Genres: Büchlein (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)

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Unter den gesonderten Formtypen im „Frauendienst“ Ulrichs von Liechtensteins neben den Briefen und Liedern stellen drei Büchlein in Reimpaarversen im Umfang von 387, 393 und 379 Versen das ausführlichste selbständige Genre in diesem höfischen Roman. Inhaltlich werden in ihnen ,Ulrichs' Minnebotschaften und Bitten an die Dame gerichtet, die in der aufwendigen Form des Dialogs mit dem personifizierten Brief als Bote im ersten, mit der Minne im zweiten sowie mit dem Herzen und dem Sinn im dritten Büchlein eingeleitet. Die Gattung der Büchlein, wie die der Briefe, ist ausschließlich auf den ersten Minnedienst konzentriert.

Definition

Matthias Lexer überträgt das mittelhochdeutsche „bouchelîn, büechelîn, büechel“ mit den Begriffen „kleines lehrendes oder erzählendes gedicht; gereimtes liebesgedicht“ und „gerichtl. protokoll“ in der Bedeutung des Neuhochdeutschen. [Lexer 1992: S. 31] Hendricus Sparnaay semantisiert das „Büchlein“ als „Minnenallegorie“ oder „Rede“, es sei ein längerer gereimter Liebesbrief, wobei der Brief ein Schriftstück didaktischer Art und der Liebesbrief gewöhnlich lyrischer Natur ist. [Spaarnay 1958: S. 197] Das älteste bekannte Büchlein wurde 1170-1180 in alemannischer Mundart gedichtet und stellt eine ritterliche Tugendlehre dar: „Die vom Dichter des Heimlichen Boten vertretene Minneauffassung hält die Mittte zwischen der vorhöfischen der Kaiserchronik und der des älteren Minnesangs. Das Gedicht enthält Liebesregeln für Damen und für Ritter.“ [Spaarnay 1958: S. 197] Auch von Hartmann ist ein Büchlein überliefert, das in der Selbstbezeichnung eine „Klage“ ist und in dem, im Mittelalter beliebten, Gewand des Streitgesprächs zwischen Leib und Herz gestaltet ist. In der „Minne Fürgedanc“, das aus derselben Zeit wie „Frauendienst“ stammt, findet sich eine Tugendlehre und ist auch ähnlich wie bei Ulrich in zwei Abschnitte gegliedert: Minnenallegorie und Briefsteller.

Genremerkmale

Alle drei Büchlein im „Frauendienst“ bilden sich im Erzählfortgang aus einer Sachlage gescheiterter Kommunikation zwischen ,Ulrich' und der Dame 1 heraus und sind inhaltlich, ähnlich wie Briefe, mit dem Geschehen verknüpft. Die in ihnen schriftlich fixierten Botschaften werden durch Boten, die sie überbringen, mündlich ergänzt und beeinflussen Handlungen der beteiligten Figuren. „[D]ie ersten beiden Büchlein reichen außerhalb das Tableau der Kommunikationsmodi an, indem sie in ihrer dialogischen und körperbetonten Ausgestaltung die mündliche Sprechsituation sowie die Nähe der Körper im Raum in den Text des Büchleins einzuschreiben suchen.“ [Kellermann 2009: S. 233]

Medialität der Büchlein

Da sich ,Ulrich' als ein Analphabet präsentiert, wird von ihm ein Helfer eingeführt, „der mir min heinlich [sic!] brieve las/ und ouch min heimlich ofte schreip“ (FD 169). So liegt es nahe, dass die Figur des Ritters alle seine Büchlein diktieren lässt. Wie vor den Briefen und den meisten Liedern ergeht an die Rezipienten der Appell den Inhalt auditiv zu rezipieren und so wird im Lesevorgang eine mündlicher Vortrag inszeniert. Die Art der Interaktion ist in den Büchlein eine anderere, als in den Briefen, denn die Botschaft wird durch die Einführung (fiktiver) Charaktere wesentlich komplexer: Durch das einleitende Gespräch ist die Sprechsituation objektiviert und entindividualisiert sowie mittels der ,Autorität' seiner Dialogpartner (Bote, Minne, Herz und Sinn) wird der Minne-Appell intensiviert.

1. Büchlein

In den Versen 1-234 personifiziert ,Ulrich' das Büchlein als Bote und redet es mit „du“ an, wobei sein Gesprächspartner antwortet. Das Schriftstück soll als Bote die Gunst der Dame 1 erwirken und zwar mittels höfischer Sprachstandards: „Dins gelückes walde got,/ vil kleines puoch, getriuwer bot,/ daz du saeliclich gevarst/ und din zuht wol bewarst/ mit rede als ein man ze hove sol!“ (FD 1. Büchlein 1-5). Das gute Benehmen des ,Boten' würde sowohl Ulrich, als auch dem Büchlein nützen: „und kanstu da geparen wol,/ des han ich frum, du ere/ ane zwivel immer mere.“ (FD 1. Büchlein 6-7), außerdem wird der beschriftete ,Bote' [1] seine Angebetete erblicken, wenn er sie richtig anschaut. Er soll der Dame sagen und nicht verschweigen „mins gernden willen, den ich trage/ gegen ir genaden mange tage,/ und daz ich uf ir genaden gewin/ ir ritter immer gerne bin.“ (FD 1. Büchlein 61-64). Das Büchlein verspricht dies zu tun und sorgt sich gleichzeitig auf Grund seiner „unhöfischen“ Art zum Gespött zu werden (FD 1. Büchlein 107-109), außerdem fragt es sich wie es der Dame die Hand reichen soll, ohne ein Mann zu sein und auch dann könnte es dies nicht tun, weil es niemand wissen soll (FD 1. Büchlein 110-117). Darüber hinaus sorgt sich der ,Bote' um seinen Körper, falls die Dame erzürnt sein soll: „wan zürnet si die botschaft,/ si hat den gewalt und ouch die kraft,/ (so wol erkenne ich vrowen zorn)/ daz ich daz leben han verlorn./ sie gepieutet über mich zehant/ in ir zorn, daz ich verbrant/ werde uf einem roste./ wer chumt mir da ze troste?/ oder mir geschiht zu liden/ von ir ein solhez sniden,/ daz nimmer geheilet. Baz dann gevierteilet,/ klein als daz in der sunne vert/ ist mir vil liht alda beschert“ (FD 1. Büchlein 110-131). Sollte die Dame positiv auf die Botschaft reagieren, erwartet das Büchlein eingesperrt zu werden, worauf ,Ulrich' diese Sorgen zu zerstreuen sucht: „ez wirt dir erboten daz/ danne ob du waerst des keisers kint - / so rehte groz ir tugent sint.“ (FD 1. Büchlein 157-159), denn „wer solde ruch in den tot/ sinen lieben boten senden?“ (FD 1. Büchlein 149-150). Der Minnende gebietet dem Büchlein zudem unbedingt zu verschweigen, dass der Ritter gerne mit dem ,Boten' tauschen würde, um nahe bei der Dame zu sein und ihr ein Küsschen zu stehlen. Selbst zu fahren ist es ,Ulrich' nicht möglich, so ziehen sein Herz und seine Sinne mit, wobei, wenn der „tumbe gedanc“ zu „deheinen kranc“ verleitet werden sollte, soll der ,Bote' dies in seinem Bericht verheimlichen (FD 1. Büchlein 200-223). Anschließend steht die eigentliche Botschaft aus der Sicht des Büchleins (FD 1. Büchlein 234-322), die dann aus ,Ulrichs' Perspektive wiederholt wird (FD 1. Büchlein 323-387), mit der Bitte um die Gunst der Dame, der entsprechenden Argumentation mit der Wahrheitsbeteuerung in der 3. Ps.: „daz weiz er wol, dem niemen niht geliegen mac.“ und der Bitte um Antwort.


Durch die Gestaltung eines imaginierten Raums im Medium der Schrift werden das Ineinandergreifen der medialen Vermittlung der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit thematisiert – Ulrich möchte durch den Mund des Büchleins sprechen und erwartet eine (mündliche?) Botschaft der Dame, wiederum empfangen durch den Mund seines schriftlichen ,Boten'. Gleichzeitig wird die Körperlichkeit im Medium der Schrift<ref>Das umgekehrte Verhältnis von Körper und Schrift, d. h. das Einschreiben in den Körper, wurde in der mittelalterlichen Geistlichkeit zum transzendentalen Ereignis. Früh- und hochmittelalterliche Exegeten formulierten die unbefleckte Empfängnis als einen Schreibakt: „Marias unbefleckten Schoß habe Gott als Schreibstoff benutzt, den Heiligen Geist als Schreiber. […] In der Menschwerdung hatte Gottes Wort leibhaftige Gestalt angenommen.“ Sogar der gemarterte Körper Christus nach der Passion, genauer seine Haut, wurde als Schrift-Material (Urkunde) aufgefasst und sein Leben als das erste Evangelium angesehen. Er habe: „die geschrifft der chlainen swarzen pouchstaben [litterae minores et nigrae] gehabt. [Die] groszen roten puochstaben [litterae rubeae et capitales] bedewttent die wunden, die im mit den nageln und sper durch seinen heyligen leichnam gestochen wurden. […] punckt und stricklein der virgeln [puncta et virgulae] die loechlein durchstochen mit der durneyn kron […].“ Aus: Schreiner, Klaus: „Göttliche Schreibkunst“. Eigenhändige Aufzeichnungen Gottes, Jesu und Mariä. Schriftlichkeit in heilsgeschichtlichen Kontexten. In: Frühmittelalterliche Studien 36 (2002). S. 116. und zit. nach Küsters, Urban: Narbenschriften. Zur religiösen Literatur des Spätmittelalters. In Müller, Jan-Dirk/ Wenzel, Horst (Hg.): Mittelalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent. Stuttgart/ Leipzig 1999. S. 84. Zit. nach ebd. S. 116.<ref> und auch in der Übermittlung durch den ,Boten' problematisiert: ,Ulrich' selbst ist es unmöglich seiner Angebeteten nahe zu sein, so personifiziert er das Büchlein zum Boten, der sich, wie ein Mensch, um seine körperliche Unversehrtheit sorgt. Die zu erwartenden Strafen (verbrannt, zerschnitten, gevierteilt oder eingesperrt werden) sind im Mittelalter übliche Strafen an Menschen. Durch die Art der Bestrafung und auch durch die Emotion der Angst gewinnt das Büchlein, neben der individuellen Anrede, an persönlichen Zügen. Durch diese narrative Mittel wird der Wunsch des Ritters, den Platz des Büchleins einzunehmen, vorstellbar, da der Sender und der Bote beide als Subjekte inszeniert sind. Doch sie sind in ihrer körperlichen Beschaffenheit verschieden: Während das Büchlein der Dame die Hand nicht reichen kann, da es kein Mann ist, könnte ,Ulrich' dieser Frau ein Küsschen stehlen. Da aber beide körperlichen Annäherungen nicht dem höfischen Kodex (=Buch) entsprechen würden, könnte dieser Minnedienst in Gefahr sein und sogar abgelehnt werden, somit ist die schriftliche Botschaft die beste Kommunikationsart für den Minnenden.


Auch außerhalb des Büchlein-Textes ist die Körperlichkeit präsent: Der reale Bote teilt der Dame mit, dass das Büchlein als Stundenbuch für die Nacht bestimmt ist (FD 162). Wenn aber das Medium, wie dargelegt, auf einer abstrakten Ebene mit der körperlichen Präsenz von Ulrichs Körper aufgeladen ist, ist der Ritter auf dieser Ebene seiner Dame körperlich nah in den Abendstunden. Dadurch erfährt das Medium erotischen Mehrwert – einerseits ,lagert' Ulrich seinen ,Körper' in den Gemächern der Dame, andererseits dient ihm das zurückgesandte Büchlein als Liebessurogat (er trägt es bei sich, als er auf seinen Schreiber wartet, der ihm den Inhalt der Botschaft vorliest) und steht in der Tradition des Liebespfandes. [Kellermann 2009: S. 225-226] Auch die Ursache für die Produktion des Büchleins ist körperlicher Natur, da Ulrichs (körperliche) Redefähigkeit beim ersten Treffen versagt, soll nun die Schrift sprechen.


2. Büchlein

Der Inhalt des 2. Büchleins gibt den Dialog Ulrichs mit Minne wider, eine direkt an die Dame adressierte Botschaft ist nicht präsent; das Anliegen des Ritters leitet den Text ein (FD 2. Büchlein 1-136). Er fragt sie um Rat und beschwert sich, dass sie ihn so lange vernachlässigt habe: „wie rehte nahen es mir gat,/ daz du mir so lange vrist/ vremde und also verre bist/ mit tröstlicher lere/ und doch mit herzen sere/ mir also rehte nahen list/ und mir niht wan chumber gist!“ (FD 2. Büchlein 1-8). Außerdem verdiene er ihren Lohn für das lange Dienstverhältnis – ein Heide würde besser umsorgt als er (FD 2. Büchlein 20-25). Ulrich hat vor seiner Herrin ein neues Büchlein zu senden, das er wieder als „den cleinen gefüegen boten min“ (FD 2. Büchlein 30) bezeichnet. Er bittet Minne den Botschafter auf seinem Weg zu begleiten, denn er erkennt den wahren Grund für die bisherige Zurückweisung durch die Dame 1 – die Minne hat seinen letzten ,Boten' im Stich gelassen: „do lieze du in under wegen,/ da von ist da nider gelegen/ diu botschaft umb alle min ere.“ (FD 2. Büchlein 47-49), so dass der ,Bote' und die Botschaft ganz fürchterlich verschmäht wurden. Außerdem wurde die Materie des ,Boten' stark angegriffen, als er die Botschaft der Dame im 1. Büchlein in sich empfing: „er het ez so tiwer/ erarnet in dem fiwer/ daz er were al gar verbrant,/ wan daz er miner vrowen hant/ vil niuwens het gerüret.“ (FD 2. Büchlein 112-116). Schließlich bittet Ulrich Minne erneut um Rat und Gott um Hilfe. Minne antwortet ihm (FD 2. Büchlein 137-211) und gibt ihm den Rat treu und beständig zu sein: „bezzer kere und bezzer kunst,/ bezzer rat und bezzer sinne/ zerwerben werde minne,/ diu was ie vil unvernomen.“ (FD 2. Büchlein 148-151). Weiter sagt sie, dass die Klage über den Boten unangebracht sei, denn es gäbe so viele Boten. Man solle einen Mittler schicken, der nicht betrügt und auch Ulrich selbst soll nicht lügen und nicht schmeicheln: „da bi la dir verboten sin/ liegen und smeichen./ des pflegent die moutes weichen,/ da mit solt du niht werben.“ (FD 2. Büchlein 205-208). Ulrich erwidert, dass ihm nichts ferner läge, als zu betrügen. Er bittet die Minne ihm seine Auserwählte zu gestatten, damit die Dame ihn wie einen Waisen trösten kann. Dafür schickt er seinen abgeschlagenen Finger als Pfand, den er im Minnedienst von seiner dienenden Hand geopfert hat (FD 2. Büchlein 266-284). Ulrich bittet die Minne erneut seinen ,Boten' zu begleiten und ihm zu helfen. Sie verspricht ihn zu unterstützen, allerdings redet sie im Konjuktiv: „Gout ritter, friunt, gelobe daz:/ kund ich dir wol gehelfen baz,/ dann ich gehalf noch ritter ie,/ der sich mit dienste an mich lie,/ daz tet ich dir mit triuwen gar.“ Weiter fährt sie im Indikativ fort, gelobt seinem ,Boten' beizustehen und beschreibt die höfischen Tugenden (FD 2. Büchlein 341-367). Anschließend verspricht Ulrich sowohl der Minne, als auch seiner Angebeteten zu dienen.

Fazit

Anmerkungen

[1] Das umgekehrte Verhältnis von Körper und Schrift, d. h. das Einschreiben in den Körper, wurde in der mittelalterlichen Geistlichkeit zum transzendentalen Ereignis. Früh- und hochmittelalterliche Exegeten formulierten die unbefleckte Empfängnis als einen Schreibakt: „Marias unbefleckten Schoß habe Gott als Schreibstoff benutzt, den Heiligen Geist als Schreiber. […] In der Menschwerdung hatte Gottes Wort leibhaftige Gestalt angenommen.“ Sogar der gemarterte Körper Christus nach der Passion, genauer seine Haut, wurde als Schrift-Material (Urkunde) aufgefasst und sein Leben als das erste Evangelium angesehen. Er habe: „die geschrifft der chlainen swarzen pouchstaben [litterae minores et nigrae] gehabt. [Die] groszen roten puochstaben [litterae rubeae et capitales] bedewttent die wunden, die im mit den nageln und sper durch seinen heyligen leichnam gestochen wurden. […] punckt und stricklein der virgeln [puncta et virgulae] die loechlein durchstochen mit der durneyn kron […].“

Aus: Schreiner, Klaus: „Göttliche Schreibkunst“. Eigenhändige Aufzeichnungen Gottes, Jesu und Mariä. Schriftlichkeit in heilsgeschichtlichen Kontexten. In: Frühmittelalterliche Studien 36 (2002). S. 116. und zit. nach Küsters, Urban: Narbenschriften. Zur religiösen Literatur des Spätmittelalters. In Müller, Jan-Dirk/ Wenzel, Horst (Hg.): Mittelalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent. Stuttgart/ Leipzig 1999. S. 84. Zit. nach ebd. S. 116.

Bibliographie

Primärliteratur

Ulrich von Liechtenstein: Frauendienst. Hg. v. Viktor Spechtler. Göppingen 1987 (zitiert als FD).

Sekundärliteratur

<HarvardReferences />

  • [*Kellermann 2009] Kellermann, Karina: Kommunikation und Medialität. Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst als mediales Labor. In: Linden, Sandra/ Young, Christopher (Hgg.): Ulrich von Liechtenstein. Leben – Zeit – Werk – Forschung. Cambridge/ Tübingen 2009.
  • [*Lexer 1992] Lexer, Matthias: „bouchelîn, büechelîn, büechel“. In: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch in der Ausgabe letzter Hand. 2. Nachdruck der 3. Auflage von 1885. Stuttgart 1992.
  • [*Spaarnay 1958] Spaarnay, Hendricus: „Büchlein“. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte Bd. 1. Berlin 1958.