Vergleich von Gralsburg und Schastel marveile (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Die Burgen „Munsalvaesche“ und „Schastel marveile“ sind die magischen Orte in Wolframs von Eschenbach Parzival. Ihre jeweilige Beschaffenheit weist eindeutige Parallelen, jedoch auch entscheidende Unterschiede auf. Für die Helden des Epos, Parzival und Gawan, stellen sie die ultimative Herausforderung ihrer Aventiuren dar.
Gralsburg
Die Gralsburg ist optisch eine Festung, welche allen Heeren der Welt standhalten würde und über riesige Ländereien, genannt „Terre de Salvaesche“, verfügt. (226, 17f.)[1] Dieser mythische Ort ist angefüllt mit all dem Reichtum und der Kostbarkeit, welche sich ein Mensch vorstellen kann und der Gral, welcher sich in Munsalvaesche befindet, spendet darüber hinaus endlos Speis und Trank. Die Gralsburg ist ein phantastischer Ort voller Wunder, in welcher die Menschen unter Einfluss des Grals ewig jung bleiben und somit nicht sterben können.
Die Gralgesellschaft
Die Gralgesellschaft leidet unter der schweren Verletzung des Gralkönigs Anfortas, welche ihn von Gott selbst traf, da er gegen das Keuschheitsgesetz der Gralsburg verstoßen hatte. Der Anblick des Grals erhält ihn am Leben, dennoch muss er unter seinem Siechtum leiden, was ihn dazu verdammt lebendig zu sterben. (230, 20) Der Hof wartet daher immerzu auf einen von Gott auserkorenen Ritter, welcher als einziger in der Lage wäre Anfortas von seinem Leiden zu erlösen und die Gralgesellschaft von ihrem Jammer zu befreien. Parzival kommt, als eben dieser Erlöser, in die Gralsburg und verpasst es die Frage zu stellen. Von dort an bildet sie das Zentrum aller seiner Überlegungen und Handlungen und stellt die für ihn entscheidende Aventiure dar.
Schastel marveile
Der Ritter und schwarze Magier Clinschor schuf, mithilfe erlernter Zauberkräfte, Schastel marveile als magische Burg, in welcher er aus Zorn 400 Jungfrauen und vier Könige gefangen hält. Die Burg wurde von ihm mit einem Fluch belegt, welcher jegliche körperlich Liebe zwischen Männern und Frauen verhindert. In Schastel marveile sind magische Gegenstände zu Hause, einmal das magische Bett „Lît marveile“, welches das Ziel von Gawans Aventuire ist und dann die magische Säule, welche dem Betrachter die Möglichkeit gibt sechs Meilen weit vorauszuschauen. Clinschor gibt an den Fluch zu lösen, sollte jemand die Aventuire im „Lît marveile“ bestehen.
Clinschors Fluch
Der Herzog Clinschor wird in den Armen der Königin Iblis von Sizilien von ihrem Ehemann König Ibert gefunden und so, auf frischer Tat ertappt, schneidet Ibert Clinschor die Genitalien ab. Dies sorgt für Clinschors großen Hass auf die Welt, welchen er mithilfe seiner im Orient erlernten Zauberkräfte konsequent auslebt. Er sperrt unzählige Menschen in sein Schloss und untersagt ihnen die Liebe, was zu einem Zustand vollkommener gesellschaftlicher Unfruchtbarkeit führt.[Bumke 2004: Vgl. S. 109]
Der direkte Vergleich
Der bedeutende Unterschied zwischen Gralsburg und Schastel marveile liegt in ihrer jeweiligen Beschaffenheit und den Ursprüngen ihres Zaubers. Die Gralsburg auf der einen Seite ist ein göttlicher Ort, welcher von ihm geschaffen ist und seinen Regeln unterliegt, indem er durch den Gral mit der Gesellschaft kommuniziert und agiert. Schastel marveile dagegen ist geschaffen durch den „irdischen“ Hexenzauber Clinschors, welcher sich magische Kräfte durch Lernen angeeignet hat und nun damit die Gesellschaft auf dem Schloss kontrolliert. Das Irdische und das Überirdische sind die essentiellen Begriffe bei der Beschreibung der beiden Gebäude.
Das Leiden
Beide Herrscher der Burgen sind Opfer falschen Minnedienstes geworden. Anfortas, der Gralkönig, wurde im Dienst der Orgeluse in den „Schamdrüsen“ verwundet, welchen er niemals hätte antreten dürfen, denn nur von Gott wird seine Minnedame bestimmt und es ist dem König nicht erlaubt dagegen zu verstoßen. Clinschor wurde in den Armen von Königin Iblis von Sizilien gefunden und von deren Ehemann kastriert. (479, 12) „Clinschor und Amfortas sind beide durch Minne schuldig geworden und haben eine ähnliche Verletzung“.[Mohr 1958: S. 297] Für die Gralgesellschaft führt das zu einer Situation des Jammers und Leidens, die Trauer über das Leiden des Königs betäubt die ganze Gesellschaft. Die Auswirkungen von Clinschors Verletzung sind dagegen ganz anders beschaffen. In seiner Wut über den Verlust seiner Männlichkeit untersagt er jegliche Minne zwischen Männern und Frauen auf der Burg.
Der Gral und die Säule
Beide Schlösser besitzen einen wunderlichen Gegenstand, welcher über die normale Wahrnehmung des Menschen hinausgeht. Auf Schastel marveile ist es die Wundersäule, welche den Menschen sechs Meilen weit in die Ferne sehen lässt, während in Munsalvaesche der Gral beheimatet ist und ewige Jugend, sowie endlos Speis und Trank bietet. Der entscheidende Unterschied liegt genau hier im Handlungsrahmen der beiden Gegenstände, denn „der Gral bringt, anders als die Säule, die lediglich reflektierende und repräsentierende Wirkung besitzt, tatsächlich realpräsentisch Dinge wie Speisen und Getränke hervor“.[Retzer 2006: S. 182] Die Gegebenheiten auf Schastel marveile sind nicht mythisch begründet, sondern existieren aus realen Ursachen heraus, während der Gral ein mit Gott direkt verbundener Gegenstand ist.
Die irdische und die überirdische Welt
Alles auf Schastel marveile hat einen irdischen Bezug. Clinschors Kräfte sind irdisch, denn er hat sie sich im Studium selbst angeeignet; das Schloss ist eine irdische, physische Präsenz, welche geographisch auffindbar ist und der gleichen Zeitrechnung unterliegt wie die Erde zu der sie gehört. Das magische Bett ist mit irdischen Kräften bezwingbar, wie Gawan beweist und die magische Säule ist in ihrer Wirkung dadurch eingeschränkt, dass sie genau sechs Meilen weit vorausschauen kann. Darüber hinaus ist das Schloss wie jeder andere Ort frei zugänglich, es gibt keine Macht, welche es der Welt enthebt.
Quellennachweis
- ↑ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Forschungsliteratur
<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004.
[*Mohr 1958] Mohr, Wolfgang: Parzival und Gawan, in: Euphorion. Dritte Folge, Band 52, 1958, S. 1-22.
[*Retzer 2006] Retzer, Maike: Mythische Strukturen in Wolframs von Eschenbach Parzival, Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2006.