Die Figur Dante (Dante Alighieri, Vita Nova)

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Einleitung

Dieser Artikel soll sich vordergründig mit dem Leben des Dante Alighieri befassen. Denn "Dantes Dichtungen, angefangen von der 'Vita Nova' bis zu seinem großen Epos, der Commedia, gehen vom Ich des Dichters aus, das in seiner poetischen Überhöhung zwar nicht als autobiographisches Dokument interpretiert werden darf, wohl aber Auskunft darüber erteilt, wie Dante sich als Mensch und Dichter idealiter verstanden hat", [Buck 1966: 1] so Buck. Abschließend soll überlegt werden, welche Position der Autor selbst in seinem Werk "Vita nova" einnimmt. So kann mit vorliegendem Wissen und abgeschlossener Lektüre der "Vita nova" überlegt werden: Wie viel Dante steckt in der "Vita nova"? Diese Frage ist heutzutage leicht zu stellen: Im Mittelalter war es für gewöhnlich verpönt über sich selbst zu schreiben. Ein Ich-Erzähler brauchte eine wirksame Begründung für diese Art des Schreibens, etwa eine gemeinnützige Verpflichtung. Doch "für die Erhebung des eigenen Ichs zum Gegenstand des Dichtens fand Dante - wenn auch nur in einem beschränkten Bereich - Vorbilder in der provenzalischen Lyrik, wo die Trobadors ihre persönliche Gefühlswelt oder auch die Gefühle, die sie als ihre eigenen ausgaben, in kunstvollen Versen zur Schau gestellt hatten."[Buck 1966: 2] Um Verwirrungen zu umgehen, sollen literarische Figuren (Dante, Beatrice etc.) im Vergleich zu ihren eventuellen historischen Pendants in Anführungszeichen gesetzt werden.


Der historische Dante

Es scheint auf der Hand zu liegen, dass Dante es ablehnte in der breiten Masse der Gesellschaft unterzutauchen. Eine Person, welche sogar mit der Art Texte zu schreiben rebelliert, kann kein Mensch sein, welcher unauffällig lebt. So wird der Autor "als eine selbstbewusste, stolze und eigenwillige Persönlichkeit charakterisiert, die mit Ungebildeten nichts anzufangen vermochte." [Deér 1966: 1] Was für ein Leben Dante führte und wie es zu seinem literarischen Werk "Vita nova" kam, soll folgend festgehalten werden.


Die ersten Jahre

"1265: Im Tierkreiszeichen der Zwillinge - zwischen dem 18. Mai und dem 17. Juni - wird in Florenz im Stadtsechstel San Pietro der Knabe Dante da Alighieri Bellincione d´Alighiero geboren." [Wetzel 1979: 1] [1] Demnach liegt zum Zeitpunkt seiner Geburt der Zusammenbruch des staufischen Reichs 15 Jahre zurück. "So steht Dante mitten im Werden einer neuen staatlichen Welt, in der sich die einzelnen Nationen zum Selbstbewusstsein erheben und ihren Staat in die weltliche Sphäre überführen." [Goetz 1958:9] Weitere Angaben, welche zu den Kinderjahren des Dante gemacht werden können, sind genauso vage, wie diejenigen, welche den Tag seiner Geburt betreffen. Zu dieser Zeit ist die Kinderehe nicht unüblich. So wird der Knabe Alighieri im Alter von 12 Jahren "mit Gemma aus der einflussreichen Familie Donati verlobt". [2] Erforscht werden konnte, dass Dantes Mutter Bella fünf Jahre nach der Geburt ihres Sohnes stirbt und nach einer zweiten Ehe stirbt der Vater, wohl im Jahr 1283. Das Kind empfängt offenbar Bildung in den Grammatikschulen der franziskanischen und dominikanischen Bettelorden, erlernt so Französisch, Provenzalisch und Latein. "Nachweisbar ist die Jugend Dantes mit zahlreichen Freundschaften und mehr oder weniger harmlosen und ernsthaften Liebeserlebnissen erfüllt gewesen." [Schneider 1960:21]


Dante als junger Mann

Um auf die frühe Lehre aufzubauen, verbringt Dante angeblich ab 1285 zwei Jahre in Bologna zum Studium der Astronomie, Musik, Rhetorik, Arithmetik, Dialektik, Grammatik und Geometrie. "Eine Urkunde aus dem Jahr 1308, die mit einiger Sicherheit Dantes ältesten Sohn Giovanni betrifft, lässt darauf schließen, dass Dante um das Jahr 1288 die Ehegemeinschaft mit der ihm 1277 anverlobten Gemma Donati eingeht; zu dieser Zeit ist Bice [beziehungsweise Beatrice] Portinari mit dem Bankier Simone Bardi verheiratet." [3] Ein Jahr später nimmt der junge Ehemann an der Schlacht in der Nähe von Campaldino zwischen Arezzo und Florenz teil. Im Jahr 1290 stirbt Bice Portinari. Forschende gehen davon aus, dass Dante drei Jahre später "eine durch neue Stücke ergänzte Auswahl seiner Gedichte [...] mit Überleitungen und Erläuterungen in oft lyrisch gestimmter Prosa zu seinem Werk La Vita Nuova zusammen [-fügt]" [4] und sich auf diese Weise den Schmerz über den Verlust der Dame von der Seele schreibt.


Wirken für Florenz

Dante wirkt in der Politik von Florenz mit, welche zu dieser Zeit nicht ungefährlich vonstattengeht. "Er fühlt sich zu höchster Verantwortung aufgerufen. Sein feuriger Geist wollte dienen, nicht herrschen; er wollte Ordnung und Gerechtigkeit schaffen in dem tragischen Chaos von Parteikämpfen und Korruption." [Veltman 1979:37] Ein prägendes Ereignis für die vorherrschende Situation ist die Spaltung der Partei, welcher auch Dante angehört, in zwei zerstrittene Lager. Es kommt zu blutigen Zusammenstößen der verfeindeten Lager. " Dantes politische Betätigung von 1295-1301 war sicherlich getragen von Pflichtbewusstsein und Idealismus. [...] Nicht seine Mitgliedschaft in Florentiner Behörden, nicht seine Wahl zum Prior ist für den Erfolg seiner Tätigkeit maßgebend - einer unter den 36 Prioren jedes Jahres zu sein, war noch kein Anzeichen für politisches Führertum. [...] Aber bei den zwei Gelegenheiten, die wir in jenen Protokollen verfolgen können, ist seine Stellungnahme gewiss höchst bestimmt, und da sie gegen den Papst gerichtet war, zugleich sehr mutig - er scheint der einzige gewesen zu sein, der offen aussprach, was andere nicht zu sagen wagten." [Goetz 1958:53] Im Jahr 1302 werden Mitglieder der unterlegenen Seite, welche auch Dante repräsentiert, in verschiedenen Punkten, etwa für die "Versuche[...], Florenz in stärkere Abhängigkeit vom Papst zu bringen" [Goetz 1958:11], für schuldig erklärt. Wegen Nichterscheinen vor Gericht, werden die Angeklagten gebannt. Ab diesem Zeitpunkt kann Dante lediglich im Exil weiter leben.


Exil und letzte Jahre

"So hart diese Zeit für ihn war, so führt sie doch zu einem für die damalige Zeit universalen Wissen, das er sich auf Hochschulen, an Fürstenhöfen, im täglichen Leben erwarb, ein Wissen über Theologie und Philosophie, über Geschichte und Natur, ein Wissen, das er sich in den Tälern und auf den höchsten Höhen des Apennins, im Randgebiet der Alpen, an der Küste der nördlichen Adria und in den Städten Oberitaliens erwarb, vielleicht auch, wie gesagt, im Ausland." [Goetz 1958:12] So wird diese Lebensphase einerseits von Wissens-Reichtum, aber auch von Entbehrungen und Demütigungen geprägt. "Will man begreifen, was eine Verbannung in alten Zeiten bedeutete, so muss man versuchen, sich in die Seelenlage der damals lebenden Menschen versetzen. Die Bluts- und Stammesverbundenheit war damals viel stärker als jetzt. Abgetrennt werden von solch einer Gemeinschaft, verstoßen aus dem Vaterland wurde als ein Sterben erlebt. Die Bürgerschaft war wie ein zweiter Körper, dessen Verlust in vielen Fällen für schrecklicher erachtet wurde als der Tod." [Veltman 1979:37]

Es gibt Belege dafür, dass Dante nach Verona geht und hier sein Werk La Divina Commedia schreibt. Die Rückkehr nach Florenz wird Dante am 19. Mai 1315 unter verschiedenen Bedingungen angeboten. Es wird von ihm verlangt, seine Schuld einzugestehen, Buße zu tun und ein Lösegeld zu bezahlen. Diese Forderungen möchte der Angeklagte nicht leisten und verweilt weiterhin im Exil, möglicherweise zeitweise in Assisi. "Am 15. Oktober wird das Todesurteil über Dante erneuert und am 6. November unter Einbeziehung von Dantes Söhnen [...] bestätigt." [5]

Wetzel kann belegen, dass der Dichter spätestens ab 1319, zu diesem Zeitpunkt ist er 54 Jahre alt, im italienischen Ravenna bei dem herrschenden Fürsten Guido da Polenta lebt und für diesen als Sekretär arbeitet. [6] "Unsere letzten gesicherten Nachrichten über Dantes Leben beziehen sich auf eine Gesandtschaft nach Venedig, die Dante im Auftrag des Guido da Polenta im Spätsommer leitet. Auf der Rückreise erkrankt er an Malaria. Dante stirbt in der Nacht vom 13. auf den 14. September in Ravenna; an seinem Sterbebett, so wird überliefert, wacht seine Tochter Antonia, die unter dem Namen "suor Beatrice" dem Kloster Santo Stefano dell´ Uliva angehört." [Wetzel 1979:38f]


Mögliche Autobiographie (?)

Belege für die Historizität "Dantes" in der "Vita nova" sind mithilfe des Begriffs der Referenz zu finden. In Kapitel 3 des Werks erhält "Dante" Antwortsonette auf seine eigene Dichtung: "Auf dieses Sonett wurde von vielen, und mit unterschiedlichen Meinungen geantwortet; unter den Antwortenden war auch der, den ich den ersten meiner Freunde nenne, und er dichtete damals ein Sonett, das anfängt: Vedeste, als mio parere, omne valore. Und dies war gleichsam der Beginn der Freundschaft zwischen ihm und mir, als er erfuhr, daß ich derjenige war, der ihm dies gesandt hatte." (VN, 3 [7] )

Da es der Autor vermied, sich in der "Vita nova" auf Lokalitäten festzulegen, kann hierüber keine Verbindung zu der realen Person hergestellt werden. Daher verwirrt auch, dass Dante seine Aktivität bezüglich der Schlacht in der Nähe von Campaldino nicht ein Mal schriftlich festhält. Dieses Ereignis muss für den jungen Mann ein besonderes Erlebnis gewesen sein. Da er nur kurze Zeit später die "Vita nova" nieder schrieb, müssen die Erfahrungen aus der Schlacht noch sehr präsent gewesen sein und er hätte allen Grund gehabt seine Teilnahme daran zu bescheinigen. Orte erhalten keine Erwähnung in der Ich-Erzählung, doch Jahreszahlen werden genau konstruiert. So steht die Zahl neun stets in Verbindung zu den Treffen mit Beatrice. Es wird exakt festgehalten wie alt jeweils die Figuren bei ihren Begegnungen waren. Wer allerdings in der Forschung nach Schriften sucht, welche belegen, dass Dante Alighieri und Beatrice/Bice Portinari tatsächlich in der Realität aufeinander getroffen sind, wird keinen Erfolg haben. Es besteht, etwa aufgrund von übereinstimmenden Örtlichkeiten in den Lebensläufen, die Möglichkeit, dass sich diese Menschen begegneten. Doch weist kein Dokument konkret auf ein gemeinsames Treffen hin. Da die Existenz dieser Dame nachgewiesen ist, bleibt Raum für Spekulationen, handfeste Beweise können jedoch nicht geboten werden. Obwohl es scheint, als ob irgendeine Verbindung existierte, da der Dichter offensichtlich sehr angetan von der Tochter Portinari gewesen ist, sonst hätte er sie nicht zum Mittelpunkt von zwei Schriften gemacht.


Resümee

Wenn abschließend gebündelt wird wer der historische Dante war, so hat man zuerst einen selbst- und pflichtbewussten Mann vor Augen, welcher das Leben genoss, ohne sein öffentliches Wirken außer Acht zu lassen. Dieses Bild erhält jedoch mit der Zeit Furchen, welche durch Sorge und Leid zustande kommen. Trotzdem könnte man diese Person als vorbildlichen Menschen bezeichnen, deren Art auch im modernen Zeitalter von Nutzen sein könnte. So ist es "der Mensch Dante, der uns anzieht, der Mensch, der noch größer ist als sein Werk. Es wirkt auf uns der gewaltige Trotz und der Widerstand dieses Mannes gegen das grausame und ungerechte Schicksal." [Schneider 1960:3] Mitleid, als auch Bewunderung können ihm entgegen gebracht werden. Wer dieses Wissen über eine besondere Persönlichkeit besitzt, für den tritt das literarische Werk "Vita nova" hinter seinem eigenen Schöpfer zurück. Befremdend wirkt das Verwenden des Ichs, da wenig stichfeste Belege für eine Autobiographie gefunden werden können und im Gegenzug viele Tatsachen auf der Hand liegen, welche würdig wären, für die Nachwelt gesichert zu werden. Aufgrund dieser Feststellungen scheint deutlich zu werden, dass Dante einer Frau begegnet sein muss, welche solch eine magische Anziehungskraft auf ihn ausübte, dass er Gefühle für sie entwickelte, welche sich aufbäumten und ich zutiefst erfüllten. Doch dies kann lediglich vermutet werden, dokumentierende Unterlagen liegen nicht vor.

Primärliteratur

  • Alighieri, Dante: Vita Nova - Das Neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, München, 1988


Einzelnachweise aus der Forschungsliteratur

<HarvardReferences /> [*Buck 1966] Buck, August: Dantes Selbstverständnis, in: Dante Alighieri. Vorträge an der Universität Bern zur Feier seines 700. Geburtstages, Bern: Verlag Paul Haupt, 1966, S. 9-25 <HarvardReferences /> [*Deér 1966] Deér, Josef: Dante in seiner Zeit , in: Dante Alighieri. Vorträge an der Universität Bern zur Feier seines 700. Geburtstages, Bern: Verlag Paul Haupt, S. 26-49 <HarvardReferences /> [*Goetz 1958] Goetz, Walter: Dante. Gesammelte Aufsätze, München: Max Hueber Verlag, 1958 <HarvardReferences /> [*Schneider 1960] Schneider, Friedrich: Dante. Leben und Werk, Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1960 <HarvardReferences /> [*Veltman 1979] Veltman, Willem Frederik: Dantes Weltmission. Leben und Werk des Dante Alighieri, Stuttgart: J. Ch. Mellinger Verlag, 1979 <HarvardReferences /> [*Wetzel 1979] Wetzel, Christoph: Dante. Die grossen Klassiker. Literatur der Welt in Bildern, Texten, Danten, Bd. 2, Salzburg: Andreas&Andreas Verlagsbuchhandel, 1979

Anmerkungen

  1. Die Angaben zum Leben des Dante Alighieri stützen sich, soweit nicht anders angegeben, auf die Forschungsarbeit von Christoph Wetzel.
  2. Vgl. Christoph Wetzel S.18
  3. Vgl. Christoph Wetzel S.22
  4. Vgl. Christoph Wetzel S.23
  5. Vgl. Christoph Wetzel S.35
  6. Vgl. Christoph Wetzel S.37
  7. Zitiert wird aus der, unter Primärliteratur, angegebenen Ausgabe. Im Folgenden wird nur noch das Sigle VN sowie die Kapitelzahl genannt werden.