Vermittlungsinstanzen in "Vita Nova" (Dante Alighieri, Vita Nova)
Einleitung
Dante Alighieri beschreibt in seinem Werk Vita Nova seine Liebe zu Beatrice. Das Werk ist bereits in der Hinsicht etwas Besonderes, da Dante seine Erzählung in einem fortlaufenden Prosatext verfasst hat, in den er seine Gedichte, Sonette und Kanzonen, die Beatrice galten, eingebunden hat.[1] Dass Dante aus der Ich-Perspektive schreibt, ist für den damaligen Minnesang, bzw. für den dolce stil novo nichts besonderes, da die meisten Lieder und Gedichte dieser Zeit in Ich-Form verfasst wurden. Doch dieses Personalpronomen Ich ist keinesfalls als Individuum anzusehen, wie Dieter Kartschoke vermerkt: "Das Snger-Ich ist ein Subjekt, aber es wird nicht individualisiert, sondern durch die immer gleichen und nur unterschiedlich kombinierten und akzentuierten Aussagen generalisiert."[Kartschoke 2001: 67] Dennoch bekommt man bei der Vita Nova den Eindruck, dass es sich um eine reale Biographie handelt. Woher dieser Eindruck kommt, soll in diesem Artikel anhand der Vermittlungsinstanzen untersucht werden.
Vermittlung
Allgemeine Definition
Zunächst einmal muss geklärt werden, was der Begriff "Vermittlungsinstanzen", bzw. "vermitteln" überhaupt bedeutet. Der Duden bringt zahlreiche Synonyme für das Verb zur Auswahl: Zustande bringen, herbeiführen; dafür sorgen, dass jmd. etw., was er anstrebt, bekommt; jmdm. verständlich machen, mitteilen, zeigen.[2] Inweiweit lässt sich dieser Begriff nun aber auf die Vita Nova anwenden?
Vermittlung durch Erzählen
Vermittlung in der Liteatur findet immer dann statt, wenn das Medium Buch seinem Leser etwas mitteilen möchte. Dies geschieht in der einfachsten Form durch den Erzähler[3]. In Dantes Vita Nova vermittelt ein Ich-Erzähler dem Leser das im Buch Geschilderte. Setzen wir die Vita Nova als Autobiographie voraus, lässt sich sagen, dass die Ich-Instanz der Autor selbst, also Dante, ist. Es finden sich aber keine evidenten Beweise, die die Vita nova als Autobiographie belegen würden: "Aber Dante hat absichtsvoll alles allzu Wirklichkeitsnahe fortgelassen, die Namen der Frauen und der Freunde, den Namen der Stadt und sonstige Ortsangaben."[4] Elwert unterschlägt allerdings, dass Dante an einer Stelle den Namen einer anderen Dame erwähnt: "E poco dopo queste parole, che lo cuore mi disse con la lingua d'Amore, lo vidi venire verso me una gentile donna, la quale era d famosa bieltade, e fue già molto donna di questo primo mio amico. E lo nome di questa donna era Giovanna, salvo che per la sua bieltade, secondo che altri crede, imposto l'era nome Primavera; e così era chiamata." (VN, 76)[5]. Es ist auffällig, dass sowohl ein (es wird im weiteren Text bei diesem einen bleiben) Name, neben dem von Beatrice, genannt wird, als das auch dieser Name von einer weiteren Dame ist[6]. Den Namen seines "besten Freundes" nennt er nicht, wo doch gerade dieser in einer Autobiographie wichtig wäre. Dies legt den Schluss nahe, dass die Intention Dantes in der Vita Nova nicht im autobiographischen Erzählen liegt.
Neben der Vermittlung durch den Erzähler, findet eine weitere Vermittlung durch die Gattung des Werkes statt. Der Leser nimmt Aussagen und Inhalte von unterschiedlichen Gattungen, in denen das gleiche Sujet auf unterschiedliche Art und Weise dargestellt wird, auch unterschiedlich (intensiv) war. Im Fokus stehen bei Dante der Prosatext und die eingebetteten Lieder. In den 25 Sonetten, vier Kanzonen und der einen Ballade wiederholt Dante in lyrischer Form das, was er zuvor (prosaischer Form) erlebt hat. Wehle spricht von einer "grundlegende[n] Verdopplung des Sprechens"[7]. Der Aussagegehalt der zuvor erlebten Prosa und der wiederaufgreifenden Lyrik unterschiedet sich aber erheblich: Das in Prosa geschilderte ist aussagekräftiger als das, was in lyrischen Formen wiederholt wird. Würde man nur die Sonette, Kanzonen und die Ballade[8] lesen, könnte der Leser die Vita Nova nicht nachvollziehen. Ließe der Leser allerdings die Lieder weg und läse nur den Prosa-Text, ist die Intention ebenso erkennbar, wie das gesamte "libro" (VN, 1). "Mit Hilfe der Prosa führt Dante eine große strukturelle Neuerung in den Minnesang ein: er fügt einzelne Momente der Minne zu einer Geschichte, zu einem 'Roman' zusammen."[9] Außerdem gelingt es Dante dadurch auch, bestimmende Elemente des Romans, nämlich Erfahrung, Erkenntnis und Praxis[10], untersuchend darzustellen. Die Vita Nova wirkt daher eher selbstreflexiv, als dass "nur" die Huldigung der Dame im Vordergrund steht. Dieses ist die Abkehr von den traditionellen Formen des Minnesangs hin zu etwas Neuem, was letzendlich durch die Prosa vollzogen und vermittelt wird.
Zusammenfassend lassen sich folgende Vermittlungsinstanzen feststellen, die auf jeweils unterschiedlichen Ebenen zu finden sind: Zum einen ist es der Erzähler selbst, der dem Leser vermittelt. Dies geschieht durch den erneuernden Gebrauch von Prosa. Durch sie kann Dante seinem Leser seine Erlebnisse schildern. Im eigentlichen Text vermittelt Dante seine Erlebnisse, seine Träume, Visionen und Erfharungen, nicht in Prosa, sondern in Form von Liedern. Sie dienen primär dazu, seinen Freunden diese Erfahrungen mitzuteilen[11] und sind nicht darauf angelegt, dem Leser noch einmal wiederholend zu berichten, was bereits vorher in Prosa verfasst wurde.
Vermittlung durch Amor
Es finden sich neben den schriftlichen Vermittlungsinstanzen auch mündliche. Das Wesentliche in der Vita Nova ist zum einen die Darstellung der Liebe, die Dante für Beatrice empfindet, zum anderen aber auch die Darstellung seiner persönlichen Entwicklung, die Dante erfährt. Das Ergebnis der Entwicklungsphasen kann Dante in Prosa und Poesie schildern, der Weg dahin wird durch seine Träumen und Visionen dargestellt, die hauptsächlich vom Liebesgott Amor geprägt sind.
Literaturproduktion aus der Distanz
Liteaturangaben
Primärliteratur
- Alighieri, Dante (1988): Vita Nova - Das Neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, München: dtv.
Forschungsliteratur
- Auerbach, Erich (1969): Dante als Dichter der irdischen Welt. Berlin: de Gruyter.
- Bachtin, Michail (1989): Formen der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik, Frankfurt a.M.: Fischer.
- Beck, Friedrich (1925): "Über die Wesensähnlichkeit zwischen Beatrice und er 'Donna Gentile' nach Dante's Vita Nova und Convivio". In: Daffner, Hugo (Hrsg.): Deutsches Dante-Jahrbuch. Neunter Band, Weimar: Verlag der Deutschen Dante-Gesellschaft, 68-97.
- Beck, Friedrich (1927): "Die rätselhaften Worte in Dante's Vita Nova". In: Hilka, Alfons (Hrsg.): Zeitschrift für Romanische Philologie 47, Tübingen: Niemeyer, 1-27.
- Bernsen, Michael (2001): Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter. Eine Untersuchung zum Diskurswandel der Liebesdichtung von den Provenzalen bis zu Pertrarca, Tübingen:Niemeyer.
- Davidsohn, Robert (1928): "Beatrice, Simone und Musciattino de' Bardi". In: Schneider, Friedrich (Hrsg.): Deutsches Dante-Jahrbuch. Zehnter Band, Weimar: Hermann Böhlhaus, 1-12.
- Elwert, Wilhelm Theodor (1969): Studien zu den romanischen Sprachen und Literaturen. Band II, Italienische Dichtung und europäische Literatur, Wiesbaden: Franz Steiner.
- Elwert, Wilhelm Theodor (1980): Die italienische Literatur des Mittelalters. Dante, Petrarca, Boccaccio, München: Francke.
- Federn, Karl (1928): "Zur ersten Vision der Vita Nuova". In: Schneider, Friedrich (Hrsg.): Deutsches Dante-Jahrbuch. Zehnter Band, Weimar: Hermann Böhlhaus, 71-75.
- Feldbeck, Christine & Kramer, Johannes (2008): Troubadourdichtung. Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und Kurzgrammatik, Tübingen: Gunter Narr.
- Friedrich, Hugo (1964): Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt a.M.: Victorio Klostermann.
- Goldschmidt, Lothar (1889): Die Doktrin der Liebe bei den italienischen Lyrikern des 13. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation, Breslau: Wilhelm Koebner.
- Hollander, Robert (1980): "Vita Nuova. Dante's Perceptions of Beatrice", in: Studies in Dante. Ravenna, 11-30.
- Kablitz, Andreas (2000): "Die Minnedame. Herrschaft durch Schönheit." In: Neumeyer, Martina (Hrsg.): Mittelalterliche Menschenbilder. Regensburg: Friedrich Pustet, 79-118.
- Kartschoke, Dieter (2001): "Ich-Darstellung in der volkssprachigen Literatur". In: van Dülmen, Richard (Hrsg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien: o.A., 61-78.
- Klemp, Paul J. (1984): "The women in the middle. Layers of love in Dante’s Vita Nuova", in: Italica 61. O.A., 185-194.
- Mazzotta, Guiseppe (): "The Language of poetry in the 'Vita Nuova'". In:
- Mölk, Ulrich (1982): Trobadorlyrik. Eine Einführung, München/Zürich: Artemis.
- Musa, Mark (1973): Dante's Vita Nouva . A Translation and an Essay, Bloomington/London: Indiana University Press.
- Ruediger, Adolf (1913): "Die Frauengestalten in Dantes 'Neuem Leben' und ihre einzig mögliche Bedeutung". In: Muth, Kark (Hrsg.): Hochland. Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst, Band 1, 11. Jahrgang 1913/14, Kempten/München: Köselsche Buchhandlung.
- Schnell, Rüdiger (1985): Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern/München: Francke.
- Schnell, Rüdiger (1991): "Die 'höfische Liebe' als Gegenstand von Psychohistorie, Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Eine Standortbestimmung." In: Stierle, Karlheinz (Hrsg.): Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 23, München: Wilhelm Fink, 374-424.
- Sinowitz, Michael (1905): Schlüssel zu Dante Alighieris Werke. Das neue Leben, Eine Komödie in 5 Abteilungen, Zürich: Clecner.
- Vezin, August (1925): "Dantes Vita nouva als Erlebnis und Dichtung". In: Der Wächter: Monatsschrift für alle Zweige der Kultur, 8. Jahrgang, Wien: Amalthea, S. 228-240.
- Wehle, Winfried (1986): Dichtung über Dichtung. Dantes 'Vita Nova': die Aufhebung des Minnesangs im Epos, München: Wilhelm Fink.
Einzelnachweise
<HarvardReferences />
- [*Kartschoke 2001] Kartschoke, Dieter (2001): "Ich-Darstellung in der volkssprachigen Literatur". In: van Dülmen, Richard (Hrsg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien: o.A., 61-78.
- ↑ Vgl. Wilhelm Theodor Elwert (1980): Die italienische Literatur des Mittelalters. Dante, Petrarca, Boccaccio, München: Francke, 104.
- ↑ Vgl. Duden. Deutsches Universalwörterbuch (Mannheim, 72011), S. 1895.
- ↑ Der Einfachheit halber möchte ich auf den umständlichen Ausdruck "Erzähler-Instanz" verzichten.
- ↑ Elwert (1980), 106.
- ↑ Zitiert wird aus der unter Primärlitratur angegebenen Ausgabe. Im Folgenden werden Passagen aus der Vita Nova mit der Sigle VN zitiert.
- ↑ Warum der Name "Giovanna" noch wichtig ist, wird in einem anderen Artikel erläutert.
- ↑ Winfried Wehle (1986): Dichtung über Dichtung. Dantes 'Vita Nova': die Aufhebung des Minnesangs im Epos, München: Wilhelm Fink, 23f.
- ↑ Diese Gruppe wird im Folgenden nur noch als "Lieder" bezeichnet.
- ↑ Ebd., 19.
- ↑ Vgl. Michail Bachtin (1989): Formen der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik, Frankfurt a.M.: Fischer, 223.
- ↑ Vgl. Wehle (1986), 13: "Minnesang war wesentlich Gruppenlyrik."