Genres: Lied (Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst)
Das Lied ist die mit Abstand meist frequentierte Sondergattung in Ulrichs von Liechtensteins „Frauendienst“. Zählen die Briefe sieben und Büchlein drei Texte, sind es bei den Liedern, berücksichtigt man den Leich in dieser Kategorie, 58 Einlagen des Romans. Diese sind wiederum in weitere Formen gegliedert: Sing-, Tanz-, zwei Reiselieder, ein Tagelied, lange Weise, ein Reie als Tanzlied, Lieder (wahrscheinlich Minnelieder) und der Leich, die im überlieferten Text auch so betitelt werden. Die Lieder sind durchgehend als Ganzes und als eigenständige Formen extra nummeriert, die Zählung der letzteren wurde allerdings nicht konsequent eingehalten. Funktionell betrachtet könnten weitere Gattungsbezeichnungen in Betracht gezogen werden, wie z. B. Schelt-, Klage- und Dialoglieder (Wechsel). Das Genre erstreckt sich über den ganzen Roman und tritt im zweiten sogar wesentlich häufiger auf, als im ersten Teil. Dies unterscheidet das Lied vom Brief und Büchlein, die sich ausschließlich auf den ersten Dienst konzentrieren. Eines der Lieder fand sogar Einlass in das berühmte Stück „Jedermann“ Hugo von Hoffmanthals [Rölleke 2000: S. 83], und zwar die letzte Strophe des 7. Liedes. [Mertens 2009: S. 532].
Definition und Genremerkmale
Der Begriff „Lied“ ist gemeingermanisch belegt und ist sowohl im Gotischen mit liupon (lobsingen), im Angelsächsischen mit leóð, im Altnordischen lióð oder im Althochdeutschen liod anzutreffen: „Im Bereich der mhd. Lyrik bezeichnet liet die einzelne gesungene Strophe; im Plural (diu liet) wird das Wort zur Benennung mehrstrophiger Gebilde verwendet: driu liet etwa meint ein dreistrophiges Gedicht, eine Strophenreihe.“ [Brunner 2007: S. 421] Die Gebrauchsweise im Singular gilt dagegen häufig als „Bezeichnung für die Gesamtheit eines Werkes in Strophen“ (vgl. der Nibelunge liet). Wann genau der Bedeutungswandel zum neuzeitlichen Verständnis eingesetzt hat, ist nicht bekannt. [Brunner 2007: S. 421] In der Literaturwissenschaft wird das Genre als eine Sonderform des Gedichtes, die die Singbarkeit imitiert, definiert und ist in allen schriftlich belegten literarischen Epochen anzutreffen: „Als besondere Art der lyrischen Dichtungen ist es die schlichteste, in der das Gefühl sich unmittelbar ausspricht, das ganz durchformt ist vom Rhythmus der jeweiligen Gestimmtheit.“ [Kayser 1961: S. 135] Für die strophischen Texte mit meist geringem Inhalt resultieren Untergruppen aus „Themen (z. B. Geistliches Lied, Liebeslied), Form (z. B. Strophenlied), Träger (z. B. Studentenlied, Gemeindelied), Funktion (z. B. Jagdlied, Trinklied, Zeitungslied) oder aus der Überlagerung mehrerer dieser Kategorien (z. B. Kirchenlied, Kinderlied, Wiegenlied).“ [Brunner 2007: S. 420-421] Neben dem literaturwissenschaftlichen ist es auch ein musikwissenschaftlicher Begriff – diese zwei Perspektiven versucht Kurt Gudewill zusammenzubringen: „„Vom Text her gesehen“ sei das Lied bestimmt durch „kleine Dimension“, „lyrischen Inhalt“, Strophigkeit und eine Sprachmelodie, die Sangbarkeit begründe. „Von der Musik her gesehen“ seien es „solche Kompos[itionen] strophischer Texte, die sich eng an den Aufbau des Gedichtes anlehnen““ [Gudewill: Sp. 746], [Brunner 2007: S. 421]. Neben der unklaren Definition ergeben sich Schwierigkeiten übergreifende strukturelle Merkmale für das Genre zu bestimmen. Dass man sich bei den meisten Liedern im „Frauendienst“ im Bereich der Lyrik, und zumeist in dem der Minnelyrik, bewegt, scheint offensichtlich (mit wenigen Ausnahmen). Doch im Umfang und in der Verszahl innerhalb der Strophe ist keine strukturelle Konsequenz festzustellen. Da die Gepflogenheiten der mittelhochdeutschen Betonung der Wörter fern sind, wird die Bestimmung des Versfußes uneindeutig bleiben müssen. Hubert Heinen geht in seinem Aufsatz über Ulrichs Genres vom daktylischen Metrum für Lieder im Roman aus, wenn er schreibt, dass das 2. Reiselied nicht im Daktylus, so wie viele andere, verfasst seien: „Charekteristic, however, is the absence of the tripartive strophic strukture alsmost all of the other songs exhibit and the presence in it's place, of what may be a long-short pattern.“ [Heinen 1986: S. 25]
Minnelyrik im Frauendienst
Im Hochmittelalter gewinnt die volkssprachige Lyrik Westeuropas das Niveau und die gesellschaftliche Bedeutung, um schriftlich festgehalten zu werden. Zudem wäre die Ausgestaltung der immer komplexer aufgebauter Literatur, wofür der „Frauendienst“ ein gutes Beispiel ist, ohne schriftliche Fixierung nicht möglich gewesen. Als beliebtestes und scheinbar ausschließliches Thema erscheint die Minne: „Die Liebe und die eigene Haltung dem Geliebten gegenüber werden durch den Einfluß dieser Poesie zum ersten Mal seit der Antike – und auch da ist manches nicht vergleichbar – zu einem annehmbaren und darstellenswerten Thema der Literatur, das in der Lyrik alle anderen Themen überschattet.“ [Johnson 1999: S. 45] Eine weitere Besonderheit poetischer Dichtung dieser Zeit in Frankreich und Deutschland, ist, dass sie als das Werk von namentlich genannten Individuen auftritt. Formal wurden Reim, Alliteration, Takt und Rhythmus verwendet, doch sind sie in seiner Funktion nicht mit der in der modernen Lyrik vergleichbar, sondern dienen der Struktur und der Argumentation, denn „Spruch und Minnelied diskutieren eher, als daß sie evozieren: sie sind ausgesprochen diskursive Gedichttypen“ [Johnson 1999: S. 46]. Über die Aufführung der ,sangbaren Gedichte' wird im „Frauendienst“ berichtet – zumeist werden die Lieder öffentlich vorgetragen: „solche Öffentlichkeit scheint auf den ersten Blick der Pflege eines „subjektiven Empfindens“ nicht eben förderlich zu sein. Trotz aller Konventionalität, seiner gesellschaftlichen Funktion und der öffentlichen Aufführungsweise p r ä s e n t i e r t aber das Minnelied seinen Inhalt als individuelles Erlebnis.“ [Johnson 1999: S. 47]. Die Lieder im Frauendienst stellen einen Sonderfall in der deutschen mittelalterlichen Literatur dar: Der Roman ist wohl der einzige, der die Lyrik mit der Epik in der Tradition der romanischen vidas und razos verknüpft (vgl. Dantes „Vita Nova“), die oft „den jeweiligen Minnesänger in einer Rolle darstellen, die entweder allgemein den Inhalt seiner Lieder thematisiert oder eine bestimmte Episode aus einem Lied herausgreift und eine als den Minnesänger erkennbare Figur in sie hineinversetzt.“ [Johnson 1999: S. 66]. Besonders im 2. Dienst überwiegt die Lyrik, die vom Erzähler vermehrt episch kommentiert wird. Laut Karina Kellermann bildet die Narration „den Rahmen für eine komplexe Reihung von Situationen, welche die Lieder [...] in Kontexte setzen, [was] die Forschung [dazu] bewogen [hat], den Text als kulturgeschichtliche Quelle für Entstehung, Aufführung, Verbreitung und Rezeption von Minnelyrik zu lesen.“ [Kellermann 2009: S. 234]. Jürgen Ruben erwägt in seiner Dissertation über die Sonderformen im „Frauendienst“, dass Ulrich eine biographisch-chronologische Sammlung der Lieder, Briefe und Büchlein vorlag, auf welcher der Autor seine Narration aufbaute [Ruben 1969: S. 47], was im Abschnitt Bedeutung der Genres im Gesamtkontext näher erläutert wird. Trotz der häufigen Frequenz der Lieder ist ein auffällig langer Abschnitt in der Erzählung (FD 427-1100) ohne Liedeinlagen, lediglich das 2. Büchlein und die letzten zwei Briefe ,unterbrechen' den epischen Modus. Wie auch bei den zwei anderen Genres, ergeht der Appell des Erzählers zum Zuhören des Liedes an die Rezipienten: „nu hort diu liet, diu sprechent so.“ (FD 110, 8) und oft wird die innerdiegetische Aufnahme ihrer wiedergegeben. Wie für die gesamte mittelhochdeutsche Lyrik, gilt für den „Frauendienst“, dass die begriffliche Bestimmung der Liedtypen durch verschiedene Faktoren gestört wird: „Erstens die Tatsache, daß in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die deutsche Lyrik zunehmend unter Einfluß der romanischen gerät; zweitens, daß die deutschen Dichter kein offensichtliches Bezeichnungssystem für die Liedtypen besitzen; drittens die Schwierigkeit, angesichts dieser fehlenden Terminologie deutsche Liedtypen zu erkennen oder zu benennen.“ [Johnson 1999: S. 47] Daher wird hier davon ausgegangen, dass Ulrich den meisten vorhandenen Lieder die jeweiligen Titel gab, die er jeweils in der Narration funktional gebraucht hat.
Liedtypen im Frauendienst [1]
tanzwise
Lied Nr.: 1, 2, 4, 5, 6, 8, 10, 12, 13, 14, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 37 Die ersten zwei Lieder gehören der Untergattung Tanzlied an, es ist die Form des Lieds im „Frauendienst“, die am häufigsten vorkomme und sich überwiegend auf den 1. Dienst konzentriert; nur fünf Tanzlieder treten im 2. Dienst ganz am Anfang auf. Am Tanzlied wird die inkonsequente Nummerierung der jeweiligen Liedtypen deutlich: Das 12. Lied würde das 8. Tanzlied ergeben, wird aber als das 27. Tanzlied bezeichnet. Es ist möglich, dass Ulrich die Bezifferung und auch die Betitelung der Lieder nicht intendiert hat, sondern diese von späteren Editoren hinzugefügt wurden bzw. war es Ulrich auf Grund seines potentiellen Analphabetismus nicht bewusst. [Heinen 1986: S. 20] Den Typ „Tanzlied“ führt Heinen auf die eigens vom Dichter eingeführte Innovation zurück [Heinen 1986: S. 20], dessen Charakter für das Auditorium wahrnehmbar war auch ohne verbale Hinweise darauf, wofür möglicherweise die Art der Melodie oder des Rhythmus in der Vortragssituation mit dem Effekt der Freude verantwortlich waren. „The recurrence of tanzwise legitimizes it as a typical, if not a generic term, as does the probable ordering principle reflected in the numbering of the dance songs.“ [Heinen 1986: S. 21-22] Die Themen der Tanzlieder sind verschiedenster Art: Vom Frauenlob (1), Naturlyrik und Hoffnung (4), Gespräch mit der Minne (10), über Sehnsuchtsklage (13), allgemeine Überlegungen über die Minne (19) und Zorn über den missglückten Dienst (21), den Anruf an das Hochgefühl (32) über die Freude bzgl. der erfolgten Minne (37).
reie
Lied Nr. 29. Der Reie ist eine Untergattung des Tanzliedes in Ulrichs Roman und dürfte ihm als die zu seiner Zeit tatsächlich existierende Gattung für ein Tanzlied bekannt gewesen sein. Damit stellt sich der Dichter in die literarische bzw. gesellschaftlich praktizierende Tradition. +Beschreibung Erotik#
langiu wise
Lied Nr. 3, 15 Das Lied 3 wird zusammen mit dem 1. Büchlein von ,Ulrich' zur Dame 1 durch den Boten gesandt. Darin wendet sich das lyrische Ich an die Angebetete, berichtet von seiner Treue, wozu sein Herz ihm riet, und dass er sich von der niederen Minne nicht wird beherrschen lassen. Im Lied 15, kurz vor der Scheidung aus dem 1. Dienst spricht das lyrische Subjekt alle Frauen an und bittet um Rat sowie klagt seine Sehnsuchtsnot im Herzen. Die langiu wise ist im Umfang nicht länger, als die anderen Lieder: „[...] there is no reference to the form in the song's introduction, seems, if anything, rather short. Perhaps the name refers to a melody without repetitions or clear internal division. Although the term recurse, it need not refer to a fixed type of genre, since it is so evedently descriptive.“ [Heinen 1986: S. 24]
sincwise
Lied Nr. 7, 9, 11, 18 Das Lied 7 ist eine Ode an die Freude sowie feurige Leidenschaft und Hofmannsthal nutzte die letzte Strophe dieses Textes für seinen „Jedermann“: Owe, owe frowe Minne,/ mir ist we,/ nu grif her, wie sere ich brinne!/ chalter sne/ müeste von der hitze brennen,/ diu mir an dem Herzen lit./ chanstu, Minne, triuwe minnen,/ so hilftestu mir enzit. (vor FD 359) („Oh weh, oh weh, Frau Minne,/ mir ist weh,/ nun greif her, wie sehr ich brenne!/ Kalter Schnee/ müßt von der Hitze brennen,/ die in meinem Herzen ist./ Kannst du, Minne, treulich minnen,/ so hilfst du mir sehr bald.“) Im 9. wird der Mai und die hohe Minne besungen, im 11. wendet sich das lyrische Ich an die Minne und an die Damen mit guten Wünschen und dem Ausdruck der Hoffnung. Das 18. Lied ist wiederum innerdiegetisch vor der Trennungsphase von der 1. Angebeteten platziert; darin wird von der Vorsichtigkeit der Frauen, und eben jene seiner Herrin, berichtet. Möglicherweise scheint hier eine leise Kritik an der übervorsichtigen Dame durch. Heinen überlegt, ob „sincwise“ eine Lehnübersetzung von canso oder chanson darstellt und ebenso wie die „tanzwise“ eigens von ihm in die deutsche Lyrik eingeführt wurde, allerdings hat sich der Terminus nicht durchgesetzt. Die aus der romanischen Literatur eingeführte Kanzone hat die Liebe zum Hauptthema; die Strophenform ist zwei- oder dreiteilig: Der erste Teil, der Aufgesang, besteht aus zwei Teilen, die in Verszahl, Reimschema und metrischem Muster identisch sind. Vermutlich bedeutet die gleiche Metrik die gleiche Melodie (mhd. diu wise). Im zweiten Teil der Strophe, dem Abgesang, wird ein neues Reimschema und eine neue Versstruktur gebildet. Manchmal können metrische Teile des Aufgesangs im Abgesang auftreten, die Wiederholung der Versstruktur bedeutet wohl wiederum dieselbe Melodie. „Anspielungen auf den Tanz […] legen es durch Inhalt, Rhythmik und manchmal durch refrainartige Elemente nahe, daß Lieder, vielleicht gerade d i e s e Lieder, zum Tanz gesungen wurden.“ [Johnson 1999: S. 68] Der Melodiewechsel ist als Signal für den Tanzfigurenwechsel denkbar.
uzreise
Lied Nr. 16, 38 Das erste Reiselied tritt nach der Scheidung aus dem 1. Dienst erstmal auf, nach dem sich Ulrich von seiner Trauer bereits befreit hat (FD 1351) direkt nach dem Lied 15 (lanc wise) ohne epische Überleitung. Es beschreibt die tapferen minnedienenden Ritter, die im Kampf mit Beständigkeit siegen. Innerdiegetisch dient das Lied als Reiselied für eben diese edlen Ritter, die auf vielen Turnieren ihren Frauendienst leisten (FD 1352). Das zweite Reiselied ist in dem Abschnitt der Artusfahrt inkorporiert und erzählerisch von den ritterlichen Kämpfen umrahmt. Es ist auch als ein Kampflied anzusehen und soll wahrscheinlich Mut für Turniere bereiten. Der Erzähler beschreibt nach dem Lied die Verwendung: „Die liet gesungen wurden viel/ für war ich iu daz sagen will:/ bi den lieden wart geriten/ manic tyost nach ritters siten,/ diu liet man vil gern sanc,/ da (fiwer) uz tyost von helm spranc,/ si duhten manigen ritter gout,/ sie rieten ritterlichen mout.“ (FD 1425) („Das Lied das sang man wirklich oft./ Ich sage euch fürwahr noch dies:/ Zu diesen Liedern ward geritten/ so mancher Tjost nach Ritterart,/ das Lied das sang man wirklich gern,/ als Feuer aus den Helmen schlug,/ es dünkte viele Ritter gut,/ es gab die ritterliche Kraft.“) Auch diese Genreeinführung Ulrichs hat sich nicht unter den Dichtern etabliert, stellt aber dennoch eine selbständige Gattung dar: „The term seems to mean something like ,departure' or ,starting to ride off'; this meaning could be easily have derived from the situation portrayed. The performance situation would also correspondend to the remark that the participants in the tournament sang and were gay as they went from one tournament field to anonther […]. One might, however, get the impression that the songs were sung during a joust, rather than between jousts.“ [Heinen 1986: S. 26-27].
leich
Lied Nr. 25 Im umfangreichsten der Lieder (wenn man den Leich hinzuzählen darf) von 95 Strophen à fünf Verse, der im Handlungsverlauf kurz nach der Scheidung aus dem 1. Dienst inkorporiert wird. Darin dankt das lyrische Ich Gott, dass es immer noch den Wunsch verspürt Frauen zu dienen, zu lieben also. Außerdem stellt der Text eine Art Zusammenfassung über den misslungenen 1. Dienst, in dem die Unbeständigkeit der Dame 1 kritisiert wird, deren Dank sich wie ein Rad dreht: „als ein marder, den man hat/ in eine lin gebunden“ (Leich 62-63, FD nach 1372). Es wird auch Hoffnung ausgedrückt eine neue Dame zu finden, ihr zu dienen und einen angemessenen Lohn dafür zu erhalten. Rezipiert wird der Leich singend auch auch lesend von schönen Damen (FD 1374). Der Leich ist die einzige Großform der mittelhochdeutschen Lyrik, deren Wurzeln und Verbindung zur mittellateinischen Sequenz und den verwandten romanischen Formen Lai, Descort und Estampie sind unklar, aber dessen Erscheinen in Deutschland hängt wahrscheinlich mit der ersten Welle des Einflusses aus der romanischen Lyrik zusammen. „Da die Themen des Leichs nicht grundsätzlich verschieden sind von denen des Minnelieds, des religiösen Lieds und des Spruchs, bleibt nur die Form als entscheidendes Kriterium – mit der Einschränkung, daß die längere Form eine ausführlichere Gedankenführung und nachdenkliche, ernsthafte, Inhalte begünstigt.“ [Johnson 1999: S. 69]
lied [1]
Lied Nr. 31 Das Lied wird nicht näher kategorisiert, als „Die eine und zweinzigste wise“, was darauf hindeuten könnte, dass dafür die Melodie vom Lied Nr. 21 verwendet werden könnte, aber das ist spekulativ. Darin beschreibt das lyrische Ich die Freude an der Natur und wie sie ihn zur Liebe an allen Frauen inspiriert. Nicht zu verwechseln ist diese Form mit der ebenfalls nicht detaillierter Form der Lieder 39-58, die noch untersucht wird.
tagewise
Lied Nr. 36 Das Tagelied im „Frauendienst“ besteht aus sieben Strophen und wird nach zwei Tanzliedern ohne Überleitung eingefügt. Es beginnt mit einem Gruß in der 1. Ps. Sg. an die Geliebte in den ersten zwei Strophen, dann wechselt die Perspektive und das lyrische Subjekt spricht von der vergangenen Liebesvereinigung in der 3. Ps. Sg. Als die Liebenden noch zusammen liegen, kommt eine Magd herein und warnt, dass der Tag anbricht, worauf die Frau anfängt zu weinen und es wird geküsst. Typischerweise ist es der Tag, der die beiden scheidet. Sie bittet ihn „,,la dich erbarmen,/ guot (vriunt), mich vreuden armes wip:/ füere mich in dinem herzen hinnen““, der Ritter erwidert darauf: „,,frowe, ich minne dich mit friundes sinnen,/ du bist vogt in dem herzen min/ sam bin ich in dem herzen din.““ (FD Tagelied, VII, vor 1400) Das Tagelied ist unter den Zeitgenossen Ulrichs ein bekanntes Genre: In fact he is one oft he first to use the word to mean, without ambiguity, a song of lament at the parting of lovers at dawn. To be sure, his dawn songs are anomalous, but he explicitly refers to a tradition and intends his songs to be understood against that tradition.” [Heinen 1986: S. 27]. Wenn im traditionellen Tagelied die Liebenden durch den Ruf oder Gesang der Burgwache geweckt werden ist es im „Frauendienst“ eine Magd. In diesem lyrischen Text gelingt Ulrich eine dichterische Virtuosität – in den ersten zwei Strophen spricht das lyrische Ich, in III-VII,2 berichtet ein Erzähler über die vergangene Nacht der handelnden Figuren, in den letzten acht Versen sprechen die Figuren miteinander und erzeugen so die Handlung. So werden hier alle drei seit Aristoteles geltenden literarischen Modi in einem einzigen kurzen Lied kunstvoll miteinander verknüpft: Lyrik Epik und Dramatik.
lied [2]
Lied Nr. 39-58 Die letzten 19 Lieder werden nicht, wie alle zuvorkommenden, mit einem Untertitel versehen und somit nicht kategorisiert. Sie treten nur im 2. Dienst auf und man kann behaupten, dass sie zwischen 1620-1850 wesentlich den Roman bestimmen. Im ersten Text dieser Gruppe wird die Dame 2 durch eine äußerliche Beschreibung individualisiert:
Mittelhochdeutsches Original (FD 39. Lied, V ,nach 1629) : __________ Neuhochdeutsche Übersetzung: Wie si si gevar diu wol gemuote, __________ Wie sie aussieht, diese Wunderbare, daz will ich iuch wizen lan: __________ das will ich euch sagen gleich: prun, rot var ist diu viel reine, goute __________ Braun und rot ist die so Schöne, Edle, von den varben so getan, __________ durch die Farben wunderschön, daz nie engel schoener wart __________ </spandaß kein Engel schöner war an ze schowen, man muoz si eine vrowen __________ anzusehen, man muß sie die Herrin nennen von ir hohen art __________ nennen wie es ihr gebührt.
Lied 40 ist wieder ein abgewandeltes Tagelied in verschiedenen Modi, es könnte sogar eine Fortsetzung zum vorangegangenen Tagelied sein: Eine Magd warnt ihre Herrin, dass der Tag anbricht und dass der Geliebte schnell gehen soll, woraufhin geküsst wird, bis es zu spät ist zu gehen, da die Sonne hoch steht. Der Ritter bittet ihn zu verstecken, was nicht möglich scheint, außer, dass die Beiden den Tag mit ,Freuden‘ verbringen. So geschieht es und als es Nacht wird, beginnt das Minnespiel von Neuem auf die eine und die andere Weise: „ich wene, ie wip würde baz mit liebem manne/ danne ir was“ („Ich glaube, keiner Frau ward durch den lieben Mann/ so wohl wie ihr“) (FD Lied 41, nach 1632). Darüber hinaus findet sich darunter ein Tanzlied (46), Bitte an seine Dame 2, ihn aus der Gefangenschaft zu befreien (47), Klage über den Tod des Regenten und verschlechterte Lebensumstände (50), Ode an die Freude (53), möglicherweise ein didaktisches Minnelied (49) und der Rest Lieder in gemischter form über die Minne, Frauenlob, Lehrhaftes über die Minne und Berichte über zahlreiche erotische Erlebnisse. Es ist anzunehmen, dass diese Gruppe von Liedtypen tatsächlich zur Erlebnislyrik Ulrichs gehören, d. h. mehr Biographisches/Historisches preisgeben, als es in der Lyrik vor diesem Block der Fall ist. Die Zäsur dafür bietet das (im Roman so bezeichnete) Tagelied, das wahrscheinlich das wirkliche Erlebnis mit der Dame 2 beschreibt, direkt gefolgt von einem Tanzlied, in dem er von „min frouwe“ singt, mit der „got mich hat wol bedaht“, drückt also eine unmittelbare Zugehörigkeit aus und Form des Tanzes soll wohl eine große Freude darüber ausdrücken. Dass auch das kämpferische Reiselied (38) dazwischen eingefügt ist, wird möglicherweise symbolisieren, dass Turniere ebenso zum Alltag der Ritter gehören. Doch danach folgt die Gruppe der ,privaten‘ Lieder: Der Tod Herzogs Friedrichs ist historisch belegt, die geschichtliche Gefangenschaft Ulrichs ist vorstellbar und die Minnelieder erwecken das Gefühl, dass er von selbst Erlebtem berichtet: „si ist des herzen und es libes min gewaltic“ (55), „Ich han miner vrowen lip/ und ihr herze funden wandels vri“ („Ich weiß meine Herrin je/ und ihr Herz von jedem Makel frei“) (54) und im letzten lyrischen Frauenlob verspricht der Ritter ,Ulrich‘ der Dame für immer zu dienen:
Mittelhochdeutsches Original (FD 58. Lied, nach 1818) : __________ Neuhochdeutsche Übersetzung: Got weis wol, mir ist ir ere __________ Gott weiß wohl, mir ist ihr Anseh’n lieber danne die ere min __________ lieber als das meine doch, ir lip ist min eren lere, __________ sie ist meines Anseh’ns Maß, ich will ir ze dienest sin __________ ich will immer dienen ihr sunder wenken al die wile ich lebe, __________ ohne Wanken so lang ich noch lebe. si ist min trost für truren und min föiden gebe __________ </Sie ist Hilfe gegen Trauer und gibt Freuden mir.
Bedeutung der Genres im Gesamtkontext
Jürgen Ruben schreibt in seiner Dissertation über die ,gemischte Form‘ im „Frauendienst“, dass Ulrich von Liechtenstein eine biographisch-chronologische Sammlung der Lieder, Briefe und Büchlein vorlag, auf der er seine Narration aufbaute [Ruben 1969: S. 47]. Die Sonderformen dienen dabei der Dokumentation und sind als historisch existierend anzusehen. [Ruben 1969: S. 49]. Ulrich erzählt nicht distanziert aus dem Rückblick, sondern mit Hilfe der Lebenszeugnisse aus der Situation der erzählten Zeit heraus. [Ruben 1969: S. 50]. Genres im 1. Minnedienst haben eine dokumentarische Funktion, im 2. Dienst, der handlungsarm ist, sind sie eher repräsentativ.
Fazit
Subjektivität durch die Form des Liedes möglich? Andere Lieder – anderer Dienst?
Anmerkungen
- ↑ Es werden jene Typen näher betrachtet, die in der verwendeten Ausgabe als (Form-)Titel für Lieder dienen, ggf. werden auch andere Typen, z. B. funktionell bestimmt, innerhalb eines Liedtyps untersucht. Die Reihenfolge wird durch das Vorkommen des Typs in der diegetischen Chronologie bestimmt. Auch die Nummerierung im Ganzen wird übernommen.
Bibliographie
Primärliteratur
Ulrich von Liechtenstein: Frauendienst. Hg. v. Viktor Spechtler. Göppingen 1987 (zitiert als FD).
Sekundärliteratur
<HarvardReferences />
- [*Brunner 2007] Brunner, Horst: „Lied [2]“. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Bd. 1. Berlin/ New York 2007. S. 420-423.
- [*Gudewill ] Gudewill, Kurt: „Lied“. In MGH 8. Sp. 746-856. Zit. nach: Brunner, Horst: „Lied [2]“. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Bd. 1. Berlin/ New York 2007. S. 420-423.
- [*Heinen 1986 ] Heinen, Hubert: Ulrich von Liechtenstein's Sense of Genre. In Heinen, Hubert/ Henderson, Ingeborg (Hgg.): Genres in Medieval German Literatur. Göppingen 1986. S. 16-29.
- [*Johnson 1999] Johnson, L. Peter: Die höfische Literatur der Blütezeit (1160/70-1220/30). In: Heinzle, Joachim (hg.): Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Bd. II: Vom hohen zum späten Mittelalter. Tübingen 1999.
- [*Kayser 1961] Kayser, Wolfgang (Hg.): „Lied“. In: Kleines Literarisches Lexikon. 1. Bd. 3. Aufl. Bern, München 1961. S. 135.
- [*Kellermann 2009] Kellermann, Karina: Kommunikation und Medialität. Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst als mediales Labor. In: Linden, Sandra/ Young, Christopher (Hgg.): Ulrich von Liechtenstein. Leben – Zeit – Werk – Forschung. Cambridge/ Tübingen 2009. S. 207-260.
- [*Mertens 2000] Mertens, Volker: Neuzeitliche Rezeption. Ulrich von Liechtenstein vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. In: Linden, Sandra/ Young, Christopher (Hgg.): Ulrich von Liechtenstein. Leben – Zeit – Werk – Forschung. Cambridge/ Tübingen 2009. S. 515-534.
- [*Rölleke 2000] Rölleke, Heinz: „Kennt ihr das Lied, das anhebt so?“ „In süßen Freuden“ Rätsel um den Eingangsvers eines Volksliedes. In Deutsches Volksliedarchiv (Hg.): Lied und populäre Kultur/ Song and Popular Culture. 45. Jahrg. (2000). S. 183-185.