Adoleszenz in der Ritterwelt
Dieser Artikel behandelt die Entwicklung Parzivals im gleichnamigen Roman von Wolfram von Eschenbach und geht dabei speziell auf den Übergang von der pueritia zur adolescentia ein. Die Einteilung der Lebensabschnitte orientiert sich im Folgenden an der Sechs-Weltzeitalter-Lehre, nach welcher zwischen sechs Etappen auf dem heilsgeschichtlichen Entwicklungsweg des Menschen unterschieden wird. Anhand von ausgewählten Sinnabschnitten und konkreten Textstellen[1] analysiert der vorliegende Artikel den inkrementellen Prozess der Reifung, welcher sich auf Parzivals Abenteuerreisen vollzieht und durch den Eintritt in die Ritterwelt manifestiert.
Der Auszug aus Soltane - Das Ende Parzivals Kindheit?
Mit dem Aufbruch aus Soltane endet Parzivals Kindheit (infantia) zweifelsfrei im Sinne eines behüteten Aufwachsens im Einflussbereich seiner Mutter Herzeloyde. Der Text gibt allerdings keine Hinweise auf das tatsächliche Alter Parzivals zur Zeit des Aufbruchs. Es liegt jedoch nahe, dass er sich zu diesem Zeitpunkt bereits an der Schwelle zur adolescentia befindet und damit den Großteil der pueritia ebenfalls in Soltane verbracht hat. Dieser Annahme liegt die Tatsache zugrunde, dass der junge Held bei seinem ersten Gralsbesuch noch bartlos ist "unt daz vor jugende niemen dran kôs gein einer halben gran" (244,8 ff.), was ein Charakteristikum der pueritia ist, zuvor aber bereits die Ehe mit Condwiramurs vollzogen (203,1 ff.) und Kinder gezeugt hat, was der Leser allerdings erst im 16. Buch (820 f.) erfährt und ein eindeutiges Charakteristikum der adolescentia darstellt. Im Weiteren soll es nicht um solche Detailfragen gehen, jedoch ist es an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass Parzival sich zu Beginn seiner Abenteuerreise physisch schon im fortgeschrittenen Stadium der pueritia befindet, während er kognitiv gerade erst die Schwelle zwischen infantia und pueritia überschritten hat.
Die erste Etappe: Artushof und Ither-Kampf
Mit dem unbedingten Wunsch, Ritter zu werden, begibt sich Parzival auf die Suche nach dem Artushof, um sich dort ausbilden zu lassen. Auf dem Weg dorthin trifft er zunächst auf seine Cousine Sigune, der Parzival auf die Frage nach seinem Namen den vertrauten Kosenamen "bon fîz, scher fîz, bêâ fîz" (140,6) nennt, woraufhin sie ihn erkennt. Im Anschluss erfährt unser Held zum ersten Mal seinen richtigen Namen "deiswâr du heizest Parzivâl" (140,16) und wird über seine Herkunft "dîn vater was ein Anschevîn [...] du bist ouch künec ze Norgâls" (140,25 ff.) sowie sein Verwandschaftsverhältnis zu Sigune aufgeklärt. Damit bekommt der Ritter in spe einen ersten Einblick in seine Abstammung und macht einen wichtigen Schritt in Richtung Identitätsbildung. Als Parzival Sigune auf ihre Trauer anspricht, klagt sie ihm vom Tod ihres Geliebten, der in Ausübung seiner Ritterschaft gefallen ist. Um Parzival vor diesem Schicksal zu bewahren, weist sie ihm einen falschen Weg, in der Hoffnung, dass er den Artushof nicht findet. Müde und erschöpft gelangt Parzival zu einem Fischer, der ihn gegen das hohe Entgelt eines Ringes bei ihm übernachten lässt und ihn am nächsten Tag nach Nantes vor den Artushof führt (143,1 ff.). Vor den Toren Artus hält der Fischer inne und verweigert Parzivals Bitte mit ihm zum Hof zu reiten. Durch diese törichte Bitte offenbart der junge Held seine tumpheit. Der Fischer klärt den Unwissenden, der fernab von höfischem Leben aufwuchs, über die besonders edle Gesellschaft des Artushofes auf "diu mässenîe ist sölher art, / genaeht ir immer vilân, / daz waer vil sêre missetân"(144,14 ff.). Diese Szene markiert den Beginn von Parzivals höfischer Erziehung, welche ein wichtiger Bestandteil für dessen Erwachsenwerden ist. Nur durch die Kenntnis und den souveränen Umgang mit den Regeln der adeligen Gesellschaft kann Parzival in die Welt der Ritter eintreten. Gleichzeitig verdeutlicht diese Szene Parzivals allgemeine Unsicherheit. Er ist fernab von solchen gesellschaftlichen Problemen in einer behüteten bäuerlichen Umgebung aufgewachsen und ist es schlichtweg nicht gewohnt, auf sich selbst gestellt zu sein. Die Lehren seiner Mutter, auf welche er sich bisher berufen konnte, bieten ihm auf dem Artushof keine Hilfe, weswegen er nicht nur physisch, sondern auch im Sinne von ratlos aleine (144,17) zum Hof reiten muss. Noch bevor er diesen erreicht, trifft Parzival auf den Ritter Ither, welcher ihn überaus freundlich und höflich begrüßt. Parzival ist sofort von Ithers imposanter roter Rüstung fasziniert und geht gerne auf dessen Bitte ein, Ginover seine Entschuldigung vorzubringen. Auf dem Hof angekommen tritt erneut Parzivals tumpheit zutage, da er Artus nicht für einen Individualnamen, sondern einen Gattungsbegriff von Rittern hält "ich sihe hie mangen Artûs" (147,22) [vgl. Russ 2000].
Die zweite Etappe: Die Lehren des Gurnemanz
Textausgabe
Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
- ↑ Alle Versangaben beziehen sich auf die genannte Textausgabe.