Vergleich von Gralsburg und Schastel marveile (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Die Burgen Munsalvaesche und Schastel marveile sind die magischen Orte in Wolframs von Eschenbach Parzival. Ihre jeweilige Beschaffenheit weist eindeutige Parallelen, jedoch auch entscheidende Unterschiede auf. Für die Helden des Epos, Parzival und Gawan, stellen sie die ultimative Herausforderung ihrer aventiuren[1] dar.

Gralsburg (Munsalvaesche)

Die mythische Festung

Die Gralsburg ist eine Festung, welche allen Heeren der Welt standhalten würde und über riesige Ländereien, genannt „Terre de Salvaesche“, verfügt. (226,17f.)[2] Dieser mythische Ort ist angefüllt mit all dem Reichtum und der Kostbarkeit, welche sich ein Mensch vorstellen kann und der Gral, welcher sich in Munsalvaesche befindet, spendet darüber hinaus endlos Speis und Trank. Die Gralsburg ist ein phantastischer Ort voller Wunder, in welcher die Menschen unter Einfluss des Grals ewig jung bleiben und somit nicht sterben können.

Das Leid des Gralskönigs und der Gralsgesellschaft

Die Gralsgesellschaft leidet unter der schweren Verletzung des Gralskönigs Anfortas, welche ihn von Gott selbst traf, da er gegen das Keuschheitsgesetz der Gralsgesellschaft verstoßen hatte. Anfortas hatte sich in Orgeluses Minnedienst begeben, was ein Vergehen darstellt, denn die Frau des Gralskönigs kann nur von Gott selbst bestimmt werden und deshalb wurde Anfortas von Gott bestraft, indem er von einem vergifteten Speer in den Hoden getroffen wurde, was zu einer Wunde führte, die von keiner Arznei und keinem magischen Gegenstand der Welt geheilt werden kann. (479,8-483,18) Der Anblick des Grals erhält ihn am Leben, dennoch muss er unter seinem Siechtum leiden, was ihn dazu verdammt lebendig zu sterben. (230,20) Der Hof wartet daher immerzu auf einen von Gott auserkorenen Ritter, welcher als einziger in der Lage wäre Anfortas von seinem Leiden zu erlösen und die Gralgesellschaft von ihrem Jammer zu befreien, indem er den König nach seinem Leiden fragt. Parzival kommt, als eben dieser Erlöser, in die Gralsburg und verpasst es die Frage zu stellen. Von dort an bildet sie das Zentrum aller seiner Überlegungen und Handlungen und stellt die für ihn entscheidende aventiure dar.[Bumke 2004: Vgl. S. 69]

Schastel marveile

Clinschors Fluch

Der Herzog Clinschor wird in den Armen der Königin Iblis von Sizilien von ihrem Ehemann König Ibert gefunden und so, auf frischer Tat ertappt, schneidet Ibert Clinschor die Genitalien ab. Dies sorgt für Clinschors großen Hass auf die Welt, welchen er mithilfe seiner im Orient erlernten Zauberkräfte konsequent auslebt. Seine Zauberkräfte nutzt er um das magische Schloss Schastel marveile zu erbauen, in welchem er unzählige Menschen, unter anderem 400 Jungfrauen und vier Könige, einsperrt und ihnen die höfische Minne untersagt, was zu einem Zustand vollkommener gesellschaftlicher Unfruchtbarkeit führt.[Bumke 2004: Vgl. S. 109] In dieser Verödung lässt er die Menschen zurück und gibt an, den Bann erst zu lösen, wenn ein Ritter das Zauberbett "Lît marveile" im Schloss besiegt. (659,1-10)

Die magischen Gegenstände

In Schastel marveile gibt es zwei magische Gegenstände, einmal das magische Bett Lit marveile, welches das Ziel von Gawans aventiure ist und dann noch die magische Säule, welche dem Betrachter die Möglichkeit gibt sechs Meilen weit in die Ferne zu schauen. (592,1-4) Das Zauberbett Lit marveile ist für den Roman selbstverständlich von entscheidender Bedeutung, hierin ficht Gawan seine Kampf gegen Clinschors Fluch aus, welchen er nur schwer verwundet überlebt. Das Bett ist mit vier Rädern ausgestattet und dadurch in der Lage sich zu bewegen und auf Gawan zu reagieren, welcher es nur mühsam mit einem beherzten Sprung auf das Laken schafft. (567,1f.) Es scheint unzerstörbar zu sein, denn es rammt alle Wände der Kemenate und wird nicht vom Stein- und Pfeilhagel versehrt, welcher auf Gawan niederprasselt. Die magische Säule dagegen ist für Gawan eher hilfreich, denn so ist er in der Lage Orgeluses Eintreffen früh zu bemerken. (592,21f.)

Der direkte Vergleich

Das Leiden

„Clinschor und Amfortas sind beide durch Minne schuldig geworden und haben eine ähnliche Verletzung“.[Mohr 1958: S. 297] Die Unterschiede liegen im Leiden der beiden Männer: Clinschor wurde unheilbar von einem irdischen Schwert kastriert und dafür gibt es kein Heilmittel, er muss die Verletzung Zeit seines Lebens ertragen. Anfortas' Verletzung dagegen ist eine Wunde, welche zur göttlichen Strafe mutiert ist; ihre Folgen lassen sich durch das Mitleid Parzivals beheben und Anfortas' Leidenszeit ist vorbei.[Retzer 2006: Vgl. S. 185] Für die Gralsgesellschaft führt das zu einer Situation des Jammers und Leidens, die Trauer über das Leiden des Königs betäubt die ganze Gesellschaft, dagegen sind die Auswirkungen von Clinschors Verletzung ganz anders beschaffen. In seiner Wut über den Verlust seiner Männlichkeit untersagt er jegliche Minne zwischen Männern und Frauen auf der Burg und stellt somit selbst einen Zustand gesellschaftlicher Unfruchtbarkeit her.

Der Gral und die Säule

Beide Schlösser besitzen einen wunderlichen Gegenstand, welcher über die normale Wahrnehmung des Menschen hinausgeht. Auf Schastel marveile ist es die Wundersäule, welche den Menschen sechs Meilen weit in die Ferne sehen lässt, während in Munsalvaesche der Gral beheimatet ist und ewige Jugend, sowie endlos Speis und Trank bietet. Der entscheidende Unterschied liegt genau hier im Handlungsrahmen der beiden Gegenstände, denn „der Gral bringt, anders als die Säule, die lediglich reflektierende und repräsentierende Wirkung besitzt, tatsächlich realpräsentisch Dinge wie Speisen und Getränke hervor“.[Retzer 2006: S. 182] Die Gegebenheiten auf Schastel marveile sind nicht mythisch begründet, sondern existieren aus realen Ursachen heraus, während der Gral ein mit Gott direkt verbundener Gegenstand ist.

Die Erlösung

Beide Burgen sind das Ziel der beiden Protagonisten des Romans, die Titelfigur Parzival und der Ritter Gawan. Für beide ist die Mission ähnlich, denn sie müssen eine minnelose Gesellschaft von ihrem jeweiligen Leiden erlösen. Darüber hinaus sind es nicht nur irgendwelche Menschen denen die Helden zu Hilfe kommen, sondern es sind ihre direkten Verwandten, bei Parzival sein Oheim Anfortas und bei Gawan sogar seine Mutter, Schwester und Großmutter.[Mohr 1958: Vgl. S. 297] Der Unterschied liegt wiederum in der Ursache des Fluches, denn während Anfortas sein Leiden selbst verschuldet hat, sind Gawans Verwandte vollkommen schuldlos an ihrem Unglück, was zur Folge hat, dass nach der Erlösung durch den jeweiligen Helden die Konsequenzen für die Erlösten sehr unterschiedlich sind. Gawans Verwandtschaft kann wieder an ihre ehemalige gesellschaftliche Position zurück, während Anfortas sein Recht als Gralskönig verwirkt zu haben scheint und diesen Posten an Parzival abtreten muss.

Die irdische und die überirdische Welt

Der bedeutende Unterschied zwischen Munsalvaesche und Schastel marveile liegt in ihrer jeweiligen Beschaffenheit und den Ursprüngen ihres Zaubers. Die Gralsburg auf der einen Seite ist ein göttlicher Ort, welcher von Gott selbst geschaffen ist und seinen Regeln unterliegt, während er durch den Gral mit der Gesellschaft kommuniziert und agiert. Schastel marveile dagegen ist geschaffen durch den "irdischen" Hexenzauber Clinschors, welcher magische Kräfte erlernt hat und nun damit die Gesellschaft auf dem Schloss kontrolliert. Das Irdische und das Überirdische sind somit die essentiellen Begriffe bei der Beschreibung der beiden Gebäude.

Die Gralsburg ist im Grunde ein Nicht-Ort, sie ist der realen Welt enthoben und kann somit nicht gefunden werden, sondern ist nur für Berufene zugänglich.[Karg 1993: Vgl. S. 30] Ihre Gesellschaft folgt göttlichen Regeln, deren Missachtung streng geahndet wird, wie man an Anfortas sehen kann und der Gral selbst ist ein göttlicher Gegenstand und kein Teil der irdischen Welt, somit auch stärkstes Symbol für die Beziehung des Menschlichen mit dem Göttlichen auf der Gralsburg. Im Gral heben sich Diesseits und Jenseits auf, er hebt Ursache und Folge auf, denn er ist Spross und Wurzel zugleich und hebt die chronologische Abfolge von Jahreszeiten auf.[Retzer 2006: Vgl. S. 183]

Dem gegenüber hat alles auf Schastel marveile einen irdischen Bezug. Clinschors Kräfte sind irdisch, denn er hat sie sich im Studium selbst angeeignet, das Schloss ist eine irdische, physische Präsenz, welche geographisch auffindbar ist und der gleichen Zeitrechnung unterliegt wie die Erde zu der sie gehört. Das magische Bett ist mit irdischen Kräften bezwingbar, wie Gawan beweist und die magische Säule ist in ihrer Wirkung dadurch eingeschränkt, dass sie genau sechs Meilen weit vorausschauen kann. Darüber hinaus ist das Schloss wie jeder andere Ort frei zugänglich, es gibt keine Macht, welche es der Welt enthebt, auch wenn man das meinen könnte, wenn man Gawans Anreise zum Schloss auf einem Boot mit Fährmann betrachtet.[Dallapiazza 2009: Vgl. S. 110]

Die Burgen als Symbole

Der Unterschied der beiden Burgen liegt insbesondere in der Zugehörigkeit zur irdischen, realen Welt und zur überirdischen, göttlichen Welt. Munsalvaesche ist eine von Gott geschaffene Gesellschaft, deren strenge Regeln er gemacht hat und überwacht, Clinschors Schloss wiederum wurde von ihm als Racheakt an der Gesellschaft konzipiert und mit seiner schwarzen Magie errichtet. Beide Burgen teilen ein Bedürfnis nach Erlösung, welches der jeweilige Held, Parzival bzw. Gawan, befriedigt.[Mohr 1958: Vgl. S. 296]

Zweifellos sind also Munsalvaesche und Schastel marveile auch Symbole desjenigen Helden, von dem ihre Gesellschaft letztendlich erlöst wird. Die Gralsburg, mythisch, welt- und zeitenthoben passt zum ziellos umherreisenden Parzival, welcher auch ohne Gefühl für Raum und Zeit den vermeintlichen Ort seiner Bestimmung, eben die Gralsburg sucht, während der verlässliche, pünktliche Gawan sein Abenteuer auf der irdischen Burg Schastel marveile findet.[Retzer 2006: Vgl. S. 187] Wolfram hat hier gezielt beiden Figuren ihr persönliches Abenteuer geschenkt und es dementsprechend gezeichnet. Diesbezüglich taucht beispielsweise auch Parzival vor Schastel marveile auf, doch scheint er fraglos und uninteressiert wieder abgezogen zu sein, während Gawan sich gezwungenermaßen der Suche nach dem Gral verpflichtet, aber dies ebenso uninteressiert bleiben lässt.

Quellennachweis

  1. Die aventiure ist ein klassisches Motiv der Dichung des Hochmittelalters, es bezeichnet die Bewährungsmethoden und Abenteuer, welche ein Held zu bestehen hat.
  2. Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Forschungsliteratur

<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004

[*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival , Klassiker Lektüren 12, Berlin 2009

[*Karg 1993] Karg, Ina: Bilder von Fremde in Wolframs von Eschenbach Parzival. Das Erzählen von Welt und Gegenwelt, in: Fremderfahrung in Texten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Günter Berger und Stephan Kohl, 1993, S. 23-43

[*Mohr 1958] Mohr, Wolfgang: Parzival und Gawan, in: Euphorion. Dritte Folge, Band 52, 1958, S. 1-22

[*Retzer 2006] Retzer, Maike: Mythische Strukturen in Wolframs von Eschenbach Parzival, Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2006