Vermittlungsinstanzen in "Vita Nova" (Dante Alighieri, Vita Nova)

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Einleitung

Dante Alighieri beschreibt in seinem Werk Vita Nova seine Liebe zu Beatrice. Das Werk ist bereits in der Hinsicht etwas Besonderes, da Dante seine Erzählung in einem fortlaufenden Prosatext verfasst hat, in den er seine Gedichte, Sonette und Kanzonen, die Beatrice galten, eingebunden hat.[Elwert 1980: 104] Dass Dante aus der Ich-Perspektive schreibt, ist für den damaligen Minnesang, bzw. für den dolce stil novo nichts besonderes, da die meisten Lieder und Gedichte dieser Zeit in Ich-Form verfasst wurden. Doch dieses Personalpronomen Ich ist keinesfalls als Individuum anzusehen, wie Dieter Kartschoke vermerkt: "Das Sänger-Ich ist ein Subjekt, aber es wird nicht individualisiert, sondern durch die immer gleichen und nur unterschiedlich kombinierten und akzentuierten Aussagen generalisiert."[Kartschoke 2001: 67] Dennoch bekommt man bei der Vita Nova den Eindruck, dass es sich um eine reale Biographie handelt. Woher dieser Eindruck kommt, soll in diesem Artikel anhand der Vermittlungsinstanzen untersucht werden.

Vermittlung

Allgemeine Definition

Zunächst einmal muss geklärt werden, was der Begriff "Vermittlungsinstanzen", bzw. "vermitteln" überhaupt bedeutet. Der Duden bringt zahlreiche Synonyme für das Verb zur Auswahl: Zustande bringen, herbeiführen; dafür sorgen, dass jmd. etw., was er anstrebt, bekommt; jmdm. verständlich machen, mitteilen, zeigen.[1] Inweiweit lässt sich dieser Begriff nun aber auf die Vita Nova anwenden?

Vermittlung durch Erzählen

Vermittlung in der Liteatur findet immer dann statt, wenn das Medium Buch seinem Leser etwas mitteilen möchte. Dies geschieht in der einfachsten Form durch den Erzähler. In Dantes Vita Nova vermittelt ein Ich-Erzähler dem Leser das im Buch Geschilderte. Würden wir von der Vita Nova als eine Autobiographie ausgehen, könnte man behaupten, dass die Ich-Instanz der Autor selbst, also Dante[2], ist. Es finden sich aber keine evidenten Beweise, die die Vita nova als Autobiographie belegen würden: "Aber Dante hat absichtsvoll alles allzu Wirklichkeitsnahe fortgelassen, die Namen der Frauen und der Freunde, den Namen der Stadt und sonstige Ortsangaben."[Elwert 1980: 106]. "Absichtsvoll" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Intention Dantes nicht beim Vefassen seiner persönlichen Lebensgeschichte liegt, sondern in der Huldigung Beatrices und dem Dichten an sich: "Er bringt uns kaum ein biographisch brauchbares Datum: alle Ereignisse, alle Gestalten gibt er vom Schleier der Dichtung verhüllt und nur schwer in ihrer geschichtlich-erdenhaften Wirklichkeit erkennbar [wieder]."[Vezin 1925: 238] In der Forschung wird die Vita Nova daher oft als "Gestalt einer - fingierten - Autobiographie"[Wehle 1986: 20] angesehen. Ein Anhaltspunkt dafür wäre die Verwendung von Namen in der Vita Nova:

Italienisch Deutsche Übersetzung
"E poco dopo queste parole, che lo cuore mi disse con la lingua d'Amore, lo vidi venire verso me una gentile donna, la quale era d famosa bieltade, e fue già molto donna di questo primo mio amico. E lo nome di questa donna era Giovanna, salvo che per la sua bieltade, secondo che altri crede, imposto l'era nome Primavera; e così era chiamata." (VN, 24)[3] Und bald nach diesen Worten, die das Herz mir mit Amors Zunge sagte, sah ich eine edle Frau, auf mich zukommen, welche von berühmter Schönheit und einstmals die vielgeliebte Herrin meines besten Freundes war. Und der Name dieser Fau war Giovanna, nur daß ihr, wie mancher glaubt, ihrer Schönheit wegen, der Name Primavera [Frühling] beigegeben war; und so wurde sie gerufen.

Es ist auffällig, dass sowohl ein (es wird im weiteren Text bei diesem einen bleiben) Name, neben dem von Beatrice, genannt wird, als das auch dieser Name von einer weiteren Dame ist[4]. Den Namen seines "besten Freundes" nennt er nicht, wo doch gerade dieser in einer Autobiographie wichtig wäre. Dies legt den Schluss nahe, dass die Intention Dantes in der Vita Nova nicht im autobiographischen Erzählen liegt.
Neben der Vermittlung durch den Erzähler, findet eine weitere Vermittlung durch die Gattung des Werkes statt. Der Leser nimmt Aussagen und Inhalte von unterschiedlichen Gattungen, in denen das gleiche Sujet auf unterschiedliche Art und Weise dargestellt wird, auch unterschiedlich (intensiv) war. Im Fokus stehen bei Dante der Prosatext und die eingebetteten Lieder. In den 25 Sonetten, vier Kanzonen und der einen Ballade wiederholt Dante in lyrischer Form das, was er zuvor (prosaischer Form) erlebt hat. Wehle spricht von einer "grundlegende[n] Verdopplung des Sprechens"[Wehle 1986: 23f.]. Der Aussagegehalt der zuvor erlebten Prosa und der wiederaufgreifenden Lyrik unterschiedet sich aber erheblich: Das in Prosa geschilderte ist aussagekräftiger als das, was in lyrischen Formen wiederholt wird. Würde man nur die Sonette, Kanzonen und die Ballade[5] lesen, könnte der Leser die Vita Nova nicht nachvollziehen. Ließe der Leser allerdings die Lieder weg und läse nur den Prosa-Text, ist die Intention ebenso erkennbar, wie das gesamte "libro" (VN, 1). "Mit Hilfe der Prosa führt Dante eine große strukturelle Neuerung in den Minnesang ein: er fügt einzelne Momente der Minne zu einer Geschichte, zu einem 'Roman' zusammen."[Wehle 1986: 19]. Außerdem gelingt es Dante dadurch auch, bestimmende Elemente des Romans, nämlich Erfahrung, Erkenntnis und Praxis[Bachtin 1989: Vgl. 223], untersuchend darzustellen. Die Vita Nova wirkt daher eher selbstreflexiv, als dass "nur" die Huldigung der Dame im Vordergrund steht. Dieses ist die Abkehr von den traditionellen Formen des Minnesangs hin zu etwas Neuem, was letzendlich durch die Prosa vollzogen und vermittelt wird.
Zusammenfassend lassen sich folgende Vermittlungsinstanzen feststellen, die auf jeweils unterschiedlichen Ebenen zu finden sind: Zum einen ist es der Erzähler selbst, der dem Leser vermittelt. Dies geschieht durch den erneuernden Gebrauch von Prosa. Durch sie kann Dante seinem Leser seine Erlebnisse schildern. Im eigentlichen Text vermittelt Dante seine Erlebnisse, seine Träume, Visionen und Erfharungen, nicht in Prosa, sondern in Form von Liedern. Sie dienen primär dazu, seinen Freunden diese Erfahrungen mitzuteilen[6] und sind nicht darauf angelegt, dem Leser noch einmal wiederholend zu berichten, was bereits vorher in Prosa verfasst wurde.

Vermittlung durch Amor

Es finden sich neben den schriftlichen Vermittlungsinstanzen auch mündliche. Das Wesentliche in der Vita Nova ist zum einen die Darstellung der Liebe, die Dante für Beatrice empfindet, zum anderen aber auch die Darstellung seiner persönlichen Entwicklung, die Dante erfährt. Das Ergebnis der Entwicklungsphasen kann Dante in Prosa und Poesie schildern, der Weg dahin wird durch seine Träumen und Visionen dargestellt, die hauptsächlich vom Liebesgott Amor geprägt sind.


Literaturproduktion aus der Distanz

Liteaturangaben

Primärliteratur

  1. Alighieri, Dante (1988): Vita Nova - Das Neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, München: dtv.

Einzelnachweise

Nachweise aus der Forschungsliteratur

<HarvardReferences />

  • [*Bachtin 1989] Bachtin, Michail (1989): Formen der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik, Frankfurt a.M.: Fischer.
  • [*Elwert 1980] Elwert, Wilhelm Theodor (1980): Die italienische Literatur des Mittelalters. Dante, Petrarca, Boccaccio, München: Francke.
  • [*Kartschoke 2001] Kartschoke, Dieter (2001): "Ich-Darstellung in der volkssprachigen Literatur". In: van Dülmen, Richard (Hrsg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien: o.A., 61-78.
  • [*Vezin 1925] Vezin, August (1925): "Dantes Vita nouva als Erlebnis und Dichtung". In: Der Wächter: Monatsschrift für alle Zweige der Kultur, 8. Jahrgang, Wien: Amalthea, S. 228-240.
  • [*Wehle 1986] Wehle, Winfried (1986): Dichtung über Dichtung. Dantes 'Vita Nova': die Aufhebung des Minnesangs im Epos, München: Wilhelm Fink.

Anmerkungen

  1. Vgl. Duden. Deutsches Universalwörterbuch (Mannheim, 72011), S. 1895.
  2. Im Folgenden soll in der Notation folgendermaßen zwischen Dante als Autor "Dante" als Figur in der Vita Nova unterschieden werden.
  3. Alle Textpassagen werden aus der unter der in der Primärliteratur genannten Ausgabe zitiert. Die deutschen Übersetzungen stammen ebenfalls aus dieser Ausgabe. Im Folgenden werden die Nachweise aus der Primärliteratur mit der Sigle VN und dem entsprechenden Kapitel zitiert.
  4. Warum der Name "Giovanna" noch wichtig ist, wird in einem anderen Artikel erläutert.
  5. Diese Gruppe wird im Folgenden nur noch als "Lieder" bezeichnet.
  6. Vgl. Wehle (1986), 13: "Minnesang war wesentlich Gruppenlyrik."