Das Turnier von Kanvoleis (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Das Turnier von Kanvoleis ist eines der zentralen Ereignisse des II. Buches von Wolframs von Eschenbach Parzival. Es steht in einer Reihe mit Gahmurets Kampf vor Patelamunt im ersten Buch und Parzivals Kampf um Belrapeire in Buch IV. Die Generation der Väter der eigentlichen Helden des Parzival-Romans kämpft bei diesem Turnier um die Hand der jungfräulichen Witwe Herzeloyde und um die Herrschaft über ihre Länder, Waleis und Norgals. Bereits beim Vorabendturnier geht Gahmuret als Sieger des Turniers hervor und gewinnt die Königin Herzeloyde und ihre Länder. Das Turnier von Kanvoleis ist ein Ereignis, an welches sich die Artusritter noch lange erinnern. (Vgl. 325,17-326,4) [1]

Die Handlung

Nachdem Gahmuret seine erste Frau, Königin Belacane von Zazamanc, verlassen hat, gelangt er mit einem Schiff über das Meer nach Spanien. In Toledo erfährt er von der Abreise seines Cousins Kaylet nach Waleis, um dort an dem Turnier von Kanvoleis teilzunehmen. Die verwitwete Königin Herzeloyde hat dieses Turnier ausgeschrieben und als "prîs" (60,17: Preis) sich selbst und die Herrschaft über ihre zwei Länder Waleis und Norgals versprochen. (Vgl. 60,16f.) Gahmuret reist auch dorthin. Gleich bei seiner Ankunft in der Stadt wird er von der Königin Herzeloyde und von vielen Schaulustigen bewundert. Aus aller Herren Länder sind namhafte Ritter angereist, um an diesem Turnier teilzunehmen. Das Vorabendturnier beginnt und entwickelt sich zu einem verlustreichen Kampf, in dem die Gesetze der höfischen Ritterschaft keine Geltung mehr haben. [Bumke 2004: Vgl. S. 49] Während des Kampfes erhält Gahmuret einen Brief von der frisch verwitweten Königin Ampflise aus Frankreich, in dem sie ihm ihre Liebe und die Herrschaft über ihre Länder anbietet. (Vgl. 76,23-77,18) Neben dieser Botschaft erreicht Gahmuret auch die Nachricht vom Tod seines Bruders Galoes (Vgl. 80,14-18) und vom Tod seiner Mutter Schoette (Vgl. 92,26-30). Da beim Vorabendturnier bereits ein Großteil der Anführer gefangengenommen wurde, wird das eigentliche Turnier abgesagt und Gahmuret zum Sieger erklärt. Als Gahmuret auf seinen Gewinn, also Herzeloyde und ihre Länder, verzichten möchte und sich auch die Boten Ampflises gegen die Heirat von Herzeloyde und Gahmuret aussprechen, wendet sich Herzeloyde an einen Richter. Er spricht ihr das Recht zu. (Vgl. 95,27-96,5) Herzeloyde wird daraufhin die zweite Frau Gahmurets.

Die zwei Turnierparteien

Das Turnier von Kanvoleis spaltet sich in zwei Parteien, deren Einteilung wesentlich bestimmt wird durch den Konflikt zwischen Kaylet und dem König von Gascogne, Hardiz. [Bumke 2004: Vgl. S. 50] Aufgrund einer Liebschaft zwischen Kaylet und Alize, der Schwester von Hardiz, sind die beiden Könige verfeindet. Auf der Seite von Kaylet kämpft Gahmuret, der König Utepandragun und sein Schwiegersohn, König Lot von Norwegen, der König Lac von Karnant, Gurnemanz von Graharz und der König von Lohnois, Riwalin. Auch Gawan, der Sohn des Königs Lot von Norwegen, ist schon bei dem Turnier anwesend, aber noch zu klein um selbst zu kämpfen. (Vgl. 66,15-21) Artus, der Sohn Utepandraguns, kann an dem Turnier nicht teilnehmen, da er auf der Suche nach seiner Mutter ist, die von einem Zauberer entführt wurde. (Vgl. 66,1-6) Diese Erklärung ist der erste Hinweis auf das Abenteuer auf Schastel marveil. Auffallend an der Partei Kaylets ist, dass ihr Kern sich durch Verwandschaftsbeziehungen untereinander auszeichnet: sie stammen alle von Mazadan und der Fee Terdelaschoye ab.[Brunner: Vgl. S. 62] Dieses Motiv der Verwandschaftsbeziehungen ist ein zentrales Motiv in Wolframs von Eschenbach Parzival. Auf der Seite Hardiz' sind der Ritter Lähelin, Morholt von Irlant, König Brandelidelin, Cidegast von Logroys und der König von Ascalun, Kingrisin als die wichtigsten Ritter zu nennen.

Die verbindende und vorausweisende Funktion

Gahmuret und Herzeloyde

Das Turnier von Kanvoleis übernimmt eine verbindende Funktion in dem zweiten Buch des Parzival-Romans, [Schirok: Vgl. S. 413] da sich Herzeloyde und Gahmuret, die zukünftigen Eltern Parzivals, dort zum ersten Mal begegnen. Der Sieg Gahmurets über das Turnier führt dann zu der Ehe zwischen Herzeloyde und Gahmuret. Durch diese Zusammenführung Herzeloydes und Gahmurets während des Turniers von Kanvoleis ist der Grundstein für die eigentliche Handlung des Parzival-Romans gelegt, denn wenige Monate später wird Parzival, der "âventiur hêrre" (140,13: Held der Geschichte), geboren. Ferner benutzt Wolfram von Eschenbach das Turnier von Kanvoleis, um die Eltern des Titelhelden seines Romans in einem positiven Licht darzustellen: Gahmuret wird als der glänzendste Ritter seiner Zeit und Herzeloyde als absolut, gegen alle Widerstände liebende Frau dargestellt.[Brunner: Vgl. S. 61]

Die Vätergeneration

Indem Ritter aus halb Westeuropa nach Kanvoleis reisen, [Bumke 2004: Vgl. S. 50] werden durch das Turnier die berühmtesten Ritter Westeuropas zusammengeführt und dem Leser beziehungsweise dem Hörer vorgestellt. Das Turnier von Kanvoleis übernimmt durch diese Zusammenführung eine verbindende und einführende Rolle. Bei den Rittern, die in Kanvoleis vorgeführt werden, handelt es sich um die Vätergeneration der eigentlichen Helden des Parzival-Romans: Gahmuret etwa ist der Vater des Feirefiz und Parzivals, Utepandragun ist der Vater von Artus, der König Lot ist der Vater von Gawan und der König von Ascalun ist der Vater Vergulahts. [Brunner: Vgl. S. 62] Darüber hinaus lässt Wolfram von Eschenbach auch Väter von Helden aus anderen Romanen auftreten, wie etwa Erecs Vater Lac (Vgl.73,22) und Tristans Vater Riwalin (Vgl. 73,14), [Schirok: Vgl. S. 413] und stellt so intertextuelle Bezüge her. Brunner verweist bezüglich der Funktion der Darstellung der Vätergeneration während des Turniers von Kanvoleis darauf, dass Wolfram von Eschenbach durch die Präsentation der Vätergeneration "in die Zeitstruktur die Generationenfolge" [Brunner: S. 62] mit einbringt. Außerdem hat die Darstellung der Turniergesellschaft eine vorausweisende Funktion. Bumke macht aufmerksam darauf, dass die Einteilung der Parteien in Kanvoleis nicht willkürlich erscheint, sondern sich daran orientiert, wer später ein Feind beziehungsweise ein Freund Parzivals und Gawans wird. [Bumke 2004: Vgl. S. 49]


Parallelen zu anderen Kämpfen in Parzival

Das Turnier von Kanvoleis ist nicht das erste große Turnier, das in Parzival geschildert wird. Als Gahmuret in Buch I in Zazamanc ist, nimmt er an dem Kampf vor Patelamunt teil. Dieser Kampf weist erhebliche Parallelen zu dem Turnier von Kanvoleis auf: [Bumke 2004: Vgl. S. 49] Gahmuret reist in die Fremde und kämpft dort vor einer Stadt auf der Seite der Herrscherin des Landes. Sowohl in Kanvoleis als auch in Patelamunt sind eine Vielzahl von Rittern aus den unterschiedlichsten Ländern an den Kämpfen beteiligt. Während sich bei dem Turnier von Kanvoleis Ritter aus halb Westeuropa einfinden [Bumke 2004: Vgl. S. 50], nimmt der Kampf vor Patelamunt "weltumspannende Dimensionen" [Bumke 2004: S. 46] an. Beide Male geht Gahnmuret als Sieger aus den Kämpfen hervor und heiratet die Herrscherin des Landes nach dem Hand-und-Land-Prinzip. Gahmuret zeugt sowohl mit Belacane als auch mit Herzeloyde ein Kind. Er verlässt jedoch beide Frauen noch bevor seine Söhne, Feirefiz und Parzival, geboren sind. Dieses Prinzip der Doppelung zieht sich durch den gesamten Parzival und hat daher bei Wolfram von Eschenbach einen leitmotivischen Charakter. Die Parallelen zu dem Turnier von Kanvoleis beschränken sich jedoch nicht ausschließlich auf die Gahmuret-Handlung. Auch Parzival, Gahmurets Sohn, kämpft in Buch 4 in dem Kampf um Belrapeire für eine Königin, Condwiramurs, und erobert durch seinen Sieg ihre Hand und die Herrschaft über ihr Land. Ähnlich wie Gahmuret verlässt auch Parzival bald seine schwangere Frau. Das Turnier von Kanvoleis und der Kampf vor Patelamunt übernehmen durch diese Parallelität eine vorausweisende Funktion für den Kampf Parzivals um Belrapeire. Ein Vergleich der, in ihrer Grundstruktur sich gleichenden Episoden lässt aber auch zentrale Unterschiede zwischen Gahmuret und des eigentlichen "mæres hêrren" (338,7: Helden der Geschichte), Parzival, herausstechen. Im Gegensatz zu Gahmurets Liebesbeziehungen steht Parzivals Ehe unter dem Zeichen der Keuschheit und die Liebe zu seiner einzigen Frau, Condwiramurs, begleitet ihn durch den gesamten Roman hinweg.

Quellennachweise

  1. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

<HarvardReferences /> [*Brunner] Brunner, Horst: Artus der wise höfsche man. Zur immanenten Historizität der Ritterwelt im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: Germanistik in Erlangen. Hundert Jahre nach der Gründung des Deutschen Seminars, hg. von Dietmar Peschel (Erlanger Forschungen A/31), Erlangen 1983, S. 61-73.
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).
[*Schirok] Schirok, Bernd: Perspektiven der Interpretation, in: Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, hg. von Joachim Heinzle, Berlin/New York 2011, S. 411-?