Magie (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Ein Liebestrank, mehrere Wunderheilungen und Liebende, die ohne Nahrung leben können – wunderbare Elemente, die an Märchen erinnern, gibt es viele im Tristan. Dieser Artikel unternimmt den Versuch diese Elemente aufzulisten, zu systematisieren und sie in den historischen Kontext einzuordnen und sie daraus zu erklären oder zu deuten.


Magie – Zauber – Hexerei? (über-) natürliche Ereignisse im Tristan

Übernatürliche Elemente im Tristan

Das erste nicht rational zu erklärende Ereignis passiert bereits in der Vorgeschichte, als Riwalin auf wundersame Weise durch den Beischlaf mit Blanscheflur von seiner tödlichen Verwundung geheilt genießt. Beim Kampf mit Morold wird auch Tristan verwundet, allerdings von einem so vergiftete Schwert, dass er einzig und allein von Isolde, der Schwester Morolds geheilt werden kann. Für diese Heilung fährt Tristan nach Irland und schafft es tatsächlich von Isolde geheilt zu werden. Nach dem Kampf mit dem Drachen gerät Tristan durch den Einfluss der Zunge des Untiers, die er als Beweisstück an sich nahm, in eine Art Koma versetzt, aus dem ihn wiederum Isolde erweckt. Dass er sich in dieser Lage befindet hatte sie vorher in einem wahrsagerischen Traum gesehen. Bevor die junge Isolde aus Irland abfährt, braut die ältere Isolde einen Trank, der die Liebe zwischen ihrer Tochter und König Marke sicherstellen soll. Dieser Zaubertrank ist der Auslöser für die gesamte nachfolgende Handlung. In Cornwall hat Marjodo, der Truchseß Markes, einen Ebertraum, der auf Tristan als denjenigen, der die Königswürde beschmutzt, hinweist. In Swales bringt Tristan den Hund Petitcrü in seinen Besitz, in dessen Anwesenheit alles Kummer weggezaubert ist. Nach ihrer Verbannung vom Hof ziihen Tristan und Isolde in die Minnegrotte die, insgesamt schon ein wundersamer Ort, am meisten durch das Wunder beeindruckt, dass die beiden dort allein von Luft und Liebe ohne feste nahrung leben können.

Desweiteren gibt es noch diverse Szenen, in denen von Magie und Verzaubern gesprochen wird wie zum Beispiel als Tristan, im Boote ausgesetzt, musiziert um die Aufmerksamkeit der Booten auf sich zu lenken, was er auch so gut tut „daz sîz in z'eime gruoze/ und ze âventiure nâmen“ [7520/7521], was in der Reclam-Ausgabe mit „daß sie es für ein Wunder hielten“ übersetzt ist. Ähnliche Reaktionen ruft Isoldes Auftreten hervor, deren Musizieren und Auftreten einer Sirene gleich „in vil manic edele herze sleich/ und daz zouber dar în streich“ [8127/8128]. Diese Arten von Wundern der Musik oder Zauber der Schönheit werden in die Magiebetrachtungen nicht einbezogen, da die kein „wirkliches“ Verzaubern darstellen sondern rein metaphorische Bedeutung haben.

Die restlichen „wirklichen“ Wunder und Zauber lassen sich nun in verschiedene Gruppen zusammenfassen. Als erstes gibt es drei Wunderheilungen, Riwalin durch Blanscheflur und zweimal Tristan durch Isolde. Es gibt zwei vorausdeutende oder weissagende Träume, einen von Isolde der Älteren und einen von der Nebenfigur Marjodo. Die Minnegrotte mit dem Speisewunder und der Zauberhund Petitcrü gehören beide in den Bereich der Wunder da ihre Wirkung aus der Realität entrückt. Der Minnetrank nimmt eine Sonderstellung ein, ist aber noch am ähnlichsten den Wunderheilungen, da es sich hier auch um eine Art Medizin handelt. Auffällig ist, dass bei der Hälfte aller Wunder die ältere Isolde eine Rolle spielt und auch die Urheberin des zentralen Minnetrankes ist. Im folgenden werden die einzelnen Wunderkategorien genauer betrachtet und auf ihren Ursprung und ihre Erklärbarkeit untersucht. Danach wird Isolde ein eigenes Kapitel gewidmet und dann kommt noch das allgemeine Plädoyer für Zauber.


Heilungen

Riwalin wird in einem Kampf für König Marke „mit eime sper zer sîten în / gestochen und [ ] sêre wunt,“ [1136/1137]. Blanscheflur hat, als sie den Wunsch äußert zu ihm zu kommen, nicht die Intention ihn zu heilen sondern sie will ihn nur noch einmal sehen, bevor er stirbt. Symptomatischer weise ist es die Verkleidung der Ärztin, in der sie zu Riwalin vorgelassen wird. Ihre Berührungen „enzunde/ sinne unde craft zer minne,“ [1314/1315] in Riwalin und danach ist er „von dem wîbe/ und von der minne vil nâch tôt;“ [1326/1327]. Die Heilung selbst erfolgt durch Gottes Willen ( „wan daz im got half ûz der nôt,/ sône kunde er niemer sîn genesen“ [1328/1329]. Die Genesung Riwalins ist also ein Wunder Gottes und keine durch natürliche oder übernatürliche Heilung durch Blanscheflur oder sonst jemanden.

Auch Tristan wird bei seinem ersten Siechtum in einem Kampf von einem Schwert verwundet. Hier kündigt Morold jedoch bereits bei der Verwundung an, dass dies keine übliche Kriegsverletzung sei sondern das Schwert vergiftet und die Wunde durch keinen Arzt sondern nur durch Isolde heilbar sei („du bist mit eime swerte wunt,/ daz toedic unde gelüppet ist./ arzât noch arzâte list/ ernert dich miemer dirre nôt,/ ez entuo mîn swester eine, Îsôt“ [6942-6946]). Diese Voraussage bestätigt sich, kein Arzt kann die Wunde heilen bis Tristan zu Isolde kommt, die seine Krankheit sofort erkennt („dû bist it gelüppe wunt.“ [7773]) und „si half im inner zweinzec tagen“ [7958]. Hier ist es also Isolde, die die Wunderheilung vollbringt. Ähnlich begibt es sich auch mit Tristans zweiter Heilung. Wieder ist er im Kampf, diesmal mit dem Drachen, verwundet worden. Entscheidend ist in diesem Moment aber die Zunge des Drachen, die seine Ohnmacht verursacht („wan ime benam al sîne maht/ diu leide zunge, die er trouc.“ [9086/9087]). Es handelt sich also auch hier um keine natürliche Kampfverletzung sondern die Ursache für sein Leiden kommt aus dem Bereich des Magischen, ein Körperteil eines Drachen. Isolde erkennt sofort den Zusammenhang: „diu zunge hât ouch ime benomen/ beidiu craft unde sin.“ [9430/9431]. Sie flößt ihm einen Trank ein, der ihn wieder zu Bewusstsein kommen lässt und nehmen ihn dann mit nach Hause wo sie „schuofen s'ime helfe unde gemach.“[9501]. Es sind zwar drei Frauen anwesend, die ältere Isolde ist aber die, die die Diagnose stellt und ein Heilmittel zur Hand hat. Weder die junge Isolde noch Brangäne tragen zur Heilung bei, sie sind nur Zuschauer. Beide Tristanheilungen wirken also nicht wie ein Zauber oder ein Wunder auf uns sondern sind mit den heilerischen Fähigkeiten Isoldes plausibel erklärbar. Sie stellt eine Diagnose, behandelt dann den verwundeten entsprechend und heilt ihn somit. Über welche Fähigkeiten Isolde im konkreten verfügt und mit welchen Mitteln sie heilt, wird später noch genauer behandelt werden.

Der Minnetrank

Eine ähnliche Vorgehensweise zeigt die ältere Isolde auch bei der Anwendung des Minnetrankes. Als Mutter sorgt sie sich um das Glück ihrer Tochter, der der Abschied aus Irland schwer fällt und bereitet deswegen einen Trank, der die Liebe zwischen Isolde und Marke herbeiführen soll. Es ist also die gleiche Anwendung ihrer Fähigkeiten mit dem einzigen Unterschied, dass uns aus heutiger Sicht eine Heilung von einer schweren Krankheit oder Verwundung durch Tränke und Medizinen als realistisch erscheint, ein Trank, der ewige Liebe herstellt aber nicht. Deshalb erscheint uns der Minnetrank tatsächlich als ein Zaubertrank, die vorherigen eher als Heiltränke. Es ist fraglich, ob diese Unterscheidung auch aus mittelalterlicher Sicht so klar war.


Träume

Sowohl Isolde als auch Marjodo träumen einen Traum, der die unmittelbare Zukunft voraus sagt. Isolde sieht, dass der Truchseß nicht der wahre Drachentöter ist, Marjodo erhält einen Hinweis darauf, dass Tristan die Ehre des königlichen Ehebetts Markes beschmutzt. Der Unterschied ist nun, dass Isolde ihren Traum gezielt hervorruft, indem sie „ir tougenlîche liste,/ von den si wunder wiste“ [9301/9302] gezielt befragt. Sie weiß dann auch aus dem Traum, dessen Inhalt garnicht beschrieben wird, die richtigen Schlüsse zu ziehen und der schönen Isolde am nächsten Morgen sicher zu sagen. „ern hât den den trachen niht erslagen./ swaz âventiure in her getrouc,/ er ist ein gast, der in dâ slouc.“ [9312-9314]. Marjodos Traum kommt unwillkürlich zu ihm und wird im Detail beschrieben. Er weiß ihn dann aber nicht zu deuten und sieht auch als er Tristan und Isolde im Bett belauscht hat, keine Parallelen. Der Traum ist zwar der Auslöser aber nicht der Grund dafür, dass Marjodo hinter Tristans und Isoldes Verhältnis kommt. Die Fähigkeit aus Träumen die Wahrheit zu lesen, denn beide Male handelt es sich nicht um die Zukunft sondern um das Erfahren eigentlich verdeckter Tatsachen, scheint eine Kunst zu sein, die man beherrschen muss und die nicht jedem gegeben ist. Auch hier ist Isolde die „wîse“, die diese Kunst beherrscht. Wirklich magisch wird diese Gabe dadurch, dass sie sie gezielt veranlassen kann.

Wunder

Im zweiten Teil des Romans, nach der Überfahrt nach Cornwall mit der Minnetrankszene, gibt es keine Urheber mehr für die Zauberhaften Elemente, die sie erklärbar machen würden. Sowohl der Zauberhund Petitcrü als auch die Minnegrotte gehören also in den Bereich Wunder. Bereits ihr Ursprung ist kein natürlicher sondern liegt in der Welt der Fabeln. Petitcrü wurde dem Herzog gesand „ûz Avalûn, der feinen lant/ von einer gottinne“ [15808/15809]. Die Minnegrotte stammt aus einer vorchristlichen Zeit „dô risen dâ hêrren wâren“ [16692]. Beide zeichnen sich durch ihr wunderbares Aussehen aus und haben eine der Realität entrückende Wirkung auf Tristan und Isolde. Petitcrü und sein Glöckchen lassen alle Sorgen vergessen, in der Minnegrotte leben die beiden fern jeder Realität und sind auch den normalen menschlichen Bedürfnissen wie Speise oder Gesellschaft enthoben.

Isolde die wîse

Es fällt auf, dass in dem Teil des Romans, der in Irland spielt, sich alle Zauber und Wunder um die Gestalt der älteren Isolde gruppieren. Alle anderen Wunder sind keiner so konkreten Person zuzuschreiben da ihre Urheber entweder Gott, bei Riwalins Heilung, oder Wunderwesen einer anderen Zeit oder eines anderen Reiches sind, das Feenreich bei Petitcrü und das Riesenreich bei der Minnegrotte. Isolde scheint also über Wissen und Fähigkeiten zu verfügen, die über die gewöhnlichen hinaus gehen. So wird sie bei ihrer ersten Erwähnung durch ihren Bruder Morold beschrieben als „diu künegîn von Îrlande./ diu erkennet maneger hande/ wurze und aller crûte craft/ und arzâtlîche meisterschaft.“ [6947-6950]. Isolde ist also eine kräuterkundige Ärztin, wie sie auch bei den Heilungen Tristans unter Beweis stellt. Dabei übertrifft sie auch alle anderen, wohl männlichen Ärzte, wie mehrfach betont wird. Dass das Gift, mit dem Morolds Schwert vergiftet ist, allein von Isolde geheilt werden kann legt nahe, dass es auch Isolde war, die dieses Gift hergestellt hat. Wie genau sie Kräuter anwendet, wird aber nicht beschrieben. Der Erzähler begründet dies damit, dass er das adelige Publikum nicht langweilen wolle [7935-7948]. Von da an werden alle Beschreibungen sehr kurz und wage gehalten, lediglich bei der zweiten Heilung Tristans wird Theriak genannt, eine Medizin die im Mittelalter ein bekanntes Allheilmittel war. Isoldes Rolle ist dabei garnicht so ungewöhnlich, wie es für uns auf den ersten Blick scheint. Vor der Christianisierung und bevor es Ärzte gab, waren hauptsächlich Frauen die Träger der germanischen Volksmedizin. (Becker 84) Nach der Christianisierung lebten diese Elemente der alten Religionen in den Bereichen, die die Kirche noch nicht übernehmen konnte, weiter, z.B. in der medizinischen Versorgung.(Becker 86) Diesen weisen Frauen schrieb man die Kenntnis zauberkräftiger, was auch heilend einschloss, Kräuter und auch seherische Fähigkeiten zu (Becker 85). Auch Isolde wird oft als die „wîse“ bezeichnet. Heilkunst und Zauberei waren also nicht so klar getrennt, bzw. die Heilkunde hatte auch einen magischen Charakter. (87/94)

Neben diesen praktischen medizinischen Anwendungen beherrscht sie auch Zauber wie das Herstellen des Minnetrankes oder das Befragen von Träumen.