchtsvollen Liebe (senemaere V. 17184) zwischen Tristan und Isolde ins Zentrum der Handlung und auch die Gefahren (List und Gegenlist), die das Paar ja sogar übersteht und eben nicht daran scheitert, wie derjenige geschietert wäre, der kein edeles herz (V. 47) hat. Es fällt kein Schatten des Vorwurfs auf die Handlungsweise der Liebenden, deren Ehebruch das öffentliche Ansehen des Königs schwer in Mitleidenschaft zieht, nicht aber das der Ehebrecher[Bumke1: S. 558]. Schlüssel zu diesem Phänomen ist sicherlich die Wirkung des Liebestranks, der die edelen herzen verschmelzen lässt und Tristan und Isolde auch ihren freien Willen nimmt. Der Trank stellt sie unter einen Liebeszwang, dem sie sich nicht erwehren können.

ê sî's ie wurden gewar,
dô stiez s'ir (die Minne) sigevanen dar
und zôch si beide in ir gewalt. (V. 11713 - 11715)

Doch Brangäne mahnt die beiden trotzdem, die êrewürde bewahrt werden, nähmen sie von der Liaison Abstand.

breitet ir'z iht mêre
ez gât an iuwer êre. (V. 12145 f.)

Natürlich ist es aber ganz unmöglich, dass sich die Liebenden gegen die Macht der Liebe wehren können.

Riwalin und Blascheflurs Affäre

Die Eltern Tristans, Riwalin und Blanscheflur, zeugen ihn außerehelich. Dies muss zwangsläufig zu Problemen des öffentlichen Ansehens führen, denn der außereheliche Geschlechtsverkehr ist ein Tabu. Zudem ist die Entjungferung ein Privileg des Ehemannes in der Hochzeitsnacht und bei vorhergehender Entjungferung sinken die Chancen auf dem Heiratsmarkt beträchtlich, weil die frouwe nicht mehr unbefleckt ist. Freilich ist das eher ein Problem, das sich Blanscheflur offenbart, denn für Männer war vorehelicher Verkehr nicht allzu ernst zu nehmen. Zudem hat Blanscheflur von Riwalin nun dieses uneheliche Kind empfangen - Tristan ist somit schon vor seiner Geburt entehrt. Aus seneliebe bietet Riwalin Blanscheflur an sie zu ehelichen, was sie natürlich bejaht.

...geruochet aber ir
heim unde hinnen varn mit mir,
ich selbe und allez, daz ich hân,
daz ist iu iemer untertân. (V. 1535 - 1538)

und

und râte zwâre, daz ir ê
ze kirchen ir geruochet jehen,
da ez pfaffen unde leien sehen,
der ê nach christenlîchem site. (V. 1630 - 1633)

...

Nu daz geschach, daz was getân,
daz er des alles vollekam. (V. 1638 f.)

Hier verbinden sich kurzzeitig seneliebe und Eheliebe - kurz deshalb, weil Riwalin kurz darauf im Kampfe fällt. Blanscheflur gebirt Tristan und stirbt darauf an gebrochenem Herzen, aus Schmerz um den toten Riwalin. Tristan wird daraufhin von Rual adoptiert, einem Freund seines Vaters, aber nicht bevor die Schwangerschaft Ruals Frau mit Tristan fingiert wurde, die Tristan rehabilitiert!

und bevalch ir verre und an den lîp,
daz sî sich in leite
nâch der gewohnheite,
als ein wîp kindes inne lît,
und daz si nâch der selben zît
jaehe unde jehende waere,
daz sî daz kint gebaere
daz ir juncherre solte sîn. (V. 1896 - 1903)

Hier wird deutlich wie sehr Liebe überformt wird von höfischer Moral-und Idealvorstellung. Trotz allem Trotz dagegen und moralisch bedenklichem Handeln und mittels dem Argument der seneliebe, werden aber alle Zweifel am Liebespaar und den Helfern und ebenso alle Vorwürfe gegen sie, ausgemerzt. Die Liebe der edelen herzen, die im Prolog besprochen wird, stellt Gottfried auch hier über die Moral und Normativität der höfischem Gesellschaft. Gleichzeitig wird der unmoralische und zugleich ehrvolle Vollzug der seneliebe zur Hofkritik.

Fazit

Einzelnachweise

Literatur

<HarvardReferences />

  • [*Bumke1]Bumke, Joachim: Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, dtv, München, 1986.
  • [*Bumke]Bumke, Joachim: Liebe und Ehebruch in der höfischen Gesellschaft, in: Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland, hg. von Rüdiger Krohn, München 1983, S. 25-45.
  • [*Ertzdorff]Ertzdorff, Xenja von: Liebe, Ehe, Ehebruch und Tod in Gottfrieds Tristan, in: Liebe - Ehe - Ehebruch in der Literatur des Mittelalters, hg. von Xenja von Ertzdorff und Marianne Wynn, Giessen 1984 (Beiträge zur deutschen Philologie 58), S. 88-97.
  • Jaeger, Charles Stephen: Ennobling love. In search of a lost sensibility, Philadelphia 1999 (The Middle Ages series).