Weiblichkeitsideale (Dante Alighieri "Vita Nova")

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 (Quellennachweise folgen)

Einleitung

Das zentrale Leitmotiv im Hohen Minnesang des 12. und 13. Jahrhunderts besteht aus dem Besingen und Lobpreisen einer Frau, welche aus der Perspektive des Minnenden als vollkommen und makellos dargestellt wird. Das männliche Lyrische- Ich begibt sich meist unfreiwillig in ein Abhängigkeitsverhältnis, dem sogenannten „domnei“ (Frauendienst), zu seiner Auserkorenen wonach ihm jegliche Existenz ohne ‚seine‘ frouwe unmöglich oder gar sinnlos erscheint. Aus dieser subjektiven Sicht des liebestollen Sängers wird dem außenstehenden Hörer/Leser eine bestimmte Frau beschrieben, welche alle positiven und wünschenswerten Eigenschaften in sich vereint. Ihr Erscheinungsbild, sowie ihr Charakter und Wesen werden zur menschlichen Idealvorstellung erhoben, wobei zu beachten ist, dass der Minnende durch seine rosarote Brille dazu tendiert, ihre realen Züge durch seine geistig-ideenhaften Wunschvorstellungen beeinflussen zu lassen. Im Mittelpunkt des Minnesangs steht daher nicht die Liebe zu einer individuellen Person, vielmehr wird eine Glorifizierung der besungenen Frau als Trägerin der vollkommenen menschlichen Idee vollzogen.

Das mittelalterliche Weiblichkeitsideal am Beispiel von Dante Alighieri's "Vita Nova"

Die Transzendierung der Frau bei Dante

Im Italien des 13. Jahrhunderts erreicht die stilistische Weiblichkeitsidealisierung im Minnesang durch Dante Alighieri’s „dolce stil nuovo“ seinen Höhepunkt. Die Frau als ‚höchstes Wesen‘ wird über die menschliche Sphäre erhoben und erscheint engelsgleich als die Inkarnation überirdischer Vollkommenheit auf Erden. Als himmlische Gestalt symbolisiert sie den Inbegriff der göttlichen Schöpfung. In seiner "Vita Nova- Das Neue Leben" spricht Dante die Transzendierung seiner weiblichen Hauptfigur Beatrice explizit an: "Sie schien nicht die Tochter eines Sterblichen, sondern die eines Gottes zu sein." (V.N.,II,9) Dies wird zusätzlich durch biblische Allegorien und mystische Gleichnisse unterstrichen.Ein besonders aussagekräftiges Beispiel dafür bietet die Szene, in welcher Dante während seiner Krankheit von Beatrices bevorstehendem Tod halluziniert. (Fortsetzung folgt)Für seine Zeit eher ungewöhnlich versinnbildlicht Dante die Liebe zwischen Mensch und Gott durch die Liebe des Minnesängers zu seiner Holdseligen, wobei dessen uneingeschränkte Anbetung der Frau gleichzeitig als notwendige Voraussetzung erachtet wird, um die Gnade und Herrlichkeit Gottes zu erfahren. Im Folgenden Teil wird die Darstellung Dante's weiblicher Charaktere in zwei Kategorien unterschieden:

Die äußere Schönheit: Optik und Wirkung

Indem es die Hohe Minne vorsieht, dass die Liebe zu besagter Frau möglichst geheim und unentdeckt bleibt,vollzieht der Sänger seinen Frauenpreis aus einer distanzierten Position, welche es ihm unmöglich macht Einzelheiten oder individuelle Facetten ihrer Person zu erfassen.Seine Fernliebe erlaubt lediglich eine passive Darstellung der Dame, deren Erscheinung und Wesen dem formelhaften, mittelalterlichen Klischée von Makellosigkeit entsprechen. Folglich sind die umworbenen Damen der verschiedenen Minnelieder sowohl geistig als auch körperlich kaum voneinander differenzierbar. Auch in der "Vita Nova" wird der Leser zwar von Beatrices außerordentlicher Schönheit in Kenntnis gesetzt, eine detaillierte, personalisierte Beschreibung erhält er jedoch nicht.Bestimmte Körperteile werden formelhaft eingesetzt, um ihrer Makellosigkeit Ausdruck zu verleihen. So spricht Dante beispielsweise von den "Augen, die der Ursprung der Liebe sind [...][sowie] vom Mund, der das Ziel der Liebe ist" (V.N., XIX, 55). Die Augen, als Spiegel der Seele und der Mund, als erotisches Signal waren im Hohen Minnesang typische Attribute aus dem mittelalterlichen Körperteilkatalog, wonach der Minnesänger die descriptio seiner Frauengestalten im Allgemeinen ausrichtete, um ihre Schönheit zu preisen. Dante bedient sich unter anderem auch stereotypischer Signalfarben, was beispielsweise anhand von Beatrices Gewändern erkennbar wird:"Sie erschien bekleidet von der edelsten Farbe, die demütig und vornehm: blutrot, umgürtet und geschmückt. (V.N., II,7) Ihr Anblick, welcher in Dante schon im Kindesalter leidenschaftliche Gefühle auslöst, also noch bevor ihr Charakter vollständig ausgebildet ist, hat eine vereinnahmende Macht auf den Ich-Erzähler. "Sobald ich mir ihre wunderbare Schönheit vorstelle, sogleich ein Verlangen ergreift, sie wirklich zu sehen, und dass dieses von solcher Wirkungsmacht ist, dass es in meinem Gedächtnis tötet und vernichtet, was sich dagegen erheben könnte." (V.N., XV, 41) Beatrice's Schönheit als etwas greifbares gilt demzufolge als notwendige Voraussetzung, um das Lyrische Ich und ihr Umfeld in ihren Bann zu ziehen. Es kann daher der Schluss gezogen werden, dass erst durch den visuellen Anreiz auch ihr Wesen erfahrbar und buchstäblich sichtbar wird. Ihre positiven Charakterzüge werden beinahe immer in Verbindung mit optischen Reizen und Ausdrücken der visuellen Wahrnehmung beschrieben, bis Körper und Wesen gänzlich miteinander verschmelzen. "In Adel, Liebe und Beständigkeit gekleidet" (V.N., XXVI,83), strahlt ihr Auftreten/Erscheinung menschliche Vortrefflichkeit aus und färbt auf andere ab. "Ihr Anblick macht ein jedes Wesen demütig; und lässt sie nicht allein liebreizend scheinen. sondern einer jeden wird um ihretwillen Ehre erwiesen." (V.N., XXVI, 87) Im Allgemeinen wird der äußereren Gestalt der Frau vor allem insofern Bedeutung beigemessen, als dass sie deren innere Schönheit nach außen trägt und reflektiert. Entsprechend der antiken 'Kalokagathia' stehen auf diese Weise die körperliche als auch die geistige Vollkommenheit im Einklang miteinander und bilden eine harmonische Einheit.


Die innere Schönheit: Vergeistigung und Wirkung

Viel wichtiger ist für Dante die Betonung Beatrice's geistiger Schönheit sowie ihres "edlen, lobenswürdigen Betragen[s]" (V.N.,II,9). Gleichsam dem mittelhochdeutschen Pendant 'tugent', 'werdekeit', 'diemüete' werden auch hier die Eigenschaften Tugend, Holdseligkeit und Demut gehäuft genannt. Als "Vernichterin aller Laster und Königin der Tugenden" (V.N., 25, X)verkörpert Beatrice durch und durch das Gute im Menschen und kann somit positiv auf ihre Mitmenschen einwirken, indem sie kraft der "Vollkommenheit ihrer Seele [und] wirkungsmächtigen Tugenden" (V.N., 55, XIX) alles und jeden um sie herum zum Erstrahlen bringt. Vor allem der körperliche und geistige Zustand des Lyrischen- Ichs wird in ihrer Anwesenheit stark beeinflusst und sogar in Mitleidenschaft gezogen. Dante erklärt, dass Beatrices überwältigende Wirkung für das menschliche Auge kaum auszuhalten ist und dass wer sie erblickt, entweder "edel, oder sterben" würde (V.N., 51, XIX). Als "Seligmacherin" (V.N., XL, 121) der ganzen Stadt besitzt sie die Macht, das Böse abzutöten und damit einhergehend ebenso die Macht über Leben und Tod.Mit diesem Paradox der Steigerung von Beatrices Wesen unternimmt Dante gleichzeitig eine Selbstaufwertung beziehungsweise Selbststilisierung von sich als dem Einzigen, welchem es möglich ist sie zu anzusehen. Demnach gelingt es nur dem Genie des Dichters, die "in ihrer Vollkommenheit furchteinflößende Frau" (Kablitz, 360) zu erkennen und zu beschreiben.