Vermittlungsinstanzen in "Vita Nova" (Dante Alighieri, Vita Nova)

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Einleitung

Dante Alighieri beschreibt in seinem Werk Vita Nova seine Liebe zu Beatrice. Das Werk ist bereits in der Hinsicht etwas Besonderes, da Dante

seine Erzählung in einem fortlaufenden Prosatext verfasst hat, in den er seine Gedichte, Sonette und Kanzonen, die Beatrice galten, eingebunden

hat.[1] Dass Dante aus der Ich-Perspektive schreibt, ist für den damaligen Minnesang, bzw. für den dolce stil novo nichts

besonderes, da die meisten Lieder und Gedichte dieser Zeit in Ich-Form verfasst wurden. Doch dieses Personalpronomen Ich ist keinesfalls als

Individuum anzusehen, wie Dieter Kartschoke vermerkt: "Das Snger-Ich ist ein Subjekt, aber es wird nicht individualisiert, sondern durch die

immer gleichen und nur unterschiedlich kombinierten und akzentuierten Aussagen generalisiert."[2] Dennoch bekommt man bei

der Vita Nova den Eindruck, dass es sich um eine reale Biographie handelt. Woher dieser Eindruck kommt, soll in diesem Artikel anhand der

Vermittlungsinstanzen untersucht werden.

Vermittlung

Allgemeine Definition

Zunächst einmal muss geklärt werden, was der Begriff "Vermittlungsinstanzen", bzw. "vermitteln" überhaupt bedeutet. Der Duden bringt zahlreiche

Synonyme für das Verb zur Auswahl: Zustande bringen, herbeiführen; dafür sorgen, dass jmd. etw., was er anstrebt, bekommt; jmdm. verständlich

machen, mitteilen, zeigen.[3] Inweiweit lässt sich dieser

Begriff nun aber auf die Vita Nova anwenden?

Vermittlung durch Erzählen

Vermittlung in der Liteatur findet immer dann statt, wenn das Medium Buch seinem Leser etwas mitteilen möchte. Dies geschieht in der einfachsten

Form durch den Erzähler[4]. In Dantes

Vita Nova vermittelt ein Ich-Erzähler dem Leser das im Buch Geschilderte. Setzen wir die Vita Nova als Autobiographie voraus, lässt sich

sagen, dass die Ich-Instanz der Autor selbst, also Dante, ist. Es finden sich aber keine evidenten Beweise, die die Vita nova als

Autobiographie belegen würden: "Aber Dante hat absichtsvoll alles allzu Wirklichkeitsnahe fortgelassen, die Namen der Frauen und der Freunde, den

Namen der Stadt und sonstige Ortsangaben."[5] &&&Autor&&& unterschlägt allerdings, dass Dante an einer Stelle den Namen einer

anderen Dame erwähnt: "E poco dopo queste parole, che lo cuore mi disse con la lingua d'Amore, lo vidi venire verso me una gentile donna, la

quale era d famosa bieltade, e fue già molto donna di questo primo mio amico. E lo nome di questa donna era Giovanna, salvo che per la sua

bieltade, secondo che altri crede, imposto l'era nome Primavera; e così era chiamata." (VN, 76). Es ist auffällig, dass sowohl ein (es wird im

weiteren Text bei diesem einen bleiben) Name, neben dem von Beatrice, genannt wird, als das auch dieser Name von einer weiteren Dame

ist[6]. Den Namen seines "besten Freundes" nennt er nicht, wo

doch gerade dieser in einer Autobiographie wichtig wäre. Dies legt den Schluss nahe, dass die Intention Dantes in der Vita Nova nicht im

autobiographischen Erzählen liegt.

Neben der Vermittlung durch den Erzähler, findet eine weitere Vermittlung durch die Gattung des Werkes statt. Der Leser nimmt Aussagen und

Inhalte von unterschiedlichen Gattungen, in denen das gleiche Sujet auf unterschiedliche Art und Weise dargestellt wird, auch unterschiedlich

(intensiv) war. Im Fokus stehen bei Dante der Prosatext und die eingebetteten Lieder. In den 25 Sonetten, 4 Kanzonen und der einen Ballade

wiederholt Dante in lyrischer Form das, was er zuvor (prosaischer Form) erlebt hat. Wehle spricht von einer "grundlegende[n] Verdopplung des

Sprechens"[7]. Der Aussagegehalt der zuvor erlebten Prosa und der wiederaufgreifenden Lyrik unterschiedet sich aber erheblich:

Das in Prosa geschilderte ist aussagekräftiger als das, was in lyrischen Formen wiederholt wird. Würde man nur die Sonette, Kanzonen und

die Ballade[8] lesen, könnte der Leser die Vita Nova nicht

nachvollziehen. Ließe der Leser allerdings die Lieder weg und läse nur den Prosa-Text, ist die Intention ebenso erkennbar, wie das gesamte

"libro" (VN, 1). "Mit Hilfe der Prosa führt Dante eine große strukturelle Neuerung in den Minnesang ein: er fügt einzelne Momente der Minne zu

einer Geschichte, zu einem 'Roman' zusammen."[9] Außerdem gelingt es Dante dadurch auch, bestimmende Elemente des Romans,

nämlich Erfahrung, Erkenntnis und Praxis[10], untersuchend darzustellen. -> reflexiv -> Urteil der Minne

Das Verhältnis Erzähler-Leser ist eine Form von Vermittlung in der Literatur, die bereits über den Text hinausgeht. Eine andere Form liegt in der

erzählten Welt selbst: Die Vermittlungsinstanzen innerhalb der Diegese.

Vermittlung in Dantes Vita Nova

Vermittlung geschieht innerhalb der Vita Nova auf viele und unterschiedliche Arten: Zum einen sind es die Sonette, die vermitteln. wdh prosa


In der Definition von "Vermittlung im literarischen Fokus" ging es hauptsächlich um den Aspekt des Mitteilens. Die anderen oben aufgeführten

Synonyme wurden vernachlässigt. Sie finden sich vor allem in dem zu untersuchenden Werk wieder.

  • Zustande bringen, herbeiführen: Durch eine bislang noch undefinierte Instanz wird etwas Neues herbeigeführt. Was entsteht in Dantes

Vita Nova neu und ist gleichzeitig von einer Instanz geleitet? Die Antwort ist auf der einen Seite leicht: Die Liebe. Auf der anderen Seite

zeigt sich aber die Problematik: Zwar entsteht die Liebe in Vita Nova neu, der Titel des Werks verweist bereits darauf, das Problem besteht

jedoch darin, dass die Liebe keine "normale" Entwicklung durchlebt, sondern von Anfang an perfekt u sein scheint und schließlich durch die

Instanz zerstört wird. Kann Dante dieses Bild damit bezweckt haben? Die Antwort hierauf soll im Folgenden gegeben werden.

  • Dafür sorgen, dass jmd. etw., was er anstrebt, bekommt: Dieser Punkt knüpft unweigerlich an den vorherigen an. Der hier genannte "Jmd."

ist der Ich-Erzähler der Vita Nova, der die hohe Liebe zu seiner Beatrice anstrebt. Im dritten Kapitel scheint Dante bereits das zu bekommen,

was sich jeder andere vor ihm vom ganzen Herzen erwünscht, die meisten aber nie bekommen haben: Der Gruß ihrer angebeteten Dame[11]. Hier fehlt nun aber die Vermittlungsinstanz. Diesen erscheint erst nach dem Gruß, im Traum Dantes[12] und zwingt dort Beatrice das dessen Herz zu essen. Im Anschluss daran benutzt Dante mehrere Frauen als Vorwand, verschleiert

seine wahre Liebe zu Beatrice und zerstört damit das perfekte, zu Beginn bestehende Ideal. Amor erscheint noch öfters in Dantes Träumen und

Visionen. Er scheint damit eine wichtige Vermittlungsinstanz der Liebe zu sein.

  • Jmdm. verständlich machen, mitteilen, zeigen: Auch unter diesem Punkt kann Amor angefügt werden. Er vermittelt Dante quasi die

Vorstellungen der idealen, göttlichen Liebe. Außerdem sind hier die Sonette und Kanzonen zu nennen. Dante verfasst die meisten seiner in den

Prosatext eingebundenen Stücke nach einem Treffen mit Beatrice nund nach seinen Träumen und Visionen um seine Gefühle anderen zu vermitteln.

Es haben sich nun aus den Synonymen drei wichtige Vermittlungsinstanzen in Dantes Vita Nova ergeben, die im Folgenden genauer untersucht

werden sollen: Amor, Lieder, Beatrice. Das ein Entwicklungsprozess in der Liebe stattfindet, wurde bereits erwähnt. Dieser Prozess wird

allerdings im Weiteren nur am Rande erwähnt und soll nicht signifikanter Bestandteil dieses Artikels sein (siehe dazu den Artikel

[http://mediaewiki.org/wiki/Entwicklung_des_Liebesbegriffs_in_%22Vita_Nova%22_%28Dante_Alighieri,_Vita_Nova%29 Entwicklung des Liebesbegriffs in

"Vita Nova" (Dante Alighieri, Vita Nova)]).

Primärliteratur

Alighieri, Dante (1293 (Erstdruck 1576)): Das neue Leben. Vita Nova, Zürich: Manesse. (Aus dem Italienischen übersetzt von Hannelise

Hinderberger).

Forschungsliteratur

  1. Auerbach, Erich (1969): Dante als Dichter der irdischen Welt. Berlin: de Gruyter.
  1. Beck, Friedrich (1925): "Über die Wesensähnlichkeit zwischen Beatrice und er 'Donna Gentile' nach Dante's Vita Nova und Convivio". In: Daffner,

Hugo (Hrsg.): Deutsches Dante-Jahrbuch. Neunter Band, Weimar: Verlag der Deutschen Dante-Gesellschaft, 68-97.

  1. Beck, Friedrich (1927): "Die rätselhaften Worte in Dante's Vita Nova". In: Hilka, Alfons (Hrsg.): Zeitschrift für Romanische Philologie 47,

Tübingen: Niemeyer, 1-27.

  1. Bernsen, Michael (2001): Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter. Eine Untersuchung zum Diskurswandel der Liebesdichtung von

den Provenzalen bis zu Pertrarca, Tübingen:Niemeyer.

  1. Davidsohn, Robert (): "Beatrice, Simone und Musciattino de' Bardi". In:
  1. Elwert, Wlhelm Theodor (1980): Die italienische Literatur des Mittelalters. Dante, Petrarca, Boccaccio, München: Francke.
  1. Federn, Karl (): "Zur ersten Vision der Vita Nuova". In:
  1. Goldschmidt, Lothar (1889): Die Doktrin der Liebe bei den italienischen Lyrikern des 13. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation, Breslau:

Wilhelm Koebner.

  1. Hollander, Robert (1980): "Vita Nuova. Dante's Perceptions of Beatrice", in: Studies in Dante. Ravenna, 11-30.
  1. Elwert, Wilhelm Theodor (1969): Studien zu den romanischen Sprachen und Literaturen. Band II, Italienische Dichtung und europäische

Literatur, Wiesbaden: Franz Steiner.

  1. Feldbeck, Christine & Kramer, Johannes (2008): Troubadourdichtung. Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und

Kurzgrammatik, Tübingen: Gunter Narr.

  1. Kablitz, Andreas (2000): "Die Minnedame. Herrschaft durch Schönheit." In: Neumeyer, Martina (Hrsg.): Mittelalterliche Menschenbilder.

Regensburg: Friedrich Pustet, 79-118.

  1. Kartschoke, Dieter (2001): "Ich-Darstellung in der volkssprachigen Literatur". In: van Dülmen, Richard (Hrsg.): Entdeckung des Ich. Die

Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien: o.A., 61-78.

  1. Klemp, Paul J. (1984): "The women in the middle. Layers of love in Dante’s Vita Nuova", in: Italica 61. O.A., 185-194.
  1. Mazzotta, Guiseppe (): "The Language of poetry in the 'Vita Nuova'". In:
  1. Mölk, Ulrich (1982): Trobadorlyrik. Eine Einführung, München/Zürich: Artemis.
  1. Ruediger, Adolf (1913): "Die Frauengestalten in Dantes 'Neuem Leben' und ihre einzig mögliche Bedeutung". In: Muth, Kark (Hrsg.): Hochland.

Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst, Band 1, 11. Jahrgang 1913/14, Kempten/München: Köselsche Buchhandlung.

  1. Musa, Mark (1973): Dante's Vita Nouva . A Translation and an Essay, Bloomington/London: Indiana University Press.
  1. Schnell, Rüdiger (1985): Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern/München: Francke.
  1. Schnell, Rüdiger (1991): "Die 'höfische Liebe' als Gegenstand von Psychohistorie, Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Eine Standortbestimmung."

In: Stierle, Karlheinz (Hrsg.): Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 23, München: Wilhelm Fink, 374-424.

  1. Sinowitz, Michael (1905): Schlüssel zu Dante Alighieris Werke. Das neue Leben, Eine Komödie in 5 Abteilungen, Zürich: Clecner.
  1. Vezin, August (1925): "Dantes Vita nouva als Erlebnis und Dichtung". In: Der Wächter: Monatsschrift für alle Zweige der Kultur, 8.

Jahrgang, Wien: Amalthea, S. 228-240.

Einzelnachweise

  1. Vgl. (3).
  2. Kartschoke, 67.
  3. Vgl. Duden. Deutsches Universalwörterbuch (Mannheim, 72011), S. 1895.
  4. Der Einfachheit halber möchte ich auf den umständlichen Ausdruck "Erzähler-Instanz" verzichten.
  5. (3), 106.
  6. Warum der Name "Giovanna" noch wichtig ist, wird im Artikel &&&& erläutert.
  7. Wehle, 23f.
  8. Diese Gruppe wird im Folgenden nur noch als "Lieder" bezeichnet.
  9. Wehle, 19.
  10. Vgl. Michail Bachtin (1989): Formen der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik, Frankfurt a.M.: , S. 223.
  11. Dieser Gruß gilt als Höchstes Gut der ursprünglichen Trobadorlyrik. Er symbolisiert die "merces", die Gnade der angebeteten Dame. Diese erteilt die Gnade aber nie sofort. Sie steht aufgrund ihrer sozial-hierarchischen Stellung in einem Balanceakt aus "superbia", also Abweisung oder Hochmut, und "merces".
  12. An dieser Stelle verwende ich den Namen des Autors äquivalent zum Namen des Ich-Erzählers. Auf die Frage, ob die beiden gleichzusetzen sind oder nicht, wird später eingegangen.